Urteil des OLG Hamm vom 08.01.2008

OLG Hamm: bundesamt für migration, rechtswidrigkeit, niederlande, asylverfahren, drittstaat, abschiebungshaft, verordnung, hauptsache, beschwerdebefugnis, einreise

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 327/07
Datum:
08.01.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 327/07
Vorinstanz:
Landgericht Paderborn, 2 T 35/07
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat die im weiteren
Beschwerdeverfahren dem Betroffenen entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
G r ü n d e :
1
I.
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Der Betroffene ist irakischer Staatsbürger.
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Mit Hilfe eines Schleusers reiste er über Syrien und die Türkei auf dem Seeweg nach
Griechenland ein. Von B aus flog er am 08.04.2007 nach E und gelangte so ins
Bundesgebiet, wo er sich mit einer gefälschten italienischen Identitätskarte auswies. Bei
seiner Einreise nahmen ihn Mitarbeiter der Beteiligten zu 2) fest. Bei seiner
Vernehmung gab er an, zu seiner 2003 in Syrien geheirateten Ehefrau, die
niederländische Staatsbürgerin irakischer Herkunft ist, und dem 3 – jährigen
gemeinsamen Kind in S weiterreisen zu wollen.
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Sein unmittelbar bei der Festnahme gestellter Asylantrag ging bei dem Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge am 10.04.2007 ein. Dieses teilte der Beteiligten zu 2) mit
Schreiben vom 16.04.2007 mit, dass die Niederlande um die Übernahme des
Betroffenen ersucht worden seien. In einem weiteren Schreiben vom 02.05.2007 gab sie
gegenüber der Beteiligten zu 2) an, dass die Überstellung noch einen Zeitraum von
sieben bis neun Wochen in Anspruch nehmen werde.
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Auf Antrag der Beteiligten zu 2) hat das Amtsgericht Düsseldorf nach Anhörung des
Betroffenen mit Beschluss vom 09.04.2007 – 150 Gs 1311/07 - Zurückschiebungshaft
nach §§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 2 Satz Nr. 5 AufenthG bis längstens 08.05.2007 angeordnet.
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Die gegen diese Entscheidung erhobene sofortige Beschwerde vom 23.04.2007 hat das
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Landgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 18.05.2007 (18 T 24/07) dem Landgericht
Paderborn vorgelegt, nachdem der Betroffene am 09.04.2007 in die JVA Büren
verbracht worden war und das Amtsgericht Düsseldorf das Verfahren über die
Verlängerung der Zurückschiebungshaft mit Beschluss vom 02.05.2007 an das
Amtsgericht Paderborn nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgegeben hatte.
Das Amtsgericht Paderborn hat mit Beschluss vom 08.05.2007 auf Antrag der
Beteiligten zu 2) die vom Amtsgericht Düsseldorf angeordnete Zurückschiebungshaft bis
zum 19.06.2007 verlängert.
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Vor einer Entscheidung des Landgerichts über die gegen diese Entscheidung erhobene
sofortige Beschwerde ist der Betroffene am 13.06.2007 aus der Haft entlassen und am
14.06.2007 in die Niederlande überstellt worden.
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Auf den daraufhin gestellten Antrag des Betroffenen, festzustellen, dass der Beschluss
des Amtsgerichts Düsseldorf vom 09.04.2007 und der Beschluss des Amtsgerichts
Paderborn vom 08.05.2007 rechtswidrig ergangen seien, hat das Landgericht am
13.08.2007 unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags beschlossen, dass die
Anordnung der Zurückschiebungshaft durch den Beschluss des Amtsgerichts
Düsseldorf vom 09.04.2007, sofern sie über den 02.05.2007 hinausging, und die
Anordnung der Fortdauer der Zurückschiebungshaft durch das Amtsgericht Paderborn
mit Beschluss vom 08.05.2007 rechtswidrig waren. Als Begründung der
Rechtswidrigkeit der Haftfortdauer über den 02.05.2007 hinaus hat das Landgericht
angeführt, dass gemäß § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG die Abschiebungshaft spätestens
vier Wochen nach Eingang des Asylantrages beim Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge ende. Da der Beteiligten zu 2) am 02.05.2007 mitgeteilt worden sei, dass
innerhalb der gesetzten Frist eine Entscheidung nicht ergehe, sei ab dem 02.05.2007
die Haft unverhältnismäßig und daher rechtswidrig.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten
zu 2), die sie mit Schriftsatz vom 03.09.2007 beim Landgericht Paderborn eingelegt hat,
und mit der sie vor allem die Nichtanwendbarkeit des § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG bei
einem Asylverfahren, welches sich nach der VO (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II) richte,
rügt.
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II.
12
Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG, 7 Abs. 1, 3
S. 2 FEVG, 27, 29 Abs. 1 Satz 3 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt.
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Die Beteiligte zu 2) ist auch beschwerdebefugt, § 29 Abs. 4, 20 Abs. 1 FGG. In der
obergerichtlichen Rechtsprechung ist bereits verschiedentlich die Beschwerdebefugnis
der antragstellenden Behörde gegen eine vom Landgericht nach Erledigung der
Hauptsache getroffene Feststellung, dass die Haftanordnung rechtswidrig gewesen sei,
bejaht worden (KG, Beschl. v. 31.12.2003 – 25 W 62/03 -, zitiert nach juris; OLG Celle
FGPrax 2005, 48). Der Senat schließt sich dieser Auffassung aus folgenden Gründen
an:
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Die Zulassung des Antrags des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der
Haftanordnung führt zu einer Fortsetzung des Verfahrens in der Hauptsache mit einem
durch den so gestellten Antrag modifizierten Verfahrensgegenstand. Dieser basiert
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weiterhin auf dem von der Behörde gestellten Antrag auf Anordnung der Haft (§ 3
FEVG), nunmehr jedoch in einer retrospektiven Bewertung der Rechtmäßigkeit der
durch den Antrag erwirkten richterlichen Haftanordnung. Die Behörde ist aufgrund ihrer
öffentlich-rechtlichen Funktion berechtigt, gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf
Anordnung der Haft Beschwerde einzulegen. Folglich muss ihr eine entsprechende
Beschwerdebefugnis zustehen, wenn dem Betroffenen das Recht eingeräumt wird, die
Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bereits erledigten Haftanordnung zu beantragen
und diesem Antrag entsprochen worden ist. Denn eine solche Entscheidung steht im
Rahmen des modifizierten Verfahrensgegenstandes der Sache nach der
Zurückweisung des Haftantrages gleich. Dementsprechend ist auch für die
vergleichbare Verfahrenskonstellation im Verwaltungsstreitverfahren, in der das Gericht
einem gem. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO für zulässig erachteten
Fortsetzungsfeststellungsantrag stattgibt, nicht zweifelhaft, dass darin eine
Rechtsmittelbeschwer liegt, die die Behörde zur Anfechtung einer solchen
Entscheidung berechtigt. Dafür spricht – insoweit ebenfalls mit § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO
vergleichbar – zusätzlich, dass der im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit
getroffenen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung Bindungswirkung für
die Entscheidung über etwaige Entschädigungsansprüche des Betroffenen zukommt
(BGH NVwZ 2006, 960).
In der Sache ist indes die Beschwerde unbegründet, da die Entscheidung des
Landgerichts nicht auf einer Rechtsverletzung beruht, § 27 FGG.
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Zutreffend ist das Landgericht von zwei zulässigen Erstbeschwerden ausgegangen.
Gegenstand des Erstbeschwerdverfahrens war der mit Schriftsatz vom 20.06.2007
gestellte Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen
Entscheidungen vom 09.04. und 08.05.2007. Nach Maßgabe der Rechtsprechung des
BVerfG (wistra 2006, 59; NJW 2002, 2456) kann das erforderliche
Rechtsschutzbedürfnis mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes in Fällen
schwerwiegender Grundrechtseingriffe nicht alleine wegen des Wegfalls der effektiven
Beeinträchtigung verneint werden. Da aufgrund der angefochtenen Entscheidungen die
Haft tatsächlich vollzogen wurde, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis an der Feststellung
der Rechtswidrigkeit der Entscheidungen. Auf die Dauer des Vollzugs kommt es nicht
an. Entgegen der weiteren Beschwerde lässt sich aus der Entscheidung des BVerfG
vom 05.12.2002 (NJW 2002, 2456) keine Notwendigkeit einer nach Zeiträumen
diffenrenzierten Betrachtungsweise ableiten.
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Auch in der Sache hält die landgerichtliche Entscheidung der allein möglichen
rechtlichen Prüfung stand.
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Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht angenommen, dass die Haftanordnung über den
02.05.2007 hinaus und der Beschluss über die Fortdauer der Untersuchungshaft
rechtswidrig waren. Nach § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG in der bis zum 27.08.2007 gültigen
Fassung endete die Sicherungshaft bei einem wie hier aus der Haft gestellten
Asylantrag spätestens vier Wochen nach Eingang des Antrages bei dem Bundesamt, es
sei denn, der Antrag ist als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt
worden. Eine Ablehnung durch das Bundesamt ist hier nicht erfolgt. Der Umstand, dass
das Bundesamt die Frist deshalb nicht einhielt, weil es sich auf der Grundlage
Verordnung (EG) Nr. 343/ 2003 (Dublin II) zunächst um die Übernahme des
Asylverfahrens durch die Niederlande bemühte, vermochte angesichts der mit § 14 Abs.
3 Satz 3 AsylVfG getroffenen eindeutigen gesetzlichen Regelung nichts daran zu
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ändern (OLG Köln, Beschluss vom 11.06.2007 – 16 Wx 130/07; OLG Schleswig OLGR
2005, 568; KG InfAuslR 2005, 40; einschränkend für den hier nicht einschlägigen Fall,
dass das Bundesamt die Abschiebung in einen Drittstaat angeordnet hat: OLG
Zweibrücken OLGR 2002, 57). Das Asylverfahren wird nach dem Wortlaut des § 55 Abs.
1 Satz 3 AsylVfG ungeachtet einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat schon alleine
durch das Stellen des Asylantrages eingeleitet. Ob die Behörde ein Asylverfahren oder
ein Konsultationsverfahren aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 durchführt, ist
unerheblich (OLG Schleswig a.a.O.). Eine über den Wortlaut der Norm hinausgehende
ergänzende Auslegung verbietet sich wegen des in Art 104 Abs. 1 Satz 1 GG
kodifizierten Vorbehalts eines förmlichen Gesetzes im Falle einer Freiheitsentziehung
(OLG Köln a.a.O.).
Unerheblich ist, dass mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts – und asylrechtlicher
Richtlinien der europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl I 2007, 1970) § 14 Abs. 3
Satz 3 AsylVfG dahingehend geändert wurde, dass die Abschiebungshaft auch nicht
vier Wochen nach Eingang des Asylantrages beim Bundesamt endet, wenn auf Grund
von Rechtsvorschriften der europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen
Vertrages über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren ein Auf – oder
Wiederaufnahmeersuchen an einen anderen Staat gerichtet wird. Dieses Gesetz trat
erst zum 28.08.2007 in Kraft und konnte daher nicht zur Aufrechterhaltung der Haft im
Mai 2007 herangezogen werden.
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Da bereits das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 02.05.2007 mitteilte, dass
eine Überstellung des Betroffenen in die Niederlande 7 – 9 Wochen in Anspruch
nehmen werde, ist das Landgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die
Aufrechterhaltung der Haft ab dem 03.05.2007 unverhältnismäßig war, da nicht mehr
innerhalb der vierwöchigen Frist mit einer Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu
rechnen war (Vgl. Renner, a.a.O., § 14 AsylVfG Rz. 22).
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Nach § 16 FEVG hat die Bundesrepublik die dem Betroffenen im weiteren
Beschwerdeverfahren entstandenen Auslagen zu erstatten. Der Senat hat bereits
entschieden, dass die Aufrechterhaltung der Haft für einen Zeitraum nach Ablauf der
zwingenden Frist des § 14 Abs. 3 S. 3 AsylVfG der unbegründeten Antragstellung im
Sinne des § 16 FEVG gleichzustellen ist (FGPrax 2005, 49, 50). Dementsprechend ist
die gleich lautende Erstattungsanordnung, die das Landgericht für das
Erstbeschwerdeverfahren getroffen hat, rechtlich nicht zu beanstanden.
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