Urteil des OLG Hamm vom 29.03.2000
OLG Hamm: unfall, golf, fahrzeug, geschwindigkeit, kurve, haftpflichtversicherung, rechtswidrigkeit, einwilligung, baujahr, kollision
Oberlandesgericht Hamm, 13 U 99/99
Datum:
29.03.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 99/99
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 3 O 624/97
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 26. Januar 1999 verkündete
Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert den Kläger in Höhe von 14.094,60 DM.
Tatbestand:
1
Der Kläger nimmt den Beklagten zu 1) als Fahrer, den Beklagten zu 2) als Halter und
den Beklagten zu 3) als Haftpflichtversicherer aufgrund eines behaupteten
Verkehrsunfalls in Anspruch, der sich am 06.06.1997 gegen 20.30 Uhr in H
haben soll.
2
Am Morgen des 06.06.1997 hatte der Beklagte zu 2) das von ihm kurz zuvor für 500 DM
oder 600,00 DM gekaufte Fahrzeug VW Golf, Baujahr IV/82 zugelassen. Bei dem
Fahrzeug des Klägers handelt es sich um einen BMW 325 i Cabrio, Baujahr VI/1987 mit
einer Laufleistung am Unfalltage von 160.145 Km und reparierten Vorschäden und
(nicht reparierten) Altschäden.
3
Am 06.06.1997 stellte der Kläger (gegen 17.00 Uhr) sein Fahrzeug auf der in
Fahrtrichtung gesehen linken Straßenseite der K-Straße in H ab .
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Gegen 20.30 Uhr befuhr der Beklagte zu 1), der sich den Golf von dem Beklagten zu 2)
geliehen hatte, die M-Straße, die nach rechts in die K-Straße einmündet. Hinter der
Rechtskurve stand das Fahrzeug des Klägers. Aus streitiger Ursache fuhr der Beklagte
zu 1) mit dem Golf auf den BMW auf. Dabei wurde der Golf mit dem Heck um etwa 45
Grad nach rechts versetzt. Bei der K-Straße handelt es sich um eine Straße mit
geringem Verkehrsaufkommen, die in einem Wohngebiet liegt.
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Der Kläger behauptet, er habe sein Fahrzeug abgestellt, als er im Gegenverkehr den
Zeugen B getroffen habe. Er habe sein Fahrzeug in die nächstbeste Lücke zwischen
parkenden Fahrzeugen abgestellt, wobei er nach vorn eingeparkt habe, ohne nochmals
zurücksetzen zu müssen (auf der Fahrbahnseite entgegen Fahrtrichtung). Dann sei er
bei B eingestiegen und mit ihm nach H gefahren. Später sei er in H von seinem
Schwager auf den Unfall hingewiesen worden und mit B sofort zur Unfallstelle gefahren.
Der Beklagte zu 1), den er nicht kenne, sei beim Rechtsabbiegen in die K-Straße infolge
überhöhter Geschwindigkeit auf sein Fahrzeug aufgeprallt.
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Unter Bezugnahme auf das Schadensgutachten L (Bl. 45 ff. d. A.) behauptet er einen
Sachschaden (Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert) in Höhe von
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12.900,- DM. Zzgl. der Kostenpauschale (50,- DM) und Gutachterkosten in Höhe von
1144,60 DM (Bl. 44) begehrt er Ersatz in Höhe von insg. 14.094,60 DM, wobei er bzgl.
der Gutachterkosten in der Berufungsinstanz Zahlung an der Sachverständigen L
begehrt.
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Der Beklagte zu 3) - zugleich auch als Streithelfer für die anwaltlich nicht vertretenen
Beklagten zu 1) und zu 2) - behauptet, der "Unfall" habe sich im Einvernehmen mit dem
Kläger ereignet. Er beruft sich dabei auf verschiedene Indizien und auf das von ihm in
Auftrag gegebene Gutachten des Sachverständigen C v. 19.08.1997. Darüber hinaus
bestreitet der Beklagte zu 3) die Höhe des Sachschadens.
9
Der Kläger und der Beklagte zu 1) sind durch Urteil des AG Gelsenkirchen-Buer vom
18.06.1998 wegen versuchten gemeinschaftlichen Betruges zu Freiheitsstrafen von je
einem Jahr (ohne Bewährung) verurteilt worden. Gegenstand der Verurteilung war der
vorliegende Unfall und der Versuch, von dem Beklagten zu 3) den entstandenen
Schaden ersetzt zu erhalten. In der Berufungshauptverhandlung vom 20. März 2000 vor
dem Landgericht Essen ist das Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
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Das Landgericht hat nach Anhörung der Klägers und der Beklagten zu 1) und zu 2)
sowie nach Einholung eines Rekonstruktionsgutachtens des Sachverständigen Dipl.-
Ing. T (Bl. 91 ff. d. A.) die Klage mit der Begründung abgewiesen, es spreche alles für
das Vorliegen eines gestellten Unfalles.
11
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine Ansprüche in voller
Höhe weiterverfolgt. Er greift insb. die vom Landgericht vorgenommene
Beweiswürdigung an.
12
Der Beklagte zu 3) – zugleich als Streithelfer für die Beklagten zu 1) und zu 2) -
verteidigt das angefochtene Urteil.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
14
Der Senat hat den Beklagten zu 1) persönlich angehört sowie zum Unfallhergang
Beweis erhoben durch Erläuterung und Ergänzung des Gutachtens vom 02.10.1998
durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. T. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung
und der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk Bezug genommen.
15
Entscheidungsgründe:
16
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
17
Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht der gemäß §§ 823 Abs. 1 und 2, 249 ff.,
421 BGB, 7, 17, 18 StVG, 3 Nr. 1 PflVG geltendgemachte Schadensersatzanspruch
bereits dem Grunde nach nicht zu.
18
I.
19
Nach dem Ergebnis der ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme steht zur
Überzeugung des Senats fest, daß der Pkw des Klägers am 06.06.1997 mit dessen
Willen beschädigt worden ist, so dass dem Kläger kein Schadensersatzanspruch gegen
die Beklagten erwachsen ist. Die Gesamtschau aller Umstände lässt nur den Schluss,
daß es sich bei dem Vorfall vom 06.06.1997 auf der K-Straße in H um einen sog.
gestellten "Unfall" gehandelt hat. Bei dieser Art von "Unfallereignissen" gelten folgende
prozessualen Grundsätze:
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1.)
21
Der Anspruchssteller muss darlegen und beweisen, daß durch einen ganz konkreten
Geschehensablauf der von ihm behauptete Schaden durch das versicherte Fahrzeug
verursacht wurde. Dabei handelt es sich um den Nachweis der haftungsbegründenden
Kausalität nach Maßgabe von § 286 ZPO. Demnach muss der Anspruchsteller das
Gericht davon überzeugen, daß der von ihm behauptete Unfall (= der äußere
Tatbestand der Rechtsgutverletzung) überhaupt stattgefunden hat und hierdurch der
behauptete Schaden verursacht worden ist (BGH VersR 1983, 985; VersR 1984,29;
OLGR Hamm 1994, 172 - Senatsurteil v.
22
20.04.1994 - ).
23
Wenn davon auszugehen ist, daß ein Unfall stattgefunden hat und auch der Schaden
diesem Ereignis zuzuordnen ist, wird die Rechtswidrigkeit der Schadenszufügung
vermutet. Daher obliegt dem Schädiger bzw. dem Versicherer die Beweislast für das
Vorliegen eines die Rechtswidrigkeit ausschließenden Tatbestandes, bei der
Unfallmanipulation die rechtfertigende Einwilligung des Geschädigten in die
Rechtsgutverletzung (grundlegend BGH VersR 1978, 862).
24
Dabei kommen dem Versicherer Beweiserleichterungen zugute. Es genügt ein für das
praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, d. h. ein für einen vernünftigen, die
Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen so hoher Grad von
Wahrscheinlichkeit, daß er Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie mathematisch
lückenlos auszuschließen. Demnach ist eine Häufung der für eine Manipulation
sprechenden Beweisanzeichen und Indizien geeignet, die Überzeugung des Gerichts
zu begründen, ein "gestellter" Unfall liege vor (Vgl. etwa OLG Frankfurt 1996, 265;
OLGR Düsseldorf 1996, 122; OLGR Hamm 1993, 306; Weber, DAR 1979, 113 spricht
vom "Mut des Tatrichters").
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Ob sich der Versicherer darüber hinaus auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises
berufen kann, ist umstritten (ablehnend OLGR Düsseldorf 1996, 122; bejahend OLGR
Köln 1992, 155; in wenigen Ausnahmefällen anwendbar BGH VersR 1979, 514, OLGR
26
München 1993, 21).
2.)
27
Die Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zu
folgenden Ergebnissen:
28
a)
29
Der äußere Tatbestand einer Rechtsgutverletzung – Kollision zwischen dem Golf des
Beklagten zu 2) und dem parkenden BMW des Klägers – ist zwischen den Parteien
nicht im Streit.
30
b)
31
Dem Beklagten zu 3) ist jedoch der Beweis gelungen, daß der Kläger in die
Rechtsgutverletzung (Eigentum) eingewilligt hat. In der Gesamtbetrachtung von
zahlreichen Einzelumständen drängt sich im vorliegenden Falle jedermann die
Unfallmanipulation auf. Der vorliegende Unfall entspricht in einer Vielzahl von
(überwiegend unstreitigen) Einzelheiten dem Muster fingierter "Unfälle".
32
aa)
33
Geradezu typisch ist der Umstand, daß es sich um einen Auffahrvorgang auf ein
parkendes Fahrzeug gehandelt hat. Anders als bei einem Frontalzusammenstoß oder
bei einer seitlichen Kollision lässt sich beim Auffahren von hinten der Schadenshergang
nahezu optimal steuern. Gleichzeitig lässt sich das unvermeidbare
Körperverletzungsrisiko in Grenzen halten und der Schadensumfang kalkulieren. Der
Auffahrende kann sich auf den Zusammenstoß einstellen. Im parkenden Pkw sitzt
niemand, der evtl. verletzt werden könnte.
34
Vorliegend wird die Gewichtigkeit dieses Verdachtsmomentes durch die Feststellungen
des Sachverständigen Dipl.-Ing. T noch entscheidend verstärkt.
35
Der Sachverständige hat nach Durchführung einer umfangreichen
Kompatibilitätsanalyse der entstandenen Schäden sowie der Durchführung
verschiedener Fahrversuche vor Ort nachvollziehbar dargelegt, daß der Beklagte zu 1)
mit dem Golf mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 35 Km/h ungebremst und ohne
Querneigung gegen den abgestellten BMW des Klägers gefahren ist. Die vom
Beklagten zu 1) durchfahrene Kurve ist jedoch bei einer Geschwindigkeit bis zu 50 Km/h
problemlos beherrschbar. Führt der Fahrer in der Kurve Abwehrhandlungen durch
(Bremsen oder Gegenlenken) müssen aus technischer Sicht zwangsläufig Brems- oder
Driftspuren gezeichnet werden. Letzteres hat der Sachverständige vor Ort rekonstruiert,
was aus den Lichtbildern in den Anlagen A 20 und A 21 zum Gutachten vom 29.03.2000
ersichtlich ist. Überdies taucht der Pkw bei einer Kurvenfahrt ab.
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Das vom Beklagten zu 1) beschriebene Heraustragen aus der Kurve bei einer
Geschwindigkeit von 40 – 50 Km/h bei gleichzeitigem Bremsen (Bl. 69 d. A) ist danach
technisch nicht darstellbar. Es sind keine Brems- oder Driftspuren festgestellt worden.
Die Schäden können nur entstanden sein, wenn der Golf zum Kollisionszeitpunkt nicht
eingetaucht war und sich dementsprechend nicht in Kurvenfahrt befand.
37
Die Feststellungen des Sachverständigen lassen nur den Schluss zu, daß der Beklagte
zu 1) nicht etwa aus Unaufmerksamkeit, sondern bewusst und absichtlich auf den
parkenden BMW des Klägers aufgefahren sein muss. Liegt aber ein bewusstes
Auffahren vor, so stellt dieser Umstand ein entscheidendes Indiz für das Bestehen einer
rechtfertigenden Einwilligung des Eigentümers (hier des Klägers) in den Unfall und in
die Beschädigung zum Zwecke der Inanspruchnahme der Haftpflichtversicherung des
Schädigers dar. Denn für das bewusste und absichtliche Auffahren ist kein anderer
nachvollziehbarer Grund ersichtlich, als dass der Schädiger dem (einwilligenden)
Geschädigten die Inanspruchnahme seiner (des Schädigers) Haftpflichtversicherung
ermöglichen will (Senatsurteil v. 22.03.2000, 13 U 144/99).
38
bb)
39
Die Merkmale der am Unfall beteiligten Fahrzeuge sind besonders charakteristisch für
das Vorliegen eines gestellten Unfalles.
40
(1)
41
Bei dem BMW des "Unfallopfers" handelte es sich um einen
42
10 Jahre alten, früheren Luxus-Pkw mit hoher Laufleistung (160.145 Km, Bl. 15 d. A.)
und mit (nicht reparierten) Vorschäden (vgl. Bl. 15 d. A.). Die Beteiligung eines solchen
Fahrzeuges bringt dem "Geschädigten" bei der fast ausnahmslos vorgenommenen
Abrechnung auf der Grundlage fiktiver Reparaturkosten oder aufgrund des
Wiederbeschaffungswertes (wie auch vorliegend) erhebliche finanzielle Vorteile.
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Der Vortrag des Klägers, er habe den BMW notdürftig reparieren lassen und dafür
7.000,- DM aufgewendet (Bl. 166 d. A.) ist unsubstantiiert. Gleiches gilt, soweit er den
BMW für 7.000,- DM verkauft haben will.
44
(2)
45
Bei dem Golf des Beklagten zu 2) handelt es sich um einen 15 Jahre alten, in
erheblichem Maße korrodierten Pkw (vgl. S. 4 des Gutachten C) mit einer Laufleistung
von rd. 192.000 Km. Der Beklagte zu 2) hatte den Golf erst zwei Wochen vor dem Unfall
für 500 oder 600 DM gekauft und am Vormittag des Unfalltages zugelassen (Bl. 70 d.
A.). Noch am gleichen Tage wurde der Golf an den Beklagten zu 1) verliehen, ohne
dass ein Grund hierfür ersichtlich wäre.
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Der von dem (zum Unfallzeitpunkt arbeitslosen) Beklagten zu 2) genannte Grund für die
Anschaffung des Golf (in Aussicht gestellte Arbeitstelle, Bl. 70 d. A.) ist für den Senat
nicht im Entferntesten nachvollziehbar. Im Regelfall wartet man die Zusage für die
Arbeitsstelle ab. Erst dann trifft man die erforderlichen Dispositionen.
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cc)
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Der Unfall ereignete sich in einem reinen Wohngebiet. Es sind keine Zeugen
vorhanden, die evtl. etwas zum Hergang des Unfalles bekunden könnten. Der
Unfallhergang ist so gewählt worden, daß die Schuldfrage eindeutig erscheint.
Insbesondere muss sich der Geschädigte in solchen Fällen keinen
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Mitverursachungsbeitrag aufgrund der von seinem Pkw ausgehenden Betriebsgefahr
anrechnen lassen, da diese regelmäßig zurücktritt.
dd)
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Die Angaben der Beteiligten, wie der BMW zur Unfallstelle gekommen ist und wie der
Kläger von dem Unfall Kenntnis erlangte, sind sehr auffällig .
51
Der Beklagte zu 1) hat angegeben, nach dem Unfall habe er sich erkundigt, wem der
BMW gehöre. Dann habe "jemand auf den Kläger gezeigt", (Bl. 69 d. A). Das deutet
darauf hin, daß der Kläger zum Unfallzeitpunkt bereits an Ort und Stelle war.
Demgegenüber hat der Kläger erklärt, erst mit dem Zeugen B dort hingefahren zu sein,
nach dem sein Onkel ihm gesagt habe, sein Auto sei "irgendwo" in H beschädigt
worden (Bl. 68 d. A).
52
3.)
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Die unter Buchstaben aa) bis dd) genannten manipulationstypischen Umstände sind –
insgesamt gesehen – als Indizien für die Vortäuschung eines Unfalls ausreichend und
so gewichtig, daß der Senat im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung der
Einzelumstände von einem bewusst und gewollt herbeigeführten Schadensfall
überzeugt ist.
54
II.
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Daraus folgt, das die Klage unbegründet ist. Trotz des Umstandes, dass die Beklagten
zu 1) und zu 2) weder in erster noch in zweiter Instanz anwaltlich vertreten sind, gilt die
Klageabweisung im Verhältnis zu allen Beklagten. Der Beklagte zu 3) kann aufgrund
seiner Eigenschaft als Streithelfer alle Prozesshandlungen wirksam für die Beklagten zu
1) und zu 2) vornehmen (§§ 66, 67 ZPO), insb. Klageabweisung und
Berufungszurückweisung beantragen.
56
III.
57
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 546 Abs.
2 ZPO.
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