Urteil des OLG Hamm vom 17.01.2000

OLG Hamm: geschäftsführung ohne auftrag, baustelle, inbetriebnahme, maschine, verkehr, vandalismus, einbau, transport, zutritt, zusammenwirken

Oberlandesgericht Hamm, 13 U 121/99
Datum:
17.01.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 121/99
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 9 O 143/99
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird, unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im übrigen, das am 10. Juni 1999 ver-kündete Urteil der
Zivilkammer IV des Landgerichts Det-mold teilweise abgeändert.
Die Beklagte bleibt verurteilt, an die Klägerin 2.811,02 DM nebst 4 %
Zinsen seit dem 13. März 1999 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des gesamten Rechtsstreits tragen die Klä-gerin 77 %
und die Beklagte 23 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert die Beklagte in Höhe von 2.811,02 DM und die Klägerin
um 9.339,60 DM.
Tatbestand
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Die Beklagte führte im August 1997 auf einem Baugrundstück in einem von zwei
Bundesstraßen und einer Bahnlinie abgegrenzten, zum Teil noch im Bau befindlichen
Gewerbegebiet in der Nähe der Bahnstrecke I zwischen C und T Bauarbeiten durch.
Dabei kam u. a. eine 15 t schwere Verdichterwalze zum Einsatz. Diese wurde am
Freitag, dem 29. August 1997, verschlossen auf der Baustelle abgestellt. Am folgenden
Tag wurde sie gegen 9.30 Uhr unbefugt in Betrieb genommen. Unbekannte Täter
schlugen die Scheibe unterhalb des Türgriffs ein und setzten die Walze durch
Betätigung eines Schalters - ein Schlüssel ist dazu nicht erforderlich - in Gang. Da das
Gaspedal mit einem Stein beschwert wurde, setzte sich die Walze führerlos in
Bewegung. Sie fuhr in Höhe des Kilometers 11,8 über die Gleiskörper, drehte auf dem
gegenüberliegenden Feld und fuhr in Richtung Gleisanlage zurück. In Höhe des
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Kilometers 11,6 fuhr sie gegen die Gleise und blieb dann vor einem Oberleitungsmasten
unmittelbar neben dem Gleiskörper stehen, wo sie sich einen halben Meter tief in den
Boden einwühlte. Durch die Kollision wurden der Oberleitungsmast sowie der
Gleiskörper beschädigt. 15 Züge konnten die Unfallstelle an diesem Tag nur im
Schrittempo passieren.
Die Klägerin reparierte die Gleisanlage und ließ die Walze bergen. Sie nimmt die
Beklagte aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in
Anspruch und begehrt Ersatz von Bergungs- und Reparaturkosten in Höhe von
10.925,87 DM und Betriebserschwerniskosten (infolge von
Geschwindigkeitsermäßigungen und Verspätungen der Züge) von 1.224,75 DM.
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Die Beklagte bestreitet die Ansprüche nach Grund und Höhe.
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Dagegen
richtet sich die Berufung der Beklagten.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Akten 8 UJs 1958/97 StA Detmold
lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung hat überwiegend Erfolg. Die Klage ist nur zum Teil begründet.
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I.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gem.
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§ 823 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz in Höhe von 12.150,62 DM wegen Verletzung
der Verkehrssicherungspflicht.
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1.
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Die Beklagte war für die Baustelle und deren Einrichtung verkehrssicherungspflichtig.
Der Umfang der zu treffenden Sicherungsmaßnahmen richtet sich nach dem Einzelfall.
Dort, wo nur ein beschränkter Verkehr eröffnet ist, ist die Verkehrssicherungspflicht
entsprechend begrenzt (BGH VersR 1965, 554). An einer Baustelle ist grundsätzlich nur
ein beschränkter Verkehr zugunsten der am Bau beschäftigten Handwerker, der
Lieferanten, der Architekten, des Bauherrn, der Beamten der Bauaufsichtsbehörde usw.
eröffnet. Von einer Baustelle gehen Gefahren aber nicht nur für die Personen aus, die
dort Zutritt haben oder sich unbefugt Zutritt verschaffen, denn die Gefährdung ist nicht
auf den Baustellenbereich beschränkt. Die Baustelle und ihre Einrichtung können auch
außerhalb zu Schädigungen Dritter führen. Das gilt insbesondere dann, wenn Teile der
Einrichtung aus dem Baustellenbereich heraus in den allgemeinen Verkehr gelangen.
Auch dagegen sind von dem Verkehrssicherungspflichtigen - im Rahmen des
Möglichen und des Zumutbaren - Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen.
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2. Hier wären Sicherungsmaßnahmen möglich gewesen. Ihre Unterlassung führt jedoch
nicht zur Haftung aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
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a)
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Zu der unbefugten Inbetriebnahme der Walze wäre es nicht gekommen, wenn diese bei
Arbeitsschluß nicht auf der Baustelle zurückgelassen, sondern auf das (gesicherte)
Betriebsgelände der Beklagten verbracht worden wäre. Ein solcher Transport war der
Beklagten aber nicht zumutbar. Ihr Betriebsgelände befindet sich etwa 40 km von der
Baustelle entfernt. Wenn, wovon auszugehen ist, die Walze jeweils am nächsten
Arbeitstag wieder benötigt wurde, wäre ein täglicher Hin- und Hertransport zu aufwendig
und zu teuer gewesen. Eine andere Beurteilung könnte angezeigt sein, wenn ein
Einsatz der Walze hier für einen längeren Zeitraum nicht geplant gewesen wäre. Das
macht die Klägerin nicht geltend.
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b)
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Ob die unbefugte Inbetriebnahme unterblieben wäre, wenn die Beklagte die gesamte
Baustelle oder eine Teilfläche davon eingezäunt und die Walze innerhalb der
umzäunten Fläche abgestellt hätte, erscheint angesichts der abgelegenen Lage des
Geländes zweifelhaft. Ein Bauzaun ist nämlich relativ leicht zu übersteigen und bietet
deshalb gegen Vandalismus allenfalls geringen Schutz.
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c)
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Richtig ist, daß ein wirksamer Schutz durch technische Maßnahmen erreicht werden
kann. Ohne Frage wäre es möglich, Baumaschinen so auszurüsten, daß sie nur mit
einem besonderen Schlüssel in Gang gesetzt werden können. Auch der Einbau einer
Wegfahrsperre und ein stärkerer Schutz gegen ein gewaltsames Aufbrechen des
Führerhauses wären geeignet, eine unbefugte Inbetriebnahme zu verhindern. Mit
derartigen Schutzvorkehrungen war die hier eingesetzte Walze aber nicht ausgestattet.
Ihr Einbau wäre in erster Linie Sache des Herstellers. Ihr Fehlen führt - für sich allein -
nicht dazu, daß der Benutzer regelmäßig seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, wenn
er die Maschine verschlossen auf der Baustelle abstellt. Er ist im allgemeinen auch nicht
gehalten, eine etwaige Inbetriebnahme auf andere Weise zu erschweren. So kann von
ihm nicht verlangt werden, jeweils nach Arbeitsschluß z.B. die Batterie auszubauen, die
Treibstoffleitung abzusperren oder die Stromzufuhr durch Betätigen eines versteckt
anzubringenden Schalters zu unterbrechen. Ob solche Sicherungsmaßnahmen im
Einzelfall angezeigt sein können, z.B. wenn die Maschine für längere Zeit oder aber an
einer Stelle zurückgelassen wird, wo sich spielende Kinder oder Jugendliche
aufzuhalten pflegen, ist nicht zu entscheiden. Befindet sich die Maschine - wie hier - auf
einer abgelegenen Baustelle und wird sie dort nicht länger als für ein Wochenende
zurückgelassen, genügt es, daß sie verschlossen wird.
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Richtig ist, daß die Gefahr, die bei einer unbefugten Inbetriebnahme von der hier
eingesetzten, 15 t schweren Walze ausgeht, außerordentlich groß ist. Andererseits ist
die Wahrscheinlichkeit, daß eine solche Maschine mißbräuchlich in Gang gesetzt wird,
als sehr gering einzustufen, denn die Walze ist nicht nur ausgesprochen unhandlich,
sondern zudem auch extrem langsam, mithin für "Spritztouren" denkbar ungeeignet.
Eine unbefugte Inbetriebnahme kommt deshalb nur unter dem Blickpunkt des
Vandalismus in Betracht. Dagegen gibt es aber keinen absoluten Schutz, denn
derjenige, der es darauf anlegt, sinnlos etwas zu zerstören, läßt sich von einem solchen
Vorhaben erfahrungsgemäß nur schwer abhalten.
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II.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte wegen Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§
670, 677, 683 BGB einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 2.811,02 DM.
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1.
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Die Klägerin hat mit der Bergung der Walze ein Geschäft der Beklagten geführt. Die
Bergung geschah in deren Interesse, denn sie war der Beklagten nützlich. Um den
Zugverkehr nicht weiter zu gefährden, war es notwendig, die sich mit laufendem Motor
weiter in den Erdboden einwühlende Walze so schnell wie möglich von dem
Gleiskörper zu entfernen. Es liegt auf der Hand, daß dazu besondere Anstrengungen
erforderlich waren. Die Klägerin hat im einzelnen dargelegt, in welcher Weise versucht
wurde, die Walze freizuschleppen, und welche Schwierigkeiten dabei aufgetreten sind.
Ein Erfolg habe sich erst eingestellt, als der zur Reparatur der Oberleitung angeforderte
Turmtriebwagen eingetroffen sei. Durch das Zusammenwirken dieser Maschine mit dem
Abschleppfahrzeug der Fa. C2 sei es schließlich gelungen, die Walze freizubekommen.
Diesem Sachvortrag ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Ihre
Behauptung, die Walze hätte schlicht, im Rückwärtsgang, in Betrieb genommen und von
der Schadensstelle weggefahren werden können, verkennt die - durch die bei den
Ermittlungsakten befindlichen Fotos eindrucksvoll dokumentierte - tatsächliche
Situation. Da die Tür aufgebrochen war und die Walze deswegen nicht mehr
verschlossen werden konnte, war es zur Verhinderung einer weiteren mißbräuchlichen
Inbetriebnahme notwendig, für eine Sicherstellung zu sorgen. Es genügte nicht, die
Walze auf das Baustellengelände zurückzubringen. Mit Rücksicht darauf waren auch
der Transport zum Betriebsgelände der Fa. C2 und die dort erfolgte Absicherung
Maßnahmen, die nicht nur notwendig waren, sondern auch im Interesse der Beklagten
lagen und ihrem mutmaßlichen Willen entsprachen.
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2.
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Entsprach die Geschäftsführung dem Interesse und dem mußmaßlichen Willen der
Beklagten, so kann die Klägerin gem. § 683 BGB wie ein Beauftragter Ersatz ihrer
Aufwendungen verlangen. Sie hat gem. § 670 BGB Anspruch auf Ersatz der zum
Zwecke der Ausführung getätigten Aufwendungen, die sie den Umständen nach für
erforderlich halten durfte. Dazu gehören neben den (mit der in Kopie vorgelegten
Rechnung nachgewiesenen) Kosten der Fa. C2 in Höhe von 2.447,50 DM netto die
durch den Einsatz des eigenen Turmtriebwagens hervorgerufenen Aufwendungen,
soweit diese auf das Freischleppen der Walze entfallen und nicht im Zusammenhang
mit der Reparatur der Oberleitung angefallen sind. Die Höhe dieses Ersatzanspruchs
darf das Gericht gem. § 287 Abs. 1 und 2 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach
freier Überzeugung schätzen. In Anwendung dieser Vorschrift geht der Senat davon
aus, daß von den für den Fahrer/Lotsen und das Fahrzeug selbst jeweils angesetzten
fünf Arbeitsstunden je zwei zur Bergung der Walze erforderlich waren. Demgemäß kann
die Klägerin für den Fahrer/Lotsen (2 x 89,26 DM =) 178,52 DM und für den
Turmtriebwagen weitere (2 x 92,50 DM =) 185,00 DM ersetzt verlangen.
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III.
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Der Zinsanspruch ist nicht im Streit.
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IV.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10 ZPO.
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