Urteil des OLG Hamm vom 07.03.2006

OLG Hamm (werbung, irreführende werbung, uwg, spezialist, verfügung, vorschrift, interesse, verbraucher, berufsausübung, mandant)

Oberlandesgericht Hamm, 4 U 165/05
Datum:
07.03.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 165/05
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 18 O 96/05
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 29. September 2005
verkündete Urteil der IV. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Dortmund wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es am Ende des
Verbotstenors heißt: „wie geschehen in der Werbebroschüre Bl. 10. 10
R, 11, 12 d.A.“.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der
Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000,- EUR
abzuwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
dieser Höhe leistet.
Gründe:
1
I.
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Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen Werbeaussagen der Beklagten wie in der
Flyer-Werbung der Niederlassung I der Beklagten (Bl. 10 –12 d.A.). Darin heißt es:
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"So stellen wir sicher, dass Sie in jedem Fall Ihren Spezialisten unter den ...-
Anwälten finden."
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und
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"Zur Lösung Ihres Rechtsproblems stehen unsere Spezialisten bundesweit in
ständigem Kontakt."
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Die Klägerin sieht darin eine berufswidrige und irreführende Werbung, die gegen §§ 3, 4
Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 7 BORA und 5 UWG verstoße.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu
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verurteilen, es zu unterlassen,
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in Werbebroschüren und/oder auf sonstige Weise wörtlich oder
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sinngemäß mit der Aussage zu werben:
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a) "So stellen wir sicher, dass Sie in jedem Fall Ihren Spezialisten unter
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den ...-Anwälten finden."
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und/oder
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b) "Zur Lösung Ihres Rechtsproblems stehen unsere Spezialisten
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bundesweit in ständigem Kontakt".
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat gemeint, es handele sich um eine berufsrechtlich zulässige Werbung.
Die angesprochenen Verkehrskreise würden dadurch insbesondere nicht in die Irre
geführt. Die Beklagte hat einen etwaigen Unterlassungsanspruch zudem für verwirkt
gehalten und behauptet, der Klägerin sei seit Jahren bekannt gewesen, dass sie so
werbe.
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Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt, weil eine
irreführende und damit wettbewerbswidrige Werbung vorliege. Mit der Behauptung, den
Rechtsuchenden "Spezialisten" für ihr jeweiliges Rechtsproblem zur Verfügung stellen
zu können, mache die Beklagte nämlich unrichtige Angaben über die Befähigung ihrer
Mitgesellschafter im Sinne des § 5 Abs. 2 Ziffer 3 UWG. Die angesprochenen
Verkehrskreise erwarteten aufgrund der Werbung, bei der Beklagten als "Spezialisten"
Personen anzutreffen, die auf einem speziellen Rechtsgebiet herausragende
Kenntnisse und Erfahrungen erworben hätten. Nach ihrem eigenen Vorbringen handele
es sich bei den überwiegend noch sehr jungen Gesellschaftern aber in der Regel nicht
um so hochqualifizierte Personen. Daran könne auch die interne Kommunikations- und
Fortbildungsstruktur der Beklagten nichts ändern. Diese sorge nur dafür, dass sich die
Anwälte in der Zukunft spezialisieren könnten.
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Die Beklagte greift das Urteil mit der Berufung an. Sie meint weiterhin, dass der Klägerin
der Unterlassungsanspruch nicht zustehe, weil die angesprochenen Verkehrskreise
durch die beanstandete Werbung nicht irregeführt würden. Unter Bezugnahme auf die
einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
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Bundesgerichtshofs meint die Beklagte zunächst, dass das von ihr versprochene
kollektive Spezialistentum mit dem vom Bundesverfassungsgericht verwendeten Begriff
des "Spezialisten" als einzelnem Rechtsanwalt nicht vergleichbar sei. Die
durchschnittlich informierten Rechtsuchenden verstünden die Werbung angesichts der
Besonderheiten ihrer Rechtsanwaltsgesellschaft so, dass für ihr Rechtsproblem ein
spezialisierter Anwalt gefunden werde, der zudem in ganz besonders gelagerten Fällen
noch auf ein bundesweites Netzwerk und das Wissen von Spezialisten unter den
Kollegen bundesweit zurückgreifen könne. Dabei komme der potentielle Mandant nicht
auf die Idee, dass auch noch die exotischsten Rechtsgebiete in der Gesellschaft der
Beklagten durch einen Spezialisten abgedeckt sein könnten. Bei der
Verbrauchervorstellung sei auch zu berücksichtigen, dass durch die günstigen Preise
der Erstberatung Mandanten angesprochen würden, die sonst keinen anwaltlichen Rat
in Anspruch nehmen. Die Tatsache, dass einzelne Kollegen noch nicht sehr lange als
Rechtsanwälte zugelassen seien, spreche nicht dagegen, dass sie aus
vorausgegangenen Tätigkeiten über ein Spezialwissen verfügten, das sie im Netzwerk
der Beklagten an die Kollegen vor Ort weitergeben könnten. Die Tatsache, dass diese
Rechtsanwälte in einem solchen Netzwerk tätig seien, bedinge auch, dass die
Rechtsprechung zu Tätigkeitsschwerpunkten einzelner Anwälte hier nicht
herangezogen werden könne. Einer größeren Organisation müssten auch größere
Freiheiten bei der Gestaltung ihres Werbeauftritts eingeräumt werden. Es komme hinzu,
dass die gebotene Abwägung zwischen der Beeinträchtigung des Werbenden durch
den Eingriff in das Grundrecht der Berufsausübung einerseits und den Gründen des
Allgemeinwohls andererseits vom Landgericht nicht vorgenommen worden sei.
Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen, und zwar mit der Maßgabe, daß es am
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Ende des Verbotstenors des angefochtenen Urteils heißt: "wie gesche-
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hen in der Werbebroschüre Bl. 10, 10 R, 11, 12 d. A.".
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Sie vermag nicht zu erkennen, dass bei
der Beklagten auch nur ein einziger Anwalt über die theoretischen Kenntnisse, die
praktische Erfahrung oder den Ruf eines Spezialisten verfügt. Schon deshalb sei es
ausgeschlossen, dass die Beklagte sicherstellen könne, dass ein Mandant in jedem Fall
einen Spezialisten unter den Anwälten der Beklagten finden könne. Im Übrigen weist
die Klägerin darauf hin, dass in einer im Kammerbezirk herausgegebenen Liste der
Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte von Rechtsanwälten insgesamt 108
Rechtsgebiete angesprochen seien, von denen keines den Charakter eines "Exoten"
aufweise. Selbst wenn also jeder der 70-90 zur Zeit der Werbung bei der Beklagten
tätigen Anwälte ein Spezialist gewesen sein sollte, hätten diese Anwälte immer noch
nicht sicherstellen können, dass für jeden Fall ein Spezialist zur Verfügung stehe. Die
Beklagte trage insoweit auch widersprüchlich vor. Einmal behaupte sie, der Mandant
könne im Regelfall einen auf sein Rechtsproblem spezialisierten Anwalt vorfinden und
in ganz besonders gelagerten Fällen könne auf das bundesweite Netzwerk von
Kollegen zurückgegriffen werden. Zum anderen gestehe sie aber ein, dass es ihr
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überhaupt nicht um das Spezialistentum eines einzelnen Rechtsanwalts gehe, sondern
um die Besonderheiten der mit Spezialwissen versehenen Kanzleistruktur. Selbst wenn
damit zum Ausdruck gebracht werden solle, der Anwalt sei nicht spezialisiert, sondern
werde erst durch das bundesweite Netzwerk von Kollegen zu einem Spezialisten im
beworbenen Sinne, widerspreche auch das der Werbeaussage. Die Beklagte werbe mit
anwaltlichen Spezialisten, räume aber gleichzeitig ein, über diese als solche nicht zu
verfügen. Mit näheren Ausführungen macht die Klägerin deutlich, dass auch für den
vorliegenden Fall der angekündigte Spezialist als Spezialist im Sinne des
Bundesverfassungsgerichts mit seinem hohen Rang verstanden werde. Der Verkehr
verstehe unter dem Spezialisten unter den Anwälten der Beklagten nicht deren
Netzwerk von Kollegen mit Spezialwissen. Ein solches Netzwerk könne auch kein
wirkliches Spezialistentum ersetzen. Soweit die Beklagte eine Abwägung mit den
grundrechtlich geschützten Interessen vermisse, müsse sie sich entgegenhalten lasse,
dass sie ihre Werbung geändert habe und offenbar auch mit der geänderten Werbung
ihren beabsichtigten Zweck erreiche. Mit Vehemenz stellt die Klägerin ein
Sonderwerberecht für Großkanzleien in Abrede, das es nach wie vor nicht gebe.
II.
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Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden,
dass der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht.
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1) Der Unterlassungsantrag und das ihm folgende Verbot des Landgerichts sind
jedenfalls hinreichend bestimmt und auch nicht zu weitgehend, nachdem die Klägerin
den konkret beanstandeten Werbeflyer in ihr Verbotsbegehren einbezogen hat. Denn
die Beklagte hat die darin als irreführend beanstandeten Werbeaussagen auch nicht für
sich, sondern nur in Zusammenhang mit weiteren Werbeinformationen aufgestellt.
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2) Der Klägerin steht ein Unterlassungsanspruchs aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3, 4
Ziffer 11 UWG in Verbindung mit § 43 b BRAO und §§ 6, 7 BORA zu.
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a) Die Klägerin ist als Verband zur Förderung selbständiger beruflicher Interessen
anspruchsberechtigt im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, weil sie die Belange ihrer
Mitglieder zu wahren und zu fördern hat. Darüber besteht auch kein Streit unter den
Parteien.
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Die Klägerin ist angesichts ihrer Aufgabenstellung jedenfalls im vorliegenden Fall auch
nicht gehindert, gegen die Beklagte als Mitglied der Klägerin wettbewerbsrechtlich
vorzugehen. Es geht um einen Wettbewerbsverstoß, der in erster Linie mit einer
berufswidrigen Werbung und damit der Verletzung berufsrechtlicher Pflichten begründet
worden ist. Die berufsrechtlichen Möglichkeiten haben der Klägerin keine
abschließende Regelung des berufsrechtlichen Problems ermöglicht und sie hat bei
ihrem Vorgehen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet (vgl. BVerfG NJW
2004, 3765, 3767 –Klagebefugnis der Steuerberaterkammer; Hefermehl/Köhler,
Wettbewerbsrecht, 24. Auflage, § 8 Rdn. 3.33; Harte/Henning/Bergmann, UWG, § 8
Rdn. 276, 277).
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b) Die Beklagte ist nach § 8 Abs. 1 UWG zur Unterlassung verpflichtet, weil sie unlauter
im Sinne des § 3 UWG gehandelt hat. Eine solche Unlauterkeit ist darin zu sehen, dass
die Beklagte einer gesetzlichen Vorschrift zuwider gehandelt hat, die auch dazu
bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer des Marktverhalten zu regeln (§ 4 Nr. 11
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UWG). Die Beklagte hat den die anwaltliche Werbung regelnden Vorschriften der § 43 b
BRAO, § 6 Abs. 1, 2 und 7 BORA zuwidergehandelt.
aa) Zu den marktbezogenen Vorschriften, die auch dazu bestimmt sind, im Interesse der
Marktteilnehmer, insbesondere der Verbraucher, das Marktverhalten zu regeln, gehören
auch § 43 b BRAO und seine konkreten Ausgestaltungen in §§ 6, 7 BORA. Dem steht
nicht entgegen, dass es sich bei der BORA um eine nach §§ 59b Abs. 1, 191a Abs. 2, §
191e BRAO ergangene Satzung handelt. Als solche ist sie Rechtsvorschrift im Sinne
des § 4 Nr. 11 UWG. Die genannten Vorschriften befassen sich mit der Zulässigkeit der
anwaltlichen Werbung und sollen in diesem Zusammenhang auch die Lauterkeit des
Wettbewerbs schützen (BGH WRP 2005, 738- Optimale Interessenvertretung).
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bb) Die Vorschrift des § 43 b BRAO konkretisiert die im Rahmen der Berufsausübung
garantierte Werbefreiheit. Deshalb ist diese Vorschrift ebenso wie § 6 Abs. 1 BORA im
Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG so zu verstehen, dass einem Anwalt Werbung
grundsätzlich nicht verboten, sondern erlaubt ist. Die Beschränkung der Werbung bedarf
deshalb einer Rechtfertigung durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls und muss
dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (BGH, Optimale
Interessenvertretung, a.a.O. S. 739, BGH GRUR 2002, 84 –Anwaltswerbung II).
Verboten sind daher neben solchen Werbemethoden, die Ausdruck eines rein
geschäftsmäßigen, ausschließlich am Gewinn orientierten Verhaltens sind,
insbesondere solche Werbeaussagen, die die Gefahr mit sich bringen, den
Rechtsuchenden in die Irre zu führen (BVerfG NJW 2004, 2656, 2657 –Spezialist für
Verkehrsrecht). Solche unwahren Werbeaussagen sind stets unsachlich und nicht
berufsbezogen im Sinne des § 6 Abs. 1 BORA, weil die berufliche Selbstdarstellung es
in keinem Fall erlauben kann, damit zu werben. Ob daneben noch ein Verstoß gegen §
7 BORA in Betracht kommt, weil eine besondere Bezeichnung verwendet worden ist,
die als solche nicht oder jedenfalls nicht unter diesen Voraussetzungen verwandt
werden durfte, kann dahinstehen, weil der Senat eine irreführende Werbung mit
unwahren Tatsachen aus folgenden Gründen bejaht.
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(1) Die Beklagte stellt selbst nicht in Frage, dass es sich bei der beanstandeten
Aussage "Wir stellen sicher, dass Sie in jedem Fall Ihren Spezialisten unter den ...-
Anwälten finden." ebenso wie bei der Aussage "Zur Lösung Ihres Rechtsproblems
stehen unsere Spezialisten bundesweit in ständigem Kontakt." um nachprüfbare
Tatsachenbehauptungen handelt. Denn die durchschnittlich informierten,
situationsbedingt aufmerksamen und verständigen Adressaten der Werbung verstehen
die Werbeaussagen nach dem eindeutigen Wortlaut so, dass sicher gestellt ist, dass sie
in jedem Fall ihren Spezialisten unter den Anwälten der Beklagten finden werden, und
dass die Spezialisten der Beklagten zur Lösung des Rechtsproblems des Mandanten
bundesweit in ständigem Kontakt stehen.
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(2)
Verbraucher hineinlesen, dass es um die normal anfallenden Rechtsprobleme und
keine "exotischen" Fälle gehen soll, mag möglicherweise zugunsten der Beklagten
noch angenommen werden. Es bleibt aber dabei, dass die Verbrauchervorstellung
dahin geht, dass jedenfalls für
alle
Hause der Beklagten zur Verfügung steht, also zum Beispiel bei Rechtsproblemen aus
dem Mietrecht ebenso wie aus dem Urheberrecht oder dem Arzthaftungsrecht. Der
Verkehr versteht die Aussage zudem so, dass ein persönlicher Kontakt zu einem
solchen Spezialisten hergestellt wird, der ein Beratungsgespräch mit ihm führt.
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Keinesfalls entnimmt der Rechtsuchende den Aussagen, dass es nicht um für ihn und
seine Probleme bereit stehende anwaltliche Spezialisten als solche geht, sondern um
den systembedingten Vorrat eines Spezialwissens, das von allen Anwälten der
Beklagten abgerufen werden kann. Denn dann könnte der Rechtsuchende gerade nicht
"seinen Spezialisten" finden.
(3) Zwar werden die beanstandeten Einzelaussagen von den angesprochenen
Verkehrskreisen im Kontext der gesamten Werbeaussage wahrgenommen. Das führt
aber nur dazu, dass die durchschnittlich aufmerksamen und verständigen
Rechtsuchenden nicht annehmen werden, dass gerade in den aus wenigen Anwälten
bestehenden Niederlassungen der Beklagten wie etwa der beworbenen Niederlassung
in I mit den vier jung wirkenden Anwälten die Spezialisten für alle Fälle zur Verfügung
stehen sollen. Sie meinen aber angesichts der deutlichen Kernaussage, dass im
Rahmen der bundesweiten Vernetzung der ...-Anwälte auch für ihr Rechtsproblem ein
Spezialist zu finden ist, der ihnen zur Verfügung gestellt wird und ihr Rechtsproblem
löst. Die Rechtsuchenden brauchen sich deshalb nicht mehr die Mühe zu machen, in
den einschlägigen Verzeichnissen oder im Internet nach den Spezialisten ihres
Fallbereichs zu suchen, weil die Beklagte ihnen in jedem Fall diese Suche abnimmt und
ihnen einen ihrer Spezialisten zur Verfügung stellt.
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(4) Auch wenn die Beklagte von ihrer gesamten Außendarstellung her besonders
Rechtsuchende ansprechen sollte, die keine oder nur geringe Erfahrungen im Umgang
mit Anwälten haben, verstehen auch diese unter "Spezialisten" jedenfalls Fachleute, die
sich zumindest ganz überwiegend mit speziellen Problemkreisen befassen und dabei
die entsprechende Erfahrung gesammelt haben. Die Unterscheidung zwischen
Spezialisten und Generalisten in Form von Anwälten, die sich mit allen gängigen
Problemen beschäftigen, ohne darauf spezialisiert zu sein, ist den angesprochenen
Verkehrskreisen bekannt. Derartige Unterschiede kennen sie auch aus dem Umgang
mit Ärzten. Auch wenn die Rechtsuchenden nicht genau den Unterschied von
Fachanwälten und Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkten kennen sollten, sehen sie
in den Spezialisten die spezialisiertesten Rechtsanwälte, die sie sich denken und auf
deren Dienste sie zählen können.
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(5) Die so zu verstehe Werbeaussage ist schon nach dem eigenen Vorbringen der
Beklagten unrichtig, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat. Die Beklagte verfügt
zum einen nicht über eine solche Vielzahl von Spezialisten, die dank ihrer besonderen
Kenntnisse und Erfahrungen diese Bezeichnung verdienen, dass diese alle Fälle der
angesprochenen Rechtsuchenden mit ihren Spezialkenntnissen lösen können. Es ist
zum anderen auch nicht so, dass den künftigen Mandanten ein persönlicher Kontakt mit
Spezialisten für ihr Rechtsproblem ermöglicht wird. Die Mandanten werden vielmehr
von den Anwälten in den örtlichen Niederlassungen persönlich betreut, die das
erforderlich werdende Fachwissen gegebenenfalls über das Netzwerk der bundesweit
tätigen Kollegen abfragen und koordinieren. Der Gesellschaftsgründer der Beklagten
hat am Beispiel einer Angelegenheit der Unternehmensnachfolge plastisch geschildert,
wie die Zusammenarbeit der Anwälte aussehen kann: Die Problemlösung wird
möglicherweise so aufgeteilt, dass steuerrechtliche Fragen von einem Fachanwalt für
Steuerrecht in N, sozialrechtliche Fragen von einem spezialisierten Kollegen in C,
gesellschaftsrechtliche Fragen in O und erbrechtliche Fragen von einem Anwalt in E
behandelt werden. Unabhängig davon, dass die eingeschalteten Anwälte auch nach
dem Vorbringen der Beklagten im Regelfall keine Spezialisten im Sinne des
Bundesverfassungsgerichts sind, sondern teilweise spezialisierte und sich
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weiterbildende Anwälte, ist eine solche Fallbehandlung jedenfalls nicht die zugesagte
Betreuung durch einen eigenen Spezialisten. Die Beklagte hat auch in ihrer
Berufungsbegründung nicht vortragen können, über welche Spezialisten mit großer
Berufserfahrung sie verfügt und inwiefern diese die unterschiedlichsten Rechtsprobleme
umworbener Mandanten lösen können.
(6) Eine Werbung mit unrichtigen Aussagen erscheint nicht nur aus der strengen Sicht
des anwaltlichen Berufsstandes, sondern auch vom Standpunkt der hierdurch ebenfalls
betroffenen Allgemeinheit unlauter (vgl. BGH NJW 1999, 2444, 2445 –
Steuerberaterwerbung auf Fachmessen). Das Verbot einer Werbung mit unwahren
Behauptungen wirft auch keine verfassungsrechtlichen Fragen auf. Darauf erstreckt sich
das Grundrecht der freien Berufsausübung in keinem Falle.
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(7) Die von der Beklagten in der Berufungsinstanz zitierte Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts "Spezialist für Verkehrsrecht" passt nicht auf den
vorliegenden Fall. Bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ging es um
die Frage, ob sich ein spezialisierter Anwalt mit bestimmten Eigenschaften Spezialist
nennen darf oder ob ihm dies durch die BORA verboten ist. Es ging dabei um eine in
ihrem Aussagegehalt zutreffende Werbeaussage. Hier geht es nicht darum, ob die
Beklagte überhaupt den Begriff "Spezialist" für ihre Anwälte verwenden darf, wenn
diese über die Eigenschaften eines Spezialisten verfügen würden, sondern darum, dass
sie unter Verwendung dieses Begriffs mit unrichtigen Aussagen geworben hat.
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c) Die Wiederholungsgefahr ist nicht allein dadurch entfallen, dass die Beklagte nach
der Abmahnung nicht mehr mit den irreführenden Werbeaussagen wirbt. Ein Wegfall der
Wiederholungsgefahr hätte –wie immer- die Abgabe einer strafbewehrten
Unterlassungserklärung vorausgesetzt, an der es nach wie vor fehlt.
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3) Die Beklagte kann hier gegenüber dem Unterlassungsanspruch der Klägerin den
Einwand der Verwirkung schon deshalb nicht erheben, weil auch dem Vorgehen der
Klägerin im berufsständischen Interesse eine Irreführung zugrunde liegt. Bei dem
lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot handelt es sich um eine kollektive Schutznorm,
die nicht nur dem Schutz der Interessen des einzelnen Mitbewerbers oder
Berufsverbandes dient, sondern auch dem Schutz sämtlicher Marktteilnehmer,
insbesondere auch der Verbraucher (vgl. Hefermehl/Bornkamm, a.a.O, § 5 Rdn. 2.214).
Ein auf das Verbot einer solchen Irreführung gerichteter Anspruch kann deshalb nicht
verwirkt werden.
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4) Bei der Rechtsauffassung des Senats kommt es nicht mehr darauf an, ob ein
Unterlassungsanspruch auch aus §§ 3, 5 Abs. 2 Nr. 3 UWG hergeleitet werden kann,
wie es das Landgericht getan hat.
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Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht
ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711
ZPO.
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