Urteil des OLG Hamm vom 01.10.1998

OLG Hamm (unterbringung, eröffnung des verfahrens, untersuchungshaft, heim, jugendhilfe, haftbefehl, usa, staatsanwaltschaft, beschwerde, anordnung)

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 407/98
Datum:
01.10.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 407/98
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 14 (IV) Qs 20/98
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeschuldigten verwor-fen.
G r ü n d e :
1
I.
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Mit Beschluß vom 17. Juni 1998 - 77 Gs 823/98 - hat das Amtsgericht Dortmund gegen
den 16-jährigen Angeschuldigten die Untersuchungshaft angeordnet. In dem genannten
Haftbefehl wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, er habe gemeinschaftlich mit
anderen Beteiligten am 10. Juni 1998 dem Zeugen C und am 16. Juni 1998 dem
Zeugen N mit Gewalt bzw. unter Androhung von Gewalt jeweils einen Geldbetrag von
20,00 DM entwendet.
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Das Amtsgericht Dortmund - Jugendschöffengericht - verurteilte den Angeschuldigten
am 26. März 1998 - 59 Ls 30 Js 779/97 (95/97) - wegen ähnlicher, in der Zeit vom 13.
Februar bis 4. November 1997 begangener und vom Angeschuldigten auch
eingestandener 5 Raubtaten und weiterer Eigentumsdelikte zu einer Jugendstrafe von
einem Jahr und acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Gegen dieses
Urteil hat die Staatsanwaltschaft Dortmund Berufung mit dem Ziel einer höheren
Bestrafung eingelegt; über das Rechtsmittel ist bislang noch nicht entschieden. In jenem
Verfahren war der Angeschuldigte am 3. Oktober 1997 festgenommen worden, der
gegen ihn am 4. Oktober 1997 erlassene Haftbefehl wurde jedoch noch am selben Tag
außer Vollzug gesetzt. Nachdem der Angeschuldigte dann am 4. November 1997
gleichwohl eine weitere Straftat beging, wurde er am 5. November 1997 erneut
festgenommen, und zunächst in Untersuchungshaft genommen. Das Amtsgericht
Dortmund wandelte diesen Haftbefehl in der Folgezeit mit Beschluß vom 26. Januar
1998 in eine einstweilige Unterbringung um. Nach dem Inhalt des
Unterbringungsbefehls sollte sich der Angeschuldigte in dem geschlossenen
Erziehungsheim N-Stift in O aufhalten. Aus diesem Heim ist der Angeschuldigte dann im
Juni 1998 entwichen; bis zu seiner Festnahme in der vorliegenden Sache hielt er sich
ohne festen Aufenthalt im Stadtgebiet von E auf.
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Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat wegen der dem Haftbefehl vom 17. Juni 1998
zugrundeliegenden Vorwürfe unverzüglich unter dem 29. Juni 1998 Anklage vor dem
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Amtsgerichts - Jugendschöf-
fengericht - Dortmund erhoben. Über die Eröffnung des Verfahrens hat das Amtsgericht
bislang nicht entschieden, vielmehr hat es mit Beschluß vom 26. August 1998 zunächst
den Haftbefehl vom 17. Juni 1998 in eine einstweilige Unterbringung in einem Heim der
Jugendhilfe umgewandelt. Nach dem Inhalt dieses Beschlusses soll die Vollstreckung
der Heimunterbringung durch die Aufnahme des Angeschuldigten in das "T F Program
German N e.V." in der Nähe von Q/USA erfolgen.
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Auf die Beschwerde der Staatsanwalt Dortmund hat das Landgericht Dortmund mit
Beschluß vom 28. August 1998 diese Entscheidung aufgehoben und die Fortdauer der
Untersuchungshaft nach Maßgabe des Haftbefehls vom 17. Juni 1998 angeordnet.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Haftbeschwerde des
Angeschuldigten, mit der er die vom Amtsgericht Dortmund angeordnete einstweilige
Unterbringung in der in den USA gelegenen Einrichtung begehrt.
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II.
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Die gemäß § 310 Abs. 1 StPO statthafte weitere Beschwerde ist in der Sache nicht
begründet.
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Die Gründe der mit Beschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 17. Juni 1998
angeordneten Untersuchungshaft bestehen auch weiterhin fort. Der dringende
Tatverdacht ergibt sich aus den Aussagen der Zeugen C, C2, des gesondert verfolgten
Mittäters P und des Zeugen N. Das bislang gezeigte Verhalten des Angeschul-digten
begründet die Annahme, daß mit weniger einschneidenden Mitteln, als die Anordnung
der Untersuchungshaft die Sicherung des Strafverfahrens und die Vermeidung der
Wiederholungsgefahr nicht zu erreichen sind.
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Auch unter Berücksichtigung des im Jugendstrafrecht maßgebenden
Subsidiaritätsprinzips und der deshalb gebotenen restriktiven Auslegung der Haftgründe
kann nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall kein Zweifel daran bestehen,
daß die Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung nach § 72 Abs. 4 Satz
1 JGG nicht vorliegen. Das Entweichen des Angeschuldigten aus der in dem noch nicht
rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren 30 Js 779/97 StA Dortmund angeordneten
einstweiligen Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe in O und die unmittelbar
danach begangenen neuen Straftaten geben nicht nur Anlaß, diese einstweilige
Unterbringung gemäß § 72 Abs. 4 Satz 2 JGG durch einen Haftbefehl zu ersetzen, sie
entziehen auch einer - erneuten - Ersetzung des Haftbefehls durch einen
Unterbringungsbefehl im vorliegenden Verfahren jegliche Grundlage. Der
Angeschuldigte hat durch sein Verhalten gezeigt, daß mit weniger einschneidenden
Mitteln - nämlich mit der Unterbringung in einem Heim der Jugendgerichtshilfe - der
Zweck der Untersuchungshaft offenkundig nicht erreicht werden kann. In diesem
Zusammenhang sei nicht zuletzt auf einen Vermerk der Staatsanwaltschaft Dortmund
vom 10. September 1998 (Bl. 139 d. Haftprüfungshefts) verwiesen, wonach die
Heimleitung des N-Stifts in O im Rahmen einer fernmündlichen Rücksprache gegenüber
der Staatsanwaltschaft erklärt hat, man sei nicht bereit, den Angeschuldigten erneut
aufzunehmen, da es während seines früheren Aufenthaltes zu großen Schwierigkeiten
wegen einer von ihm ausgehenden Bandenbildung unter den Heimzöglingen
gekommen sei.
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Darüber hinaus entspricht die von dem Amtsgericht Dortmund angeordnete einstweilige
Unterbringung nicht den gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 72 Abs. 4 Satz 1, 71
Abs. 2 Satz 1 JGG. Nach Maßgabe dieser Bestimmungen kann die einstweilige
Unterbringung nur in einem geeigneten Heim der Jugendhilfe angeordnet werden. Der
Gesetzgeber hat damit die Auswahl nicht auf die "Erziehungsheime" im engeren Sinne
beschränkt, sondern alle Heime der Jugendhilfe je nach den Besonderheiten des
Einzelfalles als grundsätzlich geeignet angesehen. Es kommen allerdings nur H e i m e
, nicht dagegen auch andere Einrichtungen der Jugendhilfe in Betracht. Hiervon hat der
Gesetzgeber nicht zuletzt im Hinblick auf die Anrechenbarkeit der einstweiligen
Unterbringung gemäß §§ 52, 52 a JGG ausdrücklich abgesehen (vgl. BT-Drucksache
11/5829, Seite 30). Es bedarf keinen weiteren Ausführungen, daß es sich bei der in den
USA gelegenen Einrichtung H N Schools gerade nicht um ein solches mit einer
freiheitsentziehenden Maßnahme vergleichbares Heim der Jugendhilfe handelt, zumal
das "T F Program" die sozialpäda-gogische Umsetzung eines im Ausland "ohne Schloß
und Riegel" durchzuführenden Programms ermöglichen will.
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Einer dem unmittelbaren Zugriff deutscher Justizbehörden entzogenen Unterbringung
im Ausland zur Abwendung der Untersuchungshaft steht im übrigen nicht zuletzt der im
Jugendrecht besonders ausgeprägte Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung gemäß
§ 72 Abs. 5 JGG entgegen. Inwieweit diesem Grundsatz vorliegend mit der Ende August
1998 vom Amtsgericht Dortmund beschlossenen einstweiligen Unterbringung in eine in
den USA gelegenen Einrichtung entsprochen wurde, erschließt sich dem Senat nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
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