Urteil des OLG Hamm vom 20.10.1999

OLG Hamm: fistel, dokumentation, medizinische betreuung, entlassung, geburt, spaltung, operation, widerklage, kaiserschnitt, chefarzt

Oberlandesgericht Hamm, 3 U 158/98
Datum:
20.10.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 158/98
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 3 O 8/97
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 20. März 1998 ver-kündete
Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung des Klägers gegen
Sicherheitsleistung von DM 25.000,00 abwenden, wenn nicht der Kläger
zuvor Sicherheit in gleicher Höhe lei-stet, die er auch durch eine
unbefristete und unbedingte Bürgschaft einer deutschen Großbank,
Genossen-schaftsbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse erbringen
kann.
Tatbestand:
1
Die Beklagte befand sich anläßlich der Geburt ihres ersten Kindes in der Zeit vom
29.01.1993 bis 25.03.1993 in der privatärztlichen Behandlung des Klägers, Chefarzt der
gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung des F-Krankenhauses in F. Der
Schwangerschaftsverlauf war unauffällig, der Geburtstermin für den 30.01.1993
errechnet.
2
Ausweislich der Krankendokumentation des Klägers wurde das Geburtsgewicht
sonographisch auf ca. 4.000 g geschätzt. Unter dem 30.01.1993, 11.35 Uhr findet sich
folgender Eintrag:
3
Spontangeburt eines lebensfrischen Mädchens aus der I. SL med li. lat.
Episiotomie, PA.
4
Das Kind wird sofort abgesaugt und schreit kräftig durch.
5
Apgar 9/10/10.
6
Für 11.40 Uhr findet sich sodann der Eintrag:
7
Plazentalösung nach Schulze.
8
Plazenta und Eihäute vollständig
9
Epi-Naht in typischer Weise.
10
Auf dem Kopfbogen der Krankendokumentation finden sich u.a. folgende Eintragungen:
11
Geburtserleichterung: links mediolaterale Episiotomie
12
Komplikationen: verstärkte Nachblutung
13
Kunsthilfe: Naht in LA Nach-Curettage Sekundär-Heilung d Epi
14
Ausweislich des Verlaufsbogens stellte sich die Episiotomie-Naht zunächst reizlos dar.
Nach dem Fortsetzungsbogen erhielt die Beklagte am 05.02. und 06.02. eine
Cephalospurin-Antibiose. Für den 07.02.1993 findet sich im Verlaufsbogen die
Eintragung:
15
Wunde reizlos kein Anhalt für Sekundärheilung, diskretes Hämatom.
16
Auf der Rückseite findet sich sodann die Eintragung:
17
07.01.93 19.45 Uhr ... kein Abszeß, etwas Sekretverhaltung in einem Stichkanal,
zum Darm auch keine Vorwölbung, keine Rötung, etwas Spreizung und
Sondierung, Betaisodona.
18
Am 11. Februar 1995 kam es zu einem Temperaturanstieg. Der Kläger konsultierte den
Zeugen S, Chefarzt der chirurgischen Klinik. Im konsiliarischen Untersuchungsbericht
vom 11.02.1993 heißt es u.a.:
19
Befund: Florider, bisher durch sehr kleine Inzision nur zum Teil entlasteter Abszeß
i.B. der Episiotomie Narbe bei etwa 500 in SSl mit allen Zeichen einer floriden
akuten Entzündung der direkten Weichteilumgebung. Sichtliche Stuhlentlehrung
aus dem Enddarm über die Abszeßhöhle in die Vagina. Hier tastbarer, für
Zeigefinger durchgängiger Fistelgang vom Analkanal bei ca. 1000 zur
Abszeßhöhle. Bei Hakenprobe nach Stelzner noch deutlicher Sphinkter ani Anteil
oralwärts des Fistelkanals.
20
In Allgemeinnarkose Entdachung des Fistelganges durch radikale Spaltung
(Spaltung des restlichen Abszesses durch Prof. Boquoi) ... rekonstruktive
Maßnahmen - wenn überhaupt erforderlich nur sekundär nach völliger Ausheilung
21
Im Operationsbericht vom 12.02.1993 heißt es u.a.:
22
Zwei Tage später entwickelte sich im Episiotomiebereich eine Rötung und starke
Schmerzhaftigkeit und schließlich erkennbar eine Abszeßbildung. Dieser Abszeß
23
hat sich nicht nach außen eröffnet sondern nach innen zwischen Scheide und
Sphinkter, der bei der Episiotomie zuverlässig nicht verletzt und dementsprechend
auch nicht nahtversorgt wurde. Es wird deshalb in Anwesenheit des
hinzugezogenen Chirurgen der Abszeß breit gespreizt, wobei Eiter abläuft der sich
hier verhalten hat. Die von der Primärheilung vorhandenen Gewebebrücken im
Bereich zwischen Kommissur und Sphinkter ani externus werden auf Rat des
Chirurgen scharf durchtrennt. Bei der Prüfung auf dem Finger ergibt sich, daß der
Sphinkter sicher intakt ist. Danach wird die Wunde breit offen gelassen, mit
Betaisodona gespült und ein Dauerkatheter gelegt.
Die Beklagte erhielt ein Breitbandantibiotikum. Dieses wurde am 21.02.1993 umgestellt
und nach vorhergehender oraler Medikation am 2. März 1993 abgesetzt.
24
Am 24. März 1993 erfolgte die gynäkologische Abschlußuntersuchung sowie eine
chirurgische Grundversorgung. Am 25. März 1993 wurde die Beklagte aus der
stationären Behandlung entlassen. Im Arztbrief an den ambulant behandelnden
Frauenarzt und Zeugen C vom 27.04.1993 heißt es u.a.:
25
Postoperativ wurde die Wunde breit offen gelassen, es erfolgen regelmäßige
chirurgische Verbandwechsel (H2O2-Spülung) sowie sterile Wundverbände. ... Bei
der Entlassung lagen keine entzündlichen Zeichen des angrenzenden Gewebes
im Bereich der Wunde mehr vor. Die Entlassung erfolgte bei relativem
Wohlbefinden mit Verhaltensmaßregeln. Die weitere Wundversorgung wurde
ambulant in der chirurgischen Klinik von S durchgeführt.
26
In dessen Befundbericht vom 24.04.1993 heißt es u.a.:
27
Vom 12.02. bis 26.03.1993 erfolgten zunächst täglich, zum Schluß zweitägig
regelmäßige Verbandswechsel, bei denen die Wundhöhle mit H2O2 ausgespült
und anschließend die Wunde steril verbunden wurde. Unter dieser Behandlung
gingen die Entzündungszeichen einschließlich der Schwellung der Labien zügig
zurück. Die Wundhöhle verkleinerte sich. Am Wundgrund bildete sich kontinuierlich
prolifurierender Granulationsrasen. Die Wundhöhle wurde im Laufe der Zeit
zusehends flacher, die Wundränder näherten sich durch Schrumpfung der
Gesamtwunde.
28
Bei der Entlassung lagen keine entzündlichen Zeichen des angrenzenden
Gewebes mehr vor. Die Wunde war sauber und die digitale Untersuchung ergab
einen sicher nachweisbaren Sphinktertonus, der bei Beckenbodenkontraktion
zunahm. Um allen Unsicherheiten aus dem Wege zu gehen, ist mit der Patientin
vereinbart, drei bis sechs Wochen nach Behandlung eine Durchzugmanometrie
durchzuführen sowie ein EMG des Sphinkters zu veranlassen.
29
Zur Zeit besteht kein Anlaß anzunehmen, daß eine Sphinkterinkontinenz vorliegt.
30
Am Tage der Entlassung begab sich die Beklagte zu ihrem Gynäkologen, dem Zeugen
Dr. Bedow. In dessen Krankenunterlagen heißt es unter dem 25.03.1993 u.a.:
31
Rektum-Damm-Fistel mit Stuhlabgang neben dem Sphinkter.
32
Am Rand heißt es unter der Rubrik "Bemerkungen":
33
Rektumscheidenfistel postpartum
34
Die Beklagte verblieb in der Behandlung des Gynäkologen. Am 7. April 1995 wurde sie
von dem Gynäkologen Q operiert, der eine Verschlußoperation und eine Scheiden-
Dammplastik mit Sphinkterrekonstruktion durchführte.
35
Mit der Klage hat der Kläger Vergütung seiner ärztlichen Leistungen begehrt.
36
Er hat beantragt,
37
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.853,95 DM zuzüglich 10 % Zinsen aus
5.462,32 seit dem 01.06.1993 zu zahlen.
38
Die Beklagte hat beantragt,
39
die Klage abzuweisen,
40
widerklagend
41
1. den Kläger zu verurteilen, an sie
42
a) 235.150,82 nebst 10 % Zinsen von 40.000,00 DM und 4 % Zinsen von
195.150,82 DM seit dem 29. März 1996,
43
b) ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts zu
stellendes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 29. März 1996 zu
zahlen,
44
2. festzustellen, daß der Kläger verpflichtet ist, ihr jeden weiteren zukünftigen
Schaden, auch in Form einer Rente, zu ersetzen, der ihr aus der Geburtshilfe
des Klägers bei der Geburt ihrer Tochter X, geboren am 30. Januar 1993 und
der nachgeburtlichen Behandlung in Zukunft entsteht, soweit Ansprüche nicht
auf Dritte übergegangen sind.
45
Der Kläger hat beantragt,
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die Widerklage abzuweisen.
47
Die Beklagte hat behauptet, die Behandlung sei äußerst schlecht und entwürdigend
gewesen. U.a. habe der Oberarzt, der Zeuge B die Gebärmutter "mit Gewalt
aufgerissen", mit einem Bettlaken den ganzen Leib abgeschnürt, sich mit vollem
Körpergewicht auf ihren Leib gelegt und mit seinen Händen mit voller Kraft auf ihren
Bauch gedrückt. Ihren mehrfach geäußerten Wunsch, durch Kaiserschnitt zu entbinden,
habe man mißachtet. Bereits seit dem 7. Februar 1993 habe eine Rektum-Scheiden-
Fistel vorgelegen, die auf die fehlerhafte Naht der Episiotomie durch den Zeugen B
zurückzuführen sei. Außerdem sei es zu Zervixrissen gekommen. Auch nach der
Entlassung habe sie noch unter Inkontinenz, Durchfall und Pilzvergiftungen gelitten. In
der Folgezeit habe sie keinen Sport mehr treiben und auch am gesellschaftlichen Leben
nicht mehr teilnehmen können. In der Hausarbeit sei sie stark eingeschränkt; eine
Berufsaufnahme sei ihr nicht mehr möglich.
48
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen Q,B ,T
-L, C und S. Zudem hat es ein Gutachten des Sachverständigen E eingeholt und den
Sachverständigen mündlich vernommen. Nach Beweisaufnahme hat es der Klage
überwiegend stattgegeben und die Widerklage abgewiesen mit der Begründung, nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei eine Pflichtverletzung des Klägers, die eine
Schadensersatzpflicht auslösen könnte, nicht festzustellen.
49
Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die
erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die schriftlichen Gutachten
des Sachverständigen und des Privatgutachters Q, die Protokolle zur mündlichen
Verhandlung sowie auf die Entscheidung des Landgerichts Bezug genommen.
50
Gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet sich die Beklagte mit der Berufung.
Sie wiederholt und vertieft den erstinstanzlichen Sachvortrag und beantragt,
51
1. abändernd die Klage abzuweisen und auf die Widerklage hin den Kläger zu
verurteilen, an sie
52
a) 235.150,82 DM nebst 10 % Zinsen von 40.000,00 DM und 4 % Zinsen von
195.150,82 DM seit dem 29.03.1996,
53
b) ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts zu
stellendes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 29. März 1996
54
zu zahlen;
55
2. festzustellen, daß der Kläger verpflichtet ist, ihr jeden weiteren zukünftigen
Schaden, auch in Form einer Rente, zu ersetzen, der der Beklagten aus der
Geburtshilfe des Klägers bei der Geburt ihrer Tochter X vom 30. Januar 1993
und der nachgeburtlichen Behandlung in Zukunft entsteht, soweit Ansprüche
nicht auf öffentlich-rechtliche Versorgungsträger übergegangen sind.
56
Der Kläger beantragt,
57
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise Vollstreckungsnachlaß.
58
Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch mündliche Vernehmung des
Sachverständigen C.
59
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze
(einschließlich des nachgelassenen Schriftsatzes der Beklagten vom 30.09.1999) nebst
Anlagen, die beigezogenen Krankenunterlagen einschließlich des Mutterpasses der
Klägerin, das Protokoll und den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom
16. August 1999 Bezug genommen.
60
Entscheidungsgründe
61
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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1. Soweit sich die Beklagte dem Grunde nach gegen den klageweise geltend
63
gemachten Vergütungsanspruch des Klägers wendet, hilfsweise die Aufrechnung erklärt
und darüber hinaus Widerklage erhoben hat, kann sie mit ihrem Begehren ganz oder
teilweise nur durchdringen, wenn dem Kläger oder - ihm zurechenbar - dem ärztlichen
Personal des F-Krankenhauses F Behandlungsfehler unterlaufen sind. Das ist jedoch
nicht der Fall. Auch aufgrund der durch den Senat ergänzend durchgeführten
Beweisaufnahme steht nicht fest, dass die Behandlung der Beklagten während ihres
stationären Aufenthaltes im F-Krankenhauses nicht sachgemäß erfolgte. Den ihr
obliegenden Beweis fehlerhaften ärztlichen Verhaltens hat die beweispflichtige
Beklagte nicht erbracht.
2. Die Berufung greift das Geburtsmanagement bis zum Anlegen der Episiotomie über
die allgemeine Bezugnahme hinaus nicht im einzelnen an. Lediglich im Senatstermin
hat die Beklagte den Sachverständigen noch einmal zur Frage der Indikation zum
Kaiserschnitt befragt.
64
Sachliche Fehler im Geburtsmanagement und Verstöße gegen den zu fordernden
ärztlichen Standard sind bis zur Geburt des Kindes um 11.35 Uhr auch nicht feststellbar.
Insbesondere war angesichts der komplikationslos verlaufenen Schwangerschaft und
der auch ansonsten fehlenden Auffälligkeiten im Geburtsablauf keine primäre sectio
angezeigt und mit der Beklagten auch nicht über die Alternative der Entbindung durch
Kaiserschnitt zu sprechen. Daran ändert auch nichts der im gewissen Grad zwar
protahierte, nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen E, an
dessen Sachkunde und fachlicher Kompetenz der Senat keinen Grund zu zweifeln hat,
aber für eine Erstgebärende nicht pathologische Geburtsverlauf sowie das
sonographisch geschätzte Geburtsgewicht von ca. 4.000, Gramm.
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Auch bei einem zu erwartenden großen Kind ist die Wahl der richtigen
Behandlungsmethode grundsätzlich allein Sache des Arztes (OLG Hamm, Urteil vom
30.01.1989, 3 U 28/88 = VersR 1990, S. 52; Urteil vom 24.8.1998, 3 U 216/97; OLG
Stuttgart, VersR 1989 S. 255; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl. 1999 Rz 375).
Bei einem geschätzten Geburtsgewicht von ca. 4.000 g braucht der behandelnde
Gynäkologe zudem nicht über die Alternative der Schnittentbindung aufzuklären.
Aufzuklären ist nur, wenn eine Kaiserschnittentbindung wegen ernstzunehmender
Gefahren für das Kind bei vaginaler Entbindung zur echten Alternative geworden ist
(BGH, NJW 1993 S. 2372; Senat, Urteil vom 24.8.1998 a.a.O.; Steffen/Dressler, a.a.O.
Rz 378). Das war vorliegend nicht der Fall. Der Sachverständige E hat bereits in seinen
schriftlichen Gutachten (etwa Bl. 212 GA) überzeugend darauf verwiesen, dass
angesichts des Fehlens von Risiken die primäre sectio nicht indiziert gewesen, ein
erwartetes Gewicht von ca. 4.000 g heutzutage nicht außergewöhnlich sei und keine
Veranlassung gebe, einen Kaiserschnitt durchzuführen (Bl. 518 GA). Das beinhaltet die
Aussage, dass dieses zu erwartende Geburtsgewicht als solches noch keine
ernstzunehmende Gefahr bei vaginaler Geburt bedeutet, über die aufzuklären wäre.
Diese Ausführungen des Sachverständigen entsprechen dem Kenntnisstand des
Senats aus anderen vergleichbaren Verfahren. So hat der Senat schon im Urteil vom 24.
August 1998 (3 U 216/97) entschieden, dass allein ein Geburtsgewicht dieser
Größenordnung für das Kind nur ein nahezu nicht erkennbares - theoretisches - Risiko
(einer möglichen Schulterdystokie) darstellt und deshalb hierüber nicht aufzuklären ist.
Die Ausführungen des Privatgutachters Q zeigen keine neuen Aspekte auf, die dem
Senat Anlaß zu einer anderen Einschätzung der Sachlage geben könnten. Letztlich ist
das Kind auch gesund und lebensfrisch geboren worden.
66
3. Fehler beim Setzen der Episiotomie, deren Versorgung und der Nachsorge noch im
Kreißsaal sind nicht feststellbar.
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Die Krankendokumentation äußert sich zweimal zur Episitomie. So heißt es, dass die
Episiotomie links mediolateral vorgenommen und die Naht in typischer Weise erfolgt
sei. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ist gegen eine
solche Episiotomie nebst Versorgung nichts einzuwenden. Auch die Dokumentation sei
üblich, wenn keine weiteren Auffälligkeiten wie etwa eine Sphinkterverletzung
hinzuträten (GA Bl. 519 GA).
68
Solche Auffälligkeiten sind weder dokumentiert noch von den Zeugen bekundet worden.
Der Zeuge B, der die Naht selbst gesetzt hat, hat ebenso wie die assistierende Zeugin
T-L von einer normalen Dammschnittversorgung gesprochen (Bl. 466, 468 GA).
69
Die Berufung zweifelt an der Richtigkeit des klägerischen Sachvortrages und der
Zeugenaussagen unter Hinweis auf die Ausführungen des Privatgutachters Q
insbesondere wegen des zeitlichen Ablaufs (Bl. 140, 490 GA).
70
Ob die durch die Geburt des Kindes um 11.35 Uhr und die zu den Akten gereichten
Lichtbilder auf mindestens 1 Stunde - nach den Bekundungen der Zeugin Q2 auf knapp
2 Stunden (Bl. 463 GA) - zu bemessende und für die Nachsorge einschließlich des
Nähens der Wunde benötigte Zeit als ungewöhnlich lang zu werten ist, kann letztlich
dahinstehen. Daraus ist nicht zu schlußfolgern, dass deshalb die Versorgung
unsachgemäß und fehlerhaft erfolgt sein muß. Der Zeuge B hat darauf verwiesen, nicht
nur die Naht als solche gesetzt, sondern auch eine Muttermundeinstellung und eine
Nachkurettage vorgenommen zu haben, letzteres, weil starke Blutungen aufgetreten
seien (Bl. 462 GA). Diese Bekundung wird gestützt durch die jedenfalls insoweit zeitnah
erstellte Dokumentation, nach der verstärkte Nachblutungen auftraten und eine Nach-
Curettage erfolgte.
71
Auch die Zeugin T-L hat bestätigt, dass die Gebärmutter wegen stärkerer
Nachblutungen noch auf Reste abgetastet worden sei (Bl. 469 GA). Der Privatgutachter
Q hat eingeräumt, dass auf den zu den Akten gereichten Lichtbildern sowohl ein zur
Einstellung des Muttermundes gebräuchliches Spekulum als auch eine
Muttermundsfaßzange zu erkennen sei, die auf eine erfolgte Zervix-Einstellung
hinweise (Bl. 492 GA). Dies bestätigt die Richtigkeit der Zeugenaussagen und der
diesbezüglichen Angaben der Krankendokumentation.
72
Demgegenüber erweist sich die Aussage der Zeugin Q2, nach der der Zeuge B bis
13.30 Uhr ausschließlich genäht habe (Bl. 463 GA), als nicht tragfähig. Der Senat hält
es auch nur für natürlich und gut nachvollziehbar, dass die Zeugin als Mutter der
Gebärenden angesichts der Geburtsumstände als solche und des für eine Besucherin
nur bedingt einsehbaren Arbeitsbereiches des Arztes nicht alle Maßnahmen und
Handgriffe erkennen und richtig einordnen konnte. Sie selbst hat eingeräumt, nicht im
einzelnen gesehn haben zu können, was gemacht worden sei (Bl. 464 GA). Angesichts
der Umstände ist es deshalb überzeugender, mit den Aussagen des Zeugen B
anzunehmen, dass die komplette Nachsorge bis gegen 13.30 Uhr gedauert haben mag.
Dabei mag die Nachkurettage üblicherweise in Vollnarkose erfolgen. Das schließt für
diesen konkreten Fall es jedoch nicht aus, dass die Pudendus- und die dokumentierte
Lokalanästhesie zur Abtastung der Gebärmutter ausreichend waren.
73
Der Sachverständige hat unter Berücksichtigung des zeitlichen Ablaufs keinen Anhalt
für ein fehlerhaftes Verhalten bei Setzen der Episiotomie und bei der Nachsorge
gesehen. Er hat ausgesagt, dass auch das Ende der Nahtsetzung nicht
dokumentationspflichtig sei, wenn keine besonderen Vorkommnisse einträten (Bl. 519
GA). Solche besonderen Vorkommnisse lagen nicht vor, bleiben allenfalls unbewiesene
Spekulation des Privatgutachters, wenn Dr. Puder etwa aufgrund des Zeitablaufs die
Notwendigkeit umfangreicher operativer Maßnahmen und eine umfangreiche
Verletzung im Scheiden-Damm-Bereich unterstellt und prima facie von Schwierigkeiten
und Komplikationen ausgeht (Bl. 140, 656 GA). Naturgemäß beanspruchen die
Einstellung des Muttermundes und die Nachcurettage zusätzliche Zeit, wie auch der
Privatgutachter nicht in Abrede stellen kann. Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen
geburtshilflichen Maßnahmen und der allgemeinen Vorbereitungszeit relativiert sich die
für die Episiotomie-Naht beanspruchte Zeit, was der Privatgutachter offensichtlich nicht
bedacht hat, wie die Ausführungen im Gutachten vom 13.11.1997 zeigen (Bl. 656 GA).
Dort geht der Gutachter - wie schon in seinem Ausgangsgutachten (Bl. 140 GA) - auf die
zusätzlich durchgeführten Maßnahmen mit keinem Wort ein.
74
Auf eine unsachgemäß durchgeführte Nahtversorgung kann auch nicht geschlossen
werden, weil es später zu Infektionen im Scheiden-Analbereich und im Bereich der
Episiotomie kam, wie den Ausführungen des Sachverständigen in der Gesamtheit zu
entnehmen ist. Der spätere Verlauf allein läßt noch nicht mit dem gebotenen hohen Maß
an Wahrscheinlichkeit auf einen Fehler bei der Dammnaht schließen (vgl. auch Senat,
Urteil vom 16.12.1998, 3 U 29/98).
75
Komplikationen und Infektionen können trotz aller ärztlichen Sorgfalt unvermeidbar und
schicksalhaft auftreten, worauf der Sachverständige verwiesen hat (etwa Bl. 214, 518
GA).
76
Soweit die Beklagte unsachgemässes Vorgehen im Hinblick auf einen angeblichen
Cervixriß behauptet, bleibt auch dieser Sachvortrag unbewiesen. Die Zeugin Q2hat
zwar bestätigt, der Zeuge B hätte solche Äußerungen abgegeben. Dieser jedoch hat in
Übereinstimmung mit der Zeugin T-L solche Erklärungen in Abrede gestellt (Bl. 466, 468
GA). Überzeugend hat die Zeugin darauf verwiesen, dass es in dem Fall eines
Cervixeinrisses nicht bei der üblichen Versorgung des Dammschnittes verbleiben kann,
was dem Senat ebenfalls aus vergleichbaren Verfahren bekannt ist. Eine operative
Versorgung eines Cervixrisses ist jedoch nicht erkennbar und feststellbar. Unversorgt
hätte eine solche Wunde auf keinen Fall bleiben können.
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Auch ansonsten ist ein unsachgemäßes Handeln bei der Nachsorge im Kreißsaal nicht
feststellbar. Insbesondere hat der Zeuge B ausgesagt, routinemäßig rektal die
Dammnaht und den Schließmuskeltonus geprüft zu haben (Bl. 466 GA). Die Zeugin T-L
hat die Üblichkeit eines solchen Vorgehens im Krankenhaus des Klägers bestätigt (Bl.
467 GA). Es gibt keinen Anlaß, an der Richtigkeit dieser Aussagen zu zweifeln. Eine
besondere Dokumentationspflicht im Hinblick auf die rektale Untersuchung nach der
Nahtversorgung hat der Sachverständige aus medizinischen Gründen nicht gesehen
(Bl. 433 GA). Die Dokumentation hat er als vollständig bezeichnet (Bl. 214 GA).
Angesichts dieser Sachlage folgt gleichzeitig, dass eine unsachgemäße Verletzung des
Sphinkters durch die Episiotomie bzw. deren Versorgung nicht feststellbar ist.
78
Aus der Verwendung der Pudendus- und zusätzlich der Lokalanästhesie kann nicht
zwingend auf ein ärztliches Fehlverhalten bei der Versorgung geschlossen werden. Der
79
Sachverständige hat auch diesbezüglich überzeugend darauf verwiesen, dass je nach
Sachlage diese anästhesiologischen Maßnahmen durchaus angezeigt sein können.
4. Die Nachbehandlung der Beklagten bis zum operativen Eingriff vom 11.02.1993 war
sachgerecht. Ärztliches Fehlverhalten ist nicht feststellbar.
80
Ausweislich des Verlaufsbogen wurde die Episiotomiewunde nach dem 30.01.1993
täglich überprüft; es fanden sich zunächst reizlose Verhältnisse. Noch für den
07.02.1993 wird die Wunde zunächst als reizlos beschrieben. Die Nachbehandlung hat
der gerichtliche Sachverständige als sehr sorgfältig bezeichnet (Bl. 213 GA). Die
Spreizung und Spülung der Dammwunde nach zunächst oberflächlicher Infektion war
sachgerecht (Bl. 213 GA).
81
Soweit die Beklagte in Übereinstimmung mit dem Privatgutachter diese Nachsorge
einschließlich der Antibiotikagabe als Stückwerk bezeichnet (Bl. 661 GA), führen diese
Überlegungen nicht zur Feststellung eines Behandlungsfehlers. Die Antibiotikagabe
war im Hinblick auf eine mögliche Infektion im Scheiden-Analbereich sachgerecht.
Soweit der Privatgutachter wohl schon für den Zeitraum ab 04.02.1993 eine gezieltere
Antibiotikagabe fordert, überzeugen diese Überlegungen nicht. Die Antibiotikagabe hat
der Sachverständige überzeugend als sachgerecht bezeichnet (Bl. 433 GA). Selbst für
die Zeit nach dem Eingriff am 11.02. hat der Sachverständige die Gabe eines
Breitbandantibiotikums im Hinblick auf die unterschiedlichen Bakterien in diesem
Körperbereich als sachgerecht und eine Keimbestimmung zum Einsatz eines
spezielleren Mittels als verfehlt bezeichnet (Bl. 522 GA). Das gilt dann erst recht für die
Zeit ab dem 04.02.1993 bis zum 11.02.
82
Der Privatgutachter unterstellt, dass bei einer ausgiebigen Wundrevision (wohl am
07.02.) die Fistel bereits mehrere Tage früher hätte festgestellt werden können. Das
folgert er aus dem Abszeß, so wie er sich am 11.02. dargestellt habe (Bl. 661 GA). Diese
Ausführungen bleiben letztlich eine Unterstellung und spekulativ. Ausweislich der
Krankendokumentation hat das ärztliche Personal die Möglichkeit einer Fistelbildung
gesehen und entsprechend untersucht. So findet sich für den 08.02. in der
Dokumentation der Eintrag "Keine Fistel". Auch angesichts des Umstandes, dass sich
offenbar für spätere Zeitpunkte Nachtragungen in der Dokumentation finden, die nicht
als solche gekennzeichnet worden sind, kann nicht angenommen werden, dass die
Dokumentation für diesen Zeitraum gefälscht wurde und die Eintragungen nicht dem
medizinischen Befund am 07.02./08.02.1993 entsprechen.
83
5. Die Versorgung der Beklagten nach Auftreten des Abszesses war ebenfalls nicht
fehlerhaft. Eine Fistelverschlußoperation war nicht durchzuführen. Der Streit der
Parteien über die richtigerweise durchzuführenden ärztlichen Maßnahmen beruht im
wesentlichen darauf, ob zum Zeitpunkt des operativen Vorgehens am 11.02. oder im
Verlauf der stationären Behandlung der Beklagten eine sog. Rektum-Scheiden-Fistel
und nicht eine Verbindung "nur" des Anal- mit dem Scheidenbereich vorlag. Hätte eine
Rektum-Scheiden-Fistel vorgelegen, hätte auch nach den Darlegungen des
gerichtlichen Sachverständigen vor dem Senat (wohl) eine Verschlußoperation
durchgeführt werden müssen
84
Aufgrund der Beweisaufnahme ist jedoch nicht von dem Vorliegen einer Rektum-
Scheiden-Fistel auszugehen, die eine Verschlußoperation erforderlich gemacht hätte.
Vielmehr war die medizinische Situation zur Überzeugung des Senats so, dass sich die
85
breite Spaltung des Abszesses und des vorhandenen Fistelganges zur Abszeßhöhle
unter Offenhaltung der Wunde und verbunden mit der Überlegung, gegebenenfalls zu
einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu operieren, als medizinisch vertretbar darstellt.
Der Begriff der Rektum-Scheiden-Fistel im Sinne einer Verbindung des Enddarms mit
der Vagina findet sich in der Krankendokumentation nicht. Soweit von einer Fistel und
von einem Fistelgang gesprochen wird, stehen diese Formulierungen im unmittelbaren
(räumlichen) Zusammenhang mit dem aufgetretenen Abszeß. So heißt es in dem
konsiliarischen Untersuchungsbericht vom 11.02.1993 "Jetzt Abszeß im Bereich der
alten Narbe mit Rektovaginalverbindung" "und" "tastbarer, für Zeigefinger
durchgängiger Fistelgang vom Analkanal ... zur Abszeßhöhle". Dieser Fistelgang wurde
(durch Entdachung) wie auch der Abszeß selbst gespalten, also eröffnet.
86
Der Privatgutachter Q konnte zum Zeitpunkt der von ihm durchgeführten Operation zwei
Jahre später keinen Durchgang vom Rektum zur Scheide erkennen, wie er vor dem
Senat dargelegt hat. Nach seinen Ausführungen war nicht mehr nachweisbar, ob
ursprünglich eine Rektum-Scheiden-Fistel oder eine Anal-Scheiden-Fistel vorlag.
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Der Zeuge C hat ausdrücklich von einer Rektum-Scheiden-Fistel gesprochen, die er
noch am Entlassungstage festgestellt habe. Entsprechende Formulierungen finden sich
in seinen Krankenunterlagen.
88
Demgegenüber konnte der bereits am 06.4.1993 aufgesuchte Proktologe H, dem Senat
als ausgewiesener Spezialist für proktologische Fragen bekannt, keine Rektum-
Scheiden-Fistel feststellen. Soweit die Beklagte dem Senat die Krankenunterlagen H
zugänglich gemacht hat, fand sich hiernach am 06.04.1993 lediglich eine Restwunde
mit Sphinkterdefekt. In dem Bericht an das Versorgungsamt H vom 24.05.1994 heißt es
entsprechend, dass bei "unseren Untersuchungen ... eine Recto-vaginale Fistel nicht
mehr festgestellt werden" konnte. Das korrespondiert mit der Dokumentation des
Zeugen C, in der es für den 09.06.1993 heißt, dass gem. telefonischer Rücksprache mit
H eine echte Fistel nicht vorläge, sondern eine fehlende Deckelung.
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Unabhängig davon, dass der Zeuge C zur Stützung seines Befundes keine Sondierung
vornahm, vermag der Senat dessen Erkenntnissen schon im Hinblick auf die
Untersuchungsergebnisse H nicht zu folgen. Bei H handelt es sich um einen
ausgewiesenen Spezialisten und den langjährigen Chefarzt der proktologischen
Abteilung des Q-Hospitals in S. Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass angesichts
der ihm bekannten speziellen Fähigkeiten H diesem das Vorliegen einer Rektum-
Scheiden-Verbindung am 06.04.1993 verborgen geblieben wäre. Es gibt keinen Anlaß
zu der Annahme, dass H bei einer entsprechenden Befundung diese nicht auch
dokumentiert und sie dem Gynäkologen C telefonisch mitgeteilt hätte - auch wenn sich
die Beklagte ausweislich der Dokumentation des Zeugen C vom 06.06.1994
zwischenzeitlich mit H überworfen hatte.
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Der Kläger selbst und der Zeuge S, konsiliarisch beteiligter Chefarzt der chirurgischen
Abteilung, haben stets das Vorliegen einer Rektum-Scheiden-Fistel in Abrede gestellt.
Dem hat sich der gerichtliche Sachverständige unter Berücksichtigung aller Umstände
einschließlich des späteren histologischen Befundes angeschlossen. Für den Senat
überzeugend findet sich auch bei dem Vorliegen "lediglich" einer Anal-Scheiden-Fistel
eine nachvollziehbare Erklärung etwa für das Austreten von Kot im vaginalen Bereich.
Der Sachverständige hat die Erklärung des Zeugen S (Deformität des Analkanals durch
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die Entdachung, Bl. 515 GA) und den von ihm bemühten Vergleich mit dem
"Schlüsselloch" als richtige Erklärung gewertet. Ebenso überzeugend hat der
Sachverständige vor dem Senat ausgeführt, dass auch bei einer Infektion des
Episiotomiebereiches ein Loch entsteht, durch das man einen Finger hindurchstecken
kann, und dass allein die Größe des Abszesses bzw. der Fistel keinen Rückschluß auf
die Art und Lage der Fistel gibt.
Lag danach eine Anal-Scheiden-Fistel vor, war nach dem Ausgeführten die Spaltung
als solche und das Warten auf das Abklingen der Infektion die Methode der Wahl,
jedenfalls keine fehlerhafte ärztliche Maßnahme.
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6. Der Senat geht davon aus, dass am 06.04.1993, zum Zeitpunkt der Untersuchung der
Beklagten durch H, ein Sphinkterdefekt bei 11.00 bis 14.00 Uhr vorlag. Angesichts der
fachlichen Kompetenz des untersuchenden Ärzten und des Fehlens sonstiger
Anhaltspunkte gibt es keinen Anlaß zu der Annahme, dass hier ein Irrtum vorliegen
könnte. Der Sachverständige hat nachvollziehbar und überzeugend vor dem Senat
darauf verwiesen, dass angesichts des zeitlichen Zusammenhanges dieser Defekt auch
schon während des stationären Aufenthaltes der Beklagten im Hause des Klägers
vorlag. Die Sphinkterverletzung als solche läßt jedoch nicht mit der erforderlichen
Wahrscheinlichkeit einen Rückschluß auf ein fehlerhaftes ärztliches Verhalten zu.
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Worauf dieser Defekt letztlich zurückzuführen ist, ist nicht mehr feststellbar. Der
Sachverständige hat darauf verwiesen, dass der Sphinkterdefekt schon durch die
Geburt selbst erfolgen kann. Eine Schädigung bei der Versorgung der Episiotomie hält
der Sachverständige für sehr unwahrscheinlich und praktisch nur bei einem Anfänger für
denkbar, der der Oberarzt und Zeuge B nicht war. Ebensowenig läßt sich die
Schädigung des Sphinkters durch die Episiotomie selbst feststellen, wobei selbst für
diesen Fall der Sachverständige nicht unbedingt von einer fehlerhaften Schnittführung
ausging. Die Prüfung der Sphinkteraktivität etwa durch die Hakenprobe nach Stelzner
muß nicht zwingend zu der Feststellung der Verletzung des Sphinkters führen, wie der
Sachverständige ebenfalls vor dem Senat dargelegt hat.
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Die unterbliebene Feststellung der Sphinkterverletzung, so wie sie von H festgestellt
wurde, hat sich nicht zu Lasten der Beklagten ausgewirkt, sofern man sie überhaupt als
fehlerhaft ansehen würde. Die Feststellungen H haben zu keinen anderen
medizinischen Maßnahmen als zu denjenigen geführt, die auch im Hause des Klägers
ergriffen wurden, nämlich zunächst das Abklingen der Entzündung abzuwarten. H hat
der Beklagten bedeutet, dass "bis jetzt" alles richtig abgelaufen sei und ihr den Rat
gegeben zuzuwarten, wie dem Eintrag vom 22.04.1993 in der Karteikarte des Zeugen C
und den Angaben der Beklagten vor dem Senat zu entnehmen ist.
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7. Auch die antibiotische Abdeckung seit dem 11.02.1993 war adäquat, wie der
Sachverständige vor dem Landgericht und dem Senat ausgeführt hat (Bl. 522, Vermerk
des Berichterstatters). Die Situation zur Gabe eines Breitbandantibiotikums oder eines
spezieller wirkenden Medikamentes war nach der Abszeßspaltung gegenüber der Zeit
davor angesichts derselben Lokalität und damit der gleichen Problematik unverändert.
Deshalb hat es der Sachverständige auch nachvollziehbar und überzeugend als richtig
bezeichnet, dass ein Breitbandantibiotikum eingesetzt wurde (Bl. 522 GA). Im übrigen
hat er darauf verwiesen, dass es sogar medizinischem Standard entspricht, in diesen
Situationen keine Antibiotika zu geben. Vor dem Senat hat der Sachverständige
ausgeführt, dass in solchen Situationen manche Ärzte keine Antibiotika verabreichen.
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8. Die pflegenden Maßnahmen nach der Abszeßeröffnung und "Entdachung" der Fistel
am 11.02.1993 bis zur Entlassung am 25.03.1993 waren sachgerecht. Ob und wieweit
der selbstliquidierende Arzt in der Krankenhausbehandlung überhaupt für den
nichtärztlichen Pflegedienst einzustehen hat (vgl. hierzu etwa bei Steffen/Dressler,
a.a.aO. Rz 84), kann vorliegend dahinstehen, weil jedenfalls die erforderlichen
pflegerischen Maßnahmen durchgeführt worden sind.
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Der Sachverständige hat vor dem Landgericht ausgeführt, dass bei der Versorgung die
Wunde in Abständen gereinigt werden muß. Die Reinigungen mit Kamille oder
Wasserstoffperoxid oder Jodmitteln sollten zwei- oder dreimal am Tag geschehen (Bl.
522 GA). Vor dem Senat hat der Sachverständige seine Aussagen präzisiert und
ausgeführt, zur sachgemäßen Wundversorgung reiche eine einmaltägliche Versorgung
aus; die mehrmalige tägliche Versorgung diene der Linderung, entspreche aber nicht
dem zu fordernden medizinischen Standard.
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Zumindest diese einmaltägliche Versorgung der Wunde ist erfolgt und entsprechend
dokumentiert, wenn die Dokumentation auch ausgesprochen unübersichtlich und nur
schwer zugänglich ist. Hierdurch bedingt nimmt die Berufung an, dass nur für den
Zeitraum 15.02. - 21.02.1993 Hygienemaßnahmen dokumentiert worden seien.
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Pflegerische Maßnahmen sind auf den Vordrucken für konsiliarische Untersuchungen,
auf dem Verlaufsbogen vom 12.02. bis zum 17.02. (Kamillesitzbad) bzw. vom 15.02. -
17.02. (Reinigung der Epi) vermerkt, auf einem Pflegebericht mit blauem und roten
Kugelschreiber für den Zeitraum 15.02. - 25.02., teilweise mehrfach täglich in Form von
Spülungen oder Vorlage steriler Kompressen.
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Auf einem sog. Fortsetzungsbogen ist ab dem 18.02. mit Ausnahme des 14., 17., 18.,
19.03.1993 bis zum 24.03.1993 die chirurgische Wundversorgung festgehalten. Die
chirurgische Wundversorgung hat der Kläger in seinem Arztbericht an den Zeugen C als
Verbandwechsel (H2O2-Spülung sowie sterile Wundverbände) präzisiert. Der
Dokumentation entsprechend hat der Zeuge S in seinem Bericht vom 24.04.1993
festgehalten, dass in der Zeit vom 12.02. - 26.03.1993 täglich, später zweitägig
Verbandswechsel mit Ausspülung der Wundhöhle mit H2O2 und anschließenden
sterilem Verband erfolgten. Daraus dokumentiert sich zumindest die adäquate
Wundversorgung bis etwa Mitte März 1993. Dass auch noch nach diesem Zeitpunkt
weiterhin die tägliche Wundversorgung zwingend erforderlich gewesen wäre, hat der
Sachverständige nicht ausdrücklich festgehalten, vielmehr die medizinische Betreuung
der Beklagten im gesamten Verlauf, also unter Einschluß der pflegerischen Maßnahmen
als korrekt bezeichnet (Bl. 216 GA).
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Selbst wenn die Wundversorgung von diesem Zeitpunkt nicht adäquat gewesen wäre,
ist nicht feststellbar, daß der Klägerin hierdurch ein Schaden entstanden wäre. Im
übrigen haben auch der Gynäkologe C und der Proktologe H für den Zeitraum ab
25.03.1993 keine pflegerischen Maßnahmen durchgeführt oder angeraten. Auch
insoweit gilt nach Auffassung des Senats die Einschätzung H vom 22.04.1993, dass bis
"jetzt alles richtig abgelaufen" sei, wie der Zeuge C festgehalten hat.
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9. Soweit der Beklagte am Entlassungstag nach ihrer Darstellung keine bzw.
unzureichende Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg gegeben worden sein sollen, ist
ein therapeutisches Fehlverhalten nicht feststellbar. Der Sachverständige hat
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überzeugend darauf verwiesen, dass sich die Beklagte zur Kontrolle wieder vorstellen
sollte, sonst keine weiteren Maßnahmen veranlaßt waren. Solche haben auch C und
auch H ihrerseits nicht veranlaßt.
Ob der Beklagten überhaupt besondere Verhaltensmaßregeln zu geben waren, kann
letztlich deshalb dahingestellt bleiben, weil sie auch noch nach diesem Zeitpunkt in der
Behandlung und damit Kontrolle des Zeugen S verblieben ist. Außerdem war sie vom
Entlasssungstag wieder in der Behandlung ihres Frauenarztes und ab 06.04.1993
gleichzeitig in der Behandlung durch H. Wären besondere Verhaltensregeln zu geben
gewesen, wären diese durch diese Behandler, sicherlich durch H erfolgt. Jedenfalls ist
auch hier nicht feststellbar, dass der Beklagten durch eine mangelhafte Unterrichtung
zum Zeitpunkt der Entlassung ein irgendwie gearteter Schaden entstanden ist, was
angesichts der letztlich und zeitweise dreifachen Behandlung im F-Krankenhaus durch
S, durch C und durch H auch kaum vorstellbar ist.
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10. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10,
711 ZPO.
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11. Das Urteil beschwert die Beklagte mit mehr als DM 60.000,-.
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