Urteil des OLG Hamm vom 24.01.2008

OLG Hamm: gebühr, wirtschaftliches interesse, akteneinsicht, auflage, anklageschrift, bauer, leiter, marke, beschwerdeschrift, sachverständiger

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ws 528/07
Datum:
24.01.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ws 528/07
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, 2 KLs 372 Js 248/06 (23/07 a jug.)
Tenor:
Unter Verwerfung der Beschwerde des früheren Angeklagten wird der
ange-fochtene Beschluß auf die Anschlußbeschwerde abgeändert:
Die nach dem Urteil der 2. großen Strafkammer - Jugendkammer - des
Landgerichts Arnsberg vom 6. Juli 2007 aus der Staatskasse an den
früheren Angeklagten zu erstattenden notwendigen Auslagen werden -
unter Berücksichtigung bereits gezahlter Pflichtverteidigergebühren in
Höhe von 1.445,37 € - auf 482,15 € (in Worten:
vierhundertzweiundachtzig 15/100) nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 12.
Juli 2007 festgesetzt.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der
Anschlußbeschwerde.
Der Wert der Beschwerde wird auf 308,28 €, der Wert der
Anschlußbeschwerde auf 84,42 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der Angeklagte ist durch Urteil der 2. Großen Strafkammer - Jugendkammer - des
Landgerichts Arnsberg vom 6. Juli 2007 vom Vorwurf des schweren Raubes
rechtskräftig freigesprochen worden. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen
Auslagen des früheren Angeklagten sind der Landeskasse auferlegt worden.
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Mit Antrag vom 10. Juli 2007, der am 12. Juli 2007 bei dem Landgericht eingegangen ist,
hat der Angeklagte seine notwendigen Auslagen mit insgesamt 2.320,22 € zur
Festsetzung angemeldet. Wegen der Einzelheiten wird auf den Antrag Bl. 185 d.A.
Bezug genommen. Außerdem sind Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 1.445,37 €
antragsgemäß festgesetzt worden.
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Durch den angefochtenen Beschluß hat die Rechtspflegerin des Landgerichts die dem
Angeklagten zu erstattenden Auslagen über die Pflichtverteidigergebühren hinaus mit
566,57 € nebst Zinsen festgesetzt. Hiergegen wendet sich der ehemalige Angeklagte
mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er seinen über die Pflichtverteidigervergütung
hinausgehenden Auslagenanspruch in voller Höhe (874,85 €) weiterverfolgt.
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Der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm
hat zu dem Rechtsmittel Stellung genommen und unselbständige Anschlußbeschwerde
erhoben, soweit die notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten auf mehr als
482,15 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 12.
Juli 2007 festgesetzt worden sind.
6
II.
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Das zulässige Rechtsmittel des früheren Angeklagten hat keinen Erfolg. Auf die
unselbständige Anschlußbeschwerde waren die an den früheren Angeklagten zu
erstattenden notwendigen Auslagen auf lediglich 482,15 € nebst Zinsen herabzusetzen.
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Zur Sache hat der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des
Oberlandesgerichts Hamm wie folgt Stellung genommen:
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"Die Beschwerde ist m.E. jedoch unbegründet.
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Gemäß § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines
Beteiligten auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach
§ 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind.
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Unter "gesetzlichen Gebühren" im Sinne der §§ 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO, 91 Abs. 2
ZPO sind bei Rahmengebühren in Strafsachen die Gebühren zu verstehen, die der
Rechtsanwalt nach Teil 4 der Anlage 1 zum RVG unter Beachtung der
Bemessungskriterien des § 14 RVG berechnen kann.
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Gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG ist die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts für
die erstattungspflichtige Staatskasse allerdings nicht verbindlich, wenn sie unbillig
ist. In der Regel werden Abweichungen von bis zu 20 % von der angemessenen
Gebühr nicht als unbillig angesehen (vgl. Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen,
§ 14 RdNr. 52, 49; Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 17. Auflage, §14 RdNr. 12;
Riedel, Sußbauer, Fraunholz, RVG-Kommentar, 9. Aufl., § 14 RdNr. 4,
Anwaltskommentar, RVG, Gebauer/Schneider (Hrsg.), 2. Aufl., § 14 RdNr. 83).
13
Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG ist die Bedeutung der Angelegenheit für den
Betroffenen zu berücksichtigen. Hierbei ist entscheidend, welche Auswirkungen
die Angelegenheit für ihn hatte, was sein persönliches, ideelles und
wirtschaftliches Interesse am Ausgang der Angelegenheit im Hinblick auf den von
ihm erhofften bzw. erzielten Erfolg ist (Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 17. Auflage, §
14 RdNr. 28 f.). Grundsätzlich hat jedes Strafverfahren für den Angeklagten eine
hohe Bedeutung.
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Der Angeklagte war vorher strafrechtlich geringfügig in Erscheinung getreten (BI.
41, 44). Ihm drohte nach der Anklage nunmehr eine mehrjährige Haftstrafe bzw.
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Jugendstrafe. Insofern ist die Bedeutung dieses Verfahrens für den Betroffenen
überdurchschnittlich hoch einzustufen.
Zudem sind gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bei der Gebührenbestimmung die
Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers zu berücksichtigen.
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Bei der Bewertung der Einkommensverhältnisse des Mandanten ist von den
durchschnittlichen Verhältnissen in Deutschland auszugehen. Diese liegen derzeit
bei einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von rund 2.300 € (vgl. Burhoff,
RVG, § 14 Rn. 30). Maßgebend sind die wirtschaftlichen Verhältnisse zur Zeit der
Auftragserteilung bzw. der Fälligkeit, je nachdem, in welchem Zeitpunkt sie besser
sind (Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 17. Auflage, § 14 RdNr. 18).
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Ich bewerte die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nach den Angaben
des Bezirksrevisors vom 24.08.2007 (BI. 189), denen ausweislich der Akte nichts
hinzuzufügen ist und die auch nicht in Zweifel gezogen wurden, als
unterdurchschnittlich.
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Gem. § 14 Abs. 1 S. 2 RVG kann ein besonderes Haftungsrisiko des
Rechtsanwalts bei der Bemessung der Gebühren herangezogen werden.
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Bei strafrechtlichen Mandanten ist das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts wegen
des Amtsermittlungsgrundsatzes und des Verbots, dem Angeklagten das
Verschulden seines Anwalts zuzurechnen, in aller Regel nicht übermäßig
ausgeprägt (vgl. Jungk, AnwBI. 1998, 152; Vollkommer/Heinemann,
Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl., RdNr. 805). Dass der vorliegende Fall anders
gelagert ist und hier ein überdurchschnittliches Haftungsrisiko bestand, vermag ich
nicht zu erkennen.
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Weitere Bemessungskriterien sind gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG der Umfang und
die Schwierigkeit der Tätigkeit des Verteidigers.
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Grundgebühr VV 4100 der Anlage 1 zum RVG:
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Mit der Grundgebühr soll die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall abgegolten
werden. Nach der Gesetzesbegründung ist damit der Arbeitsaufwand gemeint, der
einmalig mit der Übernahme des Mandats entsteht. Das ist zunächst das erste
Gespräch mit dem Mandanten. Abgegolten wird von der Gebühr auch die (erste)
Beschaffung der erforderlichen Information. Das ist insbesondere normalerweise
auch eine erste Akteneinsicht. Darüber hinaus werden sämtliche übrige
Tätigkeiten, die in zeitlichem Zusammenhang mit der Übernahme des Mandats
anfallen, von der Grundgebühr erfasst (Burhoff, RVG, Nr. 4100 VV Rn 12 - 14).
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Ausweislich der Akten hat der Rechtsanwalt nach seinem ersten Auftreten mit
Schriftsatz vom 18.09.2006 (BI. 83) Akteneinsicht im November 2006 erhalten.
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Der Beschwerdeführer hebt in seiner Beschwerde hervor, dass der Rechtsanwalt
bei der Durchsicht der Ermittlungsakte allein 2 andere Verfahren, die bei der
Staatsanwaltschaft Arnsberg durchgeführt wurden, geprüft habe, im Einzelnen die
Anklageschrift aus dem Jahre 1998 sowie das Urteil des Amtsgerichts Arnsberg
vom 03.06.1998.
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Die genannte Anklageschrift war mit 2 Seiten eher kurz (BI. 39 f.). Hinsichtlich des
genannten Urteils wird davon ausgegangen, dass das ebenfalls eher kurze 3-
seitige Urteil vom 26.05.1998 gemeint ist (BI. 41 ff.), das zum genannten Zeitpunkt
am 03.06.1998 rechtskräftig wurde. Die Aktenanforderung der den Verfahren
zugrunde liegenden Akten ist ausweislich der vorliegenden Akten dieses
Verfahrens nicht feststellbar. Ob nun die Auseinandersetzung mit diesen
Unterlagen der Grundgebühr oder der Gebühr für das vorbereitende Verfahren
zuzuordnen ist, ist nicht erheblich, denn eine überdurchschnittliche Schwierigkeit
bzw. ein überdurchschnittlicher Umfang kann daraus nicht hergeleitet werden. Mit
insgesamt 41 Seiten Aktenumfang bis zur ersten Akteneinsicht ist ein
überdurchschnittlicher Umfang nicht zu erkennen. Die Schwierigkeit wird ebenfalls
nicht als überdurchschnittlich eingestuft.
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Insgesamt betrachtet erachte ich im Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG höchstens die
Mittelgebühr i.H.v. 165 € für angemessen und ausreichend. Der angemeldete
Betrag liegt äußerst knapp über der 20%-Marke, so dass ich gegen den Ansatz des
beantragten Betrages von
200 €
vorgeschlagen und vom Gericht festgesetzt - keine Bedenken habe.
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Verfahrensgebühr VV 4104 der Anlage 1 zum RVG
28
für das vorbereitende Verfahren:
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Der Rechtsanwalt verfasste mehrere Schreiben (BI. 86 f., 97, 99 f.) und erhielt ein
weiteres Mal Akteneinsicht (BI. 93/94). Die Tätigkeiten sind nicht als
überdurchschnittlich schwierig oder umfangreich zu werten.
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Die in der Beschwerdeschrift hervorgehobenen Bemühungen, die entsprechenden
Verfahrens- und Aktenzeichen zu erhalten, ändern daran nichts.
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Insgesamt betrachtet erachte ich im Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG auch hier
höchstens die Mittelgebühr i.H.v.
140 €
dem Rechtsanwalt angemeldete Gebühr über 200 € ist für die Landeskasse
unverbindlich, weil sie den o.g. Betrag um mehr als 20 % überschreitet.
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Verfahrensgebühr VV 4112 der Anlage 1 zum RVG:
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Der Anwalt verfasste einige Schreiben (BI. 109, 111, 112 f.) und führte ein
Telefonat mit dem Gericht (BI. 111 R). Das gerichtliche Verfahren war mit unter 4
Monaten vergleichsweise kurz. Die Tätigkeiten sind auch hier nicht von
überdurchschnittlicher Schwierigkeit oder überdurchschnittlichem Umfang.
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Gegen die vom Landgericht und dem Bezirksrevisor für angemessene (Senat:
angemessen erachtete) Gebühr i.H.v.
186 €
jedenfalls nicht zu niedrig. Die von dem Rechtsanwalt angemeldete Gebühr über
250 € ist für die Landeskasse unverbindlich, weil sie den o.g. Betrag um mehr als
20 % überschreitet.
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Terminsgebühr VV 4114 der Anlage 1 zum RVG
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für den Termin am 29.06.2007 (BI. 151 ff.):
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Zunächst ist auszuführen, dass das wesentliche Kriterium bei der Terminsgebühr
die Dauer des Termins ist (Riedel, Sußbauer, RVG, Kommentar, 9. Auflage, VV
Teil 4 Abschnitt 1, Rn 55), wobei nach herrschender Meinung Warte- und
Pausenzeiten in die Terminsdauer grundsätzlich einzurechnen sind (vgl. u.a.
Beschluss des OLG Hamm vom 07.03.2006, 3 Ws 583/05, veröff. in AGS 2006, 337
- 339 (red. Leitsatz und Gründe) und unter jurisweb.de; Beschluss des OLG Hamm
vom 28.06.2006, 2 (s) Sbd IX - 1/06, 2 (s) Sbd 9 - 1/06, 2 (s) Sbd IX - 14/06, 2 (s)
Sbd 9 - 14/06, veröff. in JurBüro 2006, 533 - 534 (red. Leitsatz und Gründe) und
unter jurisweb.de; Aufsatz von Burhoff im RVGreport 2006, 1 ff.). Die in den
Entscheidungen für den Pflichtverteidiger ausgesprochenen Grundsätze gelten
m.E. auch für den Wahlverteidiger.
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Es ist somit eine Terminsdauer von 3 Stunden und 10 Minuten zu berücksichtigen,
die als unterdurchschnittlich lang zu beurteilen ist.
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Der Angeklagte äußerte sich zur Sache, und es wurden 3 Zeugen vernommen. Das
Gericht erteilte den Hinweis, dass auch eine Verurteilung nach §§ 249, 250 Abs. 2
Nr. 2 StGB in Betracht komme.
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Gegen die vom Landgericht und dem Bezirksrevisor für angemessen gehaltene
Gebühr i.H.v.
270 €
Rechtsanwalt angemeldete Gebühr über 400 € ist für die Landeskasse
unverbindlich, weil sie den o.g. Betrag um mehr als 20 % überschreitet.
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Soweit der Antragsteller dabei auch auf Stundenhonorare hinweist, bleibt
anzumerken, dass das RVG zwar den Zeitaufwand des Rechtsanwaltes stärker
berücksichtigen will. Es hat aber dennoch im Teil VV RVG nicht Zeithonorare
eingeführt, sondern es bei Betragsrahmengebühren belassen (vgl. Beschluss des
hiesigen 2. Strafsenats vom 17.02.2005 in 2 (s) Sbd. VIII 11/05 und 21.02.2007 in 2
(s) Sbd. IX - 10/07).
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Terminsgebühr VV 4114 der Anlage 1 zum RVG
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für den Termin am 06.07.2007 (Bl. 153 ff.):
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Der zweite Termin am 06.07.2007 war mit 5 Stunden und 5 Minuten
durchschnittlich lang. Es wurden 2 Zeugen vernommen, 1 Sachverständiger
erstattete sein Gutachten. Auf die Vernehmung von 2 Zeugen wurde verzichtet. Die
Vertreterin der Jugendgerichtshilfe erstattete ihren Bericht. Die Beteiligten erhielten
zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. Das Schlussplädoyer ist zu
berücksichtigen.
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Die im angefochtenen Beschluss berücksichtigte Gebühr i.H.v.
324 €
hier für zutreffend. Die von dem Rechtsanwalt angemeldete Gebühr über 400 € ist
für die Landeskasse unverbindlich, weil sie den o.g. Betrag um mehr als 20 %
überschreitet.
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Weitere Auslagen:
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Gegen den Ansatz der weiteren Auslagen habe ich keine Bedenken.
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Es ergibt sich inkl. Umsatzsteuer eine Summe von
482,15
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Gebühr Nr. VV RVG
Termin
Betrag
50
4100
200,00 €
4104
140,00 €
4112
186,00 €
4114
1. Termin
270,00 €
4114
2. Termin
324 00 €
51
weitere Auslagen
479 60 €
Summe
1.599,60 €
Ust.
303,92 €
Brutto
1.903,52 €
Aktenvers.p.
24,00 €
Summe
1.927,52 €
abzgl. Pflichtvert.verg.
-1.445,37 €
Rest:
482,15 €
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Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat mit dem Bemerken an, daß
die Mittelgebühr der Verfahrensgebühr VV 4112 175,00 € beträgt, so daß die
festgesetzte Gebühr von 186,00 € für diesen in jeder Hinsicht allenfalls
durchschnittlichen Verfahrensabschnitt in jedem Fall ausreichend bemessen ist. Auch
gegen den Ansatz der Mittelgebühr für den Termin am 29. Juni 2007 sowie den Ansatz
der um 20% erhöhten Mittelgebühr für den Termin am 6. Juli 2007 ist jedenfalls aus
Sicht des Angeklagten nichts zu erinnern.
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