Urteil des OLG Hamm vom 07.03.2005
OLG Hamm: form, verbrechen, mindeststrafe, persönlichkeit, erlass, gefängnisstrafe, alter, begriff, jugend, straftat
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss 71/05
07.03.2005
Oberlandesgericht Hamm
2. Strafsenat
Beschluss
2 Ss 71/05
Amtsgericht Recklinghausen, 36 Ls 46 Js 157/04 (89/04)
Das angefochtene Urteil wird unter Verwerfung der Revision im Übrigen
im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere
Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückverwiesen.
G r ü n d e :
I.
Das Jugendschöffengericht Recklinghausen hat die zu den Tatzeitpunkten zwischen dem
27. November 2003 und dem 2. Januar 2004 achtzehnjährige Angeklagte am 09.
November 2004 wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in
Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in
drei Fällen (Haschisch und Marihuana im Kilobereich) zu einer Jugendstrafe in Höhe von
einem Jahr verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten
Sprungrevision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
1.
Soweit sich das Rechtsmittel gegen den Schuldspruch richtet, war es als unbegründet zu
verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil der
Angeklagten ergeben hat, § 349 Abs. 2 StPO.
2.
Die Revision hat allerdings hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs zumindest einen
vorläufigen Erfolg, weil das angefochtene Urteil lückenhaft ist (§ 267 StPO).
Das Jugendschöffengericht hat die Verhängung der Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 JGG mit
10
11
12
13
14
15
16
folgenden Erwägungen begründet:
"Zur Ahndung der begangenen Straftat kam nur die Verhängung von Jugendstrafen in
Betracht (§ 17 JGG). Die Einfuhrschmuggelfahrten sind als Verbrechen mit einer
Mindeststrafe von 2 Jahren bei Erwachsenen eingestuft. Die Angeklagten selbst haben
gewußt, wie sehr sie sich durch ihre Mitwirkung an diesen Schmuggelfahrten strafbar
gemacht haben. Sie haben nach eigenen Angaben in der Hauptverhandlung mit einer
Gefängnisstrafe gerechnet. Bei dem Angeklagten I geht das Gericht zudem vom Vorliegen
schädlicher Neigungen aus, weil dieser Angeklagte zum einen seine Freundin in die
Straftaten mit hineingezogen hat und zum anderen über die Einfuhrschmuggelfahrten
hinaus sich aktiv als Drogendealer betätigt hat."
Das Tatgericht hat deshalb bei der Angeklagten C die Verhängung der Jugendstrafe
erkennbar allein auf den Gesichtspunkt der "Schwere der Schuld" (§ 17 Abs. 2, 2. Alt. JGG)
gestützt, da "schädliche Neigungen" nur bei dem mitangeklagten Freund I der Angeklagten
C angenommen worden sind.
Der Begriff der "Schwere der Schuld" im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG ist grundsätzlich
immer bei Kapitalverbrechen anzunehmen (vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 18.
Dezember 2002 - 2 Ss 945/02 - m.w.N.). Unabhängig davon kann die Schwere des
verwirklichten Tatunrechts allein aber keine Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere
der Schuld rechtfertigen (vgl. Sonnen in Diemer/ Schoreit/Sonnen, JGG, 3. Aufl., § 17 Rdnr.
22 m.w.N.). Diese kann sich vielmehr sowohl aus dem Gewicht der Tat als auch aus der in
der Persönlichkeit des Jugendlichen/Heran-wachsenden liegenden Beziehung zu seiner
Tat (BGH, Beschluss vom 07.Oktober .2004 - 3 StR 136/04 -, abgedruckt in StV 2005, 66)
ergeben. Für die Beurteilung der Schuld sind deshalb die charakterliche Haltung und das
gesamte Persönlichkeitsbild des Täters zu berücksichtigen. Das äußere Tatgeschehen ist
nur insoweit zu beachten, als es Schlüsse auf das Maß der persönlichen Schuld und aus
der charakterlichen Haltung des Täters zulässt (vgl. BGHSt 15, 224; StV 1982, 335; BGH
bei Böhm, NStZ 1989, 522; Sonnen, a.a.O., § 17 Rdnr. 22).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muss die Jugendstrafe überdies, wenn sie
- wie hier - wegen der Schwere der Schuld verhängt wird, aus erziehe-rischen Gründen
erforderlich sein ( so Senat, zuletzt noch Beschluss vom 6. September 2004 in 2 Ss 234/04
). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erforderlichkeit ist dabei derjenige des
Erlasses des Urteils. Folglich sind neben einem straffreien Verhalten der Angeklagten vor
der Tat vor allem auch eine positive Entwicklung nach der Tat zu berücksichtigen ( so auch
BGH StV 1998, 332; StV 1988, 307; OLG Brandenburg StV 2001, 175).
Über diesen Erziehungsgesichtspunkt hinaus sind bei der Erforderlichkeit der Verhängung
der Jugendstrafe auch andere Strafzwecke zu beachten. So ist die verwirklichte Schuld mit
dem Erziehungsgedanken miteinander abzuwägen (BGH NStZ-RR 2001, 215). Auch dabei
steht bei Heranwachsenden, soweit diese dem Jugend-lichen gleichgestellt werden, der
Erziehungsgedanke im Mittelpunkt (BGH StV 1988, 307; BGH StV 1998, 332). Mit
zunehmendem Alter des Täters kommt dem Schuldge-danken allerdings ein größeres
Gewicht zu (Eisenberg, JGG, 10. Aufl., § 17 JGG Rdnr. 29).
Grundsätzlich bestimmt im Einzelfall der Tatrichter das Verhältnis der Strafzwecke (BGH
StV 1982, 335), wobei eine reine Schuldstrafe aber grundsätzlich unzulässig ist (OLG
Brandenburg StV 2001, 175). Das Urteil muss daher erkennen lassen, ob das Tatgericht
dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung ge-schenkt hat (OLG
17
Brandenburg, a.a.O.). Namentlich muss es Ausführungen dazu enthalten, welche
erzieherischen Wirkungen von der Strafe ausgehen sollen (OLG Köln StV 1999, 667), ob -
bei entsprechenden Anhaltspunkten - der Tat Ausnah-mecharakter zukommt und ob die
Verhängung der Jugendstrafe erforderlich ist (BGH StV 1996, 269).
Diesen Anforderungen werden die Strafzumessungserwägungen des
Jugendschöffengerichts vorliegend nicht gerecht. Das Jugendschöffengericht hat die
Verhängung von Jugendstrafe als erforderlich angesehen, weil die
Einfuhrschmuggelfahrten als Verbrechen mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren bei
Erwachsenen eingestuft werden. Dies lässt besorgen, dass das Jugendschöffengericht bei
seiner Bewertung im Wesentlichen auf das Ausmaß des nach seiner Auffassung von der
Angeklagten verwirklichten Unrechts abgestellt hat. Dagegen lassen die
Urteilsausführungen zur Persönlichkeit der Angeklagten, zu ihrer Beziehung zu den ihr
vorgeworfenen Taten und zu ihrer Entwicklung nach Begehung der Taten bis zum Erlass
des Urteils nicht erkennen, ob bei der Bildung der Jugendstrafe dem Erziehungsgedanken
in angemessener Form Rechnung getragen worden ist. Diese Darlegungsmängel führen
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch und zur Zurück-
verweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht
Recklinghausen.