Urteil des OLG Hamm vom 28.01.2009

OLG Hamm: vergütung, gebühr, beratung, unterhalt, zustand, unentgeltlich, unterlassen, beschwerdeschrift, gefahr, leistungsfähigkeit

Oberlandesgericht Hamm, 6 WF 426 / 08
Datum:
28.01.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 WF 426 / 08
Vorinstanz:
Amtsgericht Hagen, 134 F 21 / 08
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des
Amtsgerichts – Familiengericht – Hagen vom 6.10.2008 abgeändert.
Der Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht –
Hagen vom 19.8.2008 wird dahingehend abgeändert, dass die an den
Beteiligten zu 1) aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 810,99
€ festgesetzt wird.
Gründe
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I.
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Der Beteiligte zu 1) begehrt die Festsetzung der Vergütung gem. § 55 RVG als im Wege
der Prozesskostenhilfe beigeordneter Rechtsanwalt. Der von ihm vertretenen Klägerin
war aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ratenfreie
Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Die Klägerin ist am xxx
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geboren; ihre gesetzliche Vertreterin bezieht Leistungen nach dem SGB II. Der
Beteiligte zu 1) war für die Klägerin bereits vorprozessual tätig geworden, um
Unterhaltsansprüche gegen den Beklagten geltend zu machen. Ein Antrag auf
Beratungshilfe ist beim Amtsgericht nicht gestellt worden, da der Beteiligte zu 1) einen
solchen Antrag auf Grund der Praxis des zuständigen Amtsgerichts, in Fällen wie dem
Vorliegenden Beratungshilfe im Hinblick auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG wegen der
Möglichkeit der Inanspruchnahme des Jugendamtes zu versagen, als aussichtslos
ansah.
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Das Amtsgericht hat, der Ansicht des Beteiligten zu 2) folgend, die geltend gemachte
Verfahrensgebühr im Hinblick auf die Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG von 1,3 auf 0,65
gekürzt, da die vorgerichtliche Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrens-gebühr
anzurechnen sei.
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Der Beteiligte zu 1) macht mit ihrer Beschwerde u. a. geltend, durch den angefoch-tenen
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Der Beteiligte zu 1) macht mit ihrer Beschwerde u. a. geltend, durch den angefoch-tenen
Beschluss würden seine Gebührenansprüche in nicht gerechtfertigter Weise gekürzt.
Angesichts der Armut seiner Mandantin bestehe für ihn faktisch keine Mög-lichkeit, den
gekürzten Gebührenanteil von dieser zu erhalten. Aus diesem Grund sei auch eine
Vorschusszahlung nicht in Betracht gekommen. Beratungshilfe habe nicht
erfolgversprechend beantragt werden können.
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Der Senat hat die Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts angehört. Diese
unterstützt die angefochtene Entscheidung.
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II.
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Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist aufgrund der Zulassung durch das Amtsgericht
zulässig. Sie ist auch begründet.
9
1.
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Der Senat folgt grundsätzlich der mittlerweile in der Rechtsprechung der Oberlandes-
gerichte vorherrschenden Ansicht, dass auch bei der Vergütungsfestsetzung für einen
im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt die Anrech-
nungsvorschrift in Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG Anwendung findet (in
diesem Sinne auch OLG Braunschweig, B.v.12.9.2008, AGS 2008, 606; OLG Bam-berg,
B. v. 21.8.2008, JurBüro 2008, 640; OLG Düsseldorf, B. v. 27.11.2008, Az. I 10 W
109/08; OLG Koblenz, B. v. 14.11.2008, Az. 9 WF 728/08; OLG Celle, B. v. 13.11. 2008,
Az. 10 WF 312/08; OLG Oldenburg, B. v. 27.5.2008, Az. 2 WF 81/08 sowie B. v.
8.5.2008, Az. 8 W 57/08; LAG Düsseldorf, B. v. 2.11.2007, Az. 13 Ta 181/07,
Niedersächs. OVG, B. v. 29.4.2008, Az. 13 OA 39/08; a. A. OLG Oldenburg, B. v.
18.2.2008, Az. 6 W 8/08 und OLG Stuttgart FamRZ 2008, 1013).
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Wie der Bundesgerichtshof in Kostenfestsetzungsverfahren bereits mehrfach ent-
schieden hat, entsteht die Verfahrensgebühr aufgrund der Anrechnungsvorschrift von
vorneherein nur in gekürzter Höhe, so dass im Rahmen der Kostenfestsetzung auch
keine darüber hinausgehende Kostenerstattung in Betracht komme. Ob die vom
Prozessgegner auf materiell-rechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr
unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist, sei bereits nach dem
klaren Wortlaut der Anrechnungsbestimmung ohne Bedeutung. Für die Anrech-nung
und damit die von selbst einsetzende Kürzung sei nach dieser Vorschrift viel-mehr
entscheidend, ob und in welcher Höhe eine Geschäftsgebühr bei vorausge-setzter
Identität des Streitgegenstandes entstanden ist, der Rechtsanwalt zum Zeit-punkt des
Entstehens der Verfahrensgebühr also schon einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr
aus seinem vorprozessualen Tätigwerden erlangt hatte (BGH NJW 2008, 1323, 1324).
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Aus diesen Ausführungen, die auch vom Senat geteilt werden, folgt zwingend, dass
auch bei der Vergütungsfestsetzung des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeord-
neten Rechtsanwalts die Verfahrensgebühr entsprechend zu kürzen ist, wenn die
Voraussetzungen der Anrechnungsvorschrift vorliegen. Denn die Verfahrensgebühr
entsteht dann
von vorneherein
festgesetzt werden kann. Dies gilt unabhängig von der Bewilligung von Pro-
zesskostenhilfe, denn der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsan-walt
erhält – vorbehaltlich der Sonderregelungen in Abschnitt 8 des RVG – gem. § 45 Abs. 1
RVG die gesetzliche Vergütung. Er soll also gegenüber dem nicht im Wege der
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Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt nicht besser gestellt werden.
Sondervorschriften, welche der genannten Anrechnungsvorschrift vorgehen würden,
enthalten die §§ 45 RVG nicht. Der in diesem Zusammenhang teilweise zitierte § 58
Abs. 2 RVG ist insoweit nicht einschlägig, da er die Frage der Verrechnung von
Vorschüssen und Zahlungen betrifft, während es hier um die vorgelagerte Frage der
Entstehung des Gebührenanspruchs geht. Auch steht § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO der
Anrechnung nicht entgegen, weil diese Forderungssperre nur die nach der PKH-
Bewilligung entstehende Vergütung betrifft, während die Geschäftsgebühr bereits zuvor
durch die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts für seinen Mandanten entstanden
ist.
2.
14
Im vorliegend zur Entscheidung stehenden Fall scheitert eine Anrechnung gem. Teil 3
Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG indes daran, dass eine Geschäftsgebühr nicht entstanden
15
ist.
16
Zum Zeitpunkt der Übernahme des Mandats durch den Beteiligte zu 1) lagen auf Seiten
der späteren Klägerin die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die
Bewilligung von Beratungshilfe unzweifelhaft vor. Die am xxx geborene Klägerin ist ein
Kind ohne Einkünfte und Vermögen, deren gesetzliche Vertreterin bezog Leistungen
nach dem SGB II. Diese Umstände waren dem Beteiligten zu 1) bei Übernahme des
Mandats bekannt. Es bestand vor diesem Hintergrund für den Beteiligten zu 1) sowie die
gesetzliche Vertreterin der späteren Klägerin kein Zweifel, dass mangels
Leistungsfähigkeit für die Klägerin der Abschluss eines Kosten verur-sachenden
Anwaltsvertrages nicht in Betracht kam. Aus diesem Grunde ist es auch zu einem
dahingehenden Vertragsschluss nicht gekommen. Das außergerichtliche tätig werden
des Beteiligten zu 1) für die Klägerin durch das Fertigen des Schreibens vom
25.10.2007 an den Unterhaltsschuldner stellte gegenüber seiner Mandantin aus den
genannten Gründen vielmehr die faktische und von einem entsprechenden Willen
getragene Gewährung einer Beratungshilfe nach § 2 BerHG dar. Dies folgt nicht zuletzt
aus den Ausführungen des Beteiligten zu 1) in seiner Beschwerdeschrift sowie in seiner
Stellungnahme vom 10.1. 2009, wo u. a. vorgetragen wird, dass die Beantragung von
Beratungshilfe ausschließlich deswegen unterblieben sei, weil in Fällen wie dem
Vorliegenden, nämlich der Geltendmachung von Unterhalt für min-derjährige Kinder, es
ständige Praxis des zuständigen Amtsgerichts sei, Beratungs-hilfeanträge mit der
Begründung abzulehnen, der Unterhaltsgläubiger könne die Hilfe des Jugendamtes in
Anspruch nehmen. Der Annahme einer Gewährung von Bera-tungshilfe des Beteiligten
zu 1) gegenüber seiner Mandantin steht nicht entgegen, dass deren gesetzliche
Vertreterin weder vor noch nach der Beratung einen Antrag auf Beratungshilfe beim
Amtsgericht gestellt hat (Hartmann, Kostengesetze, Nr. 2500 VV RVG Rn. 1 m. w. N.).
Insoweit handelt es sich um eine zwischen den Parteien des Anwaltsvertrages
getroffene Vereinbarung über die Gewährung von Beratungshilfe. Diese hindert den
Rechtsanwalt daran, später eine Geschäftsgebühr gegenüber seinem Mandanten
geltend zu machen. Denn die Bewilligung der Beratungshilfe hatte zur Folge, dass dem
Beteiligten zu 1) gegenüber seiner Mandantin allenfalls ein Anspruch nach Nr. 2500 VV
RVG in Höhe von 10,- € zustand. Dagegen war ein Anspruch auf eine Geschäftsgebühr
nach Nr. 2300 VV RVG ausgeschlossen, da für die Tätigkeit im Rahmen der
Beratungshilfe der Rechtsanwalt ausschließlich eine Vergütung nach dem BerHG
erhält, § 44 RVG, Vorb. 2.5. vor Nr. 2500 VV RVG. Konsequenz der unterbliebenen
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Bewilligung von Beratungshilfe durch das Amtsgericht ist allerdings, dass dem
Rechtsanwalt gegenüber der Landeskasse kein Anspruch nach den Nr. 2501 ff. VV
RVG zusteht, so dass er – je nach dem weiteren Geschehensablauf – Gefahr lief,
abgesehen von der sich auf 10 € belaufenden Gebühr nach Nr. 2500 VV RVG, die
zudem erlassen werden kann und offenbar vorliegend auch erlassen worden ist,
unentgeltlich zu arbeiten.
Ob grundsätzlich dann, wenn einer Partei Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungs-
anordnung gewährt worden ist, eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300
VV RVG auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG ausscheidet, weil regel-
mäßig die Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe vorliegen und der
Rechtsanwalt verpflichtet ist, den Rechtssuchenden auf die Möglichkeit der Bera-
tungshilfe hinzuweisen und er im Fall der Versäumung dieser Pflicht nicht die Zah-lung
einer Geschäftsgebühr verlangen kann (in diesem Sinne OLG Oldenburg, B. v.
23.6.2008, Az. 5 W 34/08, JurBüro 2008, 528 m. w. N.; vgl. hierzu auch OLG Düs-seldorf
a. a. O.), kann daher im vorliegenden Fall dahinstehen.
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3.
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Dem Festsetzungsantrag des Beteiligten zu 1) ist daher in vollem Umfang zu
entsprechen. Ein anteiliger Abzug der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG oder der
Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV RVG kommt mangels Entstehens nicht in Betracht.
Eine fiktive anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV RVG (in
diesem Sinne wohl OLG Oldenburg JurBüro 2008, 528, 529) scheidet deswegen aus,
weil das Unterlassen der Beantragung von Beratungshilfe dem Beteiligten zu 1) aus
dem von ihm angeführten Gründen nicht vorgeworfen werden kann.
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4.
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Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG entbehrlich.
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