Urteil des OLG Hamm vom 25.07.2006

OLG Hamm: hinreichender tatverdacht, behandlung, körperliche integrität, anklageschrift, befragung, misshandlung, wasser, schutz der menschenwürde, eröffnung des verfahrens, in angetrunkenem zustand

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ws 172 - 188/06
Datum:
25.07.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ws 172 - 188/06
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 8 KLs 81 Js 1837/04 (25/05)
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird, soweit die Eröffnung des
Hauptverfahrens abgelehnt worden ist, aufgehoben.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Münster vom 1. Juni 2005 wird in
vollem Umfange zur Hauptverhandlung zugelassen und das
Hauptverfahren vor der 8. Strafkammer des Landgerichts Münster
eröffnet.
G r ü n d e :
1
I.
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Die Staatsanwaltschaft legt den 18 Angeschuldigten mit der Anklageschrift vom
3
1. Juni 2005 zur Last, in der Zeit vom 8. Juni 2004 bis zum 1. September 2004 in D, in
bis zu vier Fällen, jeweils gemeinschaftlich und tateinheitlich handelnd, Untergebene
(Rekruten) körperlich misshandelt und entwürdigend behandelt zu haben, §§ 30, 31
WStG, 223, 224, Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB.
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Den Angeschuldigten wird Folgendes vorgeworfen:
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Die Angeschuldigten sind bzw. waren als Hauptmann und Kompaniechef - der
Angeschuldigte T - bzw. die übrigen Angeschuldigten als Unteroffiziere im Rang bis
zum Hauptfeldwebel in der für die Grundausbildung von Rekruten zuständigen #.
Kompanie des Instandsetzungsbataillons # in D eingesetzt. In vier Fällen, am 9. Juni,
25. und 31. August sowie am 1. September 2004, kam es jeweils im Anschluss an einen
Nachtmarsch auf Veranlassung der Angeschuldigten E und I mit Billigung des
Angeschuldigten T zu militärischen Übungen, in deren Verlauf die Rekruten von ihren
Ausbildern - den einschlägigen Ausbildungsvorschriften zuwider - überfallen und als
Geiseln genommen wurden. Dabei wurden die Rekruten nach ihrer Gefangennahme mit
Kabelbindern gefesselt und, mit Augenbinden versehen, auf Lastwagen abtransportiert
und anschließend verschiedenen Verhörmethoden unterzogen, wozu Stromschläge und
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andere Misshandlungen gehörten. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von
Wiederholungen auf die Anklageschrift Bezug genommen.
Die zuvor nicht eingeweihten Rekruten sollten durch diese Übung auf die Situation einer
Gefangennahme durch einen das Völkerrecht nicht achtenden Gegner und die
anschließende, von Gewalt oder Drohung mit Gewalt gekennzeichnete Befragung
vorbereitet werden. Betroffen waren, je Vorfall, zwischen 22 und 82 Rekruten.
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Das Landgericht Münster hat durch den angefochtenen Beschluss die Anklage der
Staatsanwaltschaft Münster gegen den Angeschuldigten I2 uneingeschränkt zur
Hauptverhandlung zugelassen, die Eröffnung des Verfahrens gegen die
Angeschuldigten T, I, T2, I3, L, N, L2, K und L3 abgelehnt und das Verfahren gegen die
übrigen Angeschuldigten unter Zulassung der Anklage nur insoweit eröffnet, als es im
Rahmen der vier Übungen zu einzelnen Exzessen gekommen ist, die jedoch, insoweit
abweichend von der rechtlichen Würdigung in der Anklageschrift, teilweise nur gemäß
§§ 30, 31 WStG strafbar seien.
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Nach Auffassung der Strafkammer stellt die überfallartige Gefangennahme der Rekruten
als solche, ihre Fesselung, ihr Abtransport und das anschließende Verhör, soweit es
dabei in Einzelfällen nicht zu Exzessen gekommen ist, keine Straftat dar, auch wenn
solche Übungen im Rahmen der Grundausbildung nach den einschlägigen Vorschriften
der Bundeswehr nicht hätten durchgeführt werden dürfen.
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Wegen der Einzelheiten wird, zur Vermeidung von Wiederholungen, auf den Inhalt des
angefochtenen Beschlusses verwiesen.
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Die Staatsanwaltschaft Münster hat gegen diesen Beschluss am 28. Dezember 2005
fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt, soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens
abgelehnt worden ist, und ihr Rechtsmittel am 19. Januar 2006 näher begründet. Die
rechtliche Wertung der überfallartigen Geiselnahme und der anschließenden
Behandlung der Rekruten als strafloses Rollenspiel werde den körperlichen
Belastungen und dem entwürdigenden Umgang, denen ein Großteil der beteiligten
Rekruten ausgesetzt worden sei, nicht gerecht. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Bezug genommen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat die Akten unter dem 5. April 2006 dem Senat
vorgelegt mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss des Landgerichts Münster
aufzuheben, soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Angeklagten
abgelehnt worden ist, die Anklage der Staatsanwaltschaft Münster vom 01.06.2005 in
vollem Umfang nach Maßgabe der rechtlichen und tatsächlichen Wertung der
Anklageschrift zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren vor der 8.
Strafkammer des Landgerichts Münster zu eröffnen.
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Der Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft ist die Generalstaatsanwaltschaft
mit ausführlichem ergänzendem Bemerken beigetreten.
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Die Angeschuldigten bzw. ihre Verteidiger haben Gelegenheit erhalten, zu dem
Beschwerdevorbringen der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft
Stellung zu nehmen.
14
II.
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Das gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
16
Die Angeschuldigten sind der ihnen mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft
Münster vom 1. Juni 2005 zur Last gelegten Straftaten auf der Grundlage der von der
Staatsanwaltschaft vorgenommenen rechtlichen Wertung in vollem Umfang hinreichend
verdächtig.
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Die tatsächliche Beteiligung der Angeschuldigten an dem fraglichen Geschehnissen ist
aufgrund zahlreicher Zeugenaussagen hinreichend belegt und wird im Übrigen von den
meisten Angeschuldigten - abgesehen von einer rechtlich abweichenden Auffassung -
weitgehend nicht bestritten. Insoweit wird auf die Anklageschrift, die das wesentliche
Ergebnis der Ermittlungen im Einzelnen ausführlich und zutreffend darlegt, sowie auf die
Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen. Der Senat macht sie
zum Gegenstand dieser seiner Entscheidung.
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Soweit in Einzelfällen Unklarheiten bestehen, muss die Aufklärung der künftigen
Hauptverhandlung vorbehalten bleiben. Es kann daher beispielsweise zum derzeitigen
Zeitpunkt dahinstehen, ob der Angeschuldigte L3 bei dem Überfall am
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9. Juni 2004 oder, so seine eigene Einlassung, bei demjenigen vom 31. August 2004
beteiligt war. Art und Umfang seiner Tatbeteiligung werden dadurch nicht wesentlich
berührt.
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Im Mittelpunkt dieser Entscheidung des Senats steht die Frage, ob die Beteiligung an
den fraglichen Geiselnahmen, sei es in Form der Planung, Anordnung, Billigung oder
tatsächlicher Teilnahme, im Gegensatz zur Auffassung der Strafkammer als strafbare
Handlung bzw. Duldung im Sinne der §§ 30, 31 WStG, 223, 224 StGB zu werten ist.
21
Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft folgendes ausgeführt:
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"Gegen sämtliche Angeschuldigte besteht ein hinreichender Tatverdacht in dem in
der Anklageschrift dargelegten Umfang.
23
1.
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Die Planung und Durchführung der "Geiselnahmeübungen" erfüllt bereits in der
Form, in der sie von den Beschuldigten E und I geplant und von dem
Angeschuldigten T genehmigt und beobachtet worden ist, die Tatbestände der
Misshandlung und entwürdigenden Behandlung Untergebener sowie der
gefährlichen Körperverletzung.
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Zu Unrecht stellt das Landgericht darauf ab, dass die Vorgehensweise der
Angeschuldigten, soweit es nicht zu Exzessen gekommen ist, keine körperliche
Misshandlung im Sinne des § 30 Abs. 1 Wehrstrafgesetz darstelle. Das
Überwältigen der Rekruten, ihre Fesselung mit Kabelbindern, ihre Verbringung auf
der Ladefläche eines Transportfahrzeuges und die anschließende simulierte
Befragung, bei der zahlreiche Rekruten mit Wasser bespritzt wurden, Liegestütze
ausführen oder Baumstämme halten mussten, stellt ein übles, unangemessenes
Behandeln dar, welches das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich
beeinträchtigte.
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Soweit das Landgericht hierbei lediglich einzelne Vorgänge, wie das Bespritzen
mit Wasser, als nicht tatbestandsmäßig bewertet hat, wird diese Betrachtungsweise
dem Gesamtcharakter des Geschehens nicht gerecht. Der Begriff des körperlichen
Misshandelns des § 30 Abs. 1 WStG stimmt mit dem des
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§ 223 StGB überein (Dau in Erbs/Kohlhaas, W 50, § 30 RdNr. 4). Die vorstehend
beschriebene Behandlung der Rekruten stellte eine körperliche Misshandlung im
Sinne des § 223 StGB dar. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass die Mehrzahl -
wenn auch nicht alle - der Rekruten eine subjektive Beeinträchtigung bei ihrer
zeugenschaftlichen Vernehmung verneint haben. Abzustellen ist vielmehr
unstreitig auf die Sicht eines objektiven Betrachters (OLG Düsseldorf NJW 1991,
2919; Eser in Schönke-Schröder, StGB,
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26. Aufl., § 223 RdNr. 4 a; Horn/Wolters in SK zum StGB, § 223 RdNr. 8; Lilie in LK
zum StGB, 11. Aufl. § 223 RdNr. 9 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben mag es zwar
sein, dass das Bespritzen der Kleidung mit Wasser in einer Sommernacht als
lediglich unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens zu
bewerten ist. Dies kann jedoch nicht für den geschilderten Gesamtvorgang gelten.
Die zur Fesselung verwendeten Kabelbinder haben die Eigenschaft, sich nur in
eine Richtung weiter zuzuziehen. Bei dem - nach den einschlägigen Vorschriften
unzulässigen - Transport der so gefesselten Rekruten lagen diese auf der
Ladefläche des Fahrzeugs zum Teil "kreuz und quer" übereinander. Bei den
anschließenden Befragungen mussten sie über teilweise erhebliche Zeiträume in
unbequemen Haltungen verharren und die geschilderten "Strafübungen"
durchführen. Hierbei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass diese Strapazen am
Ende eines 20 Kilometer langen nächtlichen Orientierungsmarsches erfolgten und
von manchen Rekruten das Gewicht des zu zweit gehaltenen Baumstammes mit
30 kg beziffert worden ist. Zahlreiche Geschädigte haben zudem angegeben, dass
sie bei den "Befragungen" in den Kellerräumen mit "kaltem" oder "eiskaltem"
Wasser übergossen worden seien und erheblich gefroren hätten, da sie zum Teil
nur mit einem T-Shirt bekleidet gewesen seien (Zeugen I und Y, Beschuldigtenakte
(nachfolgenden 'BA') "E" Bl. 17.05 und 1711). Diese Umstände waren den
Angeschuldigten auch, wie nachfolgend aufgezeigt wird, bekannt.
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Dass die Angeschuldigten E und I, wie das Landgericht ausführt, die übrigen
Angeschuldigten angewiesen hatten, darauf zu achten, dass die Rekruten nicht
verletzt würden, ändert an der Bewertung nichts, da die körperliche Misshandlung
keine Gesundheitsschädigung oder Substanzverletzung erfordert. Im Übrigen kann
bei einer überfallartigen Fesselung und der anschließenden "Behandlung" der
Rekruten, die sich zum Teil hiergegen zur Wehr setzten, von vornherein nicht
ausgeschlossen werden, dass es zu Verletzungen kommt, so dass die
Angeschuldigten zumindest mit Eventualvorsatz handelten.
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Selbst wenn man, dem Landgericht folgend, die Behandlung als lediglich
unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens betrachten wollte,
läge ein körperliches Misshandeln im Sinne von § 30 WStG vor. Denn die
Vorgehensweise der Angeschuldigten stellt eine üble, unangemessene
Behandlung dar, bei deren Vorliegen eine körperliche Misshandlung zu bejahen
ist, selbst wenn die Körpereinwirkung isoliert betrachtet als "ganz unerheblich"
anzusehen wäre (Horn/Wolters aaO, RdNr. 7; BGHSt 14, 269). Der BGH hat in der
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angeführten Entscheidung anlässlich einer nur sieben Minuten dauernden Übung,
die bei den Betroffenen lediglich zu einer Durchnässung der Kleidung und einer
Mattigkeit von einer Stunde geführt hatte, eine Misshandlung nicht mangels
Erheblichkeit der körperlichen Einwirkung verneint, sondern lediglich deshalb, weil
die dem Geschädigten auferlegte Übung Bestandteil des regulären
Ausbildungsdienstes der Bundeswehr gewesen sei und somit nicht den Charakter
eines Strafe oder einer Schikane gehabt habe.
Ob eine üble und unangemessene Behandlung vorliegt, entscheidet sich somit
nach den Erfordernissen des militärischen Dienstes. Hält sich der Vorgesetzte, der
einem Soldaten besondere körperliche Anstrengungen zumutet, innerhalb der
Dienstvorschriften und Befehle, fehlt es an einer solchen Behandlung (Dau, aaO,
RdNr. 5). Die den Angeschuldigten vorgeworfene Verhaltensweise stand jedoch in
keinem Zusammenhang mit der Grundausbildung und den Ausbildungszielen der
Bundeswehr, sondern diente allein der Schaffung einer vorübergehenden
Machtposition der unmittelbar an den Übungen beteiligten Angeschuldigten und
der Ausübung der Kontrolle über die Geschädigten. Der fehlende
Ausbildungscharakter der "Übungen" ergibt sich aus der für die
Rekrutenausbildung maßgeblichen "Anweisung für die Truppenausbildung Nr. 1"
der Bundeswehr, die "Geiselnahmeübungen" nicht zulässt. Dass solche Übungen
für Rekruten nicht vorgesehen sind, ergibt sich im Umkehrschluss aus dem in der
Anklageschrift wiedergegebenen "Befehl Nr. ##/##" vom 12.04.2004, wonach das
Verhalten im Falle einer Geiselnahme nur mit Kontingentsoldaten - also nicht mit
Rekruten - nach ausführlicher Einweisung und vorgeschaltetem Unterricht unter
Ziehung enger Grenzen vorgesehen ist. Der Befehl verbietet ausdrücklich die
Anordnung von Liegestützen, tatsächliche Fesselungen, Scheinerschießungen
oder sonstige die Würde der Auszubildenden berührenden Maßnahmen. Dass es
sich bei der vorgenommenen Behandlung der Geschädigten nicht um mit diesen
Übungen vergleichbare Ausbildungsmaßnahmen handelte, ergibt sich nicht nur
aus deren objektivem Erscheinungsbild und der fehlenden Schulung und
Vorbereitung der Rekruten, die allenfalls gerüchteweise von einem
bevorstehenden "Überfall" gehört hatten, sondern auch aus der zu Tage getretenen
Haltung der angeschuldigten Ausbilder zu den Übungen. Diese haben zum Teil
alkoholisiert während eines "Zugabends" an den Überfällen teilgenommen, Fotos
von den Vorfällen aufgenommen und sich über das Verhalten der Rekruten
amüsiert. Der Angeschuldigte T2 hat die Fotos als "Version ab 18" bezeichnet
(Zeuge Dittrich, Bl. 1122 BA "E"). Der Beschuldigte E hat sich nach Angaben
verschiedener Geschädigter damit "gebrüstet", die Idee zu den "Übungen" gehabt
zu haben (aaO, Bl. 1115; Zeuge G, Bl. 1051 aaO). Einige Ausbilder legten eigens
ihren Urlaub in die Zeit der geplanten "Geiselnahmeübungen", um an ihnen nicht
teilnehmen zu müssen (Zeuge F, aaO,
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Bl. 1458). Somit war allen Angeschuldigten, die die "Übungen" geplant hatten und
hieran teilnahmen, klar, dass es sich um ein Vorgehen völlig außerhalb der
vorgegebenen Ausbildungsrichtlinien für die Grundausbildung der Bundeswehr
handelte. Dementsprechend forderten der Angeschuldigte E und andere
Angeschuldigte die Rekruten auf, nichts nach außen zu tragen und sich möglichst
nicht zu beschweren. Auch unter Anlegung großzügiger Maßstäbe bezüglich des
körperlich fordernden Charakters der Grundausbildung, der zu beachtenden
Formen und der Möglichkeiten der Vorgesetzten, ein disziplinarisches Verhalten
der Rekruten durchzusetzen, war das Verhalten der Angeschuldigten weder formal
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noch inhaltlich von einem Ausbildungszweck bestimmt und stellt somit im Hinblick
auf die Erfordernisse des militärischen Dienstes eine üble, unangemessene und
sozialwidrige Behandlung dar. Eine solche liegt selbst bei Erreichung eines
vermeintlichen militärischen Ausbildungserfolgs vor, wenn dieser auf Kosten der
körperlichen Unversehrtheit des Untergebenen erkauft wird (BVerwG 93, 19; Dau,
aaO, RdNr. 5).
Die Vereinbarung des Codewortes "..." vermag weder dem Geschehen den
Charakter einer körperlichen Misshandlung zu nehmen, noch begründet sie ein
tatbestandsausschließendes Einverständnis der Geschädigten. Diese haben
übereinstimmend angegeben, dass das Codewort unter allen Rekruten und
Ausbildern negativ konnotiert gewesen sei und seine Nennung dem
Eingeständnis, ein Schwächling zu sein, gleichgekommen sei. Ein anderer Zug,
dessen Krankenstand erhöht gewesen sei, sei als "...-Zug" bekannt gewesen.
Zahlreiche Zeugen haben sich zudem überzeugt geäußert, das Codewort sei
deshalb gewählt worden, um sie von dessen Nennung abzuhalten.
Dementsprechend haben auch nur einzelne Soldaten von der Möglichkeit der
Nennung des Codewortes Gebrauch gemacht; andere haben angegeben, hiervon
schon deswegen abgesehen zu haben, weil sie negative Konsequenzen für die
von ihnen beabsichtigte Verpflichtung als Zeitsoldat befürchtet hätten.
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Die Vereinbarung eines Codewortes führt auch nicht dazu, dass die Teilnahme der
Geschädigten an der "Geiselnahme" als freiwillig zu qualifizieren wäre. Die
Rekruten standen nicht nur während der Vorfälle in einem besonderen
Gewaltverhältnis, sondern die "Überfälle" fanden gegen Ende eines
Orientierungsmarsches statt, der regulärer Bestandteil der Grundausbildung war,
so dass sich die Rekruten einer Teilnahme daran nicht entziehen konnten.
Überdies war ihnen Art und Umfang der auf sie zukommenden "Behandlung" nicht
bekannt. Die Vorschrift des § 340 Abs. 3 i. V. m. § 228 StGB findet auf § 30 WStG
keine Anwendung (Dau, aaO, RdNr. 10 m.w.N.). Somit hat eine etwaige
Einwilligung der Verletzten keine rechtfertigende Wirkung, da der Untergebene den
Missbrauch der Befehlsbefugnis durch den Vorgesetzten nicht aufheben kann
(Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 340 RdNr. 7; Dau, aaO).
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Die Planung, Organisation und Durchführung der "Geiselnahmeübungen" in der
von den Angeschuldigten E und I ursprünglich vorgesehenen Weise stellt daher
eine körperliche Misshandlung im Sinne von § 30 Abs. 1 WStG dar. Da sämtliche
Angeschuldigte die ihnen vorgeworfenen Handlungen, wie untenstehend
aufgezeigt wird, gemeinschaftlich mit anderen begingen, ist auch der Tatbestand
der §§ 223 Abs. 1 1. Alternative, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB jeweils in Tateinheit hiermit
(Dau, aaO, RdNr. 18) erfüllt.
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Schließlich haben die vorgenannten Angeschuldigten auch den Tatbestand des §
31 Abs. 1, Abs. 2 WStG erfüllt. Eine entwürdigende Behandlung liegt immer vor,
wenn ein Vorgesetzter durch sein Verhalten einen Untergebenen zum Objekt, zu
einem bloßen Mittel oder einer vertretbaren Größe erniedrigt und damit dessen
sozialen Wert- und Achtungsanspruch missachtet (Dau, aaO, § 31 RdNr. 3 m.w.N.).
Mit der Vorschrift sollen Handlungsweisen verhindert werden, die objektiv geeignet
sind, den militärischen Zusammenhalt zu gefährden (BVerwGE 86, 362). Hierbei ist
allein das objektive Bestehen einer Entwürdigung entscheidend. Ihr Ergebnis kann
nicht davon abhängig gemacht werden, ob innerhalb des militärischen Bereiches
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ein rauerer Umgangston herrscht als im Zivilleben oder ob der Untergebene
sensibler reagiert als ein Soldat mit robusterer Natur, der das ihm zugefügte
Unrecht als nicht entwürdigend ansieht (Dau, aaO). Die Fesselung und der
Transport auf der Ladefläche eines Fahrzeuges, bei dem die Rekruten nach ihren
Angaben "wie Ware" oder "Kartoffelsäcke" quer übereinander liegend transportiert
wurden und die von dem militärischen Ausbildungszweck auch nicht mehr
annähernd gedeckte weitere Behandlung im Verlaufe der Befragung - auch wenn
man von den begangenen Exzessen absieht - hat die Geschädigten zum bloß
austauschbaren Objekt des Geltungs- und Selbstdarstellungsanspruchs der
Angeschuldigten werden lassen. Demgemäß hat die Rechtsprechung das
Vortäuschen von Exekutionen, Richten einer gesicherten, aber fertig geladenen
Pistole auf den Untergebenen oder das Niederknienlassen unter gewissen
Umständen für den Tatbestand des § 31 WStG genügen lassen (Nachweise bei
Dau, aaO). Dass die Behandlung auch nach den innerdienstlichen Maßstäben der
Bundeswehr die Geschädigten ihres sozialen Wert- und Achtungsanspruchs
beraubte, wird nicht nur an den bereits benannten Ausbildungsrichtlinien deutlich,
sondern beispielsweise auch an der Regelung des § 10 Abs. 1 Soldatengesetz,
der den Vorgesetzten bereits die Berührung der Untergebenen verbietet, außer
wenn ihm zur Durchsetzung eines Befehls kein anderes Mittel bleibt. Für den
Tatbestand kommt es auch nicht darauf an, ob sich der in seiner Würde und Ehre
missachtete Soldat durch das Verhalten des Täters subjektiv beleidigt fühlt oder ein
solches Verhalten gar verziehen hat (Dau, aaO).
2.
38
Gegen den Angeschuldigten T als Kompaniechef besteht hinreichender
Tatverdacht, im Sinne der Anklageschrift das Tatgeschehen des ersten
Tatkomplexes in Kenntnis der Grundzüge genehmigt und bei seiner Anwesenheit
weiterhin geduldet zu haben und durch eine weitere Erklärung eine gleichartige
Behandlung der Rekruten auch für die späteren Vorfälle in Kenntnis der Umstände
genehmigt zu haben. Zwar haben, wie das Landgericht Münster im Einzelnen in
dem angefochtenen Beschluss ausführt, die Angeschuldigten E und I nur spärliche
Angaben dazu gemacht, in welchem Umfang sie den Angeschuldigten T von der
geplanten Übung in Kenntnis setzten, und auch dieser hat sich hierzu nicht
detailliert eingelassen. Jedoch haben die Angeschuldigten E und I u.a. gegenüber
dem Zeugen F2 angegeben, der Angeschuldigte T habe "beide Augen zugedrückt"
und "alles genehmigt" (Bl. 920 BA "E"). Der Zeuge T3 hat angegeben, der
Angeschuldigte Y2 habe ihm gegenüber die Misshandlung eines Rekruten durch
gewaltsames Einpumpen von Wasser in den Mund geschildert und angegeben,
alles sei "vom Chef abgesegnet" gewesen (Bl. 1635 aaO).
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Als Kompaniechef hatte der Angeschuldigte nicht nur Kenntnis von den
Ausbildungsplänen, sondern ihm war der Umstand, dass eine derartige
"Geiselnahmeübung" in den Anweisungen für die Truppenausbildung nicht
enthalten ist, ebenso bekannt wie der, dass eine solche Ausbildung nur für
Kontingentsoldaten unter den bereits genannten und einschränkenden
Bedingungen und Verboten zulässig war. Es ist daher kaum denkbar, dass er bei
der Genehmigung nicht wenigstens die Grundzüge der geplanten Vorgehensweise
der Angeschuldigten E und I erfragte und genehmigte, zumal eine
"Geiselnahmeübung" ohne Fesselung, Verbringung und Befragung der Rekruten
nicht denkbar erscheint.
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Auf diese Frage kommt es jedoch nicht einmal an. Denn der Angeschuldigte T hat
die Befragung der Rekruten in der Sandgrube und deren Behandlung, wenn auch
nicht notwendigerweise die Vornahme von Exzessen, selbst beobachtet und
spätestens zu diesem Zeitpunkt festgestellt, dass das Verhalten der Ausbilder
selbst dann gegen die Vorschriften der Bundeswehr verstoßen würde, wenn es
sich um eine grundsätzlich zulässige Ausbildung von Kontingentsoldaten
gehandelt hätte. Dass er die Überschreitung der zulässigen Grenzen durch die
Ausbilder erkannt hat, hat er selbst eingeräumt. In seiner Einlassung (Bl. 1043 Bd.
VII d.A.) hat er angegeben, sich wehrstrafgesetzwidrig verhalten zu haben.
Während seiner Anwesenheit in der Sandgrube sprach er mit mehreren Rekruten
über die Übung (Bl. 445 aaO). Er selbst hat mehrfach geäußert, die Verwendung
der Kübelspitze habe "nicht sein gemusst". Den Geschädigten B hat er aus der
Übung genommen
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(Bl. 366 BA "T"). Darüber kann nach dem Ergebnis der Ermittlungen noch nicht mit
einer Sicherheit, die einen hinreichenden Tatverdacht entfallen lässt,
ausgeschlossen werden, dass der Angeschuldigte bei seiner Anwesenheit
Exzesse beobachtete und nicht unterband. Dem Geschädigten T4 wurden
erhebliche Mengen Wasser und Sand in die Hose geschüttet und ein Baumstamm
in die Hände gelegt, den er nach seinen Angaben "unmöglich" tragen konnte. Sein
Kopf wurde an den Haaren nach hinten gezogen. Nachdem er die Augenbinde
abgenommen hatte, erkannte er den Angeschuldigten T (Bl. 64 - 66 aaO). Der
Zeuge X, der bei der gleichen Übung Opfer ähnlicher Exzesse wurde, hat
angegeben - wenn auch mit Unsicherheiten behaftet -, dass die Übung durch den
Angeschuldigten T für beendet erklärt worden sei (Bl. 959 aaO). Da auch weitere
Geschädigte den Angeschuldigten nach Abnehmen der Augenbinde erkannten,
kann mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass in
der Hauptverhandlung eine weitere Abklärung durch Gegenüberstellung und
zeitliche Einordnung der Zeugenaussagen möglich sein wird mit dem Ergebnis,
dass auch begangene Exzesse in die Zeit der Anwesenheit des Angeschuldigten
fielen.
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Der weitere Tatvorwurf der Anklageschrift, der Angeschuldigte T habe auch für das
dritte Quartal 2004 eine Genehmigung zur Durchführung weiterer "Übungen" erteilt,
ist entgegen der Annahme der Strafkammer durch die Anklageschrift genügend
konkretisiert. Sie lässt sich nach Zeit und Ort von ähnlichen Handlungen
abgrenzen. Der Gegenstand des Vorwurfs ist ebenso wie die "Übungen", auf die
sich die Genehmigung bezogen haben soll, klar umgrenzt. Die Tatzeit und der
Tatort ergeben sich aus dem Anklagesatz. Damit bezieht sich der Vorwurf auf ein
konkretes Vorkommnis, das sich von ähnlichen oder gleichartigen Vorwürfen
genügend unterscheidet. Auch in tatsächlicher Hinsicht besteht gegen den
Angeschuldigten T wegen des zweiten Vorwurfs ein hinreichender Tatverdacht.
Die Zeugen Y3 und Y haben übereinstimmend bekundet, der Angeschuldigte T
habe ihnen gegenüber hinsichtlich der weiteren Übungen sinngemäß erklärt, diese
seien nicht so verlaufen, wie sie ihm zur Genehmigung vorgelegt worden seien.
Daraus folgt jedoch, dass er zwar nicht die vorgekommenen Exzesse und
Eskalation der "Übungen" genehmigt hat, wohl aber deren planungsgemäße
Durchführung, die, wie vorstehend aufgezeigt worden ist, bereits den Tatbestand
der §§ 30 und 31 WStG erfüllten. Darüber hinaus kann ihm die Durchführung von
gleich drei weiteren "Geiselnahmeübungen" als Kompaniechef
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- trotz zwischenzeitlich verbrachten Urlaubs - nicht verborgen geblieben sein. Zwar
haben einige Zeugen bekundet, sie hätten bei der Nachbesprechung den Eindruck
gehabt, dass der Angeschuldigte erst bei dieser Gelegenheit von den Übungen
Kenntnis erlangt habe. Hierbei muss jedoch offen bleiben, ob sie hiermit die
Durchführung der Übungen selbst oder lediglich die vorgekommenen Exzesse
gemeint haben. Der Zeuge C hat insoweit bekundet, die Angeschuldigten I und E
hätten gegenüber den Hilfsausbildern erklärt, der Angeschuldigte T habe die
Übungen grundsätzlich genehmigt (Bl. 737 BA "T"). Der Zeuge I5 hat angegeben,
er habe aufgrund eines Befehls des Angeschuldigten I an der Übung
teilgenommen. Dieser Befehl sei seines Wissens nach auch von dem
Angeschuldigten T unterschrieben gewesen (Bl. 849, 852 aaO).
44
3.
45
Hinsichtlich aller Angeschuldigter ergibt sich somit ein hinreichender Tatverdacht
im Sinne und im Umfang der Anklagschrift aus der Teilnahme an den "Übungen",
wie sie von den Angeschuldigten E und I geplant worden sind.
46
Soweit die Anklageschrift den Angeklagten L4, G2, F3 und G3 die Beteiligung an
einer oder mehreren prozessualen Taten vorwirft, hat die Strafkammer das
Hauptverfahren wegen der jeweils angeklagten Taten i.S. des § 264 StPO gegen
sie eröffnet, jedoch Teilgeschehnisse innerhalb der prozessualen Taten aus
rechtlichen und tatsächlichen Gründen als nicht strafbar erachtet und insoweit
ausdrücklich die Eröffnung teilweise abgelehnt. Es handelt sich jedoch um einen
Fall des § 207 Abs. 2 Nr. 3 StPO (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 207
RdNr. 3, 5). Soweit die Strafkammer ihre abweichende rechtliche Bewertung als
teilweise Nichteröffnung des Hauptverfahrens in dem angefochtenen Beschluss
bezeichnet hat, ist dieser wirkungslos (Rieß in Löwe-Rosenberg, StPO, 25.
Auflage, § 207 Rdn. 14; Meyer-Goßner, a.a.O., § 207 Rdn. 3; §).
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Darüber hinaus besteht jedoch gegen die nachfolgend genannten Angeschuldigten
und Angeklagten - über die bloße Teilnahme an den Übungen hinaus - ein
hinreichender Tatverdacht, im Rahmen der angeklagten prozessualen Taten an
Exzessaussagen der Geschädigten. Aufgrund des Umfangs der Vernehmungen
sollen nur exemplarisch Zeugenaussagen herausgestellt werden, die für sich
bereits einen hinreichenden Tatverdacht begründen, von der Strafkammer jedoch
unberücksichtigt geblieben sind.
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Angeklagter E
49
Der Angeklagte E ist über die Planung und Durchführung der "Übungen" und die
Messhandlung des Geschädigten C2 hinaus weiterer Exzesse hinreichend
verdächtig. Der Zeuge I4 hat bekundet, dass der Angeklagte E anwesend gewesen
sei, als ihm im Keller "superkaltes" Wasser eimerweise über den Kopf und den
Oberkörper gekippt worden sei. Hierbei sei er nur mit einem T-Shirt bekleidet
gewesen, er habe in diesem Zustand auf einer Matte längere Zeit gelegen (Bl.
1079, 1705 BA "E"). E unterband den Vorgang nicht. Der Zeuge G hat hinsichtlich
der "Übung" im Juni 2004 angegeben, ihm sei mit Gewalt über sieben bis acht
Minuten Wasser in Mund und Nase gepumpt worden. Im Hintergrund habe er den
Angeklagten E sagen gehört, dies solle man "nicht zu heftig" machen. Das Wasser
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sei äußerst kalt gewesen (Bl. 1048, 1049 aaO). Hinterher habe der Angeklagte den
Zeugen für sein Verhalten gelobt (Bl. 1051 aaO). Der Zeuge C3 hat angegeben,
der Angeklagte habe bei der ersten "Übung" simulierte Erschießungen durchführen
lassen (Bl. 1732 aaO). Der Zeuge G4 hat bekundet, E habe bei dem Überfall vom
20. Juni 2004 einem Rekruten ein "Rambo-Messer" mit einer Klingenlänge von 20
cm an den Hals gelegt
(Bl. 131 aaO). Der Zeuge Y hat angegeben, bei der Übung Ende August oder
Anfang September 2004 sei sein unbehelmter Kopf im Keller leicht gegen eine
Wand geschlagen worden. Er habe Schreie und Stöhnen gehört. Als ihm die
Augenbinde abgenommen worden sei, habe er den Angeklagten erkannt (Bl. 1511
aaO). Nach den Befragungen im Keller seien alle Rekruten "voll fertig" gewesen,
sie hätten gefroren und blaue Lippen gehabt (Bl. 1079 aaO). In diesem
Zusammenhang hat der Angeschuldigte K angegeben, er habe von E, C4 und Y2
die Anweisung bekommen, den Keller zur Befragung auch durch Bereitstellung
einer Kübelspritze "vorzubereiten", die Rekruten bei der Befragung nass zu
machen (Bl. 1172 f. Bd. VIII d.A.). Der Zeuge U sollte "die Neuen" auf Anweisung
Es oder Is bei dem "Überfall" "ruhig ein bisschen ruppiger anpacken" (Bl. 1525 BA
"E").
51
Angeschuldigter I
52
Der Angeschuldigte I ist sowohl wegen der Teilnahme an den "Übungen" im
vorbezeichneten Sinne nach Maßgabe der Anklageschrift, jedoch darüber hinaus
weiterer Übergriffe auf Rekruten hinreichend verdächtig. Der Zeuge M hat bekundet
(Bl. 621, 623 BA "I"), dass ihm dieser nicht nur eine Pistole an den Kopf gehalten
habe, sondern dass er auch die Stimme des Angeschuldigten erkannt habe,
während ihm Stromschläge mittels eines Feldfernsprechers versetzt worden seien.
Entsprechendes hat der Zeuge auch gegenüber dem weiteren Geschädigten M2
erklärt (Bl. 437 ff aaO). Während der zweiten "Übung" haben verschiedene Zeugen
den Angeschuldigten ebenfalls im Keller, in dem Exzesse stattfanden, erkannt (Bl.
893 f,
53
937 ff, 1032 ff). Der Zeuge S hat angegeben, er habe auf Anweisung des
Angeschuldigten einen Lkw so vor den Kellereingang parken sollen, dass den
Soldaten aus dem Nebenblock die Einsicht auf den Kellerabgang verwehrt werde
(Bl. 1159 ff aaO). Der Angeschuldigte soll auch Ausbilder vor der "Befragung" der
Rekruten im Keller, bei der es zu Exzessen gekommen ist, unmittelbar zu Beginn in
einem Nebenraum entsprechend instruiert haben (gesondert Verfolgter T5, Bl.
1087 ff aaO).
54
Angeklagter Y2
55
Auch der Angeklagte Y2 ist weiterer Exzesse - über die Zulassung der Anklage
hinsichtlich des Versetzens von Stromstößen hinaus - hinreichend verdächtig. Der
Zeuge T3 hat angegeben, dass ihm der Angeklagte "mit einem Grinsen auf dem
Gesicht" ausführlich geschildert habe, wie er einem gefesselten Rekruten "zu
Ausbildungszwecken" den Schlauch einer Kübelspritze in den Mund gesteckt und
anschließend Wasser hineingepumpt habe. Der Rekrut habe als Reaktion hierauf
die Kabelbinder auf seinem Rücken zerrissen und habe die Ausbilder sogar
angreifen wollen (Bl. 561, 562 BA "Y2"). Der Zeuge S2 hat bekundet, der
56
Angeklagte habe daneben gestanden, als Rekruten bei der zweiten "Übung" von
der Ladefläche eines Lkw über die Kante auf eine darunter liegende Matte
geschubst worden sei (Bl. 47, 48 aaO). Mehrere Geschädigte und Angeschuldigte
haben angegeben, dass Y2 auch bei den Befragungen der Rekruten im Keller
(Tatkomplexe 2 bis 4) anwesend gewesen sei und sie auf Anweisung des
Angeklagten die Rekruten mit Wasser durchnässen sollten (Bl. 568 ff aaO). Der
Zeuge X hat angegeben, Y2 habe ihn mit der Gewehrmündung im Rücken zu
Boden gebracht und sich danach auf seinen Rücken gekniet (Bl. 406 aaO).
Angeschuldigter T2
57
Gegen den Angeschuldigten besteht - über die Teilnahme an den einzelnen
"Übungen" hinaus - auch ein hinreichender Tatverdacht wegen zumindest
fahrlässiger Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen G4, der von den
Kabelbindern verletzt wurde und eine Narbe zurückbehalten hat. Die Strafkammer
vertritt die Ansicht, die Staatsanwaltschaft habe das besondere öffentliche
Interesse an der Strafverfolgung verneint. Jedoch liegt bereits in der
Anklageerhebung eine solche Erklärung (Tröndle-Fischer, a.a.O., § 320
58
RdNr. 4). Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft in ihrer sofortigen Beschwerde
nunmehr ausdrücklich das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung bejaht.
Schließlich haben die Zeugen L5 und C5 angegeben, der Angeschuldigte habe
ihnen und anderen eine (jeweils ungeladene) Waffe an den Kopf gehalten (Bl. 359
ff, 499 ff BA "T2"). Den Rekruten L5 habe er mit einem Würgegriff überwältigt (Bl.
725 aaO).
59
Angeklagter G2
60
Gegen den Angeklagten besteht - über die Teilnahme an den einzelnen "Übungen"
hinaus - hinreichender Tatverdacht wegen zumindest fahrlässig begangener
Körperverletzung. Der Geschädigte U2 hat angegeben, dass der Angeschuldigte
ihm die Kabelbinder so schmerzhaft fest angezogen habe, so dass sie in die Haut
geschnitten hätten (Bl. 171 ff BA "G2").
61
Angeklagter F3
62
Gegen den Angeklagten besteht - über die Teilnahme an den einzelnen "Übungen"
hinaus - hinreichender Tatverdacht wegen gemeinschaftlicher gefährlicher
Körperverletzung. Geschädigte haben mehrere Exzesshandlungen des
Angeschuldigten geschildert. Der Geschädigte E2 hat angegeben, dass ihm im
Beisein des Angeschuldigten mit Gewalt Wasser in Mund und Nase gepumpt
worden sei (Bl. 57 ff BA "F3").
63
Angeschuldigter L
64
Soweit die Strafkammer die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den
Angeschuldigten L hinsichtlich der Teilnahme an der vierten "Übung" in der Nacht
vom 31.08. auf den 01.09.2004 aus tatsächlichen Gründen abgelehnt hat, kann die
vorläufige Beweiswürdigung der Kammer keinen Betsand haben. Aus der
Anklageschrift geht noch hinreichend deutlich hervor, dass dem Angeschuldigten
die Teilnahme an dem Überfall und der Überwältigung der Rekruten vorgeworfen
65
wird. Mehrere Zeugen haben bekundet, dass der Angeschuldigte sich in
angetrunkenem Zustand von einem "Zugabend" des zweiten Zuges mit den Worten
entfernt habe, er müsse zur "Geiselnahmeübung" des ersten Zuges. Neben einem
Zeugen, der den Angeschuldigten danach im Wald gesehen hat, hat der
Geschädigte Q angegeben, der Angeschuldigte habe seinen Zug am Ende des
Nachtmarsches erwartet und danach eine Übungshandgranate geworfen, welche
den Überfall durch andere Ausbilder eingeleitet habe (Bl. 163 BA "L"). Der Zeuge
T6 hat angegeben, er habe den Angeschuldigten an einem Fahrzeug stehend
gesehen, mit dem die Ausbilder zur "Übung" gefahren worden seien (Bl. 246
a.a.O.).
Angeschuldigter N
66
Soweit das Landgericht in seinem Beschluss die Ansicht vertritt, dem
Angeschuldigten N könne anlässlich der Teilnahme an der dritten und vierten
"Übung" allenfalls der Wurf einer Blendgranate nachgewiesen werden, der zudem
nicht tatbestandsmäßig sei, kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr besteht
gegen den Angeschuldigten ein hinreichender Tatverdacht, an dem Überfall und
der Überwältigung der Rekruten aktiv teilgenommen und deren Gegenwehr
gebrochen zu haben. Der Zeuge M2 hat angegeben, der Angeschuldigte habe ihm
gegenüber geäußert, er habe die "Geiselhaft" Ende August oder Anfang
September mit durchgeführt. Es sei "richtig Krieg" gewesen, man habe sich "richtig
geprügelt" und auch sonst sei es recht brutal zugegangen. Das Handgelenk des
Angeschuldigten sei bandagiert gewesen, er habe erklärt, sich diese Verletzung
bei der "Übung" zugezogen zu haben (Bl. 54 BA "N"). Diese Angaben haben auch
die Zeugen G5 (Bl. 67 aaO) und X2 (Bl. 126 aaO) bestätigt.
67
Angeschuldigter L2
68
Soweit das Landgericht den Angeschuldigten L2 nach dem Ergebnis der
Ermittlungen nicht für hinreichend tatverdächtig hält, bei der dritten "Übung" an der
Befragung - und Misshandlung - der Rekruten im Keller teilgenommen zu haben,
kann dem nicht gefolgt werden. Über die von dem Landgericht angeführten Zeugen
hinaus hat auch der Geschädigte I6 Angaben zu dem Angeschuldigten gemacht. Er
hat angegeben, zunächst mit kaltem Wasser am ganzen Körper durchnässt worden
zu sein. Hierbei habe er öfter ein Blitzlicht aufleuchten sehen. Danach habe er
etwas Heißes in seiner Handfläche gespürt und habe Zigarettenrauch einatmen
müssen. Nach Abnehmen der Augenbinde habe er vor sich den Angeschuldigten
gesehen, der eine Kamera in der Hand gehalten habe (Bl. 77 BA "L2").
Berücksichtigt man, dass auch zahlreiche andere Zeugen den Angeschuldigten bei
der Überwältigung oder der Befragung gesehen haben wollten, auch wenn diese
Unsicherheiten eingeräumt haben, ergibt sich aus dem engen räumlichen und
zeitlichen Zusammenhang und der unstreitigen Teilnahme des Angeschuldigten an
der Überwältigung der Rekruten ein hinreichender Tatverdacht. Der anderweitig
Verfolgte I5 hat angegeben, der Angeschuldigte habe noch am Morgen der zweiten
"Übung" die Ausbilder, die später die Befragung im Keller vornehmen sollten,
aufgefordert, die Rekruten "härter anzufassen" (Bl. 405 aaO).
69
Angeschuldigter K
70
Soweit das Landgericht den Angeschuldigten K nicht für hinreichend tatverdächtig
71
hält, anlässlich der vierten "Übung an der Befragung - und Misshandlung - der
Rekruten im Keller teilgenommen zu haben, kann dem nicht gefolgt werden. Der
gesondert Verfolgte T5 hat hierzu angegeben, der Angeschuldigte sei sowohl bei
Beginn der Befragung im Keller als auch noch etwa 40 Minuten später dort
anwesend gewesen. Er habe u. a. einen Rekruten mit einem vollen Wassereimer
durchnässt (Bl. 99 - 101 BA "K"). Dieser habe auch zur Vorbereitung Wassereimer
gefüllt. Der Zeuge I7 hat angegeben, nach der vierten "Übung" von dem
Angeschuldigten die Anweisung erhalten zu haben, ein Feldtelefon in eine
Abstellkammer zu verbringen. Der Angeschuldigte habe erklärt, mit diesem Telefon
seien Stromstöße verabreicht worden (Bl. 61 aaO). Die Misshandlungen, derer der
Angeschuldigte hinreichend verdächtig ist, sind in der Anklageschrift auch in
genügendem Umfang konkretisiert worden.
Angeklagter C4
72
Auch der Angeklagte C4 ist - soweit das Landgericht die Eröffnung des
Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt hat - der Teilnahme an der vierten "Übung"
hinreichend verdächtig. Die von dem Landgericht angeführten Zeugen haben
übereinstimmend angegeben, dass der Angeklagte an dem Überfall auf sie aktiv
beteiligt gewesen sei, insbesondere auch an der Verbringung auf der Ladefläche
des Transportfahrzeuges mitgewirkt habe (Zeuge B2, Bl. 57, Zeuge G6, Bl. 73, Bl.
273 f BA "C4")."
73
Dem schließt sich der Senat vollumfänglich an.
74
Darüber hinaus ist lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden bzw. vertiefenden
Anmerkungen:
75
Die körperliche Integrität eines Untergebenen innerhalb der Bundeswehr genießt
76
einen hohen Stellenwert. Es gilt der allgemein bekannte militärische Grundsatz, dass
ein Vorgesetzter seine Untergebenen niemals anfassen darf, außer wenn zur
unmittelbaren Durchsetzung eines Befehls kein anderes Mittel gegeben ist (vgl.
BVerwG, ZBR 2001, 144), wobei es sich um einen rechtmäßigen Befehl handeln muss.
Das ist hier nicht der Fall.
77
Die Simulation der Geiselnahme ist, nach den einschlägigen Ausbildungsvorschriften
der Bundeswehr, kein Bestandteil der Grundausbildung von Rekruten, sondern
ausschließlich Kontingentsoldaten (z.B. KFOR, SFOR) und damit, so Brigadegeneral
Beck im Vorwort zum Arbeitspapier "Geiselhaft und Gefangenschaft", "einigen
78
wenigen freiwilligen Spezialisten" vorbehalten (Beweismittelordner Band 2/Ausbil-
79
dung/Auslandseinsätze). In den ergänzenden Hinweisen für die EbZA (Einsatz-
80
bezogene Zusatzausbildung) - ebenfalls Beweismittelordnung Band 2) heißt es:
81
"Bei der Absicht einer möglichst realitätsnahen und einsatzorientierten Ausbildung darf
nicht außer Acht bleiben, dass die rechtlichen Grenzen eines jeden
Ausbildungsvorhabens eingehalten werden müssen (u.a. darf keine Ausbildung auf
Kosten der Verletzung der Würde, der Ehre und/oder der körperlichen Unversehrtheit
82
von Soldaten geschehen). Die Beachtung gesetzlicher Bestimmungen, der
Dienstvorschriften und Erlasse, sowie der Grundsätze der Inneren Führung ist bei
jeglichem Ausbildungsvorhaben stets sicherzustellen. Die zuvor genannten Grundsätze
verbieten es zum Beispiel, dass im Rahmen der o.g. Ausbildung "Liegestütze",
tatsächliche Fesselungen, Verbringen in einen Drahtverhau, scheinbares Erschießen,
etc. oder sonst die körperliche Integrität oder die Würde der Auszubildenden rührende
Maßnahmen angeordnet bzw. durchgeführt werden."
Des weiteren ist vorgesehen, die Ausbildung durch einen vorgeschalteten Unterricht
vorzubereiten sowie Rechtsberater und Truppenpsychologen bei der Vorbereitung und
Durchführung der Stationsausbildung hinzuzuziehen.
83
Die Angeschuldigten haben damit den ihnen anvertrauten Rekruten - im Anschluss an
einen ohnehin anstrengenden Nachtmarsch - ohne jede Vorbereitung und
84
psychologische Begleitung weitaus höhere Belastungen zugemutet, als es für
Spezialisten, in aller Regel länger dienende Berufs- und Zeitsoldaten, zur Vorbereitung
auf Auslandseinsätze zulässig ist.
85
Die Durchführung der Geiselnahmen im vorliegenden Fall stellt also einen eklatanten
Verstoß gegen die geltende Befehlslage der Bundeswehr und die Rechte der
betroffenen Rekruten dar. Zwar kann der militärische Dienst seiner Natur nach hohe
körperliche Anforderungen an Soldaten stellen. Kommt es jedoch, wie hier, zu
außergewöhnlichen Belastungen, die offensichtlich gegen gesetzliche Bestimmungen,
Dienstvorschriften und Befehle verstoßen, liegt eine üble, unangemessene Behandlung
vor, die den Begriff der Misshandlung i.S.d. § 30 Abs. 1 WStG und § 223 StGB erfüllt
(vgl. BGHSt 14, 269). Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob und inwieweit
die Betroffenen physisch verletzt oder ihnen mehr oder weniger erträgliche Schmerzen
zugefügt worden sind. Im Vordergrund der Würdigung und Ahndung einer solchen
Behandlungsweise steht die Tatsache, dass die betroffenen Untergebenen durch die
ihnen zugefügten Misshandlungen bzw. entwürdigende Behandlung in ihrer
körperlichen Unversehrtheit und menschlichen Würde beeinträchtigt worden sind (vgl.
BVerwGE 86, 362, 364 m.w.N.). Eine körper- und ehrverletzende Behandlung von
Untergebenen, die als wehrlose Geiseln zum bloßen Objekt degradiert werden, hat mit
erlaubter militärischer Härte nichts zu tun und ist als Straftat zu ahnden (vgl. Dau in
Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze,
86
Rdnr. 1 zu § 30 WStG).
87
Es kann auch keinen vernünftigen Zweifeln unterliegen, dass sämtliche Angeschuldigte
aufgrund ihrer Erfahrungen während ihrer eigenen Grundausbildung und der
anschließenden Ausbildung zum Offizier bzw. Unteroffizier mit diversen Lehrgängen, in
denen auch die Abläufe und Inhalte der Grundausbildung für Rekruten vermittelt
werden, das Verbotensein ihres Tuns kannten. Zu Recht weist die
Generalstaatsanwaltschaft darauf hin, dass einige Ausbilder eigens ihren Urlaub in die
Zeit der Geiselnahmeübungen gelegt haben, um, ganz offensichtlich in Kenntnis von
deren Rechtswidrigkeit, nicht daran teilnehmen zu müssen. Bezeichnend in diesem
Zusammenhang ist auch die Reaktion des Zeugen Oberleutnant B3, der den Ange-
88
schuldigten Hauptmann T gegen Ende der ersten Übung zur Sandgrube, wo die
Rekruten gefangen gehalten wurden, begleitet hatte und sich durch die dort von ihm
89
wahrgenommenen Vorfälle zu der Frage veranlasst sah, ob "das denn mit dem
Wehrbeauftragten abgeklärt" sei.
Dass nicht alle Angeschuldigten in der Absicht gehandelt haben, den Rekruten
Schmerzen zuzufügen, ist unerheblich. Die Angeschuldigten haben sämtliche
Umstände, die den Tatbestand der §§ 30, 31 WStG, 223, 224 StGB ausfüllen, gekannt
und zumindest billigend in Kauf genommen. Im Übrigen ist die Gesamtheit der
Geiselnahmen einschließlich der Exzesshandlungen bei lebensnaher Betrachtung nur
denkbar, wenn alle Angeschuldigten damit einverstanden waren. Die für derartig
umfängliche Aktionen unerlässlichen Einsatzbesprechungen und Vorbereitungen
lassen es ausgeschlossen erscheinen, dass in Anbetracht der Überschaubarkeit der
Führungsebene einer Kompanie einzelne Angeschuldigte nicht eingeweiht gewesen
sein könnten.
90
Eine eventuelle Einwilligung der Rekruten, die darin gesehen werden könnte, dass die
Möglichkeit bestand, sich mit der Benutzung des vereinbarten Codeworts "..." der
weiteren Übung zu entziehen, hat keine rechtfertigende Wirkung. Die demütigende
Behandlung bzw. Misshandlung durch Vorgesetzte verletzt die in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG
normierte Verpflichtung aller staatlicher Gewalt zum Schutz der Menschenwürde sowie
der durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten körperlichen Unversehrtheit (vgl.
BVerwGE 113, 272). Von dieser Verpflichtung kann der für den Staat handelnde
militärische Vorgesetzte auch nicht durch das subjektive Einverständnis des betroffenen
Individualgrundrechtsträgers freigestellt werden (vgl. BVerwG a.a.O). Daher ist auch die
positive Reaktion einiger Rekruten im Anschluss an die Übung ("Ein herrlicher Morgen
im Wald") allenfalls geeignet, sich im Rahmen des Rechtsfolgenausspruches zugunsten
der Angeschuldigten auszuwirken. Dabei wird allerdings zu berücksichtigen sein, dass
der Code "...", der in Rekrutenkreisen allgemein
91
als Bezeichnung für "Weichei" und "Drückeberger" stand, offensichtlich ganz
92
gezielt gewählt worden ist, um wegen der negativen Belegung die Verwendung
93
des Codes in engen Grenzen zu halten.
94
Der angefochtene Beschluss kann daher nach alledem, soweit die Eröffnung des
Hauptverfahrens aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen abgelehnt worden ist, in
Übereinstimmung mit den Auffassungen der Staatsanwaltschaft und der
Generalstaatsanwaltschaft keinen Bestand haben und ist aufzuheben.
95
Soweit in tatsächlicher Hinsicht noch restliche Unklarheiten bestehen, muss deren
Aufklärung der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben. Durchgreifende Zweifel
bezüglich des hinreichenden Tatverdachts, die der Verfahrenseröffnung entgegen
stehen könnten, ergeben sich daraus nicht.
96
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Münster vom 1. Juni 2005 ist mithin insgesamt nach
Maßgabe der dort vorgenommenen rechtlichen und tatsächlichen Wertung zur
Hauptverhandlung zuzulassen und das Verfahren vor der 8. Strafkammer des
Landgerichts Münster zu eröffnen.
97
Der Senat hat davon abgesehen, von der Wahlmöglichkeit des § 210 Abs. 3 StPO
Gebrauch zu machen und zu bestimmen, dass die Hauptverhandlung vor einer anderen
98
Strafkammer des Landgerichts Münster oder einem anderen benachbarten Gericht
stattzufinden hat.
Für die Anwendung des § 210 Abs. 3 StPO müssen besondere Gründe bestehen (vgl.
Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 210 Rdnr. 10). Diese können darin liegen, dass eine
unvoreingenommene Verhandlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Beschwerdegerichts durch die bisher tätig gewordene Strafkammer nicht erwartet
werden kann. Diese Befürchtung hegt der Senat nicht, sondern geht vielmehr davon
aus, dass sich die 8. Strafkammer der mit der Beschwerdeentscheidung vertretenen
Rechtsauffassung nicht verschließen wird.
99
Im Übrigen sprechen prozessökonomische Erwägungen nahezu zwingend gegen eine
Verweisung an eine andere Strafkammer. Wegen der bereits erfolgten Teileröffnung
bleibt die 8. Strafkammer ohnehin mit der Sache befasst. Im Hinblick auf den
erheblichen Umfang des Verfahrens wäre es wenig sachgerecht, ohne zwingende
Gründe eine weitere Strafkammer damit zu belasten.
100
III.
101
Eine Kostenentscheidung ist, da es sich nicht um eine das Verfahren abschließende
Entscheidung handelt, nicht veranlasst.
102