Urteil des OLG Hamm vom 27.05.2008

OLG Hamm: geldstrafe, widerruf, strafverfahren, bewährung, rückwirkung, verfahrensablauf, meinung, bedürfnis, form, datum

Oberlandesgericht Hamm, 5 Ws 184/08
Datum:
27.05.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
5. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 Ws 184/08
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 31 Ns 31/08
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als unzulässig
verworfen.
Gründe:
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I.
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Das Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer hat den Angeklagten mit Urteil vom 18. Dezember
2007 wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (Vergehen
nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 Arzneimittelgesetz) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je
10,00 € verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht
Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 11. März 2008 hat Rechtsanwalt U aus F
beantragt, dem Angeklagten gem. § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet
zu werden und zur Begründung ausgeführt, im Falle der Verurteilung drohe dem
Angeklagten der Widerruf mehrerer laufender Bewährungen.
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In der Berufungshauptverhandlung vom 11. April 2008 hat die Vorsitzende der
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XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen mit Beschluss vom selben Tage den
Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen und
zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen für die Beiordnung eines
Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO lägen nicht vor. Zum einen drohe dem
Angeklagten im Falle der Verurteilung keine Freiheitsstrafe, zum anderen sei angesichts
der erstinstanzlich verhängten geringen Geldstrafe auch nicht mit einem Widerruf der
Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts
Essen vom 6. Dezember 2005 zu rechnen. Im weiteren Verlauf der
Berufungshauptverhandlung hat die Berufungskammer das Verfahren gegen den
Angeklagten mit Beschluss vom selben Tage im Hinblick auf die rechtskräftige
Verurteilung des Angeklagten in einem anderen Strafverfahren nach § 154 Abs. 2 StPO
auf Kosten der Landeskasse eingestellt und dabei bestimmt, dass der Angeklagte seine
eigenen notwendigen Auslagen selbst zu tragen habe.
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Gegen den die beantragte Pflichtverteidigerbestellung ablehnenden Beschluss der
Strafkammervorsitzenden vom 11. April 2008 hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines
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Verteidigers vom 14. April 2008 Beschwerde eingelegt, die mit Verteidigerschriftsatz
vom 13. Mai 2008 begründet worden ist. Die Vorsitzende der XI. kleinen Strafkammer
des Landgerichts Essen hat der Beschwerde mit Entscheidung vom 06. Mai 2008 nicht
abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu
verwerfen.
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II.
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Die Beschwerde ist zwar gem. § 304 Abs. 1 StPO statthaft, da die Ablehnung einer
Pflichtverteidigerbestellung durch den Vorsitzenden nach allgemeiner Auffassung keine
der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung i. S. d. § 305 S. 1 StPO darstellt und
daher die Ablehnungsentscheidung grundsätzlich mit dem Rechtsmittel
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der Beschwerde anfechtbar ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 305 Rdnr. 5
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m. w. N.).
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Vorliegend ist die Beschwerde jedoch deshalb unzulässig, weil mit dem auf § 154 StPO
gestützten Einstellungsbeschluss der Berufungskammer vom 11. April 2008 das gegen
den Angeklagten anhängige Strafverfahren endgültig abgeschlossen wurde und es
damit schon bei Einlegung der Beschwerde an einer gegenwärtigen, fortdauernden
Beschwer des Angeklagten durch die angefochtene Entscheidung fehlte. Für die
Führung der Verteidigung bestand nach der erfolgten, endgültigen
Verfahrenseinstellung kein Bedürfnis mehr.
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Eine nachträgliche und mit Rückwirkung versehene Pflichtverteidigerbestellung, wie sie
der Angeklagte mit seiner nach Abschluss des Strafverfahrens erhobenen Beschwerde
gegen die Ablehnungsentscheidung der Strafkammervorsitzenden vom
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11. April 2008 letztlich begehrt, ist – worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer
Stellungnahme vom 15. Mai 2008 zutreffend hingewiesen hat – nach ganz über-
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wiegender Auffassung, die auch der Senat teilt, schlechthin unzulässig und mithin
grundsätzlich ausgeschlossen (zu vgl. BGH NStZ 1997, 299; StV 1989, 378; OLG
Hamm, Beschluss vom 04.03.2008 - 2 Ws 374 u. 375/07; Beschluss vom
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28.06.2007 – 2 Ws 174/07; Beschluss vom 06.07.2004 – 1 Ws 203/04; Beschluss vom
02.11.2004 – 1 Ws 270/04; Beschluss vom 20.07.2000 – 1 Ws 206/00; Beschluss vom
24.08.1999 – 4 Ws 301/99; OLG Schleswig, Beschluss vom 24.01.2008 – 2 Ws 8/08 =
SchlHA 2008, 174; KG Berlin, Beschluss vom 09.03.2006 – 5 Ws 563/05; OLG
Düsseldorf, JMBl NW 2003, 58 und JMBl NW 1998, 22;
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NStZ-RR 1996, 171; Meyer-Goßner, § 141 Rdnr. 8). Dies beruht darauf, dass die
Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Angeklagten und
seines Verteidigers dient, sondern allein den Zweck verfolgt, im öffentlichen Interesse
dafür zu sorgen, dass der Angeklagte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen
Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist. Nach
rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens scheidet eine diesem Zweck der
Pflichtverteidigung entsprechende Tätigkeit des Verteidigers jedoch denknotwendig
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aus.
Soweit Teile des Schrifttums und der (vornehmlich landgerichtlichen) Rechtsprechung
in Abweichung von dem vorbezeichneten Grundsatz eine nachträgliche
Pflichtverteidigerbestellung dann für zulässig und geboten erachten, wenn der
Beiordnungsantrag bereits vor Verfahrensabschluss gestellt war, die Voraussetzungen
für eine Pflichtverteidigerbestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorlagen
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und die rechtzeitige Entscheidung über die Beiordnung durch gerichtsinterne Vorgänge
unterblieben ist (so OLG Koblenz, StV 1995, 537 sowie die weiteren, bei Meyer-Goßner,
StPO, § 141 Rdnr. 8 zitierten gerichtlichen Entscheidungen), vermag der Senat sich
dieser Meinung unter Berücksichtigung des aufgezeigten Zwecks der
Pflichtverteidigung nicht anzuschließen.
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Davon abgesehen lagen die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nach
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§ 140 Abs. 2 StPO vorliegend bereits bei der Antragstellung am 11. März 2008 nicht vor,
da angesichts der erstinstanzlich verhängten Geldstrafe von 60 Tagessätzen und
fehlender einschlägiger Vorbelastungen auch für den Fall der Erfolglosigkeit des gegen
das amtsgerichtliche Urteil vom 18. Dezember 2007 gerichteten Rechtsmittels des
Angeklagten nicht mit einem Widerruf der laufenden Bewährung aus dem Ge-
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samtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Essen vom 06.12.2005, sondern vielmehr mit
einer (nochmaligen) Verlängerung der diesbezüglichen Bewährungszeit ge-
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rechnet werden musste.
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III.
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Nach alledem war die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als
unzulässig zu verwerfen.
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