Urteil des OLG Hamm vom 08.08.2007

OLG Hamm: untersuchungshaft, vorläufige festnahme, rechtliches gehör, fortdauer, auflage, verfügung, verkündung, haftprüfung, zustellung, anmerkung

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ws 429/07
Datum:
08.08.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ws 429/07
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 27 Kls 6/07
Schlagworte:
Untersuchungshaft, Fortdauer, Haftprüfung, Fristberechnung
Normen:
§§ 121 Abs. 1, 122, 43 Abs. 1 StPO
Leitsätze:
1.
Die Frist des § 121 Abs. 1 StPO ist eine Monatsfrist im Sinne von § 43
Abs. 1 StPO, so daß der erste Tag der Untersuchungshaft nicht
mitzurechnen ist.
2.
Für eine Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft ist
dann kein Raum mehr, wenn die Akten dem Oberlandesgericht vor
Ablauf der Sechsmonatsfrist vorgelegt werden und noch vor Ablauf der
dem Beschuldigten und seinem Verteidiger eingeräumten Frist zur
Stellungnahme zu dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft die
Hauptverhandlung begonnen hat.
Tenor:
Eine Sachentscheidung des Senats über die Fortdauer der
Untersuchungshaft der Angeklagten ist zur Zeit nicht veranlasst.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Angeklagte befindet sich nach ihrer Festnahme am 09.01.2007 seit dem 10.01.2007
in Untersuchungshaft, und zwar aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Essen vom
10.01.2007. Die Untersuchungshaft dauert damit seit nunmehr über sechs Monaten an.
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Mit dem Haftbefehl sowie mit der gleichlautenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft
Essen vom 12.02.2007 wird der Angeklagten zur Last gelegt, in der Zeit vom 29.07.2006
bis zum 24.09.2006 in F in drei Fällen einen schweren Raub und in einem Fall einen
Diebstahl im besonders schweren Fall begangen zu haben.
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Das Landgericht Essen hat durch Beschluss vom 03.07.2007 die Fortdauer der
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Untersuchungshaft für erforderlich gehalten. Mit der am 10.07.2007 beim
Oberlandesgericht eingegangenen Stellungnahme vom 06.07.2007 hat die
Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs
Monate hinaus anzuordnen und die weitere Haftprüfung für die Dauer von drei Monaten
dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht zu übertragen.
Dieser Antrag ist der Angeklagten und ihrem Verteidiger mit Verfügung vom 10.07.2007
zur eventuellen Stellungnahme binnen drei Tagen ab Zustellung zugeleitet worden. Die
Zustellung dieser Verfügung erfolgte beim Verteidiger am 12.07.2007 und bei der
Angeklagten am 13.07.2007.
II.
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Eine Entscheidung des Senats über die Fortdauer der Untersuchungshaft gemäß §§
121, 122 StPO ist bei der gegebenen Sachlage zur Zeit nicht veranlasst, weil der
Fristenlauf entsprechend § 121 Abs. 3 Satz 1 und 2 StPO ruht.
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Für eine Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft ist jedenfalls dann
kein Raum, wenn die Akten dem Oberlandesgericht vor Ablauf der in § 121 Abs. 2 StPO
bezeichneten Frist vorgelegt werden, und noch vor Ablauf der der Angeklagten und
ihrem Verteidiger eingeräumten Frist zur Stellungnahme zum Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft die Hauptverhandlung begonnen hat (vgl. OLG Hamm, 2.
Strafsenat, wistra 1998, 198).
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Mit dem Beginn der Hauptverhandlung ruht der Fristenlauf gemäß § 121 Abs. 3 Satz 2
StPO bis zur Verkündung des Urteils. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift gilt das zwar
nur dann, wenn die Hauptverhandlung vor Ablauf der Sechsmonatsfrist begonnen hat.
Aus dem Sinn und Zweck dieser Regelung wird aber vielfach geschlossen, dass die
Prüfungskompetenz des Oberlandesgerichts in jedem Falle mit Beginn der
Hauptverhandlung endet (OLG Düsseldorf, NStZ 92, 402 mit zustimmender Anmerkung
Keller, NStZ 92, 604; KG Berlin, Beschluss vom 08.11.2006; OLG Dresden, NStZ 04,
644 mit ablehnender Anmerkung Wilhelm; OLG Koblenz, Beschluss vom 11.02.2004, 2
Ws 71/04; Boujong in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 121, Rdnr. 5; Hilger in
Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 121, Rdnr. 19). Dabei wird darauf hingewiesen,
dass es während der Hauptverhandlung dem Tatrichter obliegt, im Rahmen des § 121
Abs. 1 StPO ständig die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft unter
besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen.
Zudem stehen der Angeklagten während der laufenden Hauptverhandlung ihrerseits
ausreichende Maßnahmen nach §§ 117, 120 StPO zur Verfügung, um eine Überprüfung
der (weiteren) Haftfortdauer zu erreichen hat (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).
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Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob die Prüfungskompetenz des
Oberlandesgerichts auch dann endet, wenn die Akten nicht vor Ablauf der in § 121 Abs.
2 StPO bestimmten Frist vorgelegt werden. Denn die am 10.07.2007 beim Senat
eingegangenen Akten sind vor Ablauf dieser Frist (um 24.00 Uhr des gleichen Tages)
vorgelegt worden.
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Die Frist des § 121 Abs. 1 StPO ist eine Monatsfrist im Sinne von § 43 Abs. 1 StPO, die
mit dem Ablauf des Tages des sechsten Monats endet, der durch seine Zahl dem Tag
entspricht, an dem die Frist begonnen hat. Wie bei allen Tages-, Wochen- und
Monatsfristen gemäß §§ 42, 43 StPO zählt der Anfangstag nicht mit. Es besteht aus
Sicht des Senats keine Veranlassung, den ersten Tag der Untersuchungshaft
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mitzurechnen (a.A. Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 121, Rdnr. 4; Boujong in
Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Auflage, § 121, Rdnr. 6). Das ergibt sich aus der
Systematik des Gesetzes. Denn der 5. Abschnitt des ersten Buches der StPO enthält
allgemeine Vorschriften über Fristen. Der 9. Abschnitt über die Verhaftung und
vorläufige Festnahme enthält demgegenüber keine Sonderregelungen zur Berechnung
von Fristen, obwohl neben § 121 Abs. 1 StPO in mehreren Vorschriften Fristen bestimmt
werden, wie beispielsweise die Monatsfristen in § 117 Abs. 5 StPO und § 118 Abs. 3
StPO sowie die Wochenfrist in § 118 Abs. 5 StPO (für deren Berechnung § 43 StPO
auch nach Meyer-Goßner und Boujong Anwendung findet, vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. §
118, Rdnr. 4; Boujong in KK, a.a.O., § 118 Rdnr. 6). Mangels einer Sonderregelung ist
auf die Monatsfrist des § 121 Abs. 1 StPO daher die allgemeine Regel des § 43 Abs. 1
StPO anzuwenden. Davon sind offensichtlich auch andere Obergerichte stillschweigend
ausgegangen (OLG Braunschweig, NJW 1966, 116; OLG Frankfurt, NJW 1966, 2076;
OLG Hamburg, NJW 1968, 1535; OLG Hamm, 2. Strafsenat, a.a.O. und NStZ-RR 2003,
143).
Mit der fristgerechten Vorlage der Akten ruht der Fristenlauf gemäß § 121 Abs. 3 Satz 1
StPO bis zur Entscheidung des Senat. Vor einer Entscheidung hat der Senat der
Angeklagten und ihrem Verteidiger gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 StPO durch Verfügung
vom 10.07.2007 rechtliches Gehör zur Frage der Haftfortdauer gewährt. Vor Ablauf der
der Angeklagten eingeräumten Frist zur Stellungnahme hat die Hauptverhandlung am
11.07.2007 begonnen. Bei dieser Sachlage konnte der Senat das Ruhen des
Fristenlaufs gemäß § 121 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht mehr durch eine Entscheidung vor
dem Beginn der Hauptverhandlung beenden. Unter solchen Umständen ist § 121 Abs. 3
Satz 2 StPO entsprechend anzuwenden hat (vgl. OLG Hamm, wistra 98, 198), so dass
der Fristenlauf nunmehr bis zur Verkündung des Urteils ruht (vgl. BGH, Beschluss vom
05.05.1987, 3 StE 1/87-2 AK 12/87).
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Sofern die Hauptverhandlung nicht durch Urteil abgeschlossen und die Angeklagte
dann nicht aus der Untersuchungshaft entlassen wird, sind die Akten dem Senat
unverzüglich erneut vorzulegen.
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