Urteil des OLG Hamm vom 02.05.2006

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Oberlandesgericht Hamm, 15 W 35/06
Datum:
02.05.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 35/06
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 23 T 858/05
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das
Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Gerichtskosten und die
Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens der
sofortigen weiteren Beschwerde zu entscheiden hat.
Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren
Beschwerde wird auf 2.000 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
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Die Beteiligte zu 1) ist Eigentümerin einer im 1. Obergeschoss der
Wohnungseigentumsanlage Y-Straße in C gelegenen Wohnung. Zu dieser Wohnung
gehört ein Balkon. Die Beteiligte zu 1) hat bereits seit längerem an der Außenseite der
Balkonbrüstung Blumenkästen angebracht. Hierüber kam es zwischen ihr und der
Miteigentümerin Y zum Streit. Auf Antrag von Frau Y fasste die
Wohnungseigentümerversammlung am 23.5.05 unter Tagesordnungspunkt 5 folgenden
Beschluss:
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Beschlussfassung über den Antrag der Eigentümerin Y, das Aufhängen von
Blumenkästen nur balkoninnenseitig zu genehmigen. Das Aufhängen von
Blumenkästen an der Außenseite der Balkonbrüstung soll untersagt werden, um
Verschmutzungen der darunter befindlichen Terrassen zu vermeiden.
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Den gegen diesen Eigentümerbeschluss gerichteten, rechtzeitig gestellten
Beschlussanfechtungsantrag der Beteiligten zu 1) hat das Amtsgericht durch Beschluss
vom 3.11.2005 zurückgewiesen. Mit der rechtzeitig erhobenen sofortigen Beschwerde
hat die Beteiligte zu 1) ihren Antrag weiterverfolgt. Das Landgericht hat durch Beschluss
vom 23.12.2005 die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet
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sich die Beteiligte zu 1) mit der sofortigen weiteren Beschwerde vom 16.1.2006.
II.
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Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) ist nach § 45 Abs. 1 WEG,
§§ 27, 29 Abs. 1 und 2 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist ohne
Rücksicht auf den Beschwerdewert zulässig, weil sie sich dagegen richtet, dass die
sofortige Erstbeschwerde als unzulässig verworfen worden ist (BGHZ 119, 216).
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In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,
weil das Landgericht die sofortige Erstbeschwerde zu Unrecht als unzulässig verworfen
hat.
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Nach § 45 Abs. 1 WEG ist gegen die Entscheidung des Amtsgerichts im Verfahren nach
dem Wohnungseigentumsgesetz die sofortige Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert
des Gegenstandes der Beschwerde 750 € übersteigt. Der Beschwerdewert ist dabei
ausschließlich nach der Beschwer des Rechtsmittelführers, also seinem Interesse an
der Änderung der angefochtenen Entscheidung zu bemessen. Es kommt danach nicht
darauf an, welche Bedeutung die vom Amtsgericht getroffene Regelung für den
Antragsteller oder die Eigentümergemeinschaft insgesamt hat. Maßgebend ist vielmehr
die vermögensmäßige Beeinträchtigung allein des Beschwerdeführers, die sich für ihn
ergibt, wenn es bei der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts verbleibt (BGH,
a.a.O.).
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Das Landgericht hat die Beschwer der Beteiligten zu 1) mit bis zu 300 € bewertet und
hierzu ausgeführt: Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass die Antragstellerin nicht
verpflichtet sei, die Blumenkästen auf der Balkoninnenseite anzubringen, sie könne
auch ganz auf Blumenkästen verzichten. Aber auch bei einem Anbringen auf der
Innenseite sei die vermögenswertmäßige Nutzung des Balkons nicht in einer Höhe, die
750 € übersteige, beeinträchtigt. Die Antragstellerin könne den Balkon auch in diesem
Falle vollständig und in vergleichbarer Art nutzen wie bisher. Allenfalls müsse sie sich
neue Balkonkästen anschaffen.
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Nach Auffassung des Senats übersteigt vorliegend die Beschwer der Beteiligten zu 1)
den Wert von 750 €. Maßgeblich ist insoweit, wovon auch das Landgericht
ausgegangen ist, deren Interesse, die Blumenkästen weiterhin an der Außenseite ihres
Balkons aufhängen zu können. Es hat sich jedoch nicht hinreichend mit der
Argumentation der Beteiligten zu 1) auseinandergesetzt, bei einem Anbringen auf der
Innenseite werde die nutzbare Tiefe des Balkons deutlich verringert, nämlich von 1,30 m
auf etwa 1,00 m. Es drängt sich auf, dass bei einer ohnehin nur recht geringen Tiefe des
Balkons eine solche Einbuße die Nutzbarkeit deutlich einschränkt. Es ist nicht
erkennbar, worauf sich das Landgericht bei seiner Feststellung stützt, der Balkon könne
dennoch vollständig wie bisher genutzt werden. Ein Ortstermin hat jedenfalls nicht
stattgefunden.
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Ein vollständiger oder weitgehender Verzicht auf eine Blumenbepflanzung stellt auch
bei objektiver Betrachtung ebenfalls eine erhebliche Einschränkung der Nutzbarkeit dar,
da in weiten Kreisen die Möglichkeit einer Gestaltung des Balkons mit Pflanzen als
wesentlicher Bestandteil der Balkonnutzung empfunden wird.
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Bei der Bewertung der Beschwer ist weiter zu berücksichtigen, dass bei einer
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Bestandskraft des Beschlusses diese Einschränkungen der Nutzbarkeit auf Dauer
bestehen werden. In diesem zeitlichen Moment liegt auch ein wesentlicher Unterschied
zu der vom Landgericht angeführten Entscheidung des Senats im Verfahren 15 W
71/05, der ein einmaliger und zeitlich beschränkter sowie im übrigen auch völlig anders
gearteter Vorgang zugrunde lag.
Ob, wie die Rechtsbeschwerde meint, die Berechnung der Beschwer anhand des
Quadratmeterpreises und dem Ausmaß, um den durch die innenhängenden
Balkonkästen die Nutzfläche des Balkons verringert wird, erfolgen, bedarf keiner
Entscheidung. Bei aller Schwierigkeit, das Interesse der Beteiligten zu 1) zahlenmäßig
exakt zu beziffern, ist jedenfalls unter Berücksichtigung der oben ausgeführten
Gesichtspunkte die Beschwer mit 300 € zu niedrig bemessen. Eine Bewertung mit
1.000,00 € erscheint sachangemessen.
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Da die Erstbeschwerde auch sonst zulässig ist, war die Entscheidung des Landgerichts
aufzuheben. Eine Sachentscheidung durch den Senat als Rechtsbeschwerdegericht
kam nicht in Betracht, da noch eine weitere Sachaufklärung notwendig ist.
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Mit dem in der Eigentümerversammlung vom 23.5.2005 gefassten Beschluss haben die
Wohnungseigentümer mehrheitlich den Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums
geregelt (§ 15 Abs. 2 WEG). Ob dieser Beschluss, gegen dessen formell
ordnungsgemäßes Zustandekommen von der Beteiligten zu 1) keine Bedenken
erhoben werden, auch materiell Bestand haben kann, hängt davon ab, ob er eine
zulässige Regelung des ordnungsgemäßen Gebrauches darstellt. Ob ein Gebrauch
ordnungsmäßig ist, richtet sich nach der Verkehrsanschauung und bietet einen
gewissen Ermessensspielraum. Ordnungsmäßig ist der Gebrauch, den § 14 WEG
gestattet und der nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Die Einzelheiten sind
anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der
Beschaffenheit und Zweckbestimmung des gemeinschaftlichen Eigentums bei
Beachtung des Gebots der allgemeinen Rücksichtnahme in Abwägung der allseitigen
Interessen zu ermitteln (BGH NJW 2000, 3211 f.). Die Entscheidung liegt weitgehend
auf dem Gebiet tatrichterlicher Würdigung (BayObLG NZM 2002, 569). Dabei ist auch zu
berücksichtigen, dass die Balkonaußenwände und -brüstungen gemäß § 5 Abs. 1 und
Abs. 2 WEG zwingend gemeinschaftliches Eigentum sind (vgl. BGH NJW 1985, 1551;
BayObLGZ 1974, 269/271 f.). Die Regelungsbefugnis der Eigentümergemeinschaft geht
hier grundsätzlich weiter als bei der Nutzung des Sondereigentums
(Staudinger/Kreutzer, Stand: 2006, § 15 WEG, Rdnr. 50). Ob und in welcher Weise das
Anbringen von Blumenkästen eingeschränkt werden kann, ist nach den konkreten
Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Nicht erforderlich ist, dass von den
Blumenkästen eine konkrete Gefährdung ausgeht (BayObLG WuM 1991, 512).
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Auch soweit sich die Beteiligte zu 1) in der Sache gegenüber dem Beschluss auf den
Gesichtspunkt einer langjährigen stillschweigenden Duldung der bisher von ihr
praktizierten Nutzung beruft, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung nicht
möglich. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Vortrag der Beteiligten zu 1) hierzu
bereits widersprüchlich ist, da sie einerseits einen jahrelangen "Kleinkrieg" mit der
Miteigentümerin Y wegen der Blumenkästen beklagt, andererseits behauptet, diese
fühle sich erst seit kurzem gestört. Die Miteigentümerin Y selbst will ausweislich ihres
Schreibens vom 21.5.05 bereits 1995 das Thema in einer Eigentümerversammlung
angesprochen haben. Sollte ersteres zutreffen, so kann angesichts des bestehenden
Streites von einem schutzwürdigen Vertrauen der Beteiligten zu 1) dahingehend, die
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Blumenkästen auch weiterhin außen anbringen zu können, nicht ausgegangen werden.
Im übrigen steht aber eine längere Duldung der bisherigen Nutzung des
Gemeinschaftseigentums einem Beschluss nach § 15 Abs. 2 WEG nicht grundsätzlich
entgegen, insbesondere dann nicht, wenn ein verständlicher Grund für die
Beschlussfassung vorliegt (BayObLG WuM 1991, 512).
Es erscheint deshalb sachgerecht, wenn diese tatsächlichen Gesichtspunkte in einer
mündlichen Verhandlung vor der Kammer, die bisher nicht stattgefunden hat, im
einzelnen erörtert werden.
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Das Landgericht wird bei seiner erneuten Entscheidung darauf achten müssen, dass im
Beschlussrubrum seiner Entscheidung die am Verfahren beteiligten weiteren
Wohnungseigentümer entweder namentlich aufgeführt werden oder dort auf eine der
Entscheidung beigefügte Liste Bezug genommen wird. Da dieser nach gefestigter
Rechtsprechung (vgl. etwa BayObLG FGPrax 2001, 189; 2005, 108) erforderlichen
Handhabung ist auch nach der Entscheidung des BGH zur Teilrechtsfähigkeit der
Wohnungseigentümergemeischaft (NJW 2005, 2061) festzuhalten, sofern – wie hier in
einer Angelegenheit der gemeinschaftlichen Verwaltung weiterhin die einzelnen
Miteigentümer persönlich am Verfahren zu beteiligen sind.
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Die Wertfestsetzung für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde beruht auf §
48 Abs. 3 S. 1 WEG. Für das Interesse des Verfahrenswertes ist auf das Interesse aller
Beteiligten an der Entscheidung abzustellen, also auf das Interesse der übrigen
Wohnungseigentümer an der Aufrechterhaltung der amtsgerichtlichen Entscheidung
sowie das Interesse der Beteiligten zu 1). Dieses Gesamtinteresse bewertet der Senat
mit 2.000,00 €.
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