Urteil des OLG Hamm vom 26.06.2008

OLG Hamm: verfügung, rückgriff, unterzeichnung, geschwindigkeit, verfolgungsverjährung, form, anhörung, kenntnisnahme, mangel, prüfungspflicht

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ss OWi 412/08
Datum:
26.06.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ss OWi 412/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Münster, 51 OWi 69 Js 251/07 (131/07)
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird verworfen, da es
nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur
Fortbildung des Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen
Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben, § 80 Abs. 1, 2, 4 S. 3
OWiG.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene, § 46
Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.
Zusatz:
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Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen der
Generalstaatsanwaltschaft an, die wie folgt Stellung genommen hat:
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"Der rechtzeitig gestellt und form- und fristgerecht begründete Antrag auf Zulassung
der Rechtsbeschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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Da die festgesetzte Geldbuße nicht mehr als 100,00 EUR beträgt, richten sich die
Voraussetzungen der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 OWiG. Danach ist die
Rechtsbeschwerde nur zulässig zur Fortbildung des materiellen Rechts oder wenn
das Urteil wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist.
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Zur Fortbildung des materiellen Rechts ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen,
wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze über die Auslegung von
Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts
aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (zu vgl. OLG
Hamm VRS 56, 42, 43). Eine Zulassung unter diesem Gesichtspunkt kommt daher
nur bei entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen
Rechtsfragen in Betracht (zu vgl. Göhler, OWiG 14. Auflg.,, § 80 Rndr. 3, m. w. N.).
Solche Rechtsfragen zeigt der Antrag des Betroffenen nicht auf.
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Der erhobene Einwand der Verfolgungsverjährung bereits vor Erlass des
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angefochtenen Urteils ist im Zulassungsverfahren wegen § 80 Abs. 5 OWiG nur
dann zu prüfen, wenn es gerade wegen dieser Frage geboten ist, unter
Berücksichtigung der Zweckkriterien des § 80 Abs. 1 und 2 OWiG die
Rechtsbeschwerde zuzulassen (zu vgl. OLG Düsseldorf NZV 1994, 118-120).
Klärungsbedürftige Fragen der Verfolgungsverjährung ergeben sich aus dem
Antragsvorbringen jedoch nicht.
Die Verjährung ist vorliegend durch die Verfügung des Amtsgerichts Münster vom
19.07.2007 (Bl. 73 d. A.) wirksam gem. § 33 Abs. 1 Nr. 11 OWiG unterbrochen
worden. Gem. § 33 Abs. 2 S. 1 OWiG ist bei einer schriftlichen Anordnung die
Verjährung zu dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem die Anordnung oder
Entscheidung unterzeichnet wird. In Ausnahmefällen ist gem. § 33 Abs. 2 Satz 2
OWiG der Zeitpunkt maßgebend, in dem das Schriftstück in den Geschäftsgang
gelangt ist, wenn dies nicht alsbald nach Unterzeichnung des Schriftstückes
geschehen sein sollte. Nur falls positiv festgestellt wird, dass letzteres der Fall ist,
bestimmt S. 2 einen anderen Zeitpunkt (zu vgl. Göhler, a. a. O., § 33 Rdnr. 47).
Verzögerungen bei der Weiterleitung des Schriftstücks an die Geschäftstelle – die
in der Regel in den Akten vermerkt
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werden – sind nicht ersichtlich. Vielmehr liegt nahe, dass hier Verzögerungen im
Geschäftsgang aufgetreten sind, die die durch die Unterzeichnung eingetretene
Verjährungsunterbrechung nicht beseitigen (zu vgl. Göhler, a. a. O., § 33 Rdnr. 47 a
m. w. N.).
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Im Übrigen erschöpft sich der Zulassungsantrag in unzulässigen Angriffen gegen
die tatrichterliche Beweiswürdiugng. Entgegen den Ausführungen in der
Rechtsbeschwerde ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass die festgestellte
Geschwindigkeit nicht auf einer Schätzung der nachfahrenden Zeugin C beruhte,
sondern das Fahrzeug des Betroffenen "eingemessen", sprich der
Geschwindigkeitsverstoß durch Ablesen der Geschwindigkeit auf dem "justierten
Tachometer" des Messfahrzeuges festgestellt wurde.
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Die Versagung rechtlichen Gehörs muss im Wege der Verfahrensrüge geltend
gemacht werden (zu vgl. Göhler, a. a. O., § 80 Rndr. 16 i). Vorliegend fehlt es aber
an einer den Anforderungen der §§ 80 Abs. 2, 79 Abs. 3 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO genügenden Darstellung dieser Verfahrensrüge. Um die Zulässigkeit dieser
Rüge zu begründen, müssen die den Mangel enthaltenen Tatsachen so genau
bezeichnet und vollständig angegeben werden, dass das Beschwerdegericht
schon anhand der Rechtsbeschwerdeschrift ohne Rückgriff auf die Akten prüfen
kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, falls die behaupteten Tatsachen zutreffen
(zu vgl. Göhler, a. a. O., § 79 Rndr. 27 d m. w. N.) Das Rechtsbeschwerdegericht
muss aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags in der Lage sein, zu
prüfen, ob die angefochtene gerichtliche Entscheidung auf einer Verletzung des
Art. 103 GG beruht. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gibt einen Anspruch
darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen und dem Betroffenen nachteiligen
Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom
28.02.2005 – 1 Ss OWi 131/05 -). Es ist von Beschwerdeführer mitzuteilen, was er
im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte (zu vgl. Göhler, OWiG, a.a.O., § 79
Rdnr. 27 d m. w. N.). Der Betroffene teilt bereits den Inhalt des Schriftsatzes vom
10.01.2008, den das Amtsgericht nicht berücksichtig haben soll, nicht mit. Soweit
sich aus der Beschwerdebegründung noch ergibt, dass damit der Eintritt der
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Verjährung gerügt wurde, wird jedoch auch der Inhalt der beanstandeten
Verfügungen nur unvollständig wiedergegeben. Ein Rückgriff auf die der
Begründungsschrift beigefügten Ablichtungen der Ver-
fügungen ist nicht möglich, da die Bezugnahme auf Anlagen unzulässig ist (zu vgl.
Göhler, a. a. O. m. w. N.). Der Beschwerdeführer teilt nicht mit, dass die Verfügung
zwar bereits am19.07.2007 von dem zuständigen Richter unter-
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schrieben wurde, dann zwar erheblich später, nämlich am 19.11.2007 aus-
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geführt wurde, dies jedoch rechtzeitig zu dem erst auf den 11.12.2007 anberaumten
Hauptverhandlungstermin erfolgte. Im Übrigen ließe sich eine Versagung des
rechtlichen Gehörs auch nicht feststellen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
liegt nur dann vor, wenn die erlassene Entscheidung des Tatrichters auf einem
Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unter-
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lassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Partei
hat (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14.02.2008 – 2 Ss OWi 81/08 – m. w. N.).
Das kann vorliegend nicht angenommen werden. Das Gebot des rechtlichen
Gehörs gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines
Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz
unberücksichtigt lassen (zu vgl. BVerG StV 1992, 307; OLG Hamm, Beschluss vom
18.08.2005 – 3 Ss OWi 469/05 – m. w. N.). Vorliegend hat das Amtsgericht
zutreffend die Frage der Verjährung offen-
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sichtlich im Rahmen seiner ihm von Amts wegen obliegenden Prüfungspflicht
verneint. Die Ausführungen des Beschwerdeführers rechtfertigten eine andere
Beurteilung nicht.
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Dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist mithin insgesamt ein Erfolg
zu versagen."
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