Urteil des OLG Hamm vom 20.08.2003

OLG Hamm: entziehung, rauschgift, fahrzeug, kriminalität, kokain, verkehrssicherheit, wiedererteilung, mittäter, begründungspflicht, transport

Oberlandesgericht Hamm, 1 Ss 362/03
Datum:
20.08.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 Ss 362/03
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, Ns 186 Js 498/01 14 (XVII) S 2/02
Tenor:
Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet
verworfen.
G r ü n d e :
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Das Amtsgericht Unna hat den Angeklagten am 29. Mai 2002 wegen unerlaubter
Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe
von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat das Amtsgericht die Entziehung der
Fahrerlaubnis und die Einziehung des Führerscheins angeordnet und die
Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von zwei Jahren keine neue
Fahrerlaubnis zu erteilen. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das
Landgericht Dortmund mit Urteil vom 11. Dezember 2002 mit der Maßgabe verworfen,
dass die Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis auf noch neun Monate
festgesetzt werde. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hat der
Angeklagte entsprechend dem zuvor gefassten Tatplan dabei mitgewirkt, in den
Morgenstunden des 26. September 2001 insgesamt 500 g Kokain zum Preise von
24.000,- DM oder 26.000,- DM in den Niederlanden erworben und sodann mit seinem
PKW in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt zu haben. Das Rauschgift wurde
bei der Übergabe an Mittäter des Angeklagten von diesen verabredungsgemäß mit
Falschgeld bezahlt. Der Angeklagte war als Fahrer mit seinem Opel Vectra beteiligt.
Nachdem die Mittäter des Angeklagten den Umschlag mit dem Falschgeld übergeben
und das
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Kokain erhalten hatten - wobei die Rauschgiftverkäufer noch nicht bemerkten, dass es
sich um Falschgeld handelte - hatten sie "nichts Eiligeres zu tun, als zu dem
Angeklagten in den PKW einzusteigen und sich damit schleunigst zu entfernen". Auf der
Rückfahrt nach Deutschland wechselten sich der Angeklagte und der Zeuge G als
Fahrer ab.
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Der Angeklagte ist in der Vergangenheit einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten.
Das Amtsgericht Werl hat ihn am 7. Februar 2001 wegen Erpressung in zwei Fällen und
wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt.
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Zur Anordnung der Maßregel hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte habe sich
durch Einsatz seiner Fahrerlaubnis zur Einfuhr einer großen Rauschgiftmenge in die
Bundesrepublik Deutschland als charakterlich ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen erwiesen. Ihm sei deswegen gemäß § 69 Abs. 1 StGB die
Fahrerlaubnis zu entziehen und sein Führerschein einzuziehen. Zur
verkehrserzieherischen Einwirkung auf ihn sei gemäß § 69 a Abs. 1 StGB eine Sperre
für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis von noch neun Monaten zu verhängen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, die mit näherer
Begründung die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die
Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
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Die Revision war als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils
aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben hat. Insbesondere hält auch die vom Landgericht angeordnete
Maßregel gemäß § 69 StGB rechtlicher Nachprüfung stand, obwohl das Landgericht die
mangelnde Eignung des Angeklagten nur damit begründet hat, dass sich der
Angeklagte durch das Einführen einer großen Menge Rauschgift als charakterlich
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe. Diese Begründung genügt
im vorliegenden Fall den Anforderungen.
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Nach einhelliger Meinung ist § 69 Abs. 1 StGB nicht nur bei Verkehrsverstößen im
engeren Sinne, sondern auch bei sonstigen strafbaren Handlungen anwendbar, sofern
sie im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen worden sind
und sich daraus die mangelnde charakterliche Eignung zum Führen eines
Kraftfahrzeuges ergibt. Unterschiedlich beurteilt wird nur, welche Faktoren für die
Feststellung der Ungeeignetheit des Täters maßgeblich sind. Ein Teil der Rechtspre-
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chung hat den Standpunkt vertreten, bei schwerwiegenden Taten, wie z.B. der
Durchführung von Betäubungsmittelgeschäften unter Benutzung eines Kraftfahrzeuges,
müsse die charakterliche Zuverlässigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen in aller Regel
verneint werden; nur unter ganz besonderen Umständen könne ausnahmsweise etwas
anderes gelten (BGHR StGB § 69 Abs. 1, Entziehung 3; BGH NStZ 1992, 586; BGH
NStZ 2000, 26). In anderen Entscheidungen wird zwar ebenfalls die besondere
Indizwirkung von Delikten der allgemeinen Kriminalität für den charakterlichen
Eignungsmangel des Täters i.S.d. § 69 StGB bejaht, es wird aber eine
Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit, soweit sie in der Tat zum Ausdruck
gekommen ist, verlangt (BGH NStZ-RR 1997, 197; BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung
10). Neuerdings wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass bei Nicht-
Katalogtaten i.S.d. § 69 Abs. 2 StGB konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr vorliegen
müssten, der Täter werde seine kriminellen Ziele über die im Verkehr gebotene Sorgfalt
und Rücksichtnahme stellen, mithin als Anlasstat Delikte generell ausscheiden, die
keinerlei spezifische Verkehrssicherheitsinteressen berühren (BGH NStZ-RR 2003, 74;
BGH NStZ-RR 2003, 122).
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Der Senat hält an der auch überwiegend von den Senaten des BGH vertretenen
Auffassung, dass bei schwerwiegenden Taten - wie der Durchführung von
Betäubungsmittelgeschäften im größeren Umfang unter Benutzung eines
Kraftfahrzeuges - die charakterliche Unzuverlässigkeit zum Führen eines
Kraftfahrzeuges in aller Regel verneint werden muss und nur unter ganz besonderen
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Umständen etwas anderes gelten kann, fest (vgl. zuletzt noch BGH, Beschluss vom 14.
Mai 2003 - 1 StR 113/03; so auch OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juli 2003 - 4 Ss 387/03
-). Unbe-
schadet dessen ist bisher ebenso anerkannt, dass eine Indizwirkung für einen
Eignungsmangel nicht in Betracht kommt, wenn die Tat nur bei Gelegenheit der
Nutzung des Kraftfahrzeuges begangen ist oder nur ein äußerer - örtlicher oder
zeitlicher - Zusammenhang mit dieser besteht (BGHSt 22, 328).
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§ 69 StGB sieht die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer
rechtswidrigen Tat vor, wenn diese "unter Verletzung der Pflichten eines
Kraftfahrzeugführers" begangen wurde oder - gleichberechtigt als weiterer
Anknüpfungspunkt danebenstehend - bei oder im Zusammenhang mit dem Führen
eines Kraftfahrzeuges - verwirklicht wurde. Hinzu kommen muss in beiden Fällen, dass
der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist und sich dies aus der Tat
ergibt. Schon das systematische Nebeneinander der Anknüpfungspunkte für die
Maßregel - die Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers einerseits und die
Tatbegehung bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges
andererseits - verdeutlicht, dass diese Vorschrift nicht nur Verkehrsstraftaten erfasst, für
welche die gesetzliche Regelvermutung der fehlenden Eignung in § 69 Abs. 2 StGB gilt;
sie er-
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streckt sich auch auf Taten der sogenannten allgemeinen Kriminalität, die Indizwirkung
für die fehlende Eignung entfalten können (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003, 1 StR
113/03).
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Der Begriff der Eignung umfasst nicht nur die persönliche Gewähr für die regelgerechte
Ausübung der Erlaubnis, d.h. die Beachtung der Vorschriften des Straßenverkehrs. Wer
eine Fahrerlaubnis innehat, der muss auch die Gewähr für eine im umfassenden Sinne
verstandene Zuverlässigkeit dahin bieten, dass er die Erlaubnis auch sonst nicht zur
Begehung rechtswidriger Taten ausnutzen werde.
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In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dementsprechend zur Entziehung
der Fahrerlaubnis seit jeher anerkannt, dass die sich aus der Tat ergebende mangelnde
Eignung auch in fehlender charakterlicher Zuverlässigkeit gründen kann. Wem die
staatliche Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen erteilt wird, der wird auch
charakterlich für hinreichend zuverlässig dahin erachtet, dass er nicht nur die Regeln
des Straßenverkehrs beachtet, sondern sein Kraftfahrzeug und seine Fahrerlaubnis
auch nicht gezielt zu sonst rechtswidrigen Zwecken verwendet. Auch derjenige, der
seine Fahrerlaubnis und sein Kraftfahrzeug zwar zu regelrechter Teilnahme am Verkehr,
aber bewusst zur Begehung gewichtiger rechtswidriger Taten einsetzt, kann mithin zum
Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sein (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003, 1 StR
113/03).
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Darüber hinaus kann der Missbrauch der Fahrerlaubnis zur Begehung von Delikten
allgemeiner Art durchaus auch einen Bezug zur Verkehrssicherheit haben. Bei dem
Einsatz eines Kraftfahrzeuges als Mittel zum Transport von Rauschgift können für den
Täter durchaus Situationen eintreten, in denen er der Versuchung erliegt, sich um der
Durchsetzung seines kriminellen Handelns willen spontan und nachhaltig über
Verkehrssicherheitsbelange hinwegzusetzen.
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Zur tatrichterlichen Begründungspflicht gilt, dass der erforderliche Würdigungsumfang
von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Die Tat selbst kann, je gewichtiger sie ist,
andere Umstände in den Hintergrund treten lassen. In schwerwiegenden Fällen und
auch bei wiederholten Taten ist eine eingehende Begründung in der Regel nicht
zwingend geboten (BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 3; BGHR StGB § 69 Abs. 1
Entziehung 5; BGH NStZ 1992, 586; BGH Beschluss vom 14. Mai 2003,
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1 StR 113/03). Einer solchen indiziellen Wirkung steht nicht der Einwand entgegen, sie
werde auf diese Weise der gesetzlichen Regelvermutung bei Verkehrsstraftaten
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(§ 69 Abs. 2 StGB) angenähert. Jene Regelvermutung gründet darin, dass bei
Begehung der dort angeführten Verkehrsstraftaten in aller Regel ein Fahrzeug benutzt
wird, jedenfalls aber ein unmittelbarer Bezug zur Verkehrssicherheit besteht. Bei Taten
der sogenannten allgemeinen Kriminalität bestimmt der Bezug zwischen Tat und
fehlender Eignung, wenn er funktional im konkreten Fall gegeben ist, durch das Gewicht
der Tat und der Täterpersönlichkeit den Begründungsaufwand des Tatrichters (BGH,
Beschluss vom 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03 -).
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Im vorliegenden Fall ergibt der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass der
Angeklagte die Tat nicht nur bei Gelegenheit der Nutzung seines Kraftfahrzeuges
begangen hat und dass auch nicht nur ein äußerer - örtlicher oder zeitlicher -
Zusammenhang damit besteht. Vielmehr hat er sein Fahrzeug gezielt zur Durchführung
der Straftat und damit unmittelbar tatbezogen eingesetzt. Er ist mit seinem Fahrzeug
gezielt zum Einkauf von Drogen nach Holland gefahren und hat nach dem Erwerb von
500 g Kokain, wobei die Bezahlung mit Falschgeld erfolgte, dieses über eine lange
Strecke in die Bundesrepublik Deutschland transportiert. Im Blick auf das Gewicht der
Tat, die Bedeutung des Einsatzes des Kraftfahrzeuges bei Begehung der Tat und bei
zugleich fehlenden Hinweisen auf eine dennoch im Hauptverhandlungszeitpunkt etwa
wiederhergestellte Eignung des Angeklagten war die indizielle Bedeutung der Tat hier
solchermaßen ausgeprägt, dass allein darauf und ohne weitergehende Begründung die
Entziehung der Fahrerlaubnis gestützt werden konnte.
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Der Senat sah sich auch nicht durch die Entscheidungen des 4. Strafsenats des BGH
von Ende vorigen Jahres gehindert, wie geschehen zu entscheiden. Der Revision ist
zwar zuzugeben, dass in diesen Entscheidungen eine engere und den
Anwendungsbereich des § 69 Abs. 1 StGB beschneidende Auffassung deutlich wird.
Diese vom Senat nicht geteilte Auffassung war aber für die fallbezogenen
Entscheidungen des 4. Strafsenats nicht tragende Grundlage, sondern eher obiter
dictum. Deshalb bedarf es auch seitens des erkennenden Senats keiner Vorlage an den
Bundesgerichtshof, was auch schon daraus deutlich wird, dass auch der 4. Strafsenat
seinerseits keinen Anlass gesehen hat, die Sache dem Großen Senat des BGH
vorzulegen oder in das Anfrageverfahren einzutreten.
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Nach allem war die Revision mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.
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