Urteil des OLG Hamm vom 09.02.1999

OLG Hamm (aufnahme einer erwerbstätigkeit, antragsteller, persönliche anhörung, anhörung, zpo, 1995, termin, wohnung, scheidungsverfahren, scheidung)

Oberlandesgericht Hamm, 1 UF 179/98
Datum:
09.02.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Familiensenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 UF 179/98
Vorinstanz:
Amtsgericht Herford, 14 F 416/96
Tenor:
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 09. September 1998
verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Herford wird auf
ihre Kosten zurückge-wiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Die Parteien, beide aus Polen stammende Deutsche, sind seit dem 02.04.1993 in
kinderloser Ehe verheiratet. Die Antragsgegnerin hat aus früherer Ehe zwei jetzt 16 und
12 Jahre alte Kinder. Mit dem seit Oktober 1996 rechtshängigen Scheidungsantrag
erstrebt der Antragsteller die Scheidung der Ehe mit der Behauptung, die Parteien
lebten bereits seit März 1995 in verschiedenen Wohnungen. Mehrere
Versöhnungsversuche seien erfolglos geblieben. Beide Parteien hätten sich anderen
Partnern zugewendet, deshalb sei die Ehe gescheitert. Soweit er sich im Februar und
März 1997 zuweilen wieder in der Ehewohnung aufgehalten habe, habe er dies nur
getan um der Antragsgegnerin durch Beaufsichtigung ihrer Kinder die Beibehaltung der
Berufstätigkeit zu ermöglichen und hierdurch eine eigene Unterhaltsbelastung
abzuwenden.
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Die Antragsgegnerin hat demgegenüber behauptet, man habe sich erst Ende 1996
abschließend getrennt. Ferner habe der Antragsteller ihr auch bis März 1997 noch
wiederholt die Fortsetzung der Ehe versprochen. Erst zu diesem Zeitpunkt sei nach ihrer
Meinung die Ehe endgültig gescheitert.
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Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin mehrfach zum Zwecke der Anhörung geladen.
Die Antragsgegnerin ist niemals erschienen. Im Termin vom 22.07.1998 hat ihr
Prozeßbevollmächtigter ein Attest eines praktischen Arztes vorgelegt, wonach sie sich
in einer psychisch labilen Verfassung mit depressiven Zuständen befinde und die
Anwesenheit bei einer Gerichtsverhandlung aus medizinischer Sicht zur Zeit nicht
möglich sei. Der Antragsteller hat bei seiner Anhörung nach § 613 ZPO ausgesagt, man
lebe bereits seit März 1995 in getrennten Wohnungen, die Ehe sei gescheitert, für ihn
sei es ausgeschlossen, mit der Antragsgegnerin wieder zusammenzuleben. Das
Amtsgericht hat danach neuen Termin auf den 29.07.1998 anberaumt und die
Antragsgegnerin mit dem Hinweis geladen, daß bei erneutem Nichterscheinen ein
amtsärztliches Gutachten veranlaßt werde. Nachdem sie auch zu diesem Termin nicht
erschienen war hat das Amtsgericht die Vorführung der Antragsgegnerin zu einem
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weiteren Termin am 09.09.1998 angeordnet. Diese Vorführung ist nicht gelungen, weil
der Gerichtsvollzieher keinen Kontakt zu ihr gefunden hat und die Antragsgegnerin nach
Bericht des Gerichtsvollziehers zur Terminszeit in einem Verbrauchermarkt in Herford
gearbeitet hat. Das Amtsgericht hat danach das Verfahren zum Versorgungsausgleich
wegen mehrfacher Verzögerungen durch die Antragsgegnerin abgetrennt und durch das
angefochtene Urteil die Ehe der Parteien geschieden. Das Scheitern der Ehe sei nach
der Anhörung des Antragstellers zweifelsfrei festzustellen. Dieser sei nicht mehr bereit,
mit der Antragsgegnerin zusammenzuleben. Deshalb sei der genaue
Trennungszeitpunkt unerheblich. Die Antragsgegnerin habe, wie ihr Verhalten zeige,
offenbar kein inhaltliches Interesse an dem Verfahren und habe nicht einmal inhaltliche
Gründe vorgetragen, die ihren Abweisungsantrag rechtfertigen würden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin, die in erster Linie die
Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung des Verfahrens wegen schwerer
Verfahrensfehler und hilfsweise die Abweisung des Scheidungsantrags erstrebt. Das
Amtsgericht habe von der persönlichen Anhörung der Antragsgegnerin nach § 613 Abs.
1 ZPO nicht absehen dürfen und habe nach dem Nichterscheinen der Antragsgegnerin
in erster Instanz den falschen Erzwingungsweg gewählt. Im übrigen lägen die
Voraussetzungen für eine Scheidung noch nicht vor. Die Parteien hätten noch bis Ende
1996 in der Wohnung zusammengelebt und in den Monaten Februar bis März 1997
habe der Antragsteller sich wieder vermehrt bei ihr aufgehalten und ihr mitgeteilt daß er
die Ehe fortsetzen wolle. Eine sichere Prognose, daß die Ehe bereits gescheitert sei, sei
deshalb noch nicht möglich.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Familiengericht
zurückzuverweisen, hilfsweise unter Abänderung des angefochtenen Urteils den
Scheidungsantrag abzuweisen.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er erwidert, ein Verfahrensfehler sei dem Amtsgericht nicht vorzuwerfen, im übrigen sei
die Anhörung der Antragsgegnerin in der Berufungsinstanz nachholbar. Auch die
Abtrennung des Versorgungsausgleichsverfahrens sei nach vielfachen und
unzumutbaren Verzögerungen berechtigt. Zwischen den Parteien sei immer unstreitig
gewesen, daß die Trennung bereits im Februar 1995 erfolgt sei und der Antragsteller bis
zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit der Antragsgegnerin im Mai 1996
Unterhaltszahlungen geleistet habe. Diesem Vortrag sei die Antragsgegnerin niemals
substantiiert entgegengetreten. In der Folgezeit habe er seine getrennte Wohnung nicht
mehr aufgegeben. Er habe mit ihr nicht mehr zusammengelebt.
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Der Senat hat beide Parteien zum Senatstermin persönlich geladen. Die
Antragsgegnerin ist ohne vorherige Entschuldigung wiederum nicht erschienen. Ihre
Prozeßbevollmächtigte erklärte, die Antragsgegnerin solle sich nach Auskunft des
erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten in stationärer nervenärztlicher Behandlung
befinden und kurzfristig an einer fiebrigen Erkrankung leiden. Der Senat hat danach den
Antragsteller persönlich gemäß § 613 ZPO angehört. Dieser erklärte, ernsthafte
Versöhnungsversuche habe es seit vielen Jahren nicht mehr gegeben, jedoch habe die
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Antragsgegnerin ihn immer wieder in früheren Zeiten an der Arbeitsstelle aufgesucht,
dort für lautstarke Unruhe gesorgt und deshalb seit dem Sommer 1998 Hausverbot
erhalten. Seit etwa Mitte Dezember 1998 habe er die Antragsgegnerin überhaupt nicht
mehr gesehen. Schon seit vielen Jahren sei er nicht mehr bereit, die Ehe mit ihr
fortzusetzen.
Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Antragsgegnerin gegen den Scheidungsausspruch ist unbegründet.
Die Ehe der Parteien ist seit langem gescheitert. Dies hat das Amtsgericht mit
zutreffenden Gründen festgestellt. Die Ehe ist daher gemäß § 1565 Abs. 1 BGB zu
scheiden auch wenn das erneute, wiederum nicht hinreichend entschuldigte
Fernbleiben der Antragsgegnerin die persönliche Anhörung wieder verhindert hat.
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I.
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Auch ohne Anhörung der Antragsgegnerin ist das Scheitern der Ehe aufgrund objektiver
Umstände festzustellen.
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Es ist unstreitig und wird durch den im PKH-Verfahren überreichten Mietvertrag
bestätigt, daß der Antragsteller bereits seit dem 15.02.1995 seine noch heute bewohnte
Wohnung angemietet und seither beibehalten hat. Das Scheidungsverfahren hat er
bereits mit Antragsschrift vom 31.08.1996 also vor rund 2 Jahren und 5 Monaten
eingeleitet und seither mit großem Nachdruck ohne jede Unterbrechung betrieben. In
diesem langdauernden, von der Antragsgegnerin vielfach verzögerten
Scheidungsverfahren hat diese ihren Abweisungsantrag, wie bereits das angefochtene
Urteil zutreffend feststellt, niemals inhaltlich begründet. Sie hat selbst vorgetragen, daß
der Antragsteller ab März 1995 eine eigene Wohnung angemietet hat und allenfalls bis
Ende 1996, möglicherweise auch im Februar und März 1997 wieder kurz zurückgekehrt
ist. Danach hat sie mit Beschwerdeschriftsatz vom 11.04.1997 selbst vorgetragen, daß
der Antragssteller nunmehr ganz weggeblieben sei und aus diesem Grunde "davon
auszugehen sei, daß die Ehe nun tatsächlich auseinandergebrochen ist". Diese eigene
Feststellung der Antragsgegnerin liegt inzwischen nahezu 2 Jahre zurück. Selbst nach
eigener Darstellung der Antragsgegnerin leben die Parteien seit über 3 Jahren getrennt
so daß das Scheitern der Ehe gemäß § 1566 Abs. 2 BGB unwiderlegbar vermutet wird.
Auch nach Darstellung der Antragsgegnerin hat es seither allenfalls kurzfristige
Versöhnungsversuche gegeben. Diese unterbrechen nach § 1567 Abs. 2 BGB die
Trennungsfrist nicht.
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Darüber hinaus ist unter Gesamtwürdigung der dargestellten objektiven Umstände auch
die Feststellung des Antragstellers ohne jeden Zweifel glaubhaft daß er bereits seit
langer Zeit jede Aussicht auf eine Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft
verloren hat. Die Ehe ist daher zu scheiden.
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II.
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Einer Anhörung der Antragsgegnerin bedarf es danach nicht mehr. Die Verpflichtung
des Gerichts, die Ehegatten anzuhören, besteht nicht ausnahmslos, weil § 613 ZPO nur
eine Sollvorschrift formuliert und die Scheidung der Ehe auch bei Vorliegen erheblicher
prozessualer Hindernisse möglich bleiben muß (vgl. Zöller Philippi 21. Aufl. 1999, § 613
ZPO Rdnr. 4 MWN, BGH FamRZ 1994, 434 ff.). Angesichts der langdauernden
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Trennung und der vielfachen, bisher vergeblichen Versuche zweier Gerichtsinstanzen,
die Antragsgegnerin anzuhören, kann hiervon nunmehr abgesehen werden.
III.
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Auch die Vorabscheidung vor Regelung des Versorgungsausgleichs ist nach dem
Maßstab des § 628 Ziffer 4 ZPO nicht zu beanstanden nachdem das
Scheidungsverfahren bereits seit 2 Jahren und 5 Monaten anhängig ist und die
Antragsgegnerin sich bislang nur durch Androhung von Zwangsgeld bewegen ließ, ihrer
Auskunftspflicht im Versorgungsausgleichsverfahren nachzukommen und erst völlig
verspätet - offenbar ebenfalls in bewußter Verzögerungsabsicht - mitgeteilt hat, daß sie
ihre polnischen Arbeitsbücher verloren habe und diese erst in Polen beschaffen müsse.
Danach würde die gleichzeitige Entscheidung über den Versorgungsausgleich den
Scheidungsausspruch so außergewöhnlich verzögern daß dies unter Berücksichtigung
der Bedeutung des Versorgungsausgleichs für die Antragsgegnerin eine nicht mehr
zumutbare Härte für den Antragsteller wäre.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 93 a, 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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