Urteil des OLG Hamm vom 28.06.2001

OLG Hamm: wiedereinsetzung in den vorigen stand, merkblatt, verschulden, rechtsmittelfrist, absendung, fristbeginn, akte, einspruch, rechtsmittelbelehrung, verkündung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss OWi 550/01
28.06.2001
Oberlandesgericht Hamm
2. Strafsenat
Beschluss
2 Ss OWi 550/01
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Antrag
auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts werden verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 3. April 2001 wegen Schädigung eines
anderen Verkehrsteilnehmers zu einer Geldbuße von 75 DM verurteilt. Nach Verkündung
des Urteils wurde dem Betroffene die Rechtsmittelbelehrung erteilt, ein Merkblatt über die
Rechtsmittelfristen wurde dem Betroffenen aber nicht ausgehändigt.
Mit am 12. April 2001 eingegangenem Schreiben legte der Betroffene "Einspruch" gegen
das Urteil vom 3. April 2001 ein. Der Verteidiger des Betroffenen legte mit Schriftsatz vom
17. April 2001 Rechtsbeschwerde ein und beantragte deren Zulassung. Das Amtsgericht
hat mit Beschluss vom 3. Mai 2001 den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde
wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen. Daraufhin hat nunmehr der Betroffene
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und den Antrag auf Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts gestellt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, beide
Anträge zu verwerfen.
II.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, über den zunächst zu entscheiden
ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , 2001, § 346 StPO Rn. 17), hat keinen
Erfolg. Der Antrag ist zwar zulässig, er ist jedoch unbegründet.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO ist bei Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren, wenn der Antragsteller "ohne Verschulden" gehindert war, die
versäumte Frist einzuhalten. Maßgebend dafür ist die dem Antragsteller mögliche und
zumutbare Sorgfalt (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , 2001, § 44 StPO Rn. 11
mit weiteren Nachweisen). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs trifft den Antragsteller
vorliegend aber an der Fristversäumung ein Verschulden.
Dabei geht der Senat nach dem Inhalt der sich in der Akte befindenden dienstlichen
Äußerung des Amtsrichters - das Protokoll der Hauptverhandlung vom 3. April 2001
schweigt insoweit - davon aus, dass der Amtsrichter den Betroffenen über die zulässigen
Rechtsmittel richtig und vollständig belehrt hat. Aus der dienstlichen Äußerung folgt aber
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weiter, dass dem Betroffenen entgegen Nr. 142 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Nr. 285
Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren ein Merkblatt über
die einem Betroffenen im Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Verfügung stehenden
Rechtsmittel nicht ausgehändigt worden ist.
Eine solche nur mündliche Belehrung bzw. die Nichtaushändigung eines Merkblatts wird
inzwischen von der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung und Literatur als
Entschuldigung für die Versäumung der Rechtsmittelfrist angesehen (vgl. u. a. BVerfG
NJW 1996, 1811; OLG Köln NStZ 1997, 404 [OLG Köln 04.04.1997 - Ss 16/97];
KG NZV 1992, 123 f. ; OLG Düsseldorf NStE § 44 StPO Nr. 26; auch
OLG Hamm VRS 59, 347 ff. ; wohl auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O. , § 44 Rn. 13;
a. A. noch OLG Köln OLGSt § 35 a StPO Nr. 1; OLG Schleswig SchlHA 1990, 113 bei
Lorenzen/Görl). Nach Ansicht des Senats kann es dahinstehen, ob dem für alle Fälle der
Rechtsmittelbelehrungen oder nur für schwierige, wozu nach der Entscheidung des
hiesigen 1. Senats für Bußgeldsachen vom 4. März 1980 (OLG Hamm, a. a. O. ) die
Belehrung über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gehören soll, zu folgen
ist. Denn es ist ebenso einhellige Auffassung in der Rechtsprechung, dass derjenige, der
eine Belehrung überhaupt nicht verstanden hat, schuldhaft im Sinn des § 44 Abs. 1 StPO
handelt, wenn er sich nicht nach dem Fristbeginn für ein Rechtsmittel erkundigt (OLG
Hamm JMBl NW 1973, 259) bzw. sich nicht bemüht, alsbald den Inhalt der Belehrung zu
erfahren (BVerfG StV 1995, 394 Ls. ; OLG Hamm JMBl NW 1981, 166, Kleinknecht/Meyer-
Goßner, a. a. O. , mit weiteren Nachweisen). Das letztere wird zwar (nur) im Hinblick auf
ausländische, der deutschen Sprache nicht mächtige Antragsteller vertreten. Für deutsche
Antragsteller kann aber nichts anderes gelten. Danach ist nach Ansicht des Senats in den
Fällen, in denen ein Merkblatt über die zulässigen Rechtsmittel nicht ausgehändigt worden
ist, immer auch (noch) zu prüfen, ob der Antragsteller gegebenenfalls Anlass hatte, diesen
Verfahrensfehler durch eine Rückfrage bei Gericht oder die Einholung anwaltlichen Rates
innerhalb der Rechtsmittelfrist aufzufangen (so wohl auch BVerfG NJW 1996, 1811, 1812)
[BVerfG 21.12.1995 - 2 BvR 2033/95]. Dies gilt zumindest dann, wenn der Betroffene über
die einzulegenden Rechtsmittel in Zweifel sein musste (BVerfG, a. a. O. ).
Das war aber vorliegend der Fall. Der Betroffene hat selbst ausgeführt, dass "ihm durch
den erkennenden Richter erklärt wurde , dass er dieses Urteil anfechten könne. " Damit
wusste er, dass ihm gegen das Urteil des Amtsgerichts Rechtsmittel zustanden. Selbst
wenn er, wie er behauptet hat, zu dem Zeitpunkt über seine Verurteilung so aufgebracht
war, dass er über "die Angabe von Fristen oder ähnliches keine Erinnerung mehr" hat,
konnte und durfte er später, als die Erregung abgeklungen war, den Dingen nicht einfach
ihren Lauf lassen und sich nicht nach dem Fristbeginn erkundigen. Es ist allgemein
bekannt, dass Rechtsmittel fristgebunden sind. Deshalb hätte der Betroffene sich beim
Amtsgericht erkundigen können und müssen. Dass er das nicht getan hat, begründet das
eigene Verschulden des Betroffenen an der Fristversäumung.
Die begehrte Wiedereinsetzung lässt sich vorliegend auch nicht damit begründen, dass der
Briefumschlag, mit dem die Rechtsmittelschrift des Betroffenen befördert worden ist, sich
nicht mehr bei der Akte befindet und deshalb der Betroffene den Nachweis der
rechtzeitigen Absendung nicht führen könne. Zwar ist in diesen Fällen nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. NJW 1997, 1770), der sich der
Senat angeschlossen hat, in der Regel Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Antragsteller zur Frage der
rechtzeitigen Absendung überhaupt Erklärungen abgibt. Das ist hier aber nicht geschehen,
obwohl dazu wegen der (besonders) langen Postlaufzeit von gegebenenfalls drei Tagen
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besonderer Anlass bestanden hätte. Der undatierte "Einspruch" des Betroffenen ist nämlich
erst am 12. April 2001 beim Amtsgericht eingegangen. Fristablauf war nach § 79 Abs. 3
OWiG in Verbindung mit § 341 Abs. 1 StPO bereits am 10. April 2001. Damit hätte das
Schreiben des Betroffenen, wenn es rechtzeitig hätte eingehen sollen, am 9. April 2001 zur
Postbeförderung gegeben worden sein müssen.
III.
Der gemäss § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 346 Abs. 2 StPO gestellte Antrag auf
Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts hat ebenfalls keinen Erfolg. Er ist zwar
zulässig, jedoch ebenfalls in der Sache unbegründet. Nachdem der Antrag des Betroffenen
auf Wiedereinsetzung in vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der
Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 3. April 2001 keinen Erfolg
hatte, hat das Amtsgericht die Rechtsbeschwerde des Betroffenen nämlich zu Recht als
unzulässig, weil die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde versäumt worden ist,
verworfen.