Urteil des OLG Hamm vom 12.07.1985

OLG Hamm (antragsteller, unerlaubte handlung, vertrag, verhältnis, zwangsvollstreckung, zins, zuständigkeit, beschwerde, unterlassung, gläubiger)

Oberlandesgericht Hamm, 11 W 64/84
Datum:
12.07.1985
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 W 64/84
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 6 O 43/84
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird abgeändert.
Das Landgericht wird angewiesen, von seinen Bedenken gegen die
Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage Abstand zu nehmen.
Der Beschwerdewert beträgt 2.500,- DM.
Gründe:
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I.
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Der Antragsteller beantragte am 30.12.1977 bei der Antragsgegnerin einen Ratenkredit
zu folgenden Konditionen:
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Antragssumme
22.003,00 DM
Vermittlungsgebühr
1.097,00 DM
23.100,00 DM
Kreditgebühr 0,85 % p.M.
11.880,00 DM
RSV-Prämie
1.733.00 DM
Bearbeitungsgebühr 3 %
693,00 DM
Bruttokredit
37.406,00 DM
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Der Kredit sollte ab 15.2.1978 in 60 Monatsraten zu je 624 DM (1. R. 590 DM)
zurückgezahlt werden. Die Antragsgegnerin nahm den Antrag mit Schreiben vom
4.1.1978 an. Sie zahlte 3.070,90 DM an den Antragsteller aus; der Rest der
Antragssumme wurde weisungsgemäß zur Abdeckung eines Vorkredits verwendet.
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Der Antragsteller kam den Ratenzahlungen von Anfang an nur schleppend nach, er
wurde deshalb von der Antragsgegnerin mehrfach gemahnt. Mit Anwaltsschreiben vom
8.8.1978 berief er sich gegenüber der Antragsgegnerin darauf, daß der
Ratenkreditvertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei; zugleich erklärte er die
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Die Antragsgegnerin erwiderte darauf mit
Schreiben vom 15.8.1978, der Vertrag sei wirksam, auch die Anfechtung greife nicht
durch.
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Der Antragsteller zahlte bis Ende 1978 insgesamt 2.668,71 DM an die Antragsgegnerin.
Anfang 1979 leitete die Antragsgegnerin nach Vertragskündigung das Mahnverfahren
ein. Durch Vollstreckungsbescheid vom 27.2.1979 (103 B 78/79 AG Köln) wurde der
Antragsteller zur Zahlung von 26.733,49 DM nebst Zinsen verurteilt. Der
Vollstreckungsbescheid wurde rechtskräftig. Nach dem Vortrag des Antragstellers hat
die Antragsgegnerin inzwischen aus dem Vollstreckungsbescheid im Wege der
Lohnpfändung mehr als 30.000 DM beigetrieben.
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Der Antragsteller will nunmehr gegen die Antragsgegnerin Klage erheben mit dem
Antrag, die Antragsgegnerin zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung aus dem
Vollstreckungsbescheid zu unterlassen und den Vollstreckungsbescheid an ihn
herauszugeben. Das Landgericht hat die erbetene Prozeßkostenhilfe für diese Klage
verweigert. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
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II.
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Die Beschwerde hat Erfolg.
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In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß der rechtskräftig verurteilte Schuldner gemäß
§ 826 BGB vom Gläubiger die Unterlassung der Zwangsvollstreckung verlangen kann,
wenn der Titel sachlich unrichtig ist und der Gläubiger den Titel entweder in
sittenwidriger Weise erwirkt hat oder ihn in sittenwidriger Weise ausnutzt (BGHZ 50,
115; BGH NJW 1983, 2317; jeweils m.w.H.). Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß
dem Antragsteller ein derartiger Unterlassungsanspruch zusteht.
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1.
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Der hier in Rede stehende Titel - der Vollstreckungsbescheid vom 27.2.1979 - ist
sachlich unrichtig. Er verhält sich über vertragliche Ansprüche der Antragsgegnerin.
Tatsächlich standen ihr aber nur erheblich niedrigere Bereicherungsansprüche gegen
den Antragsteller zu. Denn der Ratenkreditvertrag vom 22.12.1977/4.1.1978 ist gemäß §
138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, ist ein
Ratenkreditvertrag als wucherähnliches Ausbeutungsgeschäft dann sittenwidrig, wenn
zwischen den vereinbarten Leistungen und Gegenleistungen ein auffälliges
Mißverhältnis besteht und wenn ferner besondere Umstände vorliegen, die dem Vertrag
ein sittenwidriges Gesamtgepräge geben. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
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a) Das auffällige Mißverhältnis ergibt sich aus einem Vergleich zwischen dem
vereinbarten und dem damals marktüblichen Zins.
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Vereinbart war ein Zins von
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13.670 x 2.400/22.003 x 61 = 24,44 %
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Damals marktüblich war ein Zins von
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(0,32 x 60 x 220,03 + 440,06) x 2.400/22.003 x 61 = 8,34 %
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Daraus ergibt sich eine Marktzinsüberschreitung von 193 %. Der Bundesgerichtshof hat
ein auffälliges Mißverhältnis bereits bei einer Marktzinsüberschreitung von mehr als
90% bejaht. Um nicht Ungleiches zu vergleichen, hat der Senat die HSV-Kosten bei der
Vergleichsberechnung nicht berücksichtigt. Die Vermittlungskosten sind dagegen im
weitaus überwiegenden Interesse der Antragsgegnerin angefallen und deshalb nicht
abgesetzt worden.
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b) Ein derart krasses Mißverhältnis deutet bereits auf ein wucherisches
Ausbeutungsgeschäft hin. Zudem enthalten die weiteren Vertragsbedingungen der
Antragsgegnerin eine ganze Reihe weiterer Erschwerungen und Belastungen zum
Nachteil des Kreditnehmers. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der
Antragsteller, von Beruf Chemiefacharbeiter, das volle Ausmaß der auf ihn
zukommenden Belastungen nicht erkannt hat und daß er sich nur deshalb auf diesen
unbilligen Vertrag eingelassen hat, während die Antragsgegnerin gewußt, zumindest
sich aber der Erkenntnis verschlossen hat, daß mit einem derartigen Vertrag die durch §
138 Abs. 1 BGB gezogene Grenze der Vertragsfreiheit überschritten worden ist.
21
2.
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Zwar kann der Antragsteller allein aufgrund der sachlichen Unrichtigkeit des Titels noch
nicht die Unterlassung der Zwangsvollstreckung und die Herausgabe des Titels fordern.
Wie bereits ausgeführt, setzt ein solcher Unterlassungsanspruch vielmehr voraus, daß
die Antragsgegnerin den Vollstreckungsbescheid in sittenwidriger Weise erwirkt hat
oder daß sie ihn jedenfalls in sittenwidriger Weise ausnutzt.
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Die Frage, wann diese Voraussetzungen vorliegen, ist in der Rechtssprechung
umstritten. Der Senat hat die Voraussetzungen des § 826 BGB in früheren
Entscheidungen bei ähnlichen Fallgestaltungen verneint (u.a. in ZIP 1983, 677). Andere
Oberlandesgerichte haben ähnlich entschieden (OLG Düsseldorf, 6. ZS, NJW 1985, 74-
8; OLG Hamburg, NJW 1985, 749). Zahlreiche andere Oberlandesgerichte haben aber
inzwischen die Voraussetzungen des § 826 BGB bei ähnlichen Fallgestaltungen bejaht
(OLG Düsseldorf, 17. ZS, NJW 1985, 153; OLG Karlsruhe, NJW 1985, 744; OLG
Frankfurt, NJW 1985, 745; OLG Stuttgart, Beschluß vom 25.3.1985 - 6 W 14/85;
Schleswig-Holst. OLG, Beschluß vom 13.12.1984 - 11 W 44/84 - ). Angesichts dieser
Divergenzen in der Rechtsprechung erscheint es nicht gerechtfertigt, dem Antragsteller
die beantragte Prozeßkostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage zu
versagen. Ihm muß vielmehr Gelegenheit gegeben werden, die anstehenden
Rechtsfragen im ordentlichen Streitverfahren klären zu lassen. Zwar mag hier die
Annahme, die Antragsgegnerin habe den Titel in sittenwidriger Weise erwirkt, schon die
eingangs erwähnte Vorkorrespondenz entgegenstehen; der Antragsteller wußte bei
Einleitung des Mahnverfahrens, daß hier Bedenken gegen die Wirksamkeit des
Vertrages bestanden, gleichwohl hat er den Vollstreckungsbescheid rechtskräftig
werden lassen. Es bleibt aber auch dann die Frage, ob nicht jedenfalls der Tatbestand
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einer sittenwidrigen Ausnutzung des Titels gegeben ist. Nach seinem nicht bestrittenen
Vorbringen hat der Antragsteller inzwischen mehr als 32.000 DM an die
Antragsgegnerin gezahlt. Gleichwohl ist die offene Restforderung, deretwegen die
Antragsgegnerin weiterhin aus dem Titel vollstreckt, heute höher als zum Zeitpunkt der
Erwirkung des Titels. Selbst wenn man berücksichtigt, daß die Antragsgegnerin
bereicherungsrechtlich nicht nur das Kapital und die halbe HSV-Prämie, sondern ab
Verzugseintritt gemäß §§ 819 Abs, 1, 818 Abs. 4, 284, 286 BGB auch noch
Verzugszinsen fordern konnte, dürfte der Antragsteller inzwischen weit mehr gezahlt
haben, als er tatsächlich geschuldet hat.
Die Bedenken des Landgerichts gegen die Zuständigkeit greifen nicht durch. Die
Zuständigkeit ergibt sich aus § 32 ZPO. Wenn, die Antragsgegnerin den Titel in
sittenwidriger Weise ausnutzt, ist die unerlaubte Handlung jedenfalls auch dort
begangen, wo die Antragsgegnerin den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß erwirkt
hat. Es kann davon ausgegangen werden, daß dieses im Bezirk des Landgerichts xxx
geschehen ist (§ 828 Abs. 2 ZPO).
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III.
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Die Frage der persönlichen Leistungsfähigkeit ist noch nicht abschließend geklärt.
Offenbar ist der Antragsteller unterhaltspflichtig. Angaben hierzu fehlen in der Erklärung
über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Diese Präge hat deshalb der
Senat dem Landgericht zur Entscheidung vorbehalten.
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