Urteil des OLG Hamm vom 26.10.1999

OLG Hamm: gegen die guten sitten, arzneimittel, verbraucher, produkt, form, markt, verkehr, werbung, lebensmittel, kopfschmerzen

Oberlandesgericht Hamm, 4 U 97/99
Datum:
26.10.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 97/99
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 44 O 242/98
Tenor:
Die Berufung des Antragsgegners gegen das am 7. April 1999
verkündete Urteil der IV. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Essen wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Antragsgegner
auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
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(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.)
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Die Berufung des Antragsgegners ist unbegründet, da das Landgericht durch das
angefochtene Urteil zu Recht die Beschlußverfügung vom 2. Dezember 1998 bestätigt
hat. In dieser hat das Landgericht dem Antragsgegner antragsgemäß untersagt, "im
geschäftlichen Verkehr das Mittel "B-F Kapseln" ohne Zulassung als Arzneimittel
(gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben".
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Gegen die Prozeßführungsbefugnis des Antragstellers bestehen im vorliegenden Fall
keine Bedenken (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG). Der Antragsteller verfügt nach seinen
glaubhaft gemachten Angaben über eine erhebliche Anzahl von Mitgliedern, die Waren
gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt wie der Antragsgegner vertreiben.
Dabei sind nicht nur solche Mitglieder zu berücksichtigen, die Schlankheitsmittel
herstellen und vertreiben nach den Hinweisen des Antragsgegners sollen im übrigen
mit den "B-F Kapseln" u.a. auch Kopfschmerzen bekämpft werden können. Es sind auch
solche Mitglieder einzubeziehen, bei denen eine nicht gänzlich unbedeutende
(potentielle) Beeinträchtigung durch das Bewerben und den Vertrieb der beanstandeten
Kapseln mit einer gewissen sei es auch nur geringen Wahrscheinlichkeit in Betracht
gezogen werden kann (vgl. dazu zuletzt BGH WRP 1999, 918 ff - Hypotonie Tee). Das
sind hier alle dem Pharmabereich zugeordneten Mitgliedsunternehmen des
Antragstellers.
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Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sind der Antrag und ihm folgend die oben
wiedergegebene Beschlußformel nicht zu unbestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das
Verbot ist eindeutig. Danach ist dem Antragsgegner untersagt, sein Produkt "B-F
Kapseln" (s. Bl. 45 - 47 d.A.) zu bewerben und/oder zu vertreiben. Die konkrete
Verletzungsform ist auch in zutreffender Form zum Gegenstand des Antrags gemacht
worden. Diese liegt nämlich nicht in den konkreten Werbeaussagen des
Antragsgegners über sein Produkt, sondern darin, daß der Antragsteller in den
beanstandeten Kapseln ein Arzneimittel sieht, das der Antragsgegner unter Verstoß
gegen die §§ 3 a HWG, 21 Abs. 1 AMG bewirbt und vertreibt. Als Arzneimittel dürften die
Kapseln mangels Zulassung nach § 21 AMG überhaupt nicht beworben und vertrieben
werden, so daß es in diesem Zusammenhang auf die konkrete Werbung nicht ankommt.
Sie dient allerdings wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat in anderem
Zusammenhang als Indiz dafür, daß die "B-F Kapseln" des Antragsgegners als
Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 5 AMG einzustufen sind.
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Soweit der Antragsgegner Bedenken hinsichtlich des Bestandteils der Beschlußformel
"ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG)" äußert, vermag der Senat dem
nicht zu folgen. Es sind im vorliegenden Fall ersichtlich keinerlei Berührungspunkte zu
dem Medizinproduktegesetz (MPG) gegeben. Nach § 3 Abs. 1 MPG sind
Medizinprodukte neben anderen Voraussetzungen gerade solche, deren
bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch
pharmakologisch noch immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus
erreicht wird. Diese Voraussetzungen liegen unzweifelhaft nicht vor.
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In der Sache selbst hat das Landgericht die "B-F Kapseln" zutreffend als Arzneimittel
eingestuft (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und 5 AMG). Entscheidend für die Einordnung als
Arzneimittel (oder als Lebensmittel - § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG) ist die an objektive Merkmale
anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung. Die dafür maßgebliche
Verkehrsanschauung wird regelmäßig durch die allgemeine Verwendung seitens der
Verbraucher bestimmt. Diese hängt wiederum davon ab, welche
Verwendungsmöglichkeiten der Stoff seiner Art nach hat. Dabei kann die Auffassung
der Verbraucher auch durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten
enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie durch die
Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt, beeinflußt
werden (vgl. BGH WRP 1995, 386 ff - Knoblauchkapseln). Bei seiner Entscheidung hat
das Landgericht zutreffend zum einen auf die Aufmachung des Produkts des
Antragsgegners abgestellt. Die verwendete Flasche weist schon ihrer Art nach auf ein
Behältnis hin, mit dem typischerweise Arzneimittel und keine Lebensmittel angeboten
werden. Das gilt auch für die Kapseln selbst, die in dieser Form regelmäßig bei
Arzneimitteln verwendet werden (vgl. BGH a.a.O., 388 - Knoblauchkapseln). Erst recht
gibt die Kombination von beiden Formen dem Verkehr ausreichenden Anlaß, bei den
"B-F Kapseln" von einem Arzneimittel auszugehen. Hinzu kommt andererseits, daß die
Fett freisetzende Wirkung, die Verbesserung der Nierenfunktion und das Fördern der
Durchblutung und der Wundheilung, auf die der Antragsgegner in der Werbung hinweist
(vgl. Bl. 46 d.A.), zeigen, daß die Kapseln dazu bestimmt sind, die Beschaffenheit, den
Zustand und die Funktion des Körpers zu beeinflussen, was gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5
AMG Voraussetzung für die Einstufung als Arzneimittel ist. Desweiteren führen die
Indikationshinweise, bei denen der Antragsgegner selbst davon ausgeht, sein Produkt
könne bei "Leiden" angewendet werden (vgl. Bl. 46 d.A.), unter denen u.a.
Kopfschmerzen aufgeführt sind, dazu, daß von einem Arzneimittel auszugehen ist. Nach
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§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe, die dazu bestimmt sind, im menschlichen
Körper Krankheiten, Leiden usw. zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen.
Indem der Antragsgegner die "B-F Kapseln" ohne die erforderliche Zulassung nach § 21
AMG bewirbt und vertreibt, verstößt er gegen die guten Sitten, da er sich über
Vorschriften hinwegsetzt, die aus Gründen der Volksgesundheit erlassen worden sind
(§ 1 UWG).
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Dieses Handeln ist auch geeignet, den Wettbewerb auf diesem Markt wesentlich zu
beeinträchtigen, da die Interessen der Allgemeinheit in beachtlicher Form betroffen sind.
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Die erforderliche Wiederholungsgefahr ist durch die Unterwerfungserklärung des
Antragsgegners vom 16. Dezember 1998 (s. Bl. 54, 55 d.A.) nicht entfallen. Sie bezieht
sich nicht auf das angestrebte Verbot, sondern lediglich und das auch nicht umfassend
auf die Bewerbung des Mittels. Somit hat der Antragsteller zu Recht die Annahme dieser
Erklärung abgelehnt.
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Schließlich dringt der Antragsgegner nicht mit seiner Einrede der Verjährung durch
(§ 21 UWG). Das entsprechende Hauptsacheverfahren ist in unverjährter Zeit
rechtshängig geworden. Dessen ursprünglicher Antrag (s. Bl. 128 d.A.) ist ebenso
ausreichend bestimmt gewesen wie der im vorliegenden Verfahren.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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