Urteil des OLG Hamm vom 13.07.1993

OLG Hamm (kläger, scheck, konkursmasse, sequester, essen, höhe, zug, einzug, vereinbarung, vorschrift)

Oberlandesgericht Hamm, 27 U 85/93
Datum:
13.07.1993
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 U 85/93
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 45 O 103/92
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 22. Dezember 1992
verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Essen wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Beklagte den
dem Kläger durch das vorgenannte Urteil zuerkannten Betrag nebst
Zinsen nur zu zahlen hat Zug um Zug gegen Abtretung des Anspruchs
auf Rückzahlung von 6.368,- DM, der dem Kläger wegen Einlösung
seines für die ... bestimmten Schecks gegen die Konkursmasse der ...
zusteht.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Der Kläger nimmt den Beklagten persönlich wegen angeblicher Verletzung der Pflichten
eines Sequesters auf Schadensersatz in Anspruch.
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Am 03. und 29.07.1991 erteilte der Kläger der ( ... jetzige Gemeinschuldnerin) Aufträge
über die Lieferung von bedruckten Plastiktragetaschen.
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Noch vor Ausführung dieser Aufträge gründete der geschäftsführende
Alleingesellschafter der Gemeinschulderin ... am 14.10.1991 die ..., die am 24.10.1991
ins Handelsregister beim Amtsgericht Essen eingetragen wurde und deren
geschäftsführende Alleingesellschafter wiederum ... ist.
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Dem Kläger wurden die bestellten Plastiktragetaschen anschließend am 04., 07. und
12.11.1991 geliefert. Als Lieferant trat die ... auf, die auch die Rechnung erteilte.
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Am 04.11.1991 stellte ... beim Amtsgericht Essen Konkursantrag hinsichtlich der
Gemeinschuldnerin und gab zur Begründung an, am 07.10.1991 sei in ... deren
Rohstofflager vernichtet worden. Durch Beschluß vom 11.11.1991 ordnete das
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Amtsgericht hierauf zunächst die Sequestration des Vermögens der Gemeinschuldnerin
an und bestellte den Beklagten zum Sequester.
Am 15.11.1991 sandte der Kläger an die ... einen im Adressfeld entsprechend
ausgefüllten Scheck über 6.368,- DM zum Ausgleich ihrer Rechnungen vom 04., 07. und
12.11.1991 ab. Irrtümlich wurde der Brief dem Beklagten zugeleitet, vielleicht aufgrund
der hinsichtlich der Gemeinschuldnerin angeordneten Postsperre. Der
vom Beklagten
mit der Erledigung
Rechtsanwalt ... reichte den Scheck am 19.11.1991 zum Einzug ein. Die Schecksumme
wurde dem vom Beklagten für die Gemeinschuldnerin eingerichteten Anderkonto am
25.11.1991 gutgeschrieben.
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Am 10.12.1991 forderte die ... den Beklagten vergeblich auf, ihr die Schecksumme zu
überlassen.
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Am 20.01.1992 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der
Gemeinschuldnerin eröffnet. Der Beklagte wurde zum Konkursverwalter bestellt.
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Der Kläger hat mit der Klage zunächst gegen die Konkursmasse einen
bereicherungsrechtlichen Anspruch in Höhe der Schecksumme geltend gemacht,
sodann aber den Beklagten persönlich auf Schadensersatz in Höhe der Schecksumme
in Anspruch genommen und ausgeführt, der Beklagte habe mit Einlösung des für die ...
bestimmten Schecks gegen seine Pflichten als Sequester verstoßen. Allein die ... könne
auch die Bezahlung der in Rede stehenden Lieferungen verlangen. Da die
Gemeinschuldnerin wegen der Vernichtung ihrer Rohstoffe nicht mehr habe liefern
können, habe er, der Kläger, am 15.10.1991 mit ... die Stornierung der ihr erteilten
Aufträge vereinbart und die Aufträge anschließend der ... erteilt.
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Der Beklagte hat eingewandt, die Schecksumme stehe der Gemeinschuldnerin zu, da
sie es gewesen sei, die die später von der ... nur in Rechnung gestellten Lieferungen
ausgeführt habe. Die angeblich am 15.10.1991 mit Zustimmung des Klägers zwischen
der Gemeinschuldnerin und der ... vereinbarte Vertragsübernahme sei gemäß §181
BGB, von dessen Beschränkungen ... nicht befreit gewesen sei, unwirksam. Zumindest
sei sie nach §§29 ff. KO anfechtbar, da sie die Gemeinschuldnerin um ihre
Gewinnspanne gebracht habe. Außerdem sei für ihn, den Beklagten, nach den
Gesamtumständen nicht erkennbar gewesen, daß der Scheck nicht für die
Gemeinschuldnerin bestimmt gewesen sei. Schließlich sei dem Kläger auch kein
Schaden entstanden, da die ... hier hinsichtlich des übersandten Schecks das
Verlustrisiko getragen habe, weil die Verwechselungsgefahr wegen der
Namensgleichheit aus ihrer Sphäre hergerührt habe.
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Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger 6.368,- DM nebst 4 %
Zinsen seit dem 19.06.1992 zu zahlen. Zur Begründung hat es im wesentlichen
ausgeführt, das Begehren des Klägers sei entsprechend §82 KO gerechtfertigt. Der
Beklagte habe gegen seine Pflichten als Sequester verstoßen, indem er den Scheck
trotz der Abweichungen in Firmenbezeichnung und Adresse für die Gemeinschuldnerin
zum Einzug gegeben habe. Er könne sich auch nicht einredeweise auf ein
Anfechtungsrecht nach der Konkursordnung berufen. Selbst wenn die angebliche
Vereinbarung vom 15.10.1991 anfechtbar gewesen wäre, hätte er den Scheck jedenfalls
nicht im Wege der "Selbstbedienung" einziehen dürfen. Im übrigen lägen
Anfechtungsgründe aber auch nicht vor.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der Berufung. Ergänzend trägt er vor,
der Kläger könne die behauptete Vereinbarung vom 15.10.1991 nicht beweisen, da die
Handelsbücher schwiegen. Im übrigen sei es undenkbar, daß der Kläger als Kaufmann
nicht erkannt habe, aus welchem Grund und für welche Zwecke die Verträge übertragen
werden sollten. Hilfsweise rechnet er mit Ansprüchen auf, die der Gemeinschuldnerin
aus den angeblich mit ihren Waren erfolgten Lieferungen gegen den Kläger zustehen
sollen.
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Der Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil. In erster Linie nimmt er weiterhin gemäß §82 KO
den Beklagten persönlich in Anspruch. Dazu behauptet er nun, ... habe Rechtsanwalt ...
schon vor Einlösung des Schecks darüber informiert, daß die noch offenen Verträge der
Gemeinschuldnerin über eine neu gegründete Firma abgewickelt würden. Hilfsweise
greift er auf einen Anspruch nach §59 Abs. 1 Nr. 4 KO gegen die Konkursmasse zurück.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen verwiesen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen ... und ...
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk zum
Senatstermin vom 17.06.1993 verwiesen. Außerdem waren die Akten 34 bN 147/91 des
Amtsgerichts Essen Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist im wesentlichen unbegründet.
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Der Kläger hat entsprechend §82 KO gegen den Beklagten persönlich Anspruch auf
Ersatz des Schadens, der ihm dadurch entstanden ist, daß Rechtsanwalt ... den Scheck
zum Einzug gegeben und die erhaltene Schecksumme in die Konkursmasse hat fallen
lassen. Er kann vom Beklagten Zahlung in Höhe der Schecksumme von 6.368,- DM
verlangen, allerdings nur Zug um Zug gegen Abtretung des ihm - dem Kläger - gegen
die Konkursmasse erwachsenen bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruchs.
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1.
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Nach §82 KO ist der Konkursverwalter für die Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten
allen Beteiligten verantwortlich. Der Sequester haftet in entsprechender Anwendung
dieser Vorschrift (BGH ZIP 1988, 1411).
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2.
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Beteiligter im Sinne der Vorschrift wurde der Kläger bereits dadurch, daß der Beklagte in
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seiner Eigenschaft als Sequester Besitz an dem Scheck erlangte (vgl. dazu OLG Celle,
ZIP 81, 1003). Wäre das Konkursverfahren zu diesem Zeitpunkt eröffnet gewesen, hätte
der Kläger nämlich als Eigentümer des Schecks zu den Aussonderungsberechtigten
nach §43 KO gehört. Das Eigentum am Scheck war mangels entsprechender Einigung
nicht nach §§929 ff. BGB auf die Gemeinschuldnerin übergegangen, da der Kläger den
Scheck an die ... hatte übereignen wollen.
3.
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Rechtsanwalt Graute hat die dem Beklagten gegenüber dem Kläger obliegenden
Pflichten fahrlässig verletzt, indem er den Scheck - statt ihn unverzüglich
zurückzuschicken - zum Einzug gegeben hat. Bei gebotener sorgfältiger Prüfung (vgl.
dazu OLG Celle, ZIP, a.a.O.) hätte er erkennen können und müssen, daß der Scheck
nicht für die Gemeinschuldnerin bestimmt war. Angesichts der im Adreßfeld des
Schecks eingetragenen abweichenden Firmenbezeichnung ... und der von der durch die
Gemeinschuldnerin im Geschäftsverkehr angegebenen Anschrift abweichenden
Adresse ... hatte er in Rechnung zu stellen, daß ihm der Scheck nur irrtümlich zugeleitet
sein konnte. Dies gilt auch, wenn ihm die Gründung der ... nicht mitgeteilt worden war,
zumal die Überlegung nicht fernlag, daß ... sich mit einer neuen Gesellschaft wieder
eine wirtschaftliche Existenz aufbauen wollte. Bei dieser Sachlage durfte er sich sodann
bei der Überprüfung nicht damit begnügen, daß in den Unterlagen der
Gemeinschuldnerin Aufträge des Klägers zu finden waren. Solange Lieferscheine und
Rechnungen fehlten, die mit der Schecksumme in Einklang zu bringen waren, mußte er
sich durch eine Anfrage beim Handelsregister vergewissern, ob dort eine ... bekannt war
bzw. beim Kläger rückfragen, wofür die Zahlung bestimmt war. Dies war innerhalb der
Scheckvorlagefrist von 8 Tagen nach Art. 29 ScheckG ohne weiteres möglich. An den
Sequester sind insoweit entgegen der Ansicht von Haug (ZIP 1984, 773) entsprechend
hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen. Der Beklagte kann sich daher auch nicht mit
Erfolg darauf berufen, Rechtsanwalt ... habe davon ausgehen dürfen, daß der Scheck für
die Gemeinschuldnerin bestimmt gewesen sei, weil schon diese ihre Produkte unter
dem Namen ... vertrieben und die Bezeichnung auf ihren Briefbögen hervorgehoben
habe. Ebensowenig kommt es darauf an, daß ... am 18.11.1991 - wie der Zeuge ...
bestätigt hat - erklärt haben soll, die eigentlichen Geschäftsräume der
Gemeinschuldnerin befänden sich in der ... und daß dort tatsächlich der
Gemeinschuldnerin gehörende Unterlagen und sonstige Gegenstände vorhanden
waren. Maßgeblich ist, daß die Gemeinschuldnerin auf ihren im Geschäftsverkehr
benutzten Briefbögen eine andere Anschrift angab.
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Der Beklagte hätte den Sachverhalt aber spätestens überprüfen und die Rückzahlung
der Schecksumme an den Kläger vornehmen müssen, als sich die ... mit Schreiben vom
10.12.1991 - noch vor Konkurseröffnung - bei ihm meldete.
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4.
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Dem Kläger ist durch die Pflichtverletzung des Beklagten bzw. dessen Gehilfen (§§278,
831 BGB) ein Schaden zumindest in Form einer Vermögensgefährdung entstanden.
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Zwar steht dem Kläger gemäß §59 Abs. 1 Nr. 4 KO in Höhe der Schecksumme ein
bereicherungsrechtlicher Anspruch gegen die Konkursmasse zu. Fraglich ist aber, ob
die Masse im Ergebnis ausreicht, um seinen Anspruch zu erfüllen. Das Risiko hat der
Beklagte zu übernehmen.
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Eine Bereicherung der Masse ist hier nicht etwa schon deshalb ausgeschlossen, weil
der Beklagte die Schecksumme vor Eröffnung des Konkursverfahrens eingenommen
hat. Sie ist nämlich nicht unmittelbar in das Vermögen der späteren Gemeinschuldnerin
geflossen, sondern zunächst in die vom Beklagten auf einem Anderkonto verwaltete
Sequestrationsmasse und erst nach Konkurseröffnung über diese in die Konkursmasse
gelangt (vgl. dazu OLG Stuttgart, ZIP 81, 252 - vorbehaltlos bestätigt durch BGH WM 83,
679; die vom Beklagten zitierte Entscheidung BGHZ 23, 317 betrifft den anders zu
beurteilenden Fall der Einnahme von Geldbeträgen durch den nicht zu Verfügungen
über das Schuldnervermögen berechtigten Vergleichsverwalter).
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Die Masse ist in Höhe der Schecksumme rechtsgrundlos bereichert, da sie keinen
Anspruch auf Überlassung des nicht für sie bestimmten Schecks hatte.
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Der Beklagte kann gegenüber dem Anspruch des Klägers nach §59 Abs. 1 Nr. 4 KO
auch weder mit einem fälligen Werklohnanspruch der Gemeinschuldnerin nach §§651,
631 BGB noch mit einem bereicherungsrechtlichen Anspruch der Gemeinschuldnerin
aus §§812 ff. BGB aufrechnen. Nach der insoweit glaubhaften und mit den vorgelegten
Lieferscheinen und Rechnungen im Einklang stehenden Aussage des Zeugen ... sind
die in Rede stehenden Lieferungen vom 04., 07. und 12.11.1991 nach Vereinbarung
einer entsprechenden Vertragsübernahme - deren Wirksamkeit dahinstehen kann -
durch die ... erfolgt, selbst wenn die Handelsbücher der Gemeinschuldnerin keinen
Hinweis auf die Vereinbarung enthalten mögen. Der Kläger ist daher wegen der
erfolgten Lieferungen nur vertraglichen oder bereicherungsrechtlichen Ansprüchen der
... ausgesetzt.
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Ein Gegenanspruch aus §826 BGB scheidet ebenfalls aus, da der Beklagte keinen
Beweis dafür antreten kann, daß die Lieferungen an den Kläger mit von ... veruntreuten
Rohstoffen der Gemeinschuldnerin erfolgt sind und daß der Kläger dies wußte.
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Der Kläger hat seinen Anspruch auch nicht i.S.d. §§29 ff., 41 Abs. 2 KO durch ein
anfechtbares Rechtsgeschäft mit der Gemeinschuldnerin, sondern durch eine
Pflichtverletzung des Beklagten bzw. seines Erfüllungsgehilfen erlangt.
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Schließlich kann ein Schaden des Klägers nicht mit der Begründung verneint werden,
daß er durch die Einlösung des Schecks von der nach seiner Darstellung bestehenden
Verpflichtung gegenüber der ... befreit worden sei. Nach §270 Abs. 3 BGB hat der
Gläubiger bei der Übersendung von Geld zwar die Gefahr zu tragen, wenn diese sich
infolge einer nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden Änderung
seines Wohnsitzes oder seiner gewerblichen Niederlassung erhöht. Diese Vorschrift ist
im vorliegenden Falle aber nicht entsprechend anwendbar. Abgesehen davon, daß
nach der angeblich am 15.10.1991 erzielten Einigung keine aus der Spähre der ...
errührende Gefahrerhöhung eingetreten ist, könnte der Kläger Erfüllung nur geltend
machen, wenn der Verbleib der Schecksumme ungeklärt wäre.
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5.
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Dem Beklagten persönlich steht kein Anspruch gegen den Kläger zu, mit dem er
aufrechnen könnte.
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6.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§97, 92 Abs. 2 ZPO. Der Kläger hat zwar die
unbedingte Verurteilung des Beklagten begehrt. Durch die Zuvielforderung sind aber
keine zusätzlichen Kosten entstanden. Sie ist auch als verhältnismäßig geringfügig
anzusehen, da die Werthaltigkeit des vom Kläger abzutretenden Anspruchs gegen die
Konkursmasse zweifelhaft ist.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §708 Nr. 10 ZPO.
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Die Urteilsbeschwer beider Parteien liegt unter 60.000,- DM.
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