Urteil des OLG Hamm vom 08.03.1995

OLG Hamm (versicherte sache, grobe fahrlässigkeit, unfall, ehemann, fahrzeug, zeuge, leasingnehmer, essen, abrede, loslassen)

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 290/94
Datum:
08.03.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 290/94
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 6 O 89/94
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 19.05.1994 verkündete Urteil
der 6. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
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I.
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Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes, des Zeugen ...
Ansprüche aus einer Vollkaskoversicherung wegen der Beschädigung eines Jaguar-
Pkw am 07.05.1993 in Essen geltend. Eigentümerin des Pkw war die ... an die das
Fahrzeug von dem Leasingnehmer ... in unrepariertem Zustand zurückgegeben wurde.
Der Unfall ereignete sich, als der mit einem Automatikgetriebe ausgestattete Pkw am
Straßenrand stand und der Zeuge ... sich neben dem Fahrzeug befand. Das Fahrzeug
kam ins Rollen und geriet auf die Gegenfahrbahn, wo es mit einem Lkw
zusammenstieß. Der Ehemann der Klägerin hat noch vergeblich versucht, das Fahrzeug
anzuhalten. Seine Blutalkoholkonzentration betrug 2,57 %o.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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II.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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1.
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Ein Entschädigungsanspruch gemäß §§12 (1) II e, 13 (1), (5) AKB steht der Klägerin
nicht zu, da der Unfall durch grobe Fahrlässigkeit ihres Ehemannes, verursacht wurde,
die sie sich zurechnen lassen muß (§61 VVG).
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Der Unfall ist auf einen alkoholbedingten Bedienungsfehler des absolut fahruntüchtigen
Ehemannes der Klägerin zurückzuführen. Aufgrund des Ergebnisses der
Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Ehemann der
Klägerin den Pkw am Straßenrand abgestellt hat, ohne die Handbremse zu betätigen
oder den Wahlhebel des Automatikgetriebes aus der Stellung "D" in die für das Parken
vorgesehene Stellung "P" zu bringen. Letzteres hat zwar der als Zeuge vernommene
Ehemann der Klägerin in Abrede gestellt. Der Senat vermag jedoch dem zum Zeitpunkt
des Unfalls erheblich alkoholisierten und am Ausgangs des Rechtsstreites als
Leasingnehmer interessierten Zeugen nicht zu folgen. Er hat bereits unmittelbar nach
dem Unfall gegenüber dem den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten ... eingeräumt,
der Wahlhebel müsse auf der Stellung "D" gestanden haben. Diese Äußerung hat der
Zeuge ... bekundet und sie wird von dem Ehemann der Klägerin auch nicht in Abrede
gestellt. Das Belassen des Wahlhebels auf "D" ist auch die einzig ernsthaft in Betracht
kommende Unfallursache aus technischer Sicht.
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Der Sachverständige ... hat die Unfallstelle besichtigt und untersucht. Eine
nennenswerte Straßenneigung, die bei dem Unfall eine Rolle hätte spielen können, ist
nicht vorhanden. Der Kläger hielt aber im Bereich einer auf einer Rasenfläche
ausgefahrenen Haltebucht, bei der der Bordstein eine Stufe zur Fahrbahn bildet.
Darüber hinaus sind dort Reifenspuren ausgefahren und Verschmutzungen durch
kleinere Gegenstände vorhanden, die allesamt dem Motorantrieb nach dem Anhalten
des Fahrzeuges bei Stellung des Wahlhebels auf "D" genügend Widerstand bieten
konnten, um ein sofortiges Anfahren nach dem Loslassen der Betriebsbremse zu
verhindern. Danach ist allein aus technischer Sicht sehr wahrscheinlich, daß der Zeuge
... den Pkw angehalten und den Wahlhebel auf "D" belassen hat und der Pkw kurze Zeit
nach dem Loslassen der Betriebsbremse und Aussteigen des Zeugen ... anfahren
konnte. Als eine andere Erklärung ist aus technischer Sicht lediglich das Versagen des
Automatikgetriebes denkbar. Diese Möglichkeit ist jedoch derart theoretisch und
fernliegend, daß sie außer Betracht zu bleiben hat. Bei dem verunfallten Fahrzeug
handelt es sich um einen relativ neuwertigen Pkw, an dessen Getriebe bis dahin
keinerlei Unregelmäßigkeiten oder Störungen aufgetreten waren. Solche Störungen
sind auch dem Sachverständigen bei Fahrzeugen dieser Marke nicht bekannt
geworden.
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Das Verhalten des Ehemannes der Klägerin stellt nicht nur einen groben und
schwerwiegenden Fehler dar, sondern ist auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbar.
Der Beweis des ersten Anscheins spricht dafür, daß seine alkoholbedingte
Fahruntüchtigkeit für den Bedienungsfehler zumindest mitursächlich geworden ist.
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2.
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Die Klägerin muß sich das Verhalten ihres Ehemannes zurechnen lassen, da dieser ihr
Repräsentant in der Kaskoversicherung ist.
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Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem versicherte Risiko gehört,
aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des
Versicherungsnehmers getreten und befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht
ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln
(Risikoverwaltung). Die bloße Überlassung der Obhut über die versicherte Sache reicht
dazu nicht aus (BGH VersR 1993, 828, 829; Senat VersR 1990, 265, 266). Daher kommt
es bei der Obhutsüberlassung auf die Umstände des Einzelfalles an. Vorliegend hatte
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die Klägerin mit dem Pkw außer des Umstandes, daß sie als Versicherungsnehmerin
aufgetreten ist und ihn hin und wieder benutzt hat, nichts zu tun. Leasingnehmer,
Besitzer und Halter des Fahrzeuges war ihr Ehemann. Die Anschaffungsrechnung war
auf ihn ausgestellt. Er hat sämtliche mit dem Fahrzeuge zusammenhängenden Kosten,
wie Kfz-Versicherung, Kfz-Steuer, Benzin, Reparaturen und Leasingraten, getragen. Er
hat den Wagen ausgesucht und dieser gehörte zu seinem Betriebsvermögen als
selbständiger Betriebsberater. Unter diesen Umständen ist es für die
Repräsentanteneigenschaft unerheblich, ob der Pkw zu 90 % von ihm genutzt wurde,
wie die Klägerin im Informationsprotokoll vom 22.07.1993 angegeben hat, oder ob es
lediglich 70 % waren, wie die Klägerin nunmehr vortragen läßt.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO. Die
Beschwer der Klägerin beträgt 15.041,82 DM.
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