Urteil des OLG Hamm vom 17.04.1991

OLG Hamm (schutz der gläubiger, bürgschaft, höhe, bilanz, anfang, bank, gewährleistung, gefahr, bilanzstichtag, bewertung)

Oberlandesgericht Hamm, 8 U 173/90
Datum:
17.04.1991
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 U 173/90
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 4 O 378/89
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 7. März 1990 verkündete
Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts ... wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden je zur Hälfte den Beklagten
auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer der Beklagten beträgt je 37.500,- DM.
Tatbestand:
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(Von der Darstellung des
Tatbestandes
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist unbegründet.
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Das Landgericht hat die beiden Beklagten zu Recht verurteilt, die am 6. Mai 1988
entnommenen jeweils 37.500,- DM an den Kläger als Konkursverwalter
zurückzuerstatten. Die Voraussetzungen der §§ 31 Ziff. 1, 37 Konkursordnung liegen
vor.
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Auch zur Überzeugung des Senats steht fest, daß die beiden Beklagten die genannten
Beträge in der Absicht entnommen haben, den Gläubiger der späteren
Gemeinschuldnerin zu benachteiligen. Diese Absicht war der späteren
Gemeinschuldnerin auch bekannt, weil die Beklagten im Zeitpunkt der Entnahme noch
Geschäftsführer und damit Organe der späteren Gemeinschuldnerin waren.
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Die Benachteiligungsabsicht ist hier schon deshalb zu vermuten, weil die Beklagten
keinen fälligen Anspruch auf Auszahlung der entnommenen Beträge gegen die spätere
Gemeinschuldnerin hatten.
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1.
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Voraussetzung für einen solchen fälligen Zahlungsanspruch in Höhe von jeweils
37.500,- DM wäre ein entsprechender Gewinnverwendungsbeschluß gem. § 29 Abs. 1
GmbHG. Ein solcher Beschluß setzt die wirksame Feststellung des Jahresabeschlusses
voraus. Ist der Jahresabschluß nicht wirksam festgestellt worden (nichtig oder wirksam
angefochten), so ist auch der Gewinnverwendungsbeschluß analog § 253 Aktiengesetz
nichtig (Rowedder GmbHG, 2. Aufl., 1990, § 29 Rdn. 38; Scholz-Schmidt, GmbHG, 7.
Aufl., 1988, § 46 Rdn. 43; Baumbach-Hueck, GmbHG, 15. Aufl. 1988, § 29 Rdn. 43).
Bilanzfestellungs- und Gewinnverwendungsbeschluß können allerdings
zusammenfallen, und die Bilanzfeststellung kann auch konkludent erfolgen (Scholz-
Crezelius a.a.O., § 42a Rdn. 36; Baumbach-Hueck a.a.O. § 46 Rdn. 14).
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2.
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Hier liegt nur ein einheitlicher Beschluß mit Datum vom 28.12.1987 vor, der die
Verwendung des Jahresgewinns 1986 betrifft und insoweit auf die Handelsbilanz zum
31.12.1986 verweist. Hierin liegt die stillschweigende Feststellung der Jahresbilanz
1986.
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Streitig ist allerdings, ob dieser Beschluß tatsächlich an diesem Tag so gefaßt worden
oder ob er erst später gefertigt und rückdatiert worden ist. Diese Frage kann aber im
Ergebnis dahinstehen. Der Senat unterstellt zugunten der Beklagten deren Darstellung
als richtig, daß der Beschluß so am 28.12.1987 in einer Gesellschafterversammlung
gefaßt wurde.
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3.
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Der Bilanzfeststellungsbeschluß und damit auch der Gewinnverwendungsbeschluß
sind jedoch auch dann nichtig, wenn der Jahresabschluß gegen zwingende gesetzliche
Vorschriften zum Schutz der Gläubiger verstößt. Dies folgt aus einer Analogie zu § 256
Aktiengesetz (Rowedder-Wiedemann a.a.O. § 42a Rdn. 55; Scholz-Schmidt a.a.O. § 46
Rdn. 38; Baumbach-Hueck a.a.O. § 42a Rdn. 22ff). Das ist z.B. dann anzunehmen,
wenn Bilanzposten nicht unwesentlich überbewertet oder zwingend vorgeschriebene
Passivposten weggelassen werden. Es muß sich aber um schwerwiegende Verstöße
handeln, die das Betriebsergebnis maßgeblich beeinflussen (Rowedder a.a.O.;
Baumbach-Hueck a.a.O. Rdn. 23).
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Die hier zum 31.12.1986 erstellte Bilanz, die Grundlage des
Gewinnverwendungsbeschlusses ist, leidet an einem, solchen schwerwiegenden
Mangel. Sie verstößt nämlich gegen zwingende Passivierungspflichten, weil wegen
noch ungeklärter Gewährleistungsansprüche der ... wegen des Flachdaches am
Bauobjekt in ... seitens der späteren Gemeinschuldnerin Rückstellungen hätten gebildet
werden müssen, was unstreitig nicht geschehen ist.
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a)
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Die drohende Inanspruchnahme aus Gewährleistung zählt zu den Ungewissen
Verbindlichkeiten i.S.d. § 249 Abs. 1 Ziff. 1 HGB, für die Passivierungspflicht besteht
(Rowedder a.a.O. § 42 a Anh. Rdn. 174; Baumbach-Duden-Hopt, HGB, 28. Auff. 1989, §
249 Anm. 2 B, C; Scholz-Crezelius a.a.O., Anh. zu § 42a Rdn. 194).
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249 Anm. 2 B, C; Scholz-Crezelius a.a.O., Anh. zu § 42a Rdn. 194).
b)
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Spätestens nach dem Ortstermin vom 15.11.1986 stand fest, daß an dem mangelhaften
Flachdach noch Sanierungsarbeiten auszuführen waren, weil rd. 300 m² bzw. 15 % der
Dachfläche mangelhaft waren. Dies sollte bis Sommer 1987 geschehen. Die ...
verlangte als Sicherheit eine Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 50.000,- DM,
womit die Beklagten als Geschäftsführer der späteren Gemeinschuldnerin
einverstanden waren, denn die Bürgschaft wurde bereits im Januar 1987 von der Bank
gestellt. Damit stand bereits Ende 1986 fest, daß die spätere Gemeinschuldnerin der ...
zu weiteren Sanierungsmaßnahmen verpflichtet war. Überdies bestand die Gefahr, daß
die ... bei nicht fristgerechter oder nicht ordnungsgemäßer Sanierung aus der Bürgschaft
vorgehen werde, was zum Rückgriff der bürgenden Bank gegen die spätere
Gemeinschuldnerin bis zur Höhe von 50.000,- DM führen konnte. Daraus folgt, daß
Ende 1986 eine dem Grunde nach sichere, der Höhe nach noch ungewisse
Verpflichtung gegenüber der ... bestand und eine mögliche Inanspruchnahme aus der
Bürgschaft jedenfalls wirtschaftlich bereits angelegt war. Diese Risiken waren
passivierungspflichtig.
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c)
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Hieran und an der Bewertung dieser Risiken hat sich bis zur Aufstellung der Bilanz
Ende 1987/Anfang 1988 auch nichts wesentliches geändert. Zwar wurden Anfang 1987
Sanierungsarbeiten ausgeführt, nach eigenem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten
aber nicht fristgerecht, was zur Folge hatte, daß die Bürgschaft mehrfach verlängert
wurde, und zwar bis in das Jahr 1988 hinein. Folglich bestand selbst im Zeitpunkt der
Erstellung der Bilanz für das Geschäftsjahr 1986 die Möglichkeit einer
Inanspruchnahme durch die bürgende Bank weiter.
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Das Risiko der Inanspruchnahme aus Gewährleistung oder aus der Bürgschaft war
auch nicht geringer, sondern eher größer geworden, weil Mitte 1987 erneut erhebliche
Mängel an dem Dach festgestellt worden waren. Deren Ursache war zwar noch nicht
endgültig geklärt. Immerhin lag aber spätestens im September 1987 das Gutachten ...
vor, in welchem auch von Material- und Verarbeitungsfehlern die Rede war. Das
begründete die Gefahr, daß die spätere Gemeinschuldnerin auch wegen dieser neuen
Mängel in Anspruch genommen werde. Die hieraus folgenden Risiken einer weiteren
Inanspruchnahme durch die ... auf Gewährleistung oder seitens der bürgenden Bank
hätten gem. § 252 Abs. 1 Ziffer 4 HGB bei der Bewertung der für 1986 als Rückstellung
zu passivierenden noch Ungewissen Verbindlichkeit aus Gewährleistung berücksichtigt
werden müssen.
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Daran ändert auch das Stichtagsprinzip nichts, wonach Veränderungen nach dem
Bilanzstichtag - hier 31.12.1986 - grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben haben.
Denn dieses gilt nicht für die Bewertung von Einzelposten. Erkenntnisse, die erst nach
dem Bilanzstichtag bis zum Tage der Aufstellung der Bilanz - hier Ende 1987/Anfang
1988 - gewonnen werden und Bilanzposten in einem anderen Licht erscheinen lassen
als am Bilanzstichtag, sind im Gläubigerinteresse zu berücksichtigen, § 252 Abs. 1 Ziffer
4 HGB (Baumbach-Duden-Hopt a.a.O. § 252 Anm. 4 A).
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d)
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Angesichts des Umfangs der Mitte 1987 erkennbar gewordenen Schäden und des
Umstandes, daß die spätere Gemeinschuldnerin schon 1986 nach eigenem Vortrag
rund 200.000,- DM zur Sanierung des Daches aufgewandt hatte, die unstreitig übrigens
auch nicht passiviert wurden, hätten jedenfalls die 50.000,- DM angesetzt werden
müssen, über die sich die Bankbürgschaft verhielt. Die Gefahr, jedenfalls in dieser Höhe
in Anspruch genommen zu werden, war aus der maßgeblichen Sicht bei Aufstellung der
Bilanz Ende 1987/Anfang 1988 erheblich.
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Bei einer Bilanzsumme von rund 646.000,- DM ist eine unterlassene Rückstellung von
50.000,- DM auch ein erheblicher Fehler. Er macht im vorliegenden Fall mehr als die
Hälfte des mit dem Jahresfehlbetrag aus 1986 saldierten Gewinnvortrags aus 1985 und
damit weit mehr als die Hälfte des ausgekehrten Gewinnes aus.
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4.
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Die Nichtigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses läßt einen Entnahmeanspruch der
Beklagten entfallen, so daß es auch an einer kongruenten Deckung für die
entnommenen jeweils 37.500,- DM fehlt. Die hierdurch begründete Vermutung der
Gläubigerbenachteiligungsabsicht ist nicht nur nicht widerlegt, sie wird vielmehr durch
die weiteren unstreitigen Umstände bestätigt. Die Veräußerung der Geschäftsanteilen
zu einem von dem Beklagten bewußt - auch in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat - nicht mitgeteilten Preis, die Verlegung des Firmensitzes nach ... die Änderung
des Firmennamens, die Gründung einer neuen Gesellschaft mit ähnlichem
Aufgabenbereich und ähnlicher Firma ... statt Kunststofftechnik ... und wiederum mit Sitz
in ..., dies alles läßt den sicheren Schluß zu, daß die Beklagten es darauf angelegt
hatten, der späteren Gemeinschuldnerin in der Erwartung ihres drohenden
Zusammenbruchs die noch flüssigen Mittel zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger zu
entziehen.
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II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Vollstreckbarkeit
des Urteils folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO.
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