Urteil des OLG Hamm vom 26.09.2002

OLG Hamm: öffentliche aufgabe, verwalter, deckung, teilklage, verbrauch, beschränkung, leistungsfähigkeit, vergütung, beteiligter, geschäftsführer

Oberlandesgericht Hamm, 8 W 29/02
Datum:
26.09.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 W 29/02
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 4 O 7/02
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung mit der Maßgabe an das
Landgericht zurückverwiesen, daß von den Bedenken gegen das
Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Abstand
genommen werden soll.
Gründe:
1
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft
und fristgerecht eingelegt worden. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und
führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
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Nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist einem Insolvenzverwalter Prozeßkostenhilfe zu
bewilligen, wenn die Kosten aus der verwalteten Masse nicht aufgebracht werden
können und den am Gegentand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht
zuzumuten ist, diese Kosten aufzubringen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat
der Antragsteller glaubhaft gemacht. Die Masse verfügt nicht über hinreichende Mittel,
um die Kosten des beabsichtigten Rechtsstreits gegen den Gesellschafter und
Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin auf Zahlung von 21.500,00 DM aufzubringen.
Wirtschaftlich Beteiligte im Sinne des § 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind im vorliegenden
Verfahren auch nicht die Insolvenzgläubiger. Diese sind nur dann wirtschaftlich beteiligt,
wenn sich ihre Befriedigungsaussichten durch ein Obsiegen in dem beabsichtigten
Prozeß konkret verbessern (BGH ZIP 1990, 1490; NJW 1998, 1868; OLG Köln, ZIP
1997, 1969). Bei Erfolg des beabsichtigten Klageverfahrens wären hier jedoch lediglich
die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt, so daß sich voraussichtlich die von den
Insolvenzgläubigern zu erwartende Quote nicht erhöhen würde.
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Ob in dem Fall, daß der vom Verwalter beabsichtigte Prozeß allein oder überwiegend
dazu dient, eine Massemehrung zur Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens,
insbesondere auch zur Deckung seiner Verwaltervergütung, herbeizuführen, der
Verwalter selbst wirtschaftlich Beteiligter im Sinne des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO ist, was in
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der Rechtsprechung umstritten ist (bejahend etwa OLG Frankfurt, ZIP 1997, 1600; OLG
Rostock, ZIP 1997, 1710, 1711; OLG Köln, 18. Zivilsenat, NZI 2000, 540, 541;
ablehnend BGH NJW 1998, 1229; OLG Köln, 20. Zivilsenat, ZIP 1997, 1969; OLG Jena
ZIP 2001, 579, 580), kann hier offenbleiben. Nach ganz überwiegender Auffassung in
Rechtsprechung und Literatur ist dem Insolvenzverwalter jedenfalls nicht zuzumuten,
selbst einen Prozeßkostenvorschuß zu erbringen und den beabsichtigten Prozeß auf
eigenes Risiko zu führen (vgl. die vorstehenden Rechtsprechungsnachweise; ebenso
Zöller-Philippi, ZPO, 23. Auflage, § 116 Rn. 10 a; Uhlenbruck, KTS 1988, 438). Daß die
Vergütung des Insolvenzverwalters aus der Masse aufzubringen ist, macht die
Verwaltertätigkeit selbst dann nicht zu einer eigennützigen, wenn der Verwalter selbst
der rangbeste Gläubiger nach Verbrauch der baren Masse ist. Der Insolvenzverwalter
nimmt vielmehr eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe, die Abwicklung eines
geordneten Gesamtvollstreckungsverfahrens, wahr (BGH NJW 1998, 1229). Diese
öffentliche Aufgabe ist auch dann anzuerkennen, wenn durch die beabsichtigte
Rechtsverfolgung keine Vermögenswerte zur Masse gezogen werden sollen, die
unmittelbar den Insolvenzgläubigern zugute kommen, sondern wenn der
Insolvenzverwalter dadurch überhaupt erst in die Lage versetzt werden soll, das
Verfahren durchzuführen, was sich mittelbar zugunsten der Insolvenzgläubiger
auswirken kann.
Dem Antragsteller ist im vorliegenden Verfahren Prozeßkostenhilfe auch nicht mit der
Begründung zu versagen, seine beabsichtigte Rechtsverfolgung stelle sich als mutwillig
dar, weil er lediglich eine Teilklage in Höhe von 21.500,00 DM beabsichtige, anstatt die
Gesamtforderung gegen den Antragsgegner in Höhe von mindestens 114.652,16 DM zu
verfolgen. Zwar ist richtig, daß sich die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger
bei der Geltendmachung des Gesamtanspruchs verbessern würden mit der Folge, daß
ihnen möglicherweise die Aufbringung der Prozeßkosten zugemutet werden könnte.
Gleichwohl sieht der Senat in dem Vorgehen des Antragstellers kein mutwilliges
Verhalten im Sinne des § 114 ZPO. Allein die Erhebung einer Teilklage anstatt der
sofortigen Geltendmachung des gesamten Anspruchs kann ohne das Vorliegen
zusätzlicher Gesichtspunkte nicht als mutwillig oder als Umgehung der Anforderungen
des § 116 I Nr. 1 ZPO gewertet werden (a.A. OLG Hamm, 27. ZS, OLGR 2001, 374). Der
Antragsteller mag gute Gründe dafür haben, zunächst die Klage auf einen Teilbetrag zu
beschränken, etwa wenn die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners und damit die
Vollstreckungsmöglichkeiten ungewiß sind, was vorliegend nicht ausgeschlossen
werden kann. Wenn die Kosten des Verfahrens gesichert sind, wird der Antragsteller
pflichtgemäß zu prüfen haben, die von ihm für begründet gehaltenen weiteren
Ansprüche gegen den Antragsgegner, möglicherweise dann auf Kosten der
Insolvenzgläubiger, gerichtlich geltend zu machen. Die vorläufige Beschränkung der
Rechtsverfolgung auf einen Betrag in Höhe der voraussichtlichen Kosten des
Insolvenzverfahrens ist danach nicht zu beanstanden, was auch im Rahmen der
Prozeßkostenbewilligung nach §§ 114, 116 ZPO Berücksichtigung finden muß.
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Der angefochtene Beschluß war danach aufzuheben. Da das Landgericht die
Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage noch nicht geprüft hat, hat der Senat von der
Möglichkeit des § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch gemacht und die Sache zur weiteren
Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
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Eine Kostenentscheidung war nicht veranlaßt, § 127 Abs. 4 ZPO.
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