Urteil des OLG Hamm vom 14.10.2003
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Oberlandesgericht Hamm, 4 Ss OWi 604/03
Datum:
14.10.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ss OWi 604/03
Vorinstanz:
Amtsgericht Menden, 8 OWi 130 Js - OWi 900/02 (189/02)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über
die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Menden
zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Das Amtsgericht Menden hat gegen den Betroffenen "wegen Führen eines
Kraftfahrzeugs unter Einfluss berauschender Mittel (Cannabis) ein Fahrverbot von zwei
Monaten Dauer verhängt". Auf die Festsetzung einer Geldbuße hat es nicht erkannt.
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Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Betroffene in der Nacht von 15. Juni
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zum 16. Juni 2002 auf einer privaten Feier Alkohol getrunken und Marihuana geraucht.
Am frühen Abend des 17. Juni 2002 (einem Montag) gegen 17.55 Uhr
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fuhr er mit einem Motorroller der Marke Vespa in N im Bereich T-Weg/C-Straße. Er
geriet in eine allgemeine Verkehrskontrolle. Aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes
(Augen) des Betroffenen sahen sich die Polizeibeamten
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veranlasst, die Entnahme einer Blutprobe anzuordnen, die am 17. Juni 2002 um
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18:20 Uhr entnommen wurde. Die Blutprobe wurde von dem Sachverständigen
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Prof. Dr. E untersucht, der in seinem Gutachten vom 12. August 2002 zu folgendem
Befundergebnis kam:
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Tetrahydrocannabinol (THC) 3,0 ng/mL
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11-OH-THC (THC-Metabolit): nicht sicher bestimmbar
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THC-COOH (THC-Metabolit): 5,0 ng/mL
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Cannabis Influence Factor (CIF): > 30.
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Das Amtsgericht wertet das Geschehen als Zuwiderhandlung gegen § 24 a StVG.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg
mit der näher ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Sowohl die örtliche
Staatsanwaltschaft als auch die Generalstaatsanwaltschaft beantragen, das
angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und an eine andere
Abteilung des Amtsgerichts Menden zurückzuverweisen.
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Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils in vollem
Umfang.
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Die sich ohne ausdrückliche Erklärung hier aus den Anträgen der örtlichen
Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft ergebende Beschränkung der
Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist zwar grundsätzlich statthaft. Sie
wird aber nur wirksam, wenn das angefochtene Urteil die Überprüfung des
Rechtsfolgenausspruchs ermöglicht. Die Beschränkung ist aber nicht möglich und damit
unwirksam, wenn die Feststellungen im Urteil zur Tat - hier zur inneren Tatseite - so
knapp, unvollständig oder unklar sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die
Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., §
318 Rdnr. 16 m.w.N.). So liegt hier der Fall. Weder der Tenor noch die Urteilsgründe
lassen erkennen, ob das Amtsgericht Menden von einer fahrlässigen oder vorsätzlichen
Zuwiderhandlung gegen § 24 a StVG ausgegangen ist. Die Schuldform ergibt sich auch
nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Ohne dies näher darzulegen,
hat das Amtsgericht "ein geringeres Verschulden" unterstellt. Den weiteren
Ausführungen ist nicht zu entnehmen, aus welchen Feststellungen das Amtsgericht
überhaupt einen Schuldvorwurf herleitet. Es hat hierzu ausgeführt:
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"Das Gericht wird in dieser Auffassung durch das Gutachten des Sachverständigen
Prof. Dr. E gestützt, wonach bei dem Betroffenen davon
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auszugehen ist, dass dieser kein regelmäßiger Drogenkonsument ist, bei
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ihm also auch keine Erfahrungswerte über Dauer und Auswirkungen des
Cannabis-Konsums vorlagen. Aus dem Gutachten ergibt sich zugleich, dass zum
Tatzeitpunkt objektiv keine Anhaltspunkte für eine rauschmittelbedingte
Fahruntüchtigkeit vorlagen, so dass es verständlich erscheint, dass der Betroffene
am Abend des 17. Juni 2002 selbst davon ausging, dass es keinerlei
Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit gebe."
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Feststellungen, aus denen ein vorwerfbares Verhalten und entsprechende Erkenntnisse
des Betroffenen hergeleitet werden können, sind dem angefochtenen Urteil also nicht zu
entnehmen.
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Mangels dahingehender Feststellungen war das Rechtsbeschwerdegericht nicht in der
Lage, den Schuldgehalt der Tat zu würdigen. Schon dieser Rechtsfehler führt zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang.
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Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch der
Rechtsfolgenausspruch rechtlichen Bedenken unterliegt. Nach dem ausdrücklichen
Wortlaut des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG ist die Verhängung eines Fahrverbots nur bei
Festsetzung einer Geldbuße möglich. Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft in
ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass diese Auffassung dem System des
Ordnungswidrigkeitenrechts, das keine Strafe kennt und die Verhängung eines
Fahrverbots nur als Nebenfolge ansieht, entspricht (vgl. auch Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, § 25 StVG Rdnr. 11 und 13). Die von dem Amtsgericht
mitgeteilten jugendrechtlichen Aspekte rechtfertigen kein anderes Ergebnis.
Insbesondere können jugendrichterliche Weisungen und Anordnungen, etwa auf der
Grundlage des § 10 JGG, nicht als Schuldausgleich für Straßenverkehrsdelikte
angeordnet werden (vgl. Eisenberg, JGG, § 10 Rdnr. 32).
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Von der Möglichkeit der beantragten Verweisung an eine andere Abteilung des
Amtsgerichts Menden gemäß § 79 Abs. 6 OWiG hat der Senat im Hinblick auf die Sach-
und Rechtslage keinen Gebrauch gemacht.
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