Urteil des OLG Hamm vom 08.06.2010

OLG Hamm (zulässigkeit der auslieferung, auslieferung, vereinigung, haftbefehl, deutschland, strafverfolgung, mitgliedschaft, last, italien, annahme)

Oberlandesgericht Hamm, (2) 4 Ausl A 117/09
Datum:
08.06.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
(2) 4 Ausl A 117/09
Tenor:
Die Auslieferung des Verfolgten nach Italien zum Zwecke der Strafver-
folgung ist zulässig, soweit ihm in dem Europäischen Haftbefehl des
Untersuchungsrichters bei dem Landgericht Catania vom 12. Juni 2009
(Aktenzeichen: 3290/09 R.G. GIP) die Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung vorgeworfen wird.
G r ü n d e :
1
I.
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Die italienischen Behörden betreiben gegen den Verfolgten die Auslieferung u.a. wegen
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Mit Beschluss vom 18. August 2009 hat
der Senat zwar die förmliche Auslieferungshaft angeordnet, den Haftbefehl jedoch unter
Auflagen außer Vollzug gesetzt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des
Senats Bezug genommen.
3
II.
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Anlässlich seiner richterlichen Anhörung durch das Amtsgericht Gelsenkirchen am 18.
Juli 2009 hat der Verfolgte erklärt, mit seiner Auslieferung nach Italien nicht
einverstanden zu sein, und mit näherer Begründung, ergänzt durch Schriftsatz seines
Beistandes u.a. vom 12. April 2010 Einwendungen gegen die Auslieferung nach Italien
erhoben. Hierzu hat er u.a. angeführt, er lebe seit fast vier Jahren mit seiner Ehefrau und
den gemeinsamen drei schulpflichtigen Kindern in Deutschland, sei hier als Koch
erwerbstätig und verfüge hier über feste soziale Beziehungen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den anwaltlichen Schriftsatz und den
protokollierten Vortrag des Verfolgten Bezug genommen.
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Das
fehlende Einverständnis
eine Entscheidung des Senats über die Zulässigkeit der Auslieferung erforderlich. Die
Auslieferung des Verfolgten ist für zulässig zu erklären, soweit dessen Auslieferung
wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung begehrt wird.
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1)
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Der übermittelte Europäische Haftbefehl entspricht den Voraussetzungen des § 83 a
IRG. Die erforderlichen Auslieferungsunterlagen liegen damit vollständig vor und
entsprechen den Vorgaben des § 83 a Abs. 1 Nr. 1 - 6 IRG.
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Bewilligungshindernisse sind nicht ersichtlich. Bewilligungshindernisse im Sinne des §
83 b Abs. 1 u. 2 IRG liegen auch nicht vor, so dass die Voraussetzungen für die
Feststellung der Zulässigkeit der Auslieferung vorliegen, zumal es sich bei der dem
vorbezeichneten Europäischen Haftbefehl zu Grunde liegenden Tat nach Art. 73, 74
Abs. 1, 2 D.P.R. 309/90, im Europäischen Haftbefehl als Straftat der Vereinigung im
Sinne des Art. 2 Abs. 2 erster Spiegelstrich des Rahmenbeschlusses des Europäischen
Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 13.06.2002 (AbI. EG Nr. L 190 S. 1)
qualifiziert, somit um eine Katalogtat handelt, die beiderseitige Strafbarkeit mithin nicht
zu prüfen ist.
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Die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat – Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung – ist entgegen den Ausführungen des Beistand in seinem Schriftsatz vom
12. April 2010 hinreichend konkretisiert. Den Angaben der italienischen Behörden ist zu
entnehmen, dass es sich um eine Vereinigung handelte, die auf eine gewisse Dauer
angelegt war und einen gemeinsamen Zweck verfolgte. Die Beiträge der einzelnen
Mitglieder sind klar umrissen. Dem Verfolgten kam die Aufgabe zu, die
Betäubungsmittel zu lagern.
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Die dem Verfolgten zur Last gelegte Straftat ist nach deutschem - unabhängig von der
hier anwendbaren Strafvorschrift - sowie nach italienischem Recht im Höchstmaß mit
einer Strafe von mindestens einem Jahr bedroht. Der Verfolgte besitzt nach den
Erkenntnissen der deutschen Behörden ausschließlich die italienische Staatsange-
hörigkeit (§ 2 IRG).
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b)
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Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 10 Abs.2 IRG,
die Anlass zur Prüfung geben könnten, ob der Verfolgte des ihm zur Last gelegten
Sachverhalts hinreichend verdächtig erscheint, bestehen nicht.
14
c)
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Gründe, nach denen die Auslieferung nach § 73 IRG unzulässig sein könnte, sind nicht
ersichtlich.
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Auch die familiäre Situation des Verfolgten rechtfertigt unter dem Blickwinkel des in Art.
6 GG verankerten Schutzes der Familie die Unzulässigkeit der Auslieferung nicht (siehe
Senatsbeschluss vom 23.11.1999 - (2) 4 AusI. 21/99 (95/99) - in NStZ- RR 2000, 158).
Die familiäre und persönliche Situation des Verfolgten ist nicht geeignet, die
Unzulässigkeit seiner Auslieferung nach § 73 IRG zu begründen, auch wenn er im
Bundesgebiet lebt, verheiratet ist und hier erwerbstätig ist. Nach allgemeiner Meinung in
der obergerichtlichen Rechtsprechung (siehe zum Beispiel: OLG Karlsruhe, Beschluss
vom 30. Juli 1979 — 2 AK 8/79 —; GA 1987, 30; OLG Hamburg, Beschluss vom 31. Mai
1979 — AusI. 5/79; OLG München, Beschluss vom 18. März 1985 - OLG AusI. 25/85 -‚ in
E/L U 106, 5. 357 f.; OLG Schomburg NStZ 1999, 359 f.; OLG Köln, Beschluss vom 15.
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Februar 2005 - AusI 10/05 - 8/05 -; OLG München, Beschluss vom 18. März 1985 - OLG
AusI. 25/85), der sich auch der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat
(vgl. Senatsbeschlüsse vom
23. November 1999 — (2) 4 AusI. 21/99 (95/99), abgedruckt in: NStZ-RR 2000, 158;
vom 19. Januar 2004 - (2) 4 AusI. A 34/2003 (5/04); vom 7. Januar 2004 - (2) 4 AusI.
74/2003 (161/03) - vom 21. Dezember 2006 - (2) 4 AusI. A 25/06 (313/06)), ist bei
Beeinträchtigungen des Familienlebens nämlich eine Abwägung durchzuführen,
inwieweit die familiären Belange des Verfolgten auch nach deutschem Recht eine
Strafvollstreckung nicht hindern würden. Diese Auffassung wurde auch durch das
Bundesverfassungsgericht bestätigt (vgl. m.w.N. BVerfG, Beschl. vom 01.12.2003 - 2
BvR 879/03 -). Ihr liegt die Überlegung zu Grunde, dass auch die nach nationalem
Recht zulässige Durchführung eines Strafverfahrens und die in ihm ausgesprochene
Sanktion zwingend das Familienleben beeinträchtigen. Sodann kann aber für die
Abwägung bei der Auslieferung prinzipiell und vorliegend erst recht nichts anderes
gelten: Wenn und soweit die familiären Belange des Verfolgten auch nach deutschem
Recht die Strafverfolgung nicht hindern, die regelmäßig zu vielgestaltigen
Beeinträchtigungen des Familienlebens führen, ist auch die auslieferungsrechtliche
Abwägung zu Art. 6 Abs. 1 GG nicht gegenteilig vorzunehmen, sofern die eintretenden
Beeinträchtigungen - was regelmäßig und auch vorliegend der Fall ist - im Wesentlichen
denen vergleichbar sind, die bei einer Verfolgung in Deutschland entstehen könnten.
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d)
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Insbesondere ist auch kein Hindernis nach § 83 b Abs. 2 lit. a) IRG gegeben. Danach
kann die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hat, zum Zwecke der Strafverfolgung abgelehnt werden, wenn
die Auslieferung eines Deutschen gemäß § 80 Abs. 1 und 2 IRG nicht zulässig wäre.
Hier ist von einem "gewöhnlichen Aufenthalt" des Verfolgten im Inland, der sich seit fast
vier Jahren im Bundesgebiet aufhält, nicht auszugehen. Zwar fällt der legale
Aufenthaltsort eines Ausländers in Deutschland, der gemäß den Bestimmungen des
deutschen Rechts, namentlich des Melderechts besteht (vergleiche dazu: OLG Dresden,
Beschluss vom 05. Oktober 2006 - OLG 34 AusI 46/06), im Grundsatz darunter.
Allerdings kann nicht jeder Aufenthalt für die Annahme eines "gewöhnlichen
Aufenthalts" im Sinne der vorbezeichneten Vorschrift herangezogen werden. Dies gilt
insbesondere, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass zwischen der Einreise in das
Bundesgebiet und der Strafverfolgung ein Zusammenhang besteht, was hier angesichts
des mitgeteilten Tatzeitraums (März 2007) und der Einreise im September 2007
anzunehmen ist. Schließlich steht hinter der gesetzgeberischen Zielsetzung der
Gedanke, dass der Verfolgte die Möglichkeit erhalten soll, wieder ins Inland
zurückzukehren, weil er zu diesem Staat Bindungen aufgebaut hat, so dass seine
Resozialisierungschancen durch eine Rückkehr erhöht werden können, wobei
insbesondere das soziale Umfeld eine entscheidende Rolle spielt (vergleiche dazu:
EuGH, EUGRZ 2008, 607, 610; OLG Dresden, Beschluss vom 05. Oktober 2006 — OLG
34 AusI 46/06). Dies ist indes dann nicht der Fall, wenn die Einreise in das
Bundesgebiet von der Zielsetzung getragen ist, der Strafverfolgung im Heimatland zu
entgehen. Dies ist vorliegend zu besorgen, so dass keine engen Bindungen an
Deutschland festzustellen sind, die die Annahme recht-fertigen, dass die
Resozialisierungschancen des Verfolgten durch eine Rückkehr nach Deutschland ( zur
Strafvollstreckung im Verurteilungsfall) wesentlich erhöht würden.
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III.
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Hinsichtlich des Vorwurfs des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verbleibt
es bei den Ausführungen in dem Senatsbeschluss vom 18. August 2009, dass nämlich
die Sachverhaltsschilderung nicht ausreichend ist. Auch die neuerlich seitens der
italienischen Behörden übersandten Unterlagen rechtfertigen eine andere Beurteilung
nicht.
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