Urteil des OLG Hamm vom 05.08.2003

OLG Hamm (stpo, haftbefehl, hauptverhandlung, untersuchungshaft, anordnung, protokoll, schöffengericht, anlage, ladung, akten)

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ws 306/03
Datum:
05.08.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ws 306/03
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 25 Qs 25/03
Tenor:
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 25.04.2002 -
6 Ls 71 Js 22/01 - 92/01 - wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Angeklagten im
Be-schwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der
Staatskasse auferlegt.
G r ü n d e :
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I.
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Vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - Gelsenkirchen-Buer ist gegen den Angeklagten
ein Strafverfahren anhängig, in dem ihm zur Last gelegt wird, falsches Geld, das er sich
unter den Voraussetzungen des § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB verschafft hat, als
echt in den Verkehr gebracht, sowie sich eines Betruges gemäß § 263 StGB schuldig
gemacht zu haben. In der auf den 25.04.2002 vor dem Schöffengericht Gelsenkirchen-
Buer anberaumten Hauptverhandlung ist der Angeklagte nicht erschienen. Das über
den Hauptverhandlungstermin erstellte Sitzungsprotokoll enthält folgende Anlage:
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"Strafsache gegen O u.a. - 6 Ls 92/01 -
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Es wurde festgestellt, dass die Angeklagten O, O2 und O3 nicht erschienen sind.
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Die ordnungsgemäße Ladung wurde anhand der Zustellungsurkunden festgestellt.
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Der Vertreter der Staatsanwaltschaft beantragt Haftbefehl gegen die drei nicht
erschienenen Angeklagten.
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Es ergeht Haftbefehl gegen die drei nicht erschienenen Angeklagten, mit folgendem
Zusatz:
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Die Ladung wurde den Angeklagten persönlich zugestellt. Wegen des Umfangs des
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Verfahrens und der Schwergewichtigkeit der Taten wird einer Außervollzugsetzung
widersprochen.
Das Protokoll wurde fertiggestellt am 25.04.2002."
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Es folgen sodann die Unterschriften des Amtsrichters sowie der Protokollführerin.
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Der Amtsrichter verfügte sodann unter dem 29.04.2002 die Wiedervorlage der Akte mit
den Haftbefehlen. In den Akten befindet sich im Anschluss an diese Verfügung ein
Haftbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 25.04.2002, in dem gegen den
Angeklagten und zwei seiner Mittäter ausdrücklich die Untersuchungshaft angeordnet
wird. In dem Haftbefehl folgen sodann die dem Angeklagten und den Mitangeklagten zur
Last gelegten Taten sowie die Mitteilung, dass sie dieser Taten dringend verdächtig
sind. Sodann wird in dem Haftbefehl ausgeführt, die Angeklagten seien zum
Hauptverhandlungstermin am 25.04.2002 unentschuldigt nicht erschienen. Es folgt im
Anschluss daran der Zusatz aus dem Hauptverhandlungs-
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protokoll vom 25.04.2002 sowie die Angabe, dass gegen den Angeklagten und die
beiden Mitangeklagten der Haftgrund des § 230 StPO bestehe. Wegen der weiteren
Einzelheiten dieses Haftbefehls wird auf Bl. 468 der Akten verwiesen. Unterzeichnet
worden ist dieser Haftbefehl von dem Amtsrichter, und zwar in seiner Eigenschaft als
Vorsitzender des Schöffengerichts.
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Gegen diesen Haftbefehl richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 17.04.2003,
die mit dem angefochtenen Beschluss des Landgerichts Essen vom 12.05.2003 als
unbegründet verworfen worden ist. Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte weitere
Haftbeschwerde eingelegt, der die Strafkammer durch Beschluss vom 07.07.2003 nicht
abgeholfen hat.
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II.
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Die weitere Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Sie führt zu einer
Aufhebung des Haftbefehls vom 25.04.2003.
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Der Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO stellt eine Reaktion des erkennenden
Gerichtes auf das Ausbleiben des Angeklagten nach begonnener Hauptverhandlung
dar. Über die Anordnung der in § 230 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwangsmittel
entscheidet daher nach herrschender Auffassung grundsätzlich das erkennende Gericht
in der Hauptverhandlung in der dafür maßgebenden Besetzung, also unter Mitwir-
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kung der Schöffen (vgl. Tolksdorf in KK, StPO, 4. Aufl., § 230 Randziffer 17 m.w.N.;
Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 230 Randziffer 24; Schlüchter in SK, StPO, § 230
Randziffer 15). Zum Teil wird es allerdings für zulässig gehalten, dass sich das Gericht
mit Rücksicht auf die noch vorzunehmende Überprüfung vorgebrachter
Entschuldigungsgründe oder angekündigter Nachweise die Anordnung von
Maßnahmen gemäß § 230 Abs. 2 StPO durch Beschluss in der Hauptverhandlung
durch eine spätere Entscheidung des Gerichtes, die dann außerhalb der Haupt-
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verhandlung (ohne Schöffen) ergeht, vorbehält (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., m.w.N.; noch
weitergehend Gollwitzer in L-R, StPO 25. Aufl., § 230 Randziffer 44, der das Gericht
auch dann für befugt hält, Maßnahmen nach § 230 Abs. 2 StPO nach Aufklärung des
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Sachverhaltes noch in der Beschlussbesetzung anzuordnen, wenn eine solche
Beschlussfassung nicht ausdrücklich in der Hauptverhandlung vorbehalten worden ist).
Im vorliegenden Verfahren hat das Gericht in der Hauptverhandlung die oben
wiedergegebene und in der Anlage zum Protokoll vom 25.04.2002 enthaltene
Entscheidung getroffen, dass gegen die drei nicht erschienenen Angeklagten ein
Haftbefehl mit dem nachfolgend aufgeführten Zusatz ergeht. Hierbei handelt es sich
zwar um eine Entscheidung des Gerichts, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind,
dass diese Entscheidung allein durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts ergangen
ist. Sie beinhaltet aber keinen wirksamen Haftbefehl. Denn sie lässt nicht nur jegliche
Begründung vermissen - für den Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO gilt die Vorschrift
des § 114 Abs. 2 StPO entsprechend (vgl. Tolksdorf in KK, StPO, a.a.O., § 230
Randziffer 14) - sondern es fehlt vor allem an der für einen Haftbefehl notwendigen
Anordnung, dass gegen die Angeklagten die Untersuchungshaft angeordnet wird. Fehlt
ein die Untersuchungshaft anordnender Satz, liegt kein Haftbefehl vor; die Bezeichnung
als Haftbefehl ersetzt die fehlende ausdrückliche Anordnung nicht (vgl. Hilger in L-R,
StPO, a.a.O., § 114 Randziffer 4 m.w.N.).
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Aus der durch das Schöffengericht am 25.04.2002 getroffenen Entscheidung ergibt sich
lediglich, dass ein Haftbefehl gegen die drei Angeklagten ergeht. Eine ausdrückliche
Anordnung, dass der Angeklagte in Untersuchungshaft zu bringen ist, oder, dass gegen
ihn Untersuchungshaft angeordnet wird, ergibt sich weder aus dem Protokoll vom
25.04.2002 noch aus einer Anlage zu dieser Sitzungsniederschrift. Der nach der
Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts erlassene und
unterzeichnete Haftbefehl vom 25.04.2002 enthält zwar die erforderliche Anordnung der
Untersuchungshaft gegenüber den Angeklagten und entspricht darüber hinaus auch
den Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 StPO. Der Vorsitzende des Schöffengerichts
war aber - wie bereits oben dargelegt - nach der herrschenden Meinung, der sich der
Senat anschließt, nicht befugt, außerhalb der Hauptverhandlung ohne Mitwirkung der
Schöffen einen Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO zu erlassen. Es lagen auch nicht
die Voraussetzungen vor, unter denen in der Rechtsprechung und Literatur teilweise
eine Entscheidung über Zwangsmaßnahmen gemäß § 230 Abs. 2 StPO außerhalb der
Hauptverhandlung für zulässig angesehen wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO, a.a.O., § 230
Randziffer 24). Denn in der Hauptverhandlung am 25.04.2003 ist eine Entscheidung
über Zwangsmaßnahmen gemäß
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§ 230 StPO für einen späteren Zeitpunkt nicht vorbehalten worden. Ebensowenig
ergeben sich vorliegend Anhaltspunkte dafür, dass vor einer Entscheidung über einen
Haftbefehl gemäß § 230 StPO weitere Ermittlungen oder Nachforschungen getätigt
werden mussten.
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Der Haftbefehl vom 25.04.2003 war daher aufzuheben. Ein erneuter Haftbefehl gegen
den Angeklagten kann außerhalb der Hauptverhandlung nur auf die Voraussetzungen
der §§ 112 ff. StPO gestützt werden (so zutreffend LG Zweibrücken in NStZ-RR 1998,
112). Die Entscheidung darüber, ob die Untersuchungshaft gegen den Angeklagten
nach diesen Vorschriften anzuordnen ist, obliegt aber gemäß § 125 Abs. 2 StPO dem
Schöffengericht. Um dessen Erstzuständigkeit nicht zu umgehen, ist es dem
Beschwerdegericht selbst verwehrt, einen Haftbefehl gemäß § 230 StPO in einen
solchen nach den §§ 112 ff. StPO umzuändern (vgl. Gollwitzer in L-R, StPO, a.a.O., §
230 Randziffer 49; Meyer-Goßner, StPO, a.a.O., § 230 Randziffer 25).
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Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 4
StPO.
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