Urteil des OLG Hamm vom 21.11.2003
OLG Hamm: aus wichtigen gründen, pflichtverteidiger, strafverfahren, auswechslung, abberufung, haftbefehl, verfügung, wahlverteidiger, beschwerdeschrift, versuch
Oberlandesgericht Hamm, 1 Ws 366/03
Datum:
21.11.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 Ws 366/03
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, KLs 106 Js 104/00 14 (IV) Sch 1/01
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten
insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
G r ü n d e :
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I.
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Die Staatsanwaltschaft Dortmund erhob am 08.01.2001 gegen den Angeklagten und
den Mitangeklagten X Anklage wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem
besonders schweren Fall in 15 Fällen. Mit Schriftsatz vom 05.02.2001 bestellte sich
Rechtsanwalt W in C2 unter Vorlage einer vom Angeklagten unterzeichneten
Strafprozessvollmacht zum Verteidiger des Angeklagten. Das Landgericht Dortmund -
IV. Strafkammer - beschloss am 08.04.2003 die Eröffnung des Hauptverfahrens.
Gleichzeitig beraumte der Vorsitzende Hauptverhandlungstermin auf den 05.06.2003
an. In diesem Hauptverhandlungstermin erschien der Mitangeklagte X nicht. Der
Hauptverhandlungstermin wurde daraufhin vertagt und gegen
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den Mitangeklagten Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO erlassen. Rechtsanwalt W
wurde auf seinen Antrag hin mit Beschluss des Vorsitzenden vom 05.06.2003 zum
Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt.
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Nachdem der Mitangeklagte X auf der Grundlage des gegen ihn erlassenen
Hauptverhandlungshaftbefehls am 16.07.2003 inhaftiert worden war, beraumte der
Vorsitzende der Strafkammer mit Verfügung vom 01.08.2003 neuen
Hauptverhandlungstermin auf den 17., 19. und 20. November 2003 an. Auf Anordnung
des Vorsitzenden und aufgrund einer entsprechenden Verfügung der Geschäftsstelle
vom 18.08.2003 wurde auch Rechtsanwalt W in C2 als Pflichtverteidiger zu der neuen
Hauptverhandlung geladen. Mit Schriftsatz vom 28.08.2003, beim Landgericht
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Dortmund eingegangen am 01.09.2003, beantragte Rechtsanwalt W, den
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Hauptverhandlungstermin vom 19.11.2003 aufzuheben und insoweit einen neuen
Verhandlungstermin zu bestimmen, da er an diesem Tag bereits als Pflichtverteidiger in
einem sehr umfangreichen Strafverfahren einen Hauptverhandlungstermin beim
Landgericht Bonn wahrzunehmen habe, zu dem er geladen sei. Der Vorsitzende der
Strafkammer teilte daraufhin mit Schreiben vom 16.09.2003 sowohl Rechtsanwalt W als
auch dem Angeklagten mit, dass der Termin vom 19.11.2003 nicht verlegt werden
könne und wegen Verhinderung von Rechtsanwalt W daher beabsichtigt sei, dem
Angeklagten einen anderen Pflichtverteidiger zu bestellen. Anregungen zur Auswahl
des neuen Pflichtverteidigers könnten dem Gericht binnen einer Woche mitgeteilt
werden.
Mit Schreiben vom 22.09.2003, eingegangen beim Landgericht Dortmund am
25.09.2003, widersprach der Angeklagte der Beiordnung eines anderen Verteidigers
unter Hinweis darauf, dass Rechtsanwalt W seines Vertrauens sei und sich ein anderer
Verteidiger erst in das Verfahren einarbeiten müsse. Gleichzeitig beantragte er die
Vertagung des Hauptverhandlungstermins vom 19.11.2003.
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Mit dem angefochtenen Beschluss vom 08.10.2003 bestellte der Vorsitzende der
Strafkammer Rechtsanwalt E2 aus Dortmund zum neuen Pflichtverteidiger des
Angeklagten unter gleichzeitiger Entpflichtung von Rechtsanwalt W. Gegen diesen
Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner schriftlichen Beschwerde vom
21.10.2003. Auch Rechtsanwalt W hat mit Schriftsatz vom 24.10.2003 im Namen des
Angeklagten Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden vom 08.10.2003
erhoben. Zur Begründung wird ausgeführt, dass durch die Auswechslung des
Pflichtverteidigers das Recht des Angeklagten, durch einen Pflichtverteidiger seines
Vertrauens verteidigt zu werden, verletzt worden sei.
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Der Vorsitzende der Strafkammer hat der Beschwerde unter Hinweis auf die Vorschrift
des § 213 StPO nicht abgeholfen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu
verwerfen.
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II.
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Die gemäß § 304 StPO statthafte Beschwerde gegen die außerhalb der
Hauptverhandlung getroffene Entscheidung des Strafkammervorsitzenden, unter
Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt W Rechtsanwalt E2
zum neuen Pflichtverteidiger des Angeklagten zu bestellen, ist zulässig und auch nicht
mit der zwischenzeitlichen Durchführung der Hauptverhandlung gegenstandslos
geworden, da die Pflichtverteidigerbestellung bis zur Urteilsrechtskraft gilt.
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Die Beschwerde ist in der Sache auch begründet und führt zur Aufhebung des
angefochtenen Beschlusses. Die gegen den erklärten Willen des Angeklagten
vorgenommene Auswechslung des Pflichtverteidigers war rechtsfehlerhaft. Sie verletzte
den Angeklagten in seinem Recht auf wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 c MRK) und
verstieß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Zwar ist ein Widerruf der
Pflichtverteidigerbestellung, obwohl in § 143 StPO und damit gesetzlich nicht
vorgesehen, nach ganz herrschender Meinung zulässig, wenn Umstände vorliegen, die
dem Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu
sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft
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gefährden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 143 Rdnr. 3 m.w.N.). Im Rahmen
dieser Prüfung ist das aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens abzuleitende und in der
Verfahrensvorschrift des § 142 Abs. 1 S. 3 StPO zum Ausdruck kommende Recht des
Beschuldigten zu beachten, von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigt zu
werden. Danach hat der Beschuldigte in Fällen notwendiger Verteidigung grundsätzlich
einen Anspruch darauf, dass der von ihm bezeichnete Anwalt seines Vertrauens zum
Pflichtverteidiger bestellt wird (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.,
§ 142 Rdnr. 9 - 13 m.w.N.). Es kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass die
Abberufung des von dem Angeklagten mit nachvollziehbarer Begründung als Anwalt
seines Vertrauens bezeichneten und auf seinen Vorschlag hin vom Vorsitzenden der
Strafkammer zunächst zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts W in C2 aus
wichtigen Gründen, hinter denen das Interesse des Angeklagten an einer Verteidigung
durch seinen "Vertrauensanwalt" zurückzustehen hätte, erforderlich war. Allein der
Umstand, dass der bisherige Pflichtverteidiger Rechtsanwalt W, der schon im Februar
2001 - zunächst als Wahlverteidiger - die Verteidigung des Angeklagten im
vorliegenden Verfahren übernommen und den Angeklagten auch bereits in einem
früheren Strafverfahren verteidigt hatte, an einem der drei vom Vorsitzenden
anberaumten Hauptverhandlungstermine, nämlich am 19.11.2003, aufgrund einer
anderweitigen Pflichtverteidigung, die seine Anwesenheit in einem bereits seit längerem
anberaumten Hauptverhandlungstermin vor dem Landgericht Bonn erforderlich machte,
verhindert war, stellt keinen die Abberufung von Rechtsanwalt W rechtfertigenden Grund
dar. Zwar ist die Terminierung grundsätzlich Sache des Vorsitzenden (vgl. § 213 StPO)
und steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen. Bei dieser Ermessensausübung ist aber
neben dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung, dem vorliegend im Hinblick auf die
bisherige Verfahrensdauer und den gegen den Mitangeklagten seit dem 16.07.2003
vollstreckten Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO besonderes Gewicht zukam, auch
das Recht des Angeklagten, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt
seines Vertrauens verteidigen zu lassen, zu beachten (vgl. BGH StV 1992, 53). Bei der
Terminierung muss daher seitens des Vorsitzenden - unter Umständen durch
Absprache mit anderen Gerichten - ernsthaft versucht werden, diesem Recht des
Angeklagten so weit wie möglich Geltung zu verschaffen (BGH NStZ 1999, 527). Es ist
nicht ersichtlich, dass hier ein derartiger Versuch unternommen worden ist. In dem an
den vormaligen Pflichtverteidiger des Angeklagten gerichteten Schreiben des
Vorsitzenden vom 16.09.2003 heißt es insoweit ohne nähere Begründung lediglich,
dass der Termin vom 19.11.2003 nicht verlegt werden könne. Warum es nicht möglich
gewesen sein soll, bei der auf drei Verhandlungstage angesetzten Strafsache unter
Beibehaltung der Verhandlungstage vom 17. und 20.11.2003 anstelle des 19.11.2003
an einem anderen Sitzungstag innerhalb der 10-Tages-Frist des § 229 Abs. 1 StPO zu
verhandeln, ist nicht ersichtlich, zumal Rechtsanwalt W in seiner Beschwerdeschrift
dargelegt hat, an den insoweit in Betracht kommenden Ausweichterminen noch freie
Kapazitäten zu haben.
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Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben mit der Folge, dass die
Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt W vom 05.06.2003 nunmehr wieder
Gültigkeit hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 467, 473 StPO.
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