Urteil des OLG Hamm vom 20.01.2005

OLG Hamm: unterbrechung, begründung des urteils, säumnis, beendigung, grundstück, duldung, zwangsvollstreckung, ausnahme, streitgenosse, anfechtung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Normen:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Hamm, 27 U 162/04
20.01.2005
Oberlandesgericht Hamm
27. Zivilsenat
Urteil
27 U 162/04
Landgericht Arnsberg, 4 O 225/03
§ 17 AnfG, §§ 240, 538 ZPO
1.
Ein Urteil, das trotz Unterbrechung des Verfahrens nach § 17 Abs. 1 S. 1
AnfG ergangen ist, kann von allen beteiligten Parteien angefochten
werden, auch wenn die Unterbrechung fortdauert.
2.
Eine Berufung kann in diesem Fall nur zur Aufhebung und
Zurückverweisung führen.
3.
Über sie ist auch bei Säumnis des Berufungsbeklagten durch streitiges
Urteil zu entscheiden.
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 8. Juli 2004 verkündete
Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg und das zugrunde
liegende Verfahren ab dem 01.04.04 aufgehoben und der Rechtsstreit zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des
Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.
G r ü n d e :
A.
Die Klägerin ist Inhaberin mehrerer titulierter Ansprüche gegen den Ehemann der
Beklagten (im folgenden auch "Schuldner"). Sie hat die Duldung der Zwangsvollstreckung
in ein Grundstück und einen Pkw begehrt, weil sei der Meinung ist, beide Gegenstände
seien in einer nach dem Anfechtungsgesetz anfechtbaren Weise vom Schuldner auf die
Beklagte übertragen worden. Nachdem der Pkw zwischenzeitlich versteigert worden ist, hat
sie den Rechtsstreit insoweit teilweise für erledigt erklärt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz sowie die in erster Instanz
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getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug
genommen.
Am 01.04.2004 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet.
In Unkenntnis dieser Tatsache hat das Landgericht am 08.07.2004 mündlich verhandelt,
eine Beweisaufnahme durchgeführt und das angefochtene Urteil erlassen, mit dem es der
Klage stattgegeben hat. Hinsichtlich beider übertragenen Gegenstände habe die Klägerin
einen Duldungsanspruch nach §§ 11, 4 AnfG gehabt. Deshalb sei der Anspruch
hinsichtlich des Grundstücks begründet und hinsichtlich des Pkw erledigt. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie macht in erster Linie geltend, daß
das Landgericht kein Urteil mehr habe erlassen dürfen, weil das Verfahren mit der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nach §§ 17 Abs. 1
AnfG, 240 ZPO unterbrochen gewesen sei. Hilfsweise greift sie die materielle Begründung
des Urteils im einzelnen an.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht
zurückzuverweisen;
hilfsweise,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils und unter Aufhebung des
Versäumnisurteils des Landgerichts vom 20.11.2003 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin stellt keinen Antrag. Die Beklagte beantragt den Erlaß eines
Versäumnisurteils.
B.
Die Berufung hat Erfolg, soweit sie Aufhebung des angefochtenen Urteils und
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht begehrt.
I.
Die Berufung der Beklagten ist unbeschadet der eingetretenen Unterbrechung des
Rechtsstreits (s. dazu sogleich unten II.) zulässig. Denn die Rechtsfolge einer
Unterbrechung des Verfahrens gem. § 249 ZPO kann von allen beteiligten Parteien mit
einem Rechtsmittel geltend gemacht werden. Es ist zulässig, soweit mit ihm lediglich die
Unterbrechung geltend gemacht werden soll (vgl. BGH NJW 1995, 2563; 1997, 1445).
II.
Die Berufung ist auch begründet. Der Rechtsstreit war zum Zeitpunkt des Erlasses des
angefochtenen Urteils nach § 17 Abs. 1 S. 1 AnfG unterbrochen. Wegen der Unterbrechung
des Verfahrens hätte am 08.07.2004 weder mündlich verhandelt noch ein Urteil verkündet
werden dürfen; auf eine Kenntnis des Gerichts vom Unterbrechungsgrund kommt es nicht
an (BGH NJW 1995, 2563 m.w.N.).
1.
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Der Rechtsstreit betrifft jedenfalls hinsichtlich des Antrags, mit dem Duldung der
Zwangsvollstreckung in das Grundstück verlangt wird einen "von einem
Insolvenzgläubiger erhobenen Anfechtungsanspruch" (§ 16 Abs. 1 S. 1 AnfG). Denn die
Klägerin ist aufgrund der den Titeln zugrunde liegenden Ansprüche Insolvenzgläubigerin
des Schuldners.
2.
Das Verfahren über diesen Anfechtungsanspruch war zum Zeitpunkt der
Insolvenzeröffnung noch rechtshängig.
3.
Weitere Voraussetzungen für die Unterbrechung bestehen nicht. Soweit etwa Huber
(Kommentar zum Anfechtungsgesetz, 9. Aufl., § 17 Rdn. 1 und § 16 Rdn. 4) darüber hinaus
darauf hinweist, daß sich die Anfechtung auf Gegenstände beziehen muß, die vom
Insolvenzbeschlag erfaßt werden, bedeutet dies nur, daß es sich nicht um Gegenstände
handeln darf, die denkt man sich die angefochtene Rechtshandlung, die häufig in einer
Weggabe besteht, weg unter § 36 InsO fielen und ohnehin nie vom Insolvenzbeschlag
erfaßt werden könnten.
III.
Weil weder mündlich hätte verhandelt werden noch ein Urteil hätte ergehen dürfen, leidet
das Verfahren erster Instanz an einem wesentlichen Verfahrensmangel, der auch einen
absoluten Revisionsgrund darstellt, weil das Urteil zugunsten einer Partei ergangen ist, die
nicht nach der Vorschrift des Gesetzes vertreten war (denn die Anfechtungsansprüche
hätten nicht mehr von der Klägerin, sondern von dem Insolvenzverwalter geltend gemacht
werden müssen und können).
Auch nach dem seit dem 01.01.2002 geltenden Berufungsrecht sind alle absoluten
Revisionsgründe als Verfahrensmängel i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO anzusehen
(Musielak/Ball,ZPO, 4.A.2005, § 538 Rdn. 11 m.w.N.). Rechtsfolge dieses
Verfahrensmangels ist im vorliegenden Fall die Aufhebung des angefochtenen Urteils samt
des zugrunde liegenden Verfahrens, soweit es in die Zeit der Unterbrechung fällt, ohne daß
das in § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche weitere Erfordernis einer umfangreichen oder
aufwendigen Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht hinzutreten müßte. Denn die
Befugnis zur Rechtsmitteleinlegung trotz erfolgter Unterbrechung, also die Zulässigkeit des
Rechtsmittels trotz Unterbrechung rechtfertigt sich nur damit, die Folgen der Unterbrechung
geltend machen zu können. Nur deshalb setzt die Einlegung des Rechtsmittels die
Beendigung der Unterbrechung durch Aufnahme des Verfahrens nicht voraus, weil der
unterbrochene Rechtsstreit sachlich nicht weiterbetrieben wird (BGH NJW 1997, 1445).
Dieser Zweck bestimmt zugleich die Grenzen dieses Rechtsmittels: Es kann nur zur
Aufhebung und Zurückverweisung führen, damit der Rechtsstreit in die Lage versetzt wird,
in der er zur Zeit der Unterbrechung war. Alle weiteren Verfahrenshandlungen können erst
nach Beendigung der Unterbrechung erfolgen.
IV.
Das Urteil war auch insoweit aufzuheben und der Rechtsstreit zurückzuverweisen, als im
angefochtenen Urteil festgestellt worden ist, daß sich der Rechtsstreit im übrigen teilweise
erledigt hatte. Zwar handelt es sich nach dem Sinn von § 17 AnfG hierbei nicht mehr um ein
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Verfahren "über den Anfechtungsanspruch". Somit war dieser Teil des Rechtsstreits durch
die Insolvenzeröffnung auch nicht unterbrochen worden. Über ihn hätte aber wegen der
Unterbrechung im übrigen nur durch Teilurteil entschieden werden können. Ein solches
Teilurteil wäre jedoch unzulässig, weil es zu widersprüchlichen Entscheidungen führen
kann. Von dem Erfordernis, ein Teilurteil nur dann zuzulassen, wenn widersprüchliche
Entscheidungen ausgeschlossen sind, abzusehen, besteht anders als bei einer
Unterbrechung nach § 240 ZPO (vgl. BGH NJWRR 2003, 2002) keine Veranlassung. Denn
die in dem Fall von der Rechtsprechung gemachte Ausnahme beruht auf der Erwägung,
daß sonst der verbleibende Streitgenosse auf unabsehbare Zeit auf eine Entscheidung
warten müßte. Das ist im Fall der Unterbrechung nach dem Anfechtungsgesetz wegen der
Möglichkeiten des § 17 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 1 AnfG nicht der Fall.
V.
Trotz der Säumnis der Klägerin und Berufungsbeklagten war nicht durch Versäumnisurteil,
sondern durch streitmäßiges Urteil zu entscheiden. Denn wenn – wie hier - das
angefochtene Urteil an einem Mangel, der ihm die Eignung als Grundlage des weiteren
Verfahrens nimmt, leidet, so ist bereits ohne Rücksicht darauf, welche Partei säumig ist,
das angefochtene Urteil aufzuheben und an die erste Instanz zurückzuverweisen (vgl.
Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. A. 2005, § 539 Rdn. 2 m.w.N.).
Ein solches Urteil ist stets ein streitmäßiges Urteil und kein Versäumnisurteil (Albers a.a.O.;
BGH JR 1987, 26; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 16. A. 2004, § 139
Rdn. 2).
Die Kostenentscheidung ist dem Landgericht vorzubehalten. Die Voraussetzungen zur
Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.