Urteil des OLG Hamm vom 02.10.1995

OLG Hamm (vvg, firma, grobe fahrlässigkeit, akten, fahrzeug, höhe, risiko, 1995, wiederbeschaffungswert, schaden)

Oberlandesgericht Hamm, 6 U 43/95
Datum:
02.10.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 43/95
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 15 O 324/94
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 6. Dezember 1994
verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird
zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß der Beklagte nur folgende
Zinsen zu zahlen hat:
7,5 % für die Zeit vom 28.5.1994 bis 30.3.1995 und 7 % ab 1.4.1995.
Wegen der Zinsmehrforderung wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagen wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden
Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in
dieser Höhe Sicherheit leistet. Die Parteien können die Sicherheit durch
eine unbedingte und unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft einer
deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder
Genossenschaftsbank leisten.
Beschwer des Beklagten: 60.700,00 DM.
Tatbestand
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Die Klägerin ist eine Herstellerin von Lastkraftwagen. Über ihre rechtlich unselbständige
Gebrauchtwagenzentrale in ... hat sie der Firma ... in ... am 05.10.1993 eine
Sattelzugmaschine vom Typ Iveco 190/32 PT für die Dauer von drei Monaten vermietet.
Die Firma ... hat für dieses Fahrzeug bei dem Beklagten eine Fahrzeugvollversicherung
abgeschlossen; der Beklagte hat unter dem 13.10.1993 der Klägerin den
Sicherungsschein Bl. 10 der Akten, auf den Bezug genommen wird, erteilt.
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Am 23.11.1993 kam es im Führerhaus der Sattelzugmaschine zu einem Brand, der zu
einem Totalschaden führte; die Sattelzugmaschine stand zu diesem Zeitpunkt mit einem
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Sattelauflieger in ..., um später mit Fracht beladen zu werden. Die Firma ... zeigte dem
Beklagten den Schadensfall, mit Anzeige vom 01.12.1993 (Bl. 51/52 der Akten), auf die
Bezug genommen wird, an. Nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen ...
vom 04.01.1994 (Bl. 12 bis 18 der Akten) lehnte der Beklagte mit Schreiben vom
20.01.1994 (Bl. 11 der Akten) die Regulierung mit der Begründung ab, sie erkläre mit
einen Rückgriffsanspruch in Höhe von 61.000,00 DM die Aufrechnung, weil der
Brandschaden durch mangelhafte Wartung bzw. einen Herstellungsfehler entstanden
sei.
Unter Hinweis auf den zu ihren Gunsten abgeschlossenen Versicherungsvertrag hat die
Klägerin den unstreitigen Wiederbeschaffungswert der Sattelzugmaschine abzüglich
des Restwertes (65.000,00 DM abzüglich 4.000,00 DM) begehrt und beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen an sie 61.000,00 DM nebst 8 % Zinsen seit dem
28.05.1994 zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Unter Hinweis auf zwei weitere Brandfälle vom 04.05.1994 und 20.05.1994 und auf
vorgelegte Brandgutachten, hat er vorgetragen, der Brandschaden beruhe auf einem
Herstellungsfehler der Klägerin. Damit habe sich eine nicht kaskotypische Gefahr
verwirklicht. Der Klägerin sei auch kein Schaden entstanden, weil das Fahrzeug wegen
seines Mangels von vornherein schadensbehaftet gewesen sei.
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Der Beklagte hat sich ferner auf eine Obliegenheitsverletzung durch den
Versicherungsnehmer Firma ... berufen. Deren Geschäftsführer habe in Telefonaten am
26. und 27. Januar 1994 wahrheitswidrig angegeben, er habe das Fahrzeug gekauft
gehabt.
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Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt an die Klägerin 60.700,00 DM (61.000,00
DM abzüglich 300,00 DM Selbstbehalt) nebst 8 % Zinsen seit dem 28.05.1994 zu
zahlen. Zur Begründung führt es aus, der Beklagte schulde der Klägerin auf Grund des
zu ihren Gunsten abgeschlossenen Versicherungsvertrages den
Wiederbeschaffungswert. Aufrechenbare Gegenansprüche gegen die Klägerin stünden
dem Beklagten nicht zu. Insbesondere seien keine Ansprüche gemäß §67 Abs. 1 VVG
übergegangen, weil die Klägerin Versicherter und nicht Dritte im Sinne dieser Vorschrift
sei. Vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles im Sinne
des §61 VVG sei von dem Beklagten nicht behauptet worden.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten. Er stellt unter
Sachverständigenbeweis, daß der Schaden auf einem Herstellungsfehler beruht. Hierzu
legt er zwei ...-Gutachten vom 21.10.1994 und 29.12.1994 über von der elektrischen
Anlage ausgehende Brandbeschädigungen an von der Klägerin hergestellten
Lastkraftwagen vor; auf diese Gutachten, die sich als Anlagen bei den Akten befinden,
wird verwiesen. Der Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe, um das hier streitige
Risiko abzusichern, eine Produkthaftpflichtversicherung abschließen müssen. Das
Risiko des Fahrzeugherstellers, das von ihm hergestellte Fahrzeuge auf Grund eines
Produktfehlers Brandschäden erleiden, sei kein typischerweise in der
Teilkaskoversicherung gedecktes Risiko. §67 VVG stehe dem Anspruch nicht entgegen,
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denn die Klägerin sei in ihrer Eigenschaft als Herstellerin Dritte im Sinne dieser
Vorschrift. Der Beklagte wiederholt seinen Vortrag zur Leistungsfreiheit wegen
Obliegenheitsverletzung.
Der Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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1.
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die gegnerische Berufung zurückzuweisen,
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2.
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ihr hilfsweise zu gestatten, eine von ihr zu leistende Sicherheit auch durch die
Bürgschaft einer Großbank, einer Sparkasse oder Genossenschaftsbank zu erbringen.
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Die Klägerin bestreitet, daß ein Herstellungsfehler für den Schadenseintritt ursächlich
geworden sei. Die von dem Beklagten vorgelegten Gutachten beträfen andere Typen
ihres Herstellungsbereichs; angesichts einer jährlichen Produktionszahl von 90.000
Fahrzeugen sei die Zahl so gering, daß sie keinerlei Schlüsse erlaube. Sie beruft sich
darauf, daß gerade das Brandrisiko als Sachschadensrisiko versichert worden sei. Um
das Produzentenhaftpflichtrisiko gehe es gar nicht, weil weder ein Fall des
Produkthaftungsgesetzes noch ein Fall des §823 BGB behauptet sei. Beide
Anspruchsgrundlagen beträfen nämlich nur Drittschäden. Schon aus diesem Grunde
greife auch §67 VVG nicht ein. Die Klägerin erschleiche sich auch keinen
ungerechtfertigten Vorteil.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze
und die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Beklagten hat - von einer geringen Korrektur zur Zinshöhe abgesehen
- keinen Erfolg.
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Der Beklagte schuldet der Klägerin auf Grund des zu ihren Gunsten abgeschlossenen
Kraftfahrtversicherungsvertrages (siehe den Sicherungsschein vom 13.10.1993, Bl. 10
der Akten) gemäß den §§1 VVG, 12 Abs. 1 I a AKB eine Entschädigung in Höhe von
60.700,- DM; das ist der um den Restwert und den Selbstbehalt gekürzte, der Höhe
nach unstreitige Wiederbeschaffungswert der streitigen Sattelzugmaschine.
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1.
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Daß die streitige Sattelzugmaschine durch Brand, also durch eine gemäß §12 Abs. 1 I a
AKB versicherte Ursache, einen Totalschaden erlitten hat, ist unstreitig. Es ist
insbesondere weder vorgetragen noch somit ersichtlich, daß ein Betriebsschaden
vorliegt.
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Der Versicherungsvertrag kann entgegen der Meinung des Beklagten nicht - auch nicht
ergänzend - dahin ausgelegt werden, daß Schäden, die auf Brandfällen beruhen, die
ihre Ursache in einer fehlerhaften Produktion des Fahrzeuges haben, von der
Ersatzpflicht dann ausgeschlossen sind, wenn sie an einem Fahrzeug eintreten, das
sich noch, wie hier, im Eigentum des Herstellers befindet. Das Schadensrisiko im Sinne
der genannten Bestimmung der AKB ist der Sachschaden schlechthin (Stiefel/Hofmann
Kraftfahrversicherung 15. Auflage Anm. 1 und 2 zu §12 AKB; Müller VersR 89, 317, 319)
und zwar insbesondere, soweit der Schaden auf Brand beruht (Stiefel/Hofmann a.a.O.
Rdn. 5). Dafür, daß im Rahmen dieses Schadensfalles eine weitere Differenzierung der
Ursachen vorzunehmen wäre, bestehen keine Anhaltspunkte. Der Wortlaut des §12
AKB enthält die von dem Beklagten in Anspruch genommene Ausgrenzung nicht.
Irgendwelche für eine Ausgrenzung sprechende Zusammenhangstatsachen - etwa
Hinweise im Antrag oder in Prospekten etc. - sind nicht vorgetragen. Auch aus dem
Zweck des Versicherungsvertrages läßt sich eine derartige Reduktion des
Versicherungsumfangs nicht entnehmen. Dazu reicht der von dem Beklagten
behauptete Umstand, daß er das hier streitige Risiko - Brandschäden an im
Herstellereigentum stehenden Fahrzeugen auf Grund von Herstellungsfehlern - nicht
ohne Prämienzahlung habe mitübernehmen wollen, nicht aus. Daß dieser Umstand für
die Versicherungsnehmerin Firma ... oder allgemein für Versicherungsnehmer
erkennbar geworden wäre, hat der Beklagte nicht näher dargelegt. Es liegt auch nicht
auf der Hand. Es ist insbesondere nicht behauptet, daß der Beklagte bei der
Prämienkalkulation davon ausgegangen sei, daß er ein derartiges Risiko nicht werde
tragen müssen, erst Recht nicht, daß dies für den Versicherungsnehmer erkennbar
geworden wäre.
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2.
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Der Beklagte kann der Klägerin auch nicht die Einrede der unzulässigen
Rechtsausübung (§242 BGB) mit Erfolg entgegensetzen. Einer der von der
Rechtsprechung insoweit entwickelten Fälle liegt nicht vor.
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Daß die Klägerin sich über ihren Vertragspartner, die Firma ... einen den gemäß §78
VVG zu ihren, der Klägerin, Gunsten wirkenden Versicherungsschutz habe verschaffen
lassen in Kenntnis des Umstandes, daß das versicherte Fahrzeug speziell oder der
Fahrzeugtyp allgemein mit einem Herstellungsfehler belastet gewesen sei, bestehen
keine ausreichenden Anhaltspunkte. Die Brandschäden, auf die sich der Beklagte
beruft, liegen sämtlich zeitlich nach dem hier streitigen Schaden. Im übrigen weist die
Klägerin zu Recht darauf hin, daß die wenigen Fälle angesichts der großen Zahl der
hergestellten Fahrzeuge und der breiten Produktpalette der Klägerin einen Schluß
dahin, daß die Brandschäden jeweils auf Herstellungsfehler beruhen, nicht zulassen,
erst Recht nicht darauf, daß die Schadensursache der Klägerin bekanntgewesen sei. Im
übrigen ist es keineswegs untypisch, daß in der Sachversicherung auch das Risiko
fahrlässiger Handlungen des Versicherten mitversichert ist. Typisch für das
Produkthaftpflichtrisiko, das der Beklagte nicht mitversichert wissen will, ist darüber
hinaus, daß es weniger um Schäden am gelieferten Produkt selbst als um
Folgeschäden geht.
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3.
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Bereits das Landgericht hat darauf hingewiesen, daß keine ausreichenden
Anhaltspunkte dafür vorgetragen sind, daß die Klägerin oder die Firma ... den
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Versicherungsfall im Sinne des §61 VVG vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit
herbeigeführt haben. Auf eine Leistungsfreiheit unter diesen Gesichtspunkten hat sich
der Beklagte, was in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich klargestellt worden ist,
auch nicht berufen.
4.
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Der Beklagte ist auch nicht wegen Verletzung einer Auflärungsobliegenheit (§71 Abs. 2,
V Abs. 4 AKB, §6 Abs. 3 VVG) von seiner Leistungspflicht freigeworden. Der Senat
unterstellt, daß der Geschäftsführer der Firma ... am 25. und 27. Januar 1994 den für den
Beklagten tätigen Sachbearbeiter ... erklärt hat, er habe das streitige Fahrzeug gekauft.
Nach dem eigenen Vortrag des Beklagten war dies aber eine Reaktion auf die bereits
am 20.01.1994 erklärte Ablehnung der Regulierung.
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Schließlich steht dem Beklagten der erstinstanzlich behauptete und zur Aufrechnung
gestellte Gegenanspruch nicht zu. Abgesehen davon, daß der Firma ... als Mieterin des
Fahrzeuges Ansprüche nach §823 BGB oder nach den Vorschriften des
Produkthaftungsgesetzes wegen des hier allein streitigen Sachschadens am
vermieteten Objekt nicht zustehen, konnten derartige Ansprüche auch nicht nach §67
Abs. 1 VVG auf den Beklagten übergehen. Der Senat, der insoweit auf das
angefochtene Urteil verweist, stimmt dem Landgericht darin zu, daß hier das
Sachinteresse der Klägerin versichert war und sie deshalb nicht Dritte im Sinne des §67
VVG ist.
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6.
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Der Wiederbeschaffungswert und der von der Klägerin bereits abgesetzte Restwert sind
der Höhe nach unstreitig. Das Landgericht hat zu Recht im Rahmen der hier
einschlägigen von der Vollkaskoversicherung umfaßten Teilkaskoversicherung gemäß
§13 Abs. 9 AKB lediglich einen Selbstbehalt von 300,00 DM berücksichtigt. Das hat der
Beklagte mit der Berufung auch nicht angegriffen.
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Gemäß den §§284, 286 ZPO kann die Klägerin als Verzugsschaden die von ihr selbst
gezahlten Zinsen verlangen. Ausweislich der Kreditbescheinigung der Deutschen Bank
vom 10. Juli 1995 ist jedoch gegenüber der landgerichtlichen Entscheidung inzwischen
eine Reduzierung der von der Klägerin selbst zu zahlenden Zinshöhe erfolgt. Dem hat
der Senat durch die Einschränkung der Verurteilung Rechnung getragen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§92, 97, 708 Nr. 10, 712, 546 ZPO.
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