Urteil des OLG Hamm vom 16.09.1999
OLG Hamm: positive vertragsverletzung, wohnwagen, anzeichen, verantwortlichkeit, sturm, anfang, anmerkung, grundstück, verpachtung, sorgfalt
Oberlandesgericht Hamm, 6 U 103/99
Datum:
16.09.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 103/99
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 12 O 493/98
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im übrigen das am 2. März 1999 verkündete Urteil der 12.
Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abge-ändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.333,33 DM nebst 4 %
Zinsen seit dem 1. April 1998 zu zahlen.
Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen zu 45 % der Kläger und zu 55 % der
Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschwer der Parteien: unter 10.000,00 DM.
Entscheidungsgründe
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I.
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Der Beklagte erwarb Anfang 1997 in ein am ...-Kanal gelegenes Grundstück, zu dem ein
seinerzeit mit Pappeln bepflanzter Hochwasserschutzwall gehört. Neben diesem stellte
der Kläger, der auf einem Teil des Grundstücks als Pächter eine Gaststätte betreibt, um
die Jahresmitte 1997 einen Wohnwagen mit Vorzelt ab. Anfang Januar 1998 stürzte bei
einem Sturm eine Pappel um und fiel auf den Wohnwagen, der dadurch stark
beschädigt wurde.
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Mit dem Vorwurf, der Beklagte habe in Bezug auf die Pappeln seine
Verkehrssicherungspflicht verletzt, hat der Kläger ihn auf Schadensersatz in Höhe von
14.922,45 DM in Anspruch genommen.
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Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine Verletzung der
Verkehrssicherungspflichten, wie sie von der Rechtsprechung bezüglich der von
Bäumen ausgehenden Gefahren konkretisiert worden seien, sei nicht dargelegt.
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Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter und macht
geltend, der Beklagte habe während seiner Besitzzeit ab Anfang 1997 keinerlei
Kontrollen vorgenommen; außerdem sei bei Pappeln eine höhere Sorgfalt angezeigt;
eine Sichtkontrolle und ein Zurückschneiden hätten im vorliegenden Fall nicht
ausgereicht, weil die später umgestürzte Pappel weitgehend trocken gewesen sei; sie
habe Anzeichen für mangelnde Lebensfähigkeit und erhöhte Umsturzgefahr gezeigt.
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Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er behauptet, er habe die erforderlichen
Sichtkontrollen durchgeführt, und bestreitet, daß Anzeichen von Krankheit oder sonst
mangelnder Standfestigkeit sich gezeigt hätten. Er macht geltend, gegebenenfalls treffe
den Kläger ein wesentliches Mitverschulden, und er bestreitet die Schadenshöhe.
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Der Senat hat die Parteien angehört und ein mündliches Gutachten des
Sachverständigen Dipl.-Ing. ... eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf den
Berichterstattervermerk Bezug genommen.
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II.
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Die Berufung des Klägers hat überwiegend Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet.
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Der Beklagte ist dem Kläger gemäß §§ 823, 535, 581 BGB und nach den Regeln über
die positive Vertragsverletzung zum Schadensersatz verpflichtet, weil er seinen
Sorgfaltspflichten als Grundstückseigentümer und Verpächter nicht hinreichend
nachgekommen ist. Der Kläger muß jedoch gemäß § 254 BGB ein Drittel seines
Schadens selbst tragen, weil auch er die Anzeichen für die mangelnde Standsicherheit
der später umgestürzten Pappel hätte erkennen können.
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Der Beklagte war sowohl als Grundstückseigentümer im Rahmen der allgemeinen
Verkehrssicherungspflicht wie auch als Verpächter gegenüber dem Kläger als Pächter
gehalten, Vorkehrungen gegen die Gefahren zu treffen, die durch ein Umstürzen von
Pappeln auf dem Gelände entstehen konnten, welches zum Teil vom Beklagten und
zum anderen Teil vom Kläger als Pächter genutzt wurde (zur Verkehrssicherungspflicht
auf einem verpachteten Grundstück vgl. OLG Zweibrücken, VersR 94, 1489; OLG
Düsseldorf, OLGR 94, 147). Ebenso wie bei Straßenbäumen wäre grundsätzlich
zweimal jährlich durchgeführte Sichtkontrollen ausreichend gewesen (vgl. OLG Hamm -
9. ZS - OLGR 97, 67; OLG Karlsruhe VersR 94, 358 mit Anmerkung Breloer; OLG
Hamm, - 9. ZS - VersR 98, 188 mit Anmerkung Breloer). Eingehende Untersuchungen
müssen nur dann vorgenommen werden, wenn bestimmte Umstände auf eine
besondere Gefährdung hindeuten.
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Im vorliegenden Fall steht auf Grund der überzeugenden Ausführungen des
Sachverständigen Dipl.-Ing. ... fest, daß der Beklagte entweder keine hinreichenden
Sichtkontrollen durchgeführt hat, oder daß er seine eigene Sachkunde in vorwerfbarer
Weise überschätzt hat und deswegen die äußerlich sichtbaren Krankheitsanzeichen an
der Pappel übersehen hat, die infolge fortgeschrittener innerlicher Verrottung nicht mehr
hinreichend standfest war und deswegen beim Sturm abgebrochen und auf den
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Wohnwagen des Klägers gefallen ist. Der Sachverständige hat anhand der Lichtbilder,
die außer dem beschädigten Wohnwagen auch die Reste der beim Sturm umgestürzten
Pappel zeigen, überzeugend erläutert, daß auch vorher schon hinreichend deutliche
Krankheitsanzeichen sichtbar waren, die bei sorgfältiger Sichtkontrolle hätten entdeckt
werden können. Zu einer derart sorgfältigen Sichtkontrolle bestand hier zum einen
deswegen Veranlassung, weil nach übereinstimmender Darstellung der Parteien die
umgestürzte Pappel nicht zu der Reihe der auf dem Hochwasserschutzdamm
gepflanzten Pappeln gehörte, sondern kleiner als diese und deswegen in besonderer
Weise ihrem Schatten ausgesetzt war. Zum anderen war Sorgfalt auch deswegen
geboten, weil Pappeln bekanntermaßen zu den anfälligeren Gehölzen gehören (vgl.
OLG Karlsruhe, VersR 94, 358; OLG München, DAR 85, 25; OLG Düsseldorf, VersR 96,
249 = OLGR 95, 66). Wäre der Beklagte seiner Verpflichtung zur Vornahme sorgfältiger
Sichtkontrollen in ausreichendem Maße nachgekommen, so wären - davon ist der Senat
auf Grund der Ausführungen des Sachverständigen überzeugt - die äußerlich sichtbaren
Krankheitsanzeichen erkannt worden, und bei einer anschließenden eingehenden
Untersuchung wäre die mangelnde Standfestigkeit der Pappel rechtzeitig entdeckt
worden, was wegen des Ausmaßes ihrer innerlichen Verrottung entweder zu ihrer
Abholzung oder zumindest zum Entfernen des darunter abgestellten Wohnwagens
geführt hätte.
Gemäß § 254 BGB muß der Kläger aber ein Teil seines Schadens selbst tragen. Er war
nicht nur als Pächter neben den Beklagten ebenfalls für die Verkehrssicherheit des
Grundstücks verantwortlich, sondern war auch im eigenen Interesse gehalten, seinen
Wohnwagen keinen vermeidbaren Gefahren auszusetzen.
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Im Fall der Vermietung oder Verpachtung eines Grundstücks an einen Dritten hängt die
Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen Eigentümer und Pächter von den
Umständen ab. Im Falle einer langandauernden Verpachtung und alleinigen Nutzung
des Grundstücks durch den Pächter mag es im Einzelfall angemessen erscheinen, ihm
im Verhältnis zum Verpächter die überwiegende oder alleinige Verantwortlichkeit
zuzuweisen. Hier lag aber die Grundstücksüberlassung erst kurze Zeit zurück, und es
kommt entscheidend hinzu, daß der Beklagte selbst einen Teil des insgesamt
übersichtlichen Grundstücks bewohnte. Unter diesen Umständen erschien es dem
Senat sachgerecht, ihm im Verhältnis zum Kläger die überwiegende Verantwortlichkeit
zuzuweisen und dessen Schadensersatzanspruch wegen seiner Mitverantwortlichkeit
um ein Drittel zu kürzen.
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Da der Kläger seinen Wohnwagen nicht hat reparieren lassen, sondern ihn in
beschädigtem Zustand verkauft hat, ist zwischen den beiden Möglichkeiten der
Naturalrestitution - Reparatur oder Ersatzbeschaffung - ein strenger Kostenvergleich
vorzunehmen (vgl. BGH NJW 92, 302 = r+s 92, 15; Senat r+s 99, 326). Dieser führt dazu,
daß nicht die geltend gemachten Reparaturkosten von 14.922,45 DM zugrundezulegen
sind, sondern die Differenz zwischen dem mit 16.000,00 DM festgestellten
Wiederbeschaffungswert und dem Restwert. Für dessen Höhe ist nicht das
Restwertangebot in Höhe von 4.500,00 DM maßgeblich, welches der vom
Haftpflichtversicherer des Beklagten beauftragte Schadensgutachter von der Firma ...
eingeholt hat, zumal nicht ersichtlich ist, ob und wann es dem Kläger zugegangen ist
(zur Bedeutung des Restwertsangebots vgl. im übrigen Senat, r+s 99, 326), sondern der
Erlös von 3.500,00 DM, den der Kläger im Rahmen der ihm zu Gebote stehenden
Möglichkeiten erzielt hat (vgl. LG Freiburg, DAR 99, 408). Es ergibt sich demgemäß ein
berücksichtigungsfähiger Schaden von 12.500,00 DM, den der Beklagte entsprechend
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seiner Haftungsquote von 2/3 dem Kläger in Höhe von 8.333,33 DM zu ersetzen hat.
Die Zinsentscheidung und die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§
284, 288 BGB, §§ 92, 708 Nr. 10, 713, 546 ZPO.
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