Urteil des OLG Hamm vom 16.07.2003

OLG Hamm: geschäftsführer, verantwortlichkeit, betriebsinhaber, beweiswürdigung, eigenschaft, anfang, sonntag, sachverständiger, ordnungswidrigkeit, unternehmer

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ss OWi 373/03
Datum:
16.07.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ss OWi 373/03
Vorinstanz:
Amtsgericht Bocholt, 3 OWi 9 Js 1082/02 – 624/02 –
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen
auf¬gehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bocholt
zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Das Amtsgericht Bocholt hat den Betroffenen wegen "Verstoßes gegen das
Ladenschlussgesetz und Textilkennzeichnungsgesetz” zu einer Geldbuße von 1.500,00
€ verurteilt.
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Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Betroffene selbständiger Kaufmann
und wohnt in I. Er ist Geschäftsführer der "Teppich C GmbH (wohl richtig der C GmbH)".
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"Anfang 2002" bot die GmbH in einem Ladenlokal in C2 Teppiche zum Verkauf an.
Zumindest einzelne dieser Teppiche wiesen keine Angaben darüber auf, aus welchem
Material sie hergestellt waren.
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Am Sonntag, dem 13. Januar 2002, war das Ladenlokal der C GmbH in C2 allgemein
geöffnet. Im Ladenlokal hielt sich Verkaufspersonal auf, welches anwesende Kunden
berieten. Das Verkaufspersonal machte Angaben über die Art des Teppichs,
Herkunftsart und die Anzahl der Knoten und zumindest in einem Falle war das
Verkaufspersonal auch bereit, einen Teppich noch am gleichen Tag zu veräußern. Ob
es tatsächlich an dem Tag zur Veräußerung von Teppichen gekommen ist, war nicht
feststellbar.
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Der Betroffene hat eingeräumt, Geschäftsführer der GmbH in der fraglichen Zeit
gewesen zu sein. Im Übrigen hat er keine Angaben gemacht. Das Amtsgericht wertet
das Geschehen als Zuwiderhandlungen gegen §§ 1, 14 Abs. 1 Ziff. 1 a
Textilkennzeichnungsgesetz und gegen § 3 Abs. 1 Ziff. 1 Ladenschlussgesetz,
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möglicherweise auch als Verstoß gegen § 17 Ladenschlussgesetz (vergl. S. 4 U.A.). Es
hat für die Zuwiderhandlung gegen das Textilkennzeichnungsgesetz eine Geldbuße
von
900,00 € und für den Verstoß gegen das Ladenschlussgesetz eine solche von 1.000,00
€ für angemessen erachtet. Hieraus hat es eine Gesamtgeldbuße von 1.500,00 €
gebildet.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gem.
§ 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu
verwerfen.
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Die Rechtsbeschwerde führt auf die Sachrüge des Betroffenen zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht
Bocholt.
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Unabhängig davon, aufgrund welcher Sachverhaltsvarianten Zuwiderhandlungen
gegen das Ladenschlussgesetz und das Textilkennzeichnungsgesetz in Betracht
kommen können, hat der Betroffene selbst nicht die ihm vorgeworfenen
Ordnungswidrigkeiten begangen. Dem Urteil ist zu entnehmen, dass der Betroffene
zwar Geschäftsführer der C GmbH ist, aber in I wohnt. Es bleibt offen, ob sich der
Betroffene zu den vom Amtsgericht angenommenen Tatzeiten "Anfang 2002" und
"Sonntag, dem 13.01.2002" in C2 in dem genannten Ladenlokal der GmbH aufgehalten
hat. Festgestellt ist lediglich, dass sich dort "Verkaufspersonal" bzw. ein
"Verkaufsberater" aufgehalten haben, die die inkriminierten Ordnungswidrigkeiten
begangen haben könnten. Hierfür kann der Betroffene zwar nach §§ 9, 130 OWiG
ordnungsrechtlich verantwortlich sein. Bedenken begegnen aber die nicht ausgeführte
Auffassung des Amtsgerichts, er sei schon aufgrund seiner Eigenschaft als
Geschäftsführer hierfür verantwortlich. Eine solche Verantwortlichkeit ist selbst dann
nicht schlechthin gegeben, wenn der Betroffene in seiner Eigenschaft als
Geschäftsführer Mitarbeiter mit der Wahrnehmung der ihm als Betriebsinhaber
treffenden Pflichten beauftragt hätte. Denn es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass
der Unternehmer – entsprechend § 9 Abs. 2 OWiG – seine Verantwortlichkeit auch
nachgeordneten Aufsichtspersonen übertragen kann (vgl. BGHSt 8, 139; OLG Hamm,
VRs 34, 149; OLG Koblenz, MDR 1973, 606). Dies hat zur Folge, dass der nach § 9
Abs. 2 OWiG Beauftragte als Normadressat der den Betriebsinhaber treffenden Pflichten
gilt, wenn er ausdrücklich beauftragt ist, diese Pflichten in eigener Verantwortung zu
erfüllen (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 9 Rdnr. 37). Der Betriebsinhaber bleibt daneben
allerdings auch weiterhin verantwortlich. Er haftet jedoch nur dann noch, wenn er die
organisatorischen Grundvoraussetzungen nicht dafür schafft, dass die Pflichten durch
die Beauftragten auch tatsächlich erfüllt werden können (vgl. Göhler, a. a. O.), § 9 Rdnr.
38 f.).
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Mit Umständen, die ein Organisationsverschulden des Betroffenen ergeben könnten, hat
sich das Amtsgericht nicht auseinandergesetzt. Dies begegnet bereits deshalb
durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil der Senat nicht überprüfen kann, aufgrund
welcher Feststellungen und welcher Beweiswürdigung das Amtsgericht die
Überzeugung von der Schuld des Betroffenen gewonnen hat. Hierzu ist u. a.
erforderlich, den Umfang der geschäftlichen Aktivitäten und die Größe des Betriebes
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sowie die betrieblichen Strukturen festzustellen und darzulegen, wie sich der Betroffene
bei der Auswahl, Beauftragung oder Beaufsichtigung der Mitarbeiter verhalten hat. Es
gehört nämlich zur Darlegung der richtigen Anwendung des materiellen Rechts,
entscheidungserhebliche Festsstellungen und Teile der Beweiswürdigung mitzuteilen,
um dem Rechtsbeschwerdegericht die entsprechende Nachprüfung zu ermöglichen
(vgl. BGH, MDR 1974, 502; Löwe-Rosenberg, StPO, § 267 Rdnr. 35). So müssen die
Grundzüge der Erwägungen des Tatrichters sowie die Vertretbarkeit des gefundenen
Ergebnisses und ggf. die Vertretbarkeit des Unterlassens einer weiteren Würdigung
aufgezeigt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 1995 in 4 Ss OWi 99/95 und
vom 25. Januar 1984 in 4 Ss OWi 1929/83).
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
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Sofern das Amtsgericht eine Verantwortlichkeit des Betroffenen auf der Grundlage der
§§ 9, 130 OWiG feststellt, muss im Falle einer Zuwiderhandlung gegen das
Ladenschlussgesetz die entsprechende Bußgeldvorschrift (§ 24 Ladenschlussgesetz)
angewandt werden. Im vorliegenden Urteil ist bisher nicht sicher zu entnehmen, ob dem
Betroffenen neben dem Verstoß nach § 3 Ladenschlussgesetz auch eine weitere
Zuwiderhandlung nach § 17 Ladenschlussgesetz angelastet werden soll. Für den
letzteren Fall dürfte der Bußgeldbescheid vom 18. Juni 2002 keine ausreichende
Verfahrensgrundlage sein. Ferner ist im Urteil darzulegen, ob dem Betroffenen eine
vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird. Im Rahmen der
Bußgeldzumessung sind darüber hinaus für den Fall, dass höhere Geldbußen verhängt
werden, Anhaltspunkte anzugeben, von welchen wirtschaftlichen Verhältnissen des
Betroffenen das Amtsgericht ausgeht (§ 17 OWiG). Das Amtsgericht kann auch auf der
Grundlage des § 17 Abs. 4 OWiG, wonach der wirtschaftliche Vorteil, den der Täter aus
der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen soll, bemessen. Dabei ist eine
Schätzung des wirtschaftlichen Vorteils erlaubt, die insoweit tragenden Grundlagen
müssen in der gerichtlichen Entscheidung jedoch dargelegt werden, um dem
Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit der Nachprüfung zu erlauben (vgl. Göhler,
OWiG, 13. Aufl., § 17 Rdnr. 43 m. w. N.). Erforderlichenfalls muss sich das Amtsgericht
dazu sachverständiger Hilfe bedienen (vgl. Göhler, a. a. O.).
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Wenn mehrere Zuwiderhandlungen (Verstoß gegen das Textilkennzeichnungsgesetz
und Verstöße gegen das Ladenschlussgesetz) in Betracht kommen und deshalb
mehrere Geldbußen verwirkt sind, ist auf jede gesondert zu erkennen (vgl. § 20 OWiG).
Die Bildung einer "Gesamtgeldbuße" ist rechtsfehlerhaft.
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