Urteil des OLG Hamm vom 17.01.2002

OLG Hamm: transport, unfall, unternehmen, aufgabenbereich, anhörung, ware, ausstattung, initiative, fahren, unverzüglich

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 6 U 132/01
17.01.2002
Oberlandesgericht Hamm
6. Zivilsenat
Urteil
6 U 132/01
Landgericht Bielefeld, 2 O 122/01
Die Berufung des Klägers gegen das am 12. Juni 2001 veründete Urteil
der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschwer des Klägers (zugleich Streitwert der Berufung): 19.905,90 DM
= 10.177,73 Euro.
Entscheidungsgründe
I.
Der Kläger begehrt Schadensersatz (insbesondere Verdienstausfall), ein angemessenes
Schmerzensgeld (Vorstellung: 15.000,- DM) sowie die Feststellung der Ersatzpflicht
weiterer materieller und immaterieller Schäden nach einem Unfallereignis vom 06.01.2000
auf dem Betriebsgelände der Beklagten.
Der Kläger ist als LKW-Fahrer für die Speditionsfirma ... tätig. Er hatte seinen LKW an die
Laderampe der Beklagten gefahren, wo dieser mit Kunststoffteilen beladen werden sollte,
die der Kläger anschließend zu Mercedes Benz transportieren sollte. Das Beladen des
LKW war Aufgabe der Beklagten. Weil deren Personal zu diesem Zeitpunkt aber
anderweitig beschäftigt war, begann der Kläger nach Rücksprache mit dem Lagermeister
der Beklagten damit, den LKW selbst zu beladen. Während dieser Tätigkeit kam es unter
im einzelnen streitigen Umständen zu einer Kollision mit einem von einem Angestellten der
Beklagten gefahrenen Gabelstapler, der anderweitige Arbeiten auf der Laderampe
ausführte. Der Kläger erlitt schwerwiegende Quetschungen am rechten Fuß. Er behauptet
unfallbedingte Lohneinbußen bis Mitte August 2000.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es greife die Haftungsbeschränkung des §104
Abs. 1 S. 1 SGB VII ein. Der Kläger sei hier wie ein Arbeitnehmer der Beklagten tätig
geworden.
Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen die rechtliche Beurteilung des
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Landgerichts. Er sei in erster Linie im Interesse seines eigenen Arbeitgebers an alsbaldiger
Weiterfahrt tätig geworden. Wenn eine Aufgabe wahrgenommen werde, die sowohl in den
Bereich des Stammunternehmens als auch in den des Unfallunternehmens falle, sei nach
der höchstrichterlichen Rechtsprechung anzunehmen, daß der Verletzte allein zur
Förderung der Interessen des Stammunternehmens tätig geworden sei, so daß der
Versicherungsschutz in dem Unfallbetrieb nicht ausgelöst werde.
II.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet.
Das Landgericht hat mit Recht eine Haftung der Beklagten für die Verletzungen des
Klägers aus dem Unfall vom 06.01.2000 verneint, weil die Haftungsfreistellung gem. §104
Abs. 1 S. 1 SGB VII eingreift.
Nach §104 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die für ihr
Unternehmen tätig sind oder zu ihrem Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung
begründenden Beziehung stehen, nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des
Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den
Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach §8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII
versicherten Weg herbeigeführt haben. Zu den Versicherten im Sinne des SGB VII zählen
nicht nur die aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten (§2 Abs.
1 S. 1 SGB VII), sondern gem. §2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII auch die Personen, die wie ein
nach Abs. 1 Nr. 1 Versicherter tätig werden. Als derartiger "Wie-Beschäftigter" der
Beklagten hat der Kläger hier den Unfall erlitten. Da eine vorsätzliche Schädigung oder ein
Wegeunfall ersichtlich nicht vorliegen und vom Kläger auch nicht geltend gemacht werden,
bleibt es bei der Haftungsfreistellung der Beklagten.
Der Umstand, daß das Motiv des Klägers für die Übernahme der Beladung des LKW darin
lag, möglichst schnell die Weiterfahrt antreten zu können und dadurch auch Interessen
seines eigenen Arbeitgebers, der Speditionsfirma, wahrgenommen wurden, ändert nichts
an der Haftungsfreistellung der Beklagten. Nach der einschlägigen höchstrichterlichen
Rechtsprechung (ergangen zu der früheren Regelung des §636 RVO, die ab dem
01.01.1997 in den hier entscheidenden Passagen unverändert in §104 Abs. 1 S. 1 SGB VII
übernommen worden ist) kommt es für die maßgebliche Frage, ob der Verletzte für den
Unfall-/ oder seinen Stammbetrieb tätig geworden ist, allein darauf an, welchem
Aufgabenbereich seine Tätigkeit zuzuordnen ist (vgl. BGH, NJW 1996, 2937 = r + s 1996,
445) bzw. durch welches Unternehmen die Tätigkeit, bei der die Verletzung entstanden ist,
ihr Gepräge erhalten hat (vgl. BGH, r + s 1998, 197). Entscheidend ist die
Zweckbestimmung der Tätigkeit, auf die Beweggründe kommt es nicht an (vgl. BGH, NJW
1987, 1022 = r + s 1987, 228).
Nach diesen Kriterien ist die Tätigkeit, bei der der Kläger den Unfall erlitten hat, eindeutig
der Beklagten zuzuordnen. Der Kläger hat zum Zeitpunkt des Unfalls eine Ladetätigkeit
ausgeübt. Das Beladen des LKW gehörte nicht zum Aufgabenbereich seines
Stammbetriebs. Dieser hatte nur den Transport der Ware von der Beklagten zum
Empfängerbetrieb auszuführen. Die Ladetätigkeit war vielmehr Aufgabe der Beklagten, die
hierzu eigenes Personal beschäftigte. Nur weil dieses Personal zum maßgeblichen
Zeitpunkt mit anderen Tätigkeiten befaßt war, übernahm der Kläger die Beladung selbst,
wobei er eine sogenannte Elektro-Ameise benutzte, die zur Ausstattung des Betriebs der
Beklagten gehörte. Die Tätigkeit erhielt danach ihr Gepräge durch das Unfallunternehmen,
also die Beklagte. Der Kläger hat bei seiner erstinstanzlichen Anhörung selbst vorgetragen,
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vom Lademeister der Beklagten ausdrücklich aufgefordert worden zu sein, den
Ladevorgang selbst vorzunehmen, falls er termingerecht losfahren wolle. Aber auch wenn
er, wie die Beklagte vorträgt, aus eigener Initiative den Lademeister gefragt haben sollte, ob
er schon mit der Beladung beginnen könne, ändert sich an der Einordnung seiner Tätigkeit
nichts. Der Kläger hat jedenfalls nach Absprache mit dem verantwortlichen Angestellten
der Beklagten eine Arbeit ausgeführt, die allein der Beklagten oblag. Er ist insoweit gerade
in der Unternehmenssphäre der Beklagten tätig geworden. Aus der Aufgabenteilung der
Betriebe - Beladung einerseits, Transport andererseits - ergibt sich auch die Zuordnung der
Tätigkeit im Unfallzeitpunkt.
Die von der Berufungsbegründung herausgestellte Entscheidung des BGH in NJW 1996,
2937 = r + s 1996, 445, betrifft demgegenüber einen nicht vergleichbaren Sachverhalt. In
jenem Fall war die Geschädigte als Beifahrerin während einer Autofahrt verletzt worden, an
deren Ziel sie ein eigenes Büro aufsuchen wollte. Um ihre Aufgabe dort ausführen zu
können, war also immer eine eigene Anreise nötig. Die unfallbringende Tätigkeit war
deshalb auch dem Bereich ihres Stammunternehmens zuzuordnen. Im vorliegenden Fall
hätte dagegen der Kläger ohne weiteres abwarten können, bis freiwerdende Mitarbeiter der
Beklagten die Beladung vornahmen. Dies zeigt, daß die schadensstiftende Tätigkeit
gerade nicht notwendig vom Kläger selbst übernommen werden mußte. Deshalb kann sie
auch nicht dem Bereich seines Stammunternehmens zugeordnet werden.
Der vorliegende Fall entspricht vielmehr der Lage in den Entscheidungen des BAG in
VersR 1991, 902, und des BGH in VersR 1977, 959, die jeweils eine Mithilfe von LKW-
Fahrern, die nur für den Transport zuständig waren, beim Be- oder Abladen betrafen. In
beiden Fällen ist ein Haftungsausschluß angenommen worden. Der Umstand, daß die
Tätigkeit auch für den Stammbetrieb nützlich war, weil dieser ein Interesse daran hatte, im
Anschluß an den Ladevorgang unverzüglich den Transport durchzuführen, ist vom BAG
ausdrücklich als unerheblich bewertet worden, weil der Geschädigte seine
Unternehmenssphäre verlassen hatte und in der Sphäre des Unfallbetriebs tätig geworden
war. Eine vergleichbare Situation lag auch der Entscheidung des BGH in NJW 1978, 2553,
zugrunde, in der ein Kraftfahrer auf dem Gelände seiner Arbeitgeberin dem Fahrer einer
Speditionsfirma beim Ankuppeln eines Anhängers geholfen hatte, um selbst schneller an
die Laderampe fahren zu können. Der BGH hat dort ebenfalls das eigene Interesse, eine
Wartezeit zu verkürzen, nicht ausreichen lassen, um die Zuordnung der Tätigkeit zum
Unfallbetrieb auszuräumen.
Nach alledem bleibt es dabei, daß der Kläger hier seine eigene betriebliche
Aufgabensphäre eindeutig verlassen hat. Die schadensbringende Tätigkeit erhielt ihr
Gepräge durch die Wahrnehmung einer ausschließlich der Beklagten als Unfallbetrieb
zuzuordnenden Aufgabe. Der Umstand, daß der Kläger, weil er Zeit sparen wollte, zugleich
Interessen seines Stammbetriebs wahrnahm, ist demgegenüber ein bloßer Beweggrund
von untergeordneter Bedeutung und begründet noch nicht eine Tätigkeit, die in den
Aufgabenbereich seines Arbeitgebers fiele (wegen vergleichbarer Rechtslage vgl. auch
OLG Oldenburg - 2 U 74/01; Urt. v. 23.05.01 -, r + s 2002, Februarheft).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§97 Abs. 1, 708 Ziff. 10, 713 ZPO.