Urteil des OLG Hamm vom 26.04.2004

OLG Hamm: trunkenheit, blutalkoholkonzentration, verkehr, kauf, zustand, konfrontation, fahren, beweiswürdigung, verminderung, zahl

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ss 77/04
Datum:
26.04.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ss 77/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Bielefeld, 36 Cs 14 Js 1327/03
Tenor:
Das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 08.12.2003 wird mit den
zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
Bielefeld zurückverwiesen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Das Amtsgericht Bielefeld hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im
Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen in Höhe von je 35,- € verurteilt.
Darüber hinaus hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen
Führerschein eingezogen und die Straßenverkehrsbehörde angewiesen, dem
Angeklagten vor Ablauf von noch 10 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
3
Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte mit am
12.12.2003 bei dem Amtsgericht Bielefeld eingegangenem Schreiben seines
Verteidigers Rechtsmittel eingelegt. Nach der Urteilszustellung an den Verteidiger am
30.12.2003 hat dieser mit am 29.01.2004 bei dem Amtsgericht Bielefeld
eingegangenem Schreiben das Rechtsmittel als Revision bezeichnet und mit dem
Antrag begründet, das Urteil des Amtsgerichts vom 08.12.2003 aufzuheben und die
Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des
Amtsgerichts Bielefeld zurückzuverweisen. Die Revision wendet sich mit der Sachrüge
gegen die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung durch das Amtsgericht.
4
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil im
Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache in diesem
Umfang an das Amtsgericht Bielefeld zurückzuverweisen.
5
II.
6
Die zulässige Revision des Angeklagten hat auch in der Sache einen zumindest
vorläufigen Erfolg. Auf die Revision des Angeklagten war das angefochtene Urteil mit
den Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Die Urteilsgründe tragen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr
nämlich nicht.
7
1.
8
Das Amtsgericht hat die von ihm als Einlassung des Angeklagten gewertete Erklärung
des Verteidigers, der Angeklagte habe hinsichtlich seiner Alkoholisierung fahrlässig
gehandelt, als durch die Angaben der Zeugen N und
9
POM’in N4 widerlegt angesehen. Diese Zeugen hatten angegeben, dass der
Angeklagte zum Zeitpunkt der von ihnen durchgeführten Verkehrskontrolle im
Fahrerraum des von ihm geführten LKWs eine Kühlbox mit sich geführt habe, in der sich
Dosen eines Whisky-Cola-Mixgetränkes befunden hätten, und zwar bereits
angebrochene und auch noch verschlossene Dosen mit diesem Getränk. Das
Amtsgericht führt auf der Grundlage dieses Beweisergebnisses weiter Folgendes aus:
10
"Da der Angeklagte während der Fahrt in dem Fahrgastraum alkoholische
Getränke bei sich führte und die Getränkedosen teilweise angebrochen waren, ist
davon auszugehen, dass der Angeklagte wusste, dass er alkoholisiert im
Straßenverkehr ein Fahrzeug führte und infolge der Alkoholisierung absolut
fahruntüchtig war. Dafür spricht zum einen die Tatsache, dass der Angeklagte
angebrochene Getränkedose in der Fahrgastzelle des LKWs bei sich führte, so
dass er während der Fahrt Zugriff auf die Getränke nehmen konnte. Zum anderen
spricht die erhebliche Alkoholisierung von 2,49 o/oo dafür, dass der Angeklagte
wusste, dass er in erheblichem Umfang alkoholisiert ist und somit Kenntnis von
seiner Fahruntauglichkeit hatte (...) Neben den mit im Fahrgastraum geführten
Getränken und dem hohen Grad der Alkoholisierung gibt es noch einen weiteren
Anhaltspunkt, der für die vorsätzliche Begehungsweise des Angeklagten im
Hinblick auf die alkoholbedingte Fahruntauglichkeit und die Teilnahme im
Straßenverkehr spricht. Der Angeklagte gab nach Durchführung des
Atemalkoholtests vor, ein Mundspray benutzt zu haben, um die Beamten so in die
Irre zu führen und Glauben machen zu lassen, dass das Atemalkohol-Prüfgerät
ausgeschlagen sei, da er ein Mundspray benutzt hatte. Dass dies tatsächlich nicht
der Fall gewesen sein konnte, sondern das Gerät ein positives Ergebnis zeigte,
weil der Angeklagte Alkohol konsumiert hatte,
11
ergibt sich daraus, dass auch der zweite Atemalkoholtest ein positives Ergebnis
anzeigte. Der Angeklagte wollte durch dieses Täuschungsmanöver davon
ablenken, dass er Alkohol zu sich genommen hatte und sich im Zustand
alkoholbedingter Fahruntauglichkeit befand. Darüber hinaus war der Angeklagte
für das Fahren unter Alkoholeinfluss im Straßenverkehr sensibilisiert. Er war
bereits im Jahre 2002 durch Alkohol im Straßenverkehr aufgefallen und hatte einen
Bußgeldbescheid erhalten."
12
Hinsichtlich der genannten Vorbelastung stellt das Amtsgericht fest, dass dem
Angeklagten in dem Bußgeldbescheid der Stadt Bielefeld vom 16.01.2002, mit dem
gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 270,- € und ein einmonatiges Fahrverbot
13
verhängt worden war, vorgeworfen wurde, am 26.10.2001 gegen 06.10 Uhr in Bielefeld
als Führer eines PKWs mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,56 o/oo im
Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt zu haben.
Die dem Angeklagten hier zur Last gelegte Tat beging er am 04.07.2003 gegen 15.45
Uhr mit einem LKW der Marke E auf der BAB A 2 in Fahrtrichtung I im Raum Bielefeld.
14
2.
15
Eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB setzt
voraus, dass der Fahrzeugführer seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder
zumindest mit ihr rechnet und sie billigend in Kauf nimmt (OLG Hamm, NZV 1998, 291
m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 25.01.2001 - 4 Ss 20/01 OLG Hamm). Die
Feststellung der Kenntnis der Fahruntüchtigkeit als innere Tatsache hat der Tatrichter
auf der Grundlage des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der Heranziehung und
Würdigung aller Umstände zu treffen. Bei einem insoweit bestreitenden Angeklagten
müssen die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts verwendeten
Beweisanzeichen lückenlos zusammengefügt und unter allen für ihre Beurteilung
maßgebenden Gesichtspunkten gewürdigt werden. Nur so wird dem Revisionsgericht
die Prüfung ermöglicht, ob der Schuldbeweis und damit der Beweis der Schuldform
(Vorsatz oder Fahrlässigkeit) schlüssig erbracht ist und alle gleich naheliegenden
Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten geprüft worden sind (OLG
Hamm, Beschluss vom 25.01.2001, a.a.O. m.w.N.; OLG Köln, DAR 1997, 499; OLG
Hamm, NZV 1998, 291).
16
Die vom Amtsgericht herangezogenen Beweisanzeichen reichen für die Annahme einer
vorsätzlichen Begehungsweise nicht aus. Sie lassen nicht rechtsfehlerfrei den Schluss
zu, der Angeklagte habe seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit erkannt oder
zumindest mit ihr gerechnet und sie billigend in Kauf genommen.
17
Nach der wohl einhelligen Meinung der Oberlandesgerichte kann das Vorliegen von
vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr nicht bereits aus einer hohen
Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit geschlossen werden (OLG Hamm, Blutalkohol
2000, 116 m.w.N.). Es gibt nämlich nach wie vor keinen Erfahrungssatz, dass derjenige,
der in erheblichen Mengen Alkohol getrunken hat, seine Fahruntüchtigkeit kennt.
Vielmehr müssen weitere auf die vorsätzliche Tatbegehung hinweisende Umstände
hinzutreten. Dabei kommt es auf die vom Tatrichter näher festzustellende
Erkenntnisfähigkeit des Fahrzeugführers bei Fahrtantritt an (OLG Hamm, Blutalkohol
1998, 462; OLG Hamm, Blutalkohol 2000, 116). Für die Annahme vorsätzlicher
Begehung bedarf es deshalb der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles,
insbesondere der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs, des Zusammenhanges
zwischen Trinkverlauf und dem Fahrtantritt sowie des Verhaltens des Täters während
und nach der Tat (OLG Hamm, Blutalkohol 2000, 116; OLG Düsseldorf, VRS 86, 111
m.w.N.).
18
Bei einer hohen Blutalkoholkonzentration treten nämlich zwar häufig
Ausfallerscheinungen auf, die eine Kenntnis des Fahrers eines Fahrzeugs von seiner
Fahruntüchtigkeit nahe legen. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, dass bei
fortschreitender Trunkenheit das kritische Bewusstsein und die Fähigkeit zur
realistischen Selbsteinschätzung abnehmen, das subjektive Leistungsgefühl des
Alkoholisierten hingegen infolge der Alkoholeinwirkung häufig gesteigert wird mit der
19
Folge, dass der Fahrer seine Fahruntüchtigkeit falsch einschätzt (BGH NZV 1991, 117;
OLG Hamm, Beschluss vom 03.08.1999 - 5 Ss 501/99 OLG Hamm).
3.
20
Hier hat das Amtsgericht zunächst keinerlei Feststellungen zum Beginn der
Alkoholaufnahme durch den Angeklagten getroffen. Insbesondere bleibt offen, ob der
Angeklagte den Alkohol bereits vor Antritt der Fahrt konsumiert hatte, oder ob der
Alkoholkonsum erst während der Fahrt begann. Damit bleibt gleichfalls offen, über
welche Erkenntnisfähigkeit der Angeklagte bei Fahrtantritt oder bei Beginn des
Alkoholkonsums während der Fahrt oder während einer Rast bzw. Unterbrechung der
Fahrt verfügte. Auch Feststellungen zum Trinkverlauf fehlen. Das Amtsgericht begnügt
sich mit der Feststellung, dass der Angeklagte im Fahrerraum des von ihm geführten
LKWs eine Kühlbox mit alkoholhaltigen Whisky-Cola-Mixgetränken bei sich führte.
Nähere Feststellungen zur Zahl insbesondere der angebrochenen Dosen dieses
Gemisches sowie zu dem Alkoholgehalt des Mixgetränkes finden sich nicht.
Ebensowenig hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Angeklagte - was deutlich für
Vorsatz sprechen könnte - auch während der Fahrt Dosen dieses Mixgetränkes
konsumiert hatte. Aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils ergibt sich nämlich
lediglich, dass sich im Fahrerraum eine entsprechende Kühlbox mit angebrochenen
Dosen befand.
21
Weiterhin stellt das Amtsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung darauf ab, dass
der Angeklagte hinsichtlich der Verwendung eines Mundsprays eine Schutzbehauptung
aufgestellt habe, um die Polizeibeamten über seine Alkoholisierung zu täuschen. Hier
setzt sich das Amtsgericht aber nicht mit der naheliegenden Möglichkeit auseinander,
dass der Angeklagte diese Schutzbehauptung zwar in der Annahme abgegeben hatte,
er sei in alkoholisiertem fahruntüchtigen Zustand gefahren, dass er zu dieser Annahme
aber erst aufgrund einer Ernüchterung im Zusammenhang mit der nach den
Feststellungen des Amtsgerichtes vorangegangenen Konfrontation mit dem Ergebnis
des ersten Atemalkoholtests gekommen war. Die vom Amtsgericht gegen den
Angeklagten verwendete Schutzbehauptung hätte nämlich ein deutlich stärkeres
indizielles Gewicht im Hinblick auf eine vorsätzliche Tatbegehung gehabt, wenn der
Angeklagte von vornherein, also noch vor der Durchführung des ersten
Atemalkoholtests, gegenüber den Polizeibeamten von einem Mundspray gesprochen
hätte und so von seiner Alkoholisierung hätte ablenken wollen. Dann hätte nämlich der
angesprochene Ernüchterungseffekt nicht derart nahegelegen wie im vorliegenden Fall
nach der Konfrontation des Angeklagten mit dem Ergebnis des Atemalkoholtests.
22
Endlich überzeugt auch das Argument des Amtsgerichts nicht vollständig, der
Angeklagte sei für das Fahren unter Alkoholeinfluss im Straßenverkehr sensibilisiert
gewesen, da er bereits im Jahre 2002 mit Alkohol im Straßenverkehr aufgefallen sei.
Einschlägige Vorstrafen bzw. Vorbelastungen können zwar als Anzeichen für ein
vorsätzliches Handeln gewertet werden. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der der
früheren Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt in einem Mindestmaß mit dem
aktuell zu beurteilenden vergleichbar ist (OLG Hamm, Beschluss vom 03.08.1999,
a.a.O.). Solche näheren Feststellungen - etwa dazu, ob der Angeklagte auch seinerzeit
während der Fahrt alkoholische Getränke konsumiert hatte - hat das Amtsgericht jedoch
nur eingeschränkt getroffen. Hinzu kommt, dass sich beide Fälle in der Höhe des
Blutalkoholwertes und in der Tatzeit (Tageszeit) ganz erheblich unterscheiden. Darüber
hinaus hatte der Angeklagte die Tat vom 26.10.2001 mit einem PKW, auf einer
23
Privatfahrt oder auf dem Weg zur Arbeit begangen, während er die ihm hier zur Last
gelegte Tat als Führer eines LKWs während seiner Arbeitszeit beging.
Da der Senat nicht ausschließen kann, dass zur Frage der Schuldform noch nähere
Feststellungen möglich sind, hat er die Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
24
Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die in der Tat
liegende Selbstschädigung des Angeklagten - Entziehung der Fahrerlaubnis und
Gefährdung seiner beruflichen Zukunft - nicht zulässigerweise strafschärfend gegen ihn
verwendet werden kann.
25
Darüber hinaus hätte sich das Amtsgericht angesichts der erheblichen Alkoholisierung
des Angeklagten zumindest mit der Frage einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21,
49 Abs. 1 StGB aufgrund erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten zur Tatzeit befassen müssen (vgl. zur neueren Rechtsprechung des BGH
hierzu BGH NStZ 2003, 480).
26