Urteil des OLG Hamm vom 04.11.1996
OLG Hamm: schmerzensgeld, wohnung, einwirkung, gefängnis, ermittlungsverfahren, anhörung, kopfschmerzen, hörschaden, verbal, klageerweiterung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 6 U 55/96
04.11.1996
Oberlandesgericht Hamm
6. Zivilsenat
Urteil
6 U 55/96
Landgericht Dortmund, 12 O 83/95
Die Berufung des Beklagten gegen das am 2. Februar 1996 verkündete
Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird
zurückgewiesen.
Auf die Anschlußberufung der Klägerin wird festgestellt, daß der Beklagte
verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren materiellen Schäden aufgrund
des Vorfalls vom 18.10.1994 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, ferner
alle weiteren immateriellen Schäden.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschwer des Beklagten: unter 15.000,00 DM.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klägerin fordert vom Beklagten Schmerzensgeld und Ersatz materiellen Schadens
wegen der Kopfverletzungen, die sie bei einem Vorfall am 18.10.1994 erlitten hat.
Der Beklagte ist Eigentümer eines Mehrfamilienhauses in ... und bewohnt dort eine der im
Erdgeschoß gelegenen Wohnungen. Die Klägerin wohnte als Mieterin in einer
Obergeschoßwohnung. Seit April 1994 kam es zu Auseinandersetzungen wegen einer
Mieterhöhung, die der Beklagte gegen die Klägerin durchzusetzen versuchte. Er wollte die
Kaltmiete für die 52 qm große Wohnung von 218,00 DM auf 324,00 DM und später auf
349,00 DM erhöhen. Im Oktober 1994 verschärften sich die Streitigkeiten in der Weise, daß
die Klägerin wiederholt die Polizei zur Hilfe rief. Am 18.10.1994 kam es am frühen
Nachmittag zunächst zu einem Polizeieinsatz, weil der Beklagte wegen eines Streits um
die Kellerbenutzung die Tur des bis dahin von der Klägerin genutzten Kellerraums
aufzubrechen versuchte. Die Klägerin begab sich anschließend mit ihrer Mitbewohnerin,
der Zeugin ... zu ihrem Rechtsanwalt. Als sie von dort zurückkehrte, begegnete ihr im
Eingangsbereich des von beiden Parteien bewohnten Hauses der Beklagte, der ein Beil
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mit sich führte. Es kam zu einer Auseinandersetzung, bei der die Klägerin eine
Reizgassprühdose gegen den Beklagten einsetzte. Sie erlitt eine Kopfwunde, wegen derer
sie zwei Wochen lang stationär im Krankenhaus behandelt wurde. In erster Instanz war
unstreitig, daß diese Kopfwunde aus einer Einwirkung des Beils herrührte. Streitig war, ob
der Beklagte gezielt mit der Schneide des Beils zugeschlagen hat, oder ob die Verletzung
die Folge einer Abwehrreaktion des Beklagten gegen den Reizgaseinsatz war, wobei die
Klägerin mit dem Beil am Kopf getroffen wurde.
Mit der Klage hat die Klägerin 10.000,00 DM als Schmerzensgeld sowie 804,21 DM -
jeweils nebst Zinsen - als Ersatz materiellen Schadens verlangt.
Das Landgericht hat ihr unter Klageabweisung im übrigen 10.000,00 DM als
Schmerzensgeld und 695,99 DM - jeweils nebst Zinsen - als Ersatz materiellen Schadens
zuerkannt.
Mit der Berufung erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage. Er behauptet, er sei im
Begriff gewesen, vom Hausflur aus die Kellertreppe hinunterzugehen. In diesem
Augenblick habe er die Einwirkung des Reizgases gespürt, mit dem die Klägerin ihn
attackiert habe. Daraufhin habe er vermutlich reflexartig durch Hochheben der Arme
reagiert. Möglicherweise sei es dabei zu der Verletzung der Klägerin gekommen. Es könne
aber auch sein, daß die Klägerin mit dem Kopf gegen eine nach außen gebogene Metalltür
eines im Hausflur befindlichen Briefkastens geraten sei und sich daran verletzt habe. Er
wendet sich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts und hält das zuerkannte
Schmerzensgeld für übersetzt.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Im Wege der Anschlußberufung erstrebt sie
nunmehr auch die Feststellung, daß der Beklagte ihr - vorbehaltlich eines
Anspruchsübergangs auf öffentliche Versorgungsträger oder sonstige Dritte - alle
materiellen und immateriellen Schäden aus dem Vorfall vom 18.10.1994 zu ersetzen habe.
Der Senat hat die Ermittlungsakten 79 Js 556/94 StA Dortmund ausgewertet. Er hat die
Parteien gemäß § 141 ZPO angehört und Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung.
Wegen des Ergebnisses wird auf den darüber gefertigten Berichterstattervermerk Bezug
genommen.
II.
Die Berufung des Beklagten ist nicht begründet; die Anschlußberufung der Klägerin hat
Erfolg.
Der Beklagte ist der Klägerin gemäß §§ 823, 847 BGB zur Zahlung von Schmerzensgeld
und zum Ersatz ihres materiellen Schadens verpflichtet, weil er sie mit dem Beil angegriffen
und am Kopf verletzt hat.
Es besteht kein Zweifel daran, daß die Kopfwunde durch das Beil verursacht worden ist,
welches der Beklagte bei der Begegnung mit der Klägerin im Hausflur mit sich führte, und
nicht etwa darauf, daß die Klägerin bei der Auseinandersetzung gegen die verbogene Tür
des Briefkastens geraten ist, wie es der Beklagte in dieser Instanz als Mutmaßung
vorgetragen hat. Dafür spricht schon die Art der Verletzung. Die Sachverständige ... hat
dazu vor dem Landgericht ausgeführt, daß die von ihr festgestellten
Knochenabsplitterungen im Bereich der Schädelknochen darauf hindeuten, daß es sich um
eine mit Wucht erzielte Einwirkung gehandelt haben müsse. Die Höhe, in der die auf dem
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Lichtbild Bl. 83 unten der Ermittlungsakten sichtbaren Briefkästen angebracht sind, läßt es
als höchst unwahrscheinlich erscheinen, daß die Klägerin sich bei einem Sturz gegen die
Kästen eine derart massive Verletzung zugezogen haben könnte. Vor allem hat aber der
Beklagte unmittelbar nach dem Vorfall gegenüber den Polizeibeamten ... und ...
angegeben, er sei mit Tränengas bedroht worden, und dabei habe er das mitgeführte Beil
zur Verteidigung eingesetzt; ob jemand damit getroffen worden sei, habe er nicht bemerkt.
Da außerdem die Zeugin ... wie sie glaubhaft geschildert hat, vor ihrer Flucht durch die
Haustür den Beklagten im Hausflur mit hoch erhobenem Beil gesehen hat, besteht kein
Zweifel daran, daß die Klägerin durch dieses verletzt worden ist und nicht etwa dadurch,
daß sie mit dem Kopf gegen den Briefkasten geraten ist.
Aufgrund der gesamten Umstände ist der Senat auch davon überzeugt, daß der Beklagte
das Beil nicht etwa in einer Reflex- oder Abwehrreaktion nach einem Reizgasangriff der
Klägerin hochgerissen hat, sondern daß umgekehrt er zunächst mit dem Beil die Klägerin
angegriffen hat, die sich daraufhin mit dem mitgeführten Reizgas verteidigt hat. Schon
bevor die Klägerin das Reizgas eingesetzt hat, hat die Zeugin ... ihrer glaubhaften
Bekundung zufolge gesehen, daß der Beklagte das Beil gegen die Klägerin erhoben hatte.
Der Senat glaubt der Zeugin. Sie hat zwar nicht mehr gesehen, daß der Beklagte mit dem
Beil zugeschlagen hat, weil sie aus der Haustür geflüchtet ist. Der von ihr bekundete
Ablauf, dem zufolge es der Beklagte war, der die Klägerin angegriffen hat, fügt sich aber
plausibel in die Vorgeschichte ein. Der Beklagte hat im Zuge der eskalierenden
Streitigkeiten die Klägerin zunächst wiederholt verbal bedroht. Die Zeuginnen ... und ...
haben im Ermittlungsverfahren übereinstimmend von Todschlagsdrohungen seitens des
Beklagten berichtet. Damit paßt es zusammen, daß der Beklagte am Tage vor dem Vorfall
seinen Brief an den Rechtsanwalt der Klägerin mit dem Satz abgeschlossen hat: "Prinzip
ist Prinzip und koste es was es wolle. Auch wenn ich ein Lebenlang im Gefängnis
zubringe." Der Senat ist demgemäß davon überzeugt, daß sich die Ereignisse so
zugetragen haben, wie es die Klägerin behauptet. Der vom Beklagten beantragten
Vernehmung seiner Wohnungsnachbarin Frau ... zu dem Vorfall im Hausflur bedurfte es
nicht. Der Aussage des Zeugen ... zufolge hat Frau ... nicht gesehen, wie die Klägerin am
Kopf verletzt wurde. Selbst wenn sie entsprechend der Behauptung des Beklagten zum
gleichen Zeitpunkt aus ihrer Wohnungstür getreten ist, als er seine Wohnungstür verließ, so
schließt das nicht aus, daß sie sich schon wieder in ihre Wohnung zurückgezogen hatte,
als es zu der unmittelbaren Auseinandersetzung kam. Denn der Beklagte selbst hat bei
seiner Anhörung im Senatstermin angegeben, er wisse nicht, ob Frau zu diesem Zeitpunkt
noch im Flur gestanden habe.
Der Beklagte hat demgemäß der Klägerin den durch seinen Beilhieb entstandenen
materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen. Ausweislich der ärztlichen
Bescheinigungen des Stationsarztes ... und des ... vom 07.11.1994 und vom 18.11.1994
(Bl. 8/26 d.A.) und der Aussage der in erster Instanz vernommenen Ärztin ... hat die
Klägerin eine 8 bis 10 cm lange Rißquetschwunde am Schädel erlitten mit
Knochenabsplitterungen im Bereich der Schädelknochen. Die Klägerin ist vom 18.10.1994
bis zum 31.10.1994 stationär und anschließend ambulant behandelt worden. Die erlittene
Todesangst und die durch die Wunde entstandenen Schmerzen auf der einen und das
brutale Vorgehen des Beklagten auf der anderen Seite rechtfertigen das vom Landgericht
zuerkannte Schmerzensgeld von 10.000,00 DM auch dann, wenn die vom Beklagten
bestrittenen Spätfolgen wie Kopfschmerzen und Schmerzempfindlichkeit sowie der
behauptete Hörschaden außer Betracht bleiben.
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Der vom Landgericht zugesprochene materielle Schaden von 695,99 DM ist in dieser
Instanz der Höhe nach nicht im Streit.
Der mit der Anschlußberufung im Wege der Klageerweiterung geltend gemachte
Feststellungsantrag ist zulässig und begründet, denn die Möglichkeit, daß die Klägerin
aufgrund des Beilhiebes an Spätfolgen leidet, die von dem oben beschriebenen
Abgeltungsbereich des zuerkannten Schmerzensgeldes nicht erfaßt sind, liegt angesichts
des Ausmaßes der Verletzung nicht fern. Der Senat war nicht gehindert, auch über diesen
Antrag abschließend zu entscheiden, da die ihm zugrundeliegenden Tatsachen bereits mit
der Berufungserwiderung vorgetragen worden waren. Es war demgemäß nicht erforderlich,
dem Beklagten hierzu noch die beantragte Schriftsatzfrist einzuräumen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 97 I, 708 Nr. 10, 713, 546
ZPO.