Urteil des OLG Hamm vom 18.01.2005

OLG Hamm: vorname, geschlecht, im bewusstsein, bevölkerung, eltern, kroatien, gesellschaft, herkunft, serbien, kindeswohl

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 15 W 343/04
18.01.2005
Oberlandesgericht Hamm
15. Zivilsenat
Beschluss
15 W 343/04
Landgericht Bielefeld, 23 T 418/04
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die sofortige Beschwerde
der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld
vom 4. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten für das
Erstbeschwerdeverfahren und das Verfahren der weiteren Beschwerde
findet nicht statt.
Der Gegenstandswert wird auf 3.000,- € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die zu 1) beteiligten Eheleute sind deutsche Staatsangehörige jugoslawischer Herkunft.
Sie wollen ihrem am 1. Februar 2004 geborenen Sohn den alleinigen Vornamen "Luka"
geben. Der Standesbeamte bei dem Standesamt Herford hat die Eintragung mit der
Begründung abgelehnt, bei dem Vornamen "Luka" handele es sich sowohl um einen
männlichen als auch einen weiblichen Vornamen. Der Standesbeamte stützte sich dabei
auf eine gutachterliche Stellungnahme des Sprachwissenschaftlers und Namensforschers
Dr. Gerhard Müller (Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. – Wilfried Seibecke – Institut für
Namensforschung) vom 12. Januar 2002. Danach sei der Vorname "Luca" italienischer
Herkunft und "von Haus aus" männlich. Seit einiger Zeit habe sich "Luca" allerdings auch
als Mädchenname etabliert und sei schon relativ oft – auch als Einzelname –
standesamtlich beurkundet worden. Zudem sei der Vorname auch für das Angelsächsische
und das Niederländische als Mädchenname belegt. Auch in Jugoslawien sei der Vorname
männlich und weiblich. Die Erteilung eines weiteren, die nach Auffassung des
Standesbeamten bestehenden Zweifel an der Geschlechtszugehörigkeit des Kindes
ausschließenden Namens lehnten die Beteiligten zu 1), die orthodoxen Glaubens sind, aus
religiösen Gründen ab. Die Beteiligten zu 1) haben beim Amtsgericht beantragt, das
Standesamt anzuweisen, für ihren Sohn den Namen "Luka" als alleinigen Vornamen zu
beurkunden. Diesem Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 4. Mai 2004
stattgegeben. Hiergegen hat die Beteiligte zu 2) sofortige Beschwerde erhoben. Mit
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Beschluss vom 2. August 2004 hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts vom
4. Mai 2004 aufgehoben und den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Hiergegen
richtet sich die mit Anwaltsschriftsatz rechtzeitig eingelegte weitere Beschwerde der
Beteiligten zu 1).
II.
Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 49 Abs. 1 S. 2 PStG, 29 FGG statthaft und in der
rechten Form eingelegt worden. Die Beschwerdebefugnis Beteiligten zu 1) folgt daraus,
dass das Landgericht die amtsgerichtliche Entscheidung zu ihrem Nachteil abgeändert hat.
In der Sache ist das Rechtsmittel begründet, weil die angefochtene Entscheidung auf einer
Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs. 1 FGG i.V.m. § 546 ZPO.
Das mit einer zulässigen Erstbeschwerde befasst gewesene Landgericht hat ausgeführt:
"Luka" könne als alleiniger Vorname für einen Jungen nicht eingetragen werden, da er
nicht hinreichend geschlechtsspezifisch sei. Nach den Ermittlungen des vom Standesamt
eingeschalteten Dr. Gerhard Müller und dem Internationalen Handbuch für Vornamen
handele es sich bei dem Vornamen "Luka" um einen sowohl männlich als auch weiblich
gebräuchlichen Vornamen. Der Vorname "Luka" könne einem Jungen daher nur unter
Erteilung eines weiteren, eindeutig männlichen Vornamens gegeben werden.
Dies hält letztlich der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das Recht, einem Kinde Vornamen zu geben, steht den Sorgeberechtigten zu (Art.6 Abs.2
S.1 GG, § 1626 BGB; vgl. hierzu Diederichsen, NJW 1981, 705). Allgemein verbindliche
Vorschriften über die Wahl und die Führung von Vornamen gibt es zur Zeit nicht. Die freie
Wahl der Vornamen ist zuvörderst Aufgabe der Eltern, die sie allerdings im Sinne des
Kindeswohls auszuüben haben (BVerfG 1BvR 994/98 vom 28.01.2004; StAZ 2004, 109 =
FamRZ 2004, 522). Nur wenn letzteres bedroht erscheint, sind die staatlichen Stellen in
Ausübung ihrer Aufgaben nach Art.6 Abs.2 S.2 GG befugt und verpflichtet, der elterlichen
Entscheidung die Anerkennung zu verweigern. Die durch das Kindeswohl gezogenen
Grenzen werden unter anderem dann nicht eingehalten, wenn bei der Namensgebung der
natürlichen Ordnung der Geschlechter nicht Rechnung getragen wird, wenn also Jungen
oder Mädchen Vornamen beigelegt werden, die im allgemeinen Bewusstsein als
Vornamen des jeweils anderen Geschlechts lebendig sind (vgl. BGHZ 73, 239, 241 = NJW
1979, 2469 = FamRZ 1979, 466 = StAZ 1979, 238). Das wird allgemein als
selbstverständlich empfunden und bildet auch den Ausgangspunkt für die Regelung des
Personenstandsgesetzes, dem die Auffassung zugrunde liegt, dass die einem Kind
gegebenen Vornamen geeignet sein sollen, ohne weiteres dessen Geschlecht erkennen zu
lassen. Ist der Vorname nicht eindeutig männlich oder weiblich, steht dies der Eintragung
dann nicht entgegen, wenn dem Kind ein weiterer, den Zweifel über das Geschlecht
ausräumender Vorname beigelegt wird (vgl. Senat, StAZ 1998, 322; 1996, 208; NJW-RR
1994, 580). Bei Beachtung dieser Grundsätze können selbst Phantasienamen zulässig
sein (vgl. BayObLG, StAZ 1984, 127, 128). Soweit die – auch vom Amtsgericht geteilte -
Auffassung vertreten wird, es gelte nicht das Prinzip der Geschlechtsoffenkundigkeit von
Vornamen (vgl. etwa AG Duisburg, StAZ 1997, 74, 75; AG Tübingen, StAZ 1981, 242ff.),
wird insbesondere der o.a. Grundsatz nicht hinreichend gewürdigt, dass nicht nur das
Recht der Eltern auf Namensbestimmung, sondern auch das wohlverstandene Interesse
des Kindes zu berücksichtigen ist, welches gerade in einer das Geschlecht eindeutig
kennzeichnenden Namensgebung bestehen kann.
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Das Landgericht hat die vorgenannten Grundsätze herangezogen, seine Entscheidung
trägt ihnen jedoch nicht hinreichend Rechnung. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das
Landgericht davon ausgegangen, dass in den Fällen, in denen der Vorname nicht
eindeutig männlich oder weiblich ist, die Eintragung dieses Vornamens nur unter
Beilegung eines weiteren, den Zweifel über das Geschlecht ausräumenden Vornamens
erfolgen darf. Die darauf aufbauende Feststellung des Landgerichts, der Vorname "Luka"
sei nicht hinreichend geschlechtsspezifisch, fußt allerdings auf einer unzureichenden
Tatsachengrundlage. Das Landgericht hat seine Feststellung, "Luka" sei ein
geschlechtsneutraler Vorname auf das Ergebnis der Stellungnahme des Dr. Gerhard Müller
von der Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. vom 18. Mai 2004 und die in dem
Internationalen Handbuch für Vornamen enthaltenen Angaben gestützt. Die Erläuterungen
des Dr. Müller ihrerseits stützen sich auf standesamtliche Eintragungen, verzeichnet bei
Wilfried Seibicke "Historisches Deutsches Vornamenbuch". Nach neueren Unterlagen sei
"Luka" in Deutschland mehrmals als Mädchenname und auch als Jungenname beurkundet
worden. Das Landgericht hat jedoch dem Umstand, in welchem Umfang "Luka" als
Vorname für Jungen und Mädchen gewählt worden ist, keine Bedeutung beigemessen.
Dies ist aus folgendem Grund rechtsfehlerhaft. Steht nämlich fest, dass der Vorname "Luka"
im allgemeinen Bewusstsein der Bevölkerung in Deutschland als männlicher Vorname
lebendig ist, ist dieser Vorname gerade nicht geschlechtsneutral und es bedarf der
Beigebung eines weiteren, eindeutig männlichen Vornamens nicht.
Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung auch hinsichtlich der
Geschlechtsoffenkundigkeit ist nicht ein vermeintliches Gewohnheitsrecht, sondern allein
der Aspekt des Kindeswohls, da allein unter diesem Aspekt (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG) der
Staat befugt ist, dem auf Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG beruhenden Namensbestimmungsrecht der
Eltern die Anerkennung zu verweigern. Eine solche Gefährdung des Kindeswohls kann
jedoch nur angenommen werden, wenn der gewählte Vorname, etwa weil er im
Bewußtsein der Bevölkerung dem anderen Geschlecht zugeordnet wird, nicht geeignet ist,
die Selbstidentifikation des Kindes zu fördern, sondern im Gegenteil Anlass zu
Belästigungen und Behinderungen sein kann. Hiervon kann nicht bereits dann
ausgegangen werden, wenn ein bestimmter Vorname, der im allgemeinen Bewußtsein der
Bevölkerung mit hinreichender Klarheit einem Geschlecht zugeordnet wird, im Hinblick auf
eine abweichende Verwendung in einem anderen Sprachkreis oder aus anderen Gründen
zur Eintragung auch für das andere Geschlecht zugelassen wird. Derartige Eintragungen
nehmen dem Vornamen im allgemeinen Bewusstsein noch nicht die eindeutige
Geschlechtszuordnung (Senat, B.v. 29. April 2004 15 W 102/03 -, NJOZ 2004, 4297).
Dieser Rechtsfehler nötigt allerdings nicht zur Zurückverweisung der Sache. Die bisherigen
Feststellungen des Landgerichts und darüber hinaus zur Verfügung stehende allgemein
zugängliche Erkenntnisquellen ermöglichen dem Senat eine abschließende Entscheidung.
Dies führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückweisung der ersten
Beschwerde und zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses, wobei –
worauf an anderer Stelle bereits hingewiesen worden ist – die von dem Amtsgericht
gegebene Begründung in der Sache von dem Senat nicht geteilt wird.
Wie Dr. Müller in seiner Stellungnahme vom 12. Juni 2002 ausgeführt hat, ist der Vorname
"Luca" (bzw. in der jugoslawischen Variante "Luka") italienischer Provenienz und
ursprünglich männlich. Die von Dr. Wilfried Seibicke erstellte Liste der im Jahr 2001
beliebtesten Vornamen in der Bundesrepublik Deutschland (StAZ 2002, 161) erwähnt den
Vornamen "Luca" auf Platz 14 der beliebtesten Vornamen für Jungen, während der Name
in der Beliebtheitsskala der Mädchennamen nicht auftaucht. In den Folgejahren ist der
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Beliebtheitsgrad des Namens "Luca" für Jungen stetig gestiegen. Während "Luca" im Jahr
2002 (StAZ 2003, 263) Platz 10 der beliebtesten Jungennamen einnimmt, findet sich der
Name im Jahr 2003 an siebter Stelle der Namensliste, während der Name in die
Beliebtheitsskala der Mädchennamen keinen Eingang gefunden hat (StAZ 2004, 193).
Damit im Einklang hat Dr. Müller in den Erläuterungen zu den tabellarischen Übersichten
darauf hingewiesen, dass im Jahr 2002 "wieder in einigen Städten gelegentlich ‚Luca‘ für
ein Mädchen eingetragen worden" sei. Im Jahr 2004 deutet sich die ungebrochene
Fortsetzung des Aufwärtstrendes des Vornamen "Luca" für Jungen in der Liste der am
häufigsten gewählten männlichen Vornamen an. Zwar liegt die von Dr. Müller
veröffentlichte Statistik noch nicht vor. Die Statistik der Stadt Essen für das Jahr 2004 führt
aber bei den Jungennamen "Luca" auf Platz 6, während "Luca" unter den ersten 30
Platzierungen bei den Mädchennamen nicht auftaucht. Dies rechtfertigt aus Sicht des
Senats die Feststellung, dass Luca jedenfalls ganz überwiegend als Vorname für Jungen
gewählt wird. Schon aufgrund der vergleichsweise seltenen Benutzung als Mädchenname
sowie der ursprünglichen Verwendung als Jungenname kann somit gerade nicht davon
ausgegangen werden, dass "Luca" bzw. "Luka" im allgemeinen Bewußtsein als Vorname
des weiblichen Geschlechts lebendig ist. Die vereinzelte standesamtliche Eintragung des
Vornamens "Luca" bzw. "Luka" für ein Mädchen nimmt diesem Vornamen im allgemeinen
Bewußtsein der Bevölkerung noch nicht die eindeutige Geschlechtszuordnung und ist nicht
geeignet, die Selbstidentifikation eines Jungen bzw. später des männlichen Erwachsenen
in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen.
Die Namenswahl der Beteiligten zu 1) stellt aber auch aus einem weiteren Grunde keinen
Verstoß gegen den Grundsatz der Geschlechtsoffenkundigkeit des Vornamens dar.
Ausländische Vornamen sind dann im Geburtenbuch eintragungsfähig, wenn sie im
Herkunftsland der Eltern im Bewusstsein der Bevölkerung eindeutig einem Geschlecht
zugeordnet sind, wobei maßgeblich für diese Zuordnung nicht das deutsche
Sprachempfinden, sondern die Gebräuchlichkeit im Ausland ist (vgl. OLG Frankfurt, StAZ
2005, 14 = FGPrax 2004, 283). Auch insoweit muss gelten, dass das Kindeswohl im
Hinblick auf die Förderung der Selbstidentifikation des Kindes nicht schon dann gefährdet
wird, wenn ein bestimmter Name, der im allgemeinen Bewusstsein der Bevölkerung des
Herkunftslandes mit hinreichender Klarheit einem Geschlecht zugeordnet wird, vereinzelt
eine abweichende Verwendung findet. Nach den von dem OLG Frankfurt (a.a.O.)
unbeanstandet gebliebenen, auf Grund einer Bescheinigung des Generalkonsulats der
Republik Kroatien getroffenen Feststellungen der Vorinstanz wird der Vorname "Luca" in
Kroatien nach dortigem Sprachgebrauch als männlicher Vorname angesehen und
entsprechend verwendet. Der Gemeindepfarrer der Serbisch Orthodoxen Kirchengemeinde
in C hat im vorliegenden Verfahren bestätigt, dass "Luka" in Serbien ein männlicher
Vorname sei und eine Qualifizierung als Mädchenname ausscheide. Mag der Vorname
"Luka" nach den Erläuterungen des Dr. Müller in Jugoslawien auch als Mädchenname
verwendet werden, so ist entscheidend doch, die im allgemeinen Bewusstsein der
Bevölkerung des Herkunftslandes mit hinreichender Klarheit erfolgte Zuordnung zu einem
Geschlecht. Davon ist vorliegend für Kroatien und Serbien/Montenegro auszugehen.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der weiteren
Beschwerde beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG. Danach verbleibt es bei dem Grundsatz,
dass in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit jede Partei die ihr entstandenen
außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat. Dass das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1)
Erfolg gehabt hat, rechtfertigt es nicht von diesem Grundsatz abzuweichen. Eine
Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Erstbeschwerdeverfahrens ist aus
tatsächlichen Gründen nicht veranlasst.
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Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO und folgt
der unbeanstandet gebliebenen Wertfestsetzung des Landgerichts.