Urteil des OLG Hamm vom 09.11.2006
OLG Hamm: unterbrechung der verjährung, einstellung des verfahrens, anschrift, anhörung, rüge, identifizierung, fahrzeugführer, form, verfolgungsverjährung, geschwindigkeitsüberschreitung
Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss OWi 688/06
Datum:
09.11.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss OWi 688/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Schwelm, 60 OWi / 763 Js 258/06 (62/06)
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.
G r ü n d e :
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I.
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Das Amtsgericht Schwelm hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach den § 41 Zeichen 274, 49
StVO; §§ 24, 25 StVG, § 4 BkatV, § 17 Abs. 2 OWiG eine Geldbuße in Höhe von 300,00
EURO festgesetzt. Außerdem ist ein Fahrverbot von drei Monaten angeordnet worden.
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Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 29. September 2005 um
20.55 Uhr mit dem auf seinen Vater zugelassenen Pkw Opel, amtliches Kennzeichen
xxx, die im hier interessierenden Bereich außerhalb geschlossener Ortschaften
gelegene B xxx in I aus Fahrtrichtung X2 in Fahrtrichtung X. Durch beidseitig
aufgestellte Verkehrszeichen 274 StVO ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50
km/h begrenzt. Im Bereich der stationären Überwachungsanlage mit elektrischen
Fahrbahnsensoren (Traffiphot-S, sogenannter "Starenkasten") wurde das Fahrzeug des
Betroffenen mit 133 km/h gemessen.
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Nach Abzug eines Toleranzwertes von 4 km/h zum Ausgleich für bei diesem Mess-
verfahren mögliche Fehlerquellen ist festzustellen, dass der Betroffene mit einer
Geschwindigkeit von 129 km/h gefahren ist. Er hat die zulässige Höchst-
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geschwindigkeit daher um 79 km/h überschritten.
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Das Amtsgericht hat das Vorliegen einer Verfolgungsverjährung verneint und hierzu
ausgeführt:
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"Insofern ergibt sich aus der Akte, die erörtert worden ist, dass zunächst der Halter
angeschrieben worden ist, nämlich der Vater des Betroffenen. Der Betroffene
wurde als Fahrer nicht benannt. Das Ausländeramt wurde durch Schreiben vom
15.12.2005 um Übersendung einer geeigneten Ablichtung des Fotos des
Betroffenen gebeten. Nach Erhalt wurde der Betroffene durch Schreiben vom
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21.12.2005 unter der Anschrift G-Straße in X angeschrieben. Ihm wurde
vorgeworfen, die Geschwindigkeitsüberschreitung am 29.09.2005 begangen zu
haben. Unter der Anschrift G-Straße in X leben die Eltern des Betroffenen.
Der Bußgeldbescheid wurde sodann dem Betroffenen unter der Anschrift G-Straße
in X am 26.01.2006 zugestellt. Durch Schriftsatz vom 27.01.2006 seiner Verteidiger
wurde Einspruch eingelegt.
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Nach Auffassung des Gerichts ist keine Verfolgungsverjährung eingetreten. Durch
das Anhörungsschreiben vom 21.12.2005 der Bußgeldstelle wurde ihm
bekanntgegeben, dass gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist.
Es handelte sich dabei um eine Unterbrechungshandlung nach § 33 Abs. 1 Nr. 1
OWiG. Die Verjährung wurde unterbrochen am 21.12.2005, nämlich dem Zeitpunkt,
in dem die Anordnung unterzeichnet wurde, § 33 Abs. 2 Satz 1 OWiG. Der an den
Betroffenen unter der Anschrift Gstraße in X gerichtete Anhörungsbogen hat ihn
auch erreicht."
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Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde
des Betroffenen, mit der dieser unter näherer Begründung die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.
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II.
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Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt
und form- und fristgerecht begründet worden, kann in der Sache jedoch keinen Erfolg
haben.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 13. Oktober 2006
Folgendes ausgeführt:
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"Das Vorbringen des Betroffenen, das Gericht sei seiner Aufklärungspflicht nicht in
ausreichendem Maße nachgekommen, genügt als Rüge der Verletzung formellen
Rechts nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3
OWiG – insbesondere fehlt es an der Mitteilung, welche Beweise das Gericht hätte
erheben müssen und zu welchem Ergebnis diese geführt hätten – und ist daher
unzulässig.
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Die auf die - sinngemäß - erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts
vorzunehmende Prüfung des Urteils auf materiell-rechtliche Fehler deckt einen
solchen zum Nachteil des Betroffenen nicht auf.
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Die Feststellungen tragen die Verurteilung und genügen den Anforderungen an die
Urteilsgründe, die bei der Verwendung eines standardisierten Messverfahrens
anzuwenden sind, insbesondere sind die gemessene Geschwindigkeit und der in
Ansatz gebrachte Toleranzabzug aufgeführt.
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Auch die Ausführungen zu der Identifizierung des Betroffenen als verantwortlichem
Fahrzeugführer genügen den dazu aufgestellten Anforderungen. Zwar hat das
Gericht keine Einzelheiten dazu benannt, aufgrund welcher individueller
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körperlicher Merkmale es zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Betroffene der
Fahrzeugführer war. Dies war jedoch entbehrlich, da in prozessordnungsgemäßer
Weise auf das bei den Akten befindliche Fahrerfoto Bezug genommen worden ist
und - wie sich der Senat selbst überzeugen wird - die Qualität dieses Fotos
entgegen den Ausführungen des Betroffenen ausreichend ist, um eine
ordnungsgemäße Identifizierung zu gewährleisten.
Auch der Rechtsfolgenausspruch gibt, insbesondere hinsichtlich des verhängten
Fahrverbotes, zu Beanstandungen keinen Anlass. Dass gegen den Betroffenen
innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Tat bereits ein Fahrverbot verhängt worden
ist, ergibt sich zwar nicht schon aus den eingangs des Urteils mitgeteilten
Vorbelastungen, jedoch in noch ausreichendem Maße aus den Erwägungen zum
Rechtsfolgenausspruch.
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Entgegen der Auffassung des Betroffenen liegt auch ein Verfahrenshindernis nicht
vor, insbesondere nicht das Verfahrenshindernis der Verjährung. Es mag sein,
dass der am 21.12. erstellte und am 22.12.2005 abgesandte Anhörungsbogen den
Betroffenen nicht erreicht hat, weil er an der fraglichen Anschrift nicht wohnhaft war.
Gem. § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ist es jedoch die Anordnung der Vernehmung oder
der Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung, die die Unterbrechung der Verjährung
auslöst. Der Gesetzgeber hat damit den Unterbrechungstatbestand allein an
Internum der Bußgeldbehörde geknüpft. Dem entsprechend ist es ständige
Rechtsprechung, dass die Unterbrechung auch dann eintritt, wenn der
Anhörungsbogen den Betroffenen tatsächlich nicht erreicht (zu vgl. BGHSt 25, 6;
OLG Hamm, VRS 74, 121; OLG Frankfurt, ZfS 1991, 322). Ist der Anhörungsbogen
an eine unzutreffende Adresse gerichtet, führt dies nur dann nicht zu einer
Unterbrechung der Verjährung, wenn der anordnende Beamte wusste, dass der
Betroffene den Anhörungsbogen nicht erhalten werde (OLG Koblenz, Beschluss
vom 17.03.1976, juris Nr. BORE 863179351). Für einen solchen Sachverhalt
liegen indes keine Anhaltspunkte vor.
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Auch im weiteren Verlauf des Verfahrens ist die Verjährung nicht eingetreten. Ein
etwaiger Mangel bei der (Ersatz-)Zustellung des Bußgeldbescheides vom
26.01.2006 wäre gem. § 189 ZPO rechtzeitig geheilt.
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Die Rechtsbeschwerde ist daher zu verwerfen."
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Diese zutreffenden Ausführungen macht sich der Senat zu eigen und zum Gegen-stand
seiner Entscheidung.
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Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor, so dass für eine Einstellung des Verfahrens kein
Raum ist. Ob das Verfahrenshindernis eingetretener Verjährung besteht, ist auf eine
zulässig erhobene Sachrüge von Amts wegen und in jeder Lage des Verfahrens zu
prüfen, wobei die Prüfung im Freibeweis erfolgt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl.,
Einleitung Rdnrn. 150 ff, § 337 Rdnr. 6 jeweils mit weiteren Nachweisen).
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Vorliegend ist durch die Anordnung der Anhörung vom 21. Dezember 2005 die
Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wirksam unterbrochen und damit der
Bußgeldbescheid innerhalb der daraufhin beginnenden neuen Dreimonatsfrist des
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§ 26 Abs. 2 StVG erlassen worden. Zwar setzt eine Unterbrechungshandlung voraus,
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dass sie sich gegen einen
bestimmten Beschuldigten
Ermittlung eines noch unbekannten Täters dienen soll. Letzteres war hier aber nicht der
Fall, da im Zeitpunkt der Unterbrechungshandlung die Personalien des Betroffenen
bereits ermittelt waren.
Die Anordnung der Anhörung muss nicht erfolgreich vollzogen werden können (vgl.
BGHSt 25, 6; Göhler, OWiG, a.a.O. § 33 Rdnr. 6b). Daher ist es auch unschädlich, wenn
sie sich auf einen der Person nach eindeutig identifizierten Täter bezieht, dessen
Namen aber fehlerhaft aufführt (BGHSt 24, 321/323). Erst recht muss es dann aber ohne
Bedeutung sein, ob die Versendung des Anhörungsbogens unter einer zutreffenden
oder aber fehlerhaften Anschrift angeordnet wird (vgl. hierzu auch BayObLG, NZV 2003,
439).
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Ergänzend merkt der Senat noch an, dass bei der hier gegebenen massiven
Geschwindigkeitsüberschreitung von 79 km/h die Annahme einer vorsätzlichen
Begehungsweise nahe gelegen hätte (vgl. hierzu auch OLG Hamm, ZfS 1994, 268; VRS
90, 210 f.; KG NZV 2004, 598; OLG Hamm, VA 105, 102 = DAR 2005, 407). Allerdings
ist der Betroffene durch die Annahme einer fahrlässigen Begehungsweise nicht
beschwert.
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Nach alledem war die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit der Kostenfolge aus
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§ 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.
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