Urteil des OLG Hamm vom 26.02.2007
OLG Hamm: schulpflicht, gesellschaft, mehrheit, toleranz, schulbesuch, bevölkerung, integration, entstehung, kompetenz, zwang
Oberlandesgericht Hamm, 4 Ss OWi 135/07
Datum:
26.02.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ss OWi 135/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Paderborn, 23a OWi 218/06
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird verworfen, da es
nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur hier
allein zuläs-sigen Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen
oder das Urteil we-gen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben
(§ 80 Abs. 1, 2, 4 Satz 3 OWiG).
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene (§§ 46
OWiG, 473 Abs. 1 StPO).
Zusatz:
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Die mit der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen sind verfassungs- und
obergerichtlich hinreichend geklärt. Insbesondere besteht kein Anlaß, die
Rechtsbeschwerde zur Klärung der aufgeworfenen Frage, ob das Persönlichkeitsrecht
eines Schülers durch den Zwang zur Teilnahme am Sexualkundeunterricht verletzt
werden könne, wenn dieser "die abstrakte Vermittlung von Wissen im Bereich der
menschlichen Sexualität" beinhalte, zuzulassen. Die Glaubensfreiheit und das
Erziehungsrecht der Eltern werden durch die allgemeine Schulpflicht in zulässiger
Weise beschränkt (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss v. 31.05.2006 in 2 BvR 1693/04 =
FamRZ 2006, 1094; OLG Hamm, Beschl. v. 11.05.2004 - 4 Ss OWi 774/03 -; v.
04.03.2002 3 Ss OWi 1290/00 ; BayVerfGH, DVBI. 2003, 346 L; VGH Mannheim,
NVwZRR 2003, 561; OLG Frankfurt, NStZRR 2001, 25). Die allgemeine Schulpflicht
dient als geeignetes und erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung
des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die
Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen
Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger,
die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in
einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit
Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung
einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden,
wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen
Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem
regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind. Die Allgemeinheit hat
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ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich
motivierten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren.
Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse
oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich
selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen
nicht verschließen (vgl. BVerfG-K 1, 141, 143).