Urteil des OLG Hamm vom 10.02.2010
OLG Hamm (verfügung von todes wegen, testament, beurkundung, ersatz der kosten, ehefrau, gemeinschaftliches testament, handschriftliches testament, verfügung, eigenes interesse, bindungswirkung)
Oberlandesgericht Hamm, 11 U 5/09
Datum:
10.02.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 5/09
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 16 O 151/07
Normen:
§ 19 BNotO
Leitsätze:
Zur Frage, wann eine schädigende Handlung des Geschädigten nicht
von der Amtspflichtverletzung herausgefordert worden ist
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10. November 2008
verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird
zurückgewie¬sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
I.
2
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus seiner früheren notariellen Amtstätigkeit auf
Schadensersatz in Anspruch, weil er bei der Beurkundung eines Testaments ihres
verstorbenen Ehemannes die Bindungswirkung einer vorausgegangenen Verfügung
von Todes wegen übersehen habe und dadurch die zu ihren Gunsten erfolgte
Anordnung eines Nießbrauchsvermächtnisses unwirksam gewesen sei.
3
Der verstorbene Ehemann der Klägerin, Herr U X, war in erster Ehe verheiratet mit Frau
N2 X. Aus dieser früheren Ehe sind drei Kinder hervorgegangen.
4
Frau N2 X und Herr X hatten am 10.10.1982 ein handschriftliches Testament mit
folgendem Inhalt unterzeichnet:
5
Wir die Eheleute U X und N2 X setzen uns gegenseitig zu Voll-Erben ein. Dies gilt
für unseren gesamten Besitz einschließlich der Wohnungseinrichtungen etc. Für
den Fall des Ablebens, das heißt nach dem Tode des zuletzt Verstorbenen verfügen
wir, daß unsere Kinder ... unser Erbe antreten sollen. (...)
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wir, daß unsere Kinder ... unser Erbe antreten sollen. (...)
Frau N2 X verstarb am 12.10.1982. Einen Monat nach dem Tode seiner Ehefrau wurde
Herr X vom Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Gronau angeschrieben und um
Vorlage eines Vermögensverzeichnisses gebeten bezüglich der von den Kindern nach
dem Tode ihrer Mutter angetretenen Erbschaft.
7
Herr X erwiderte dem Amtsgericht Gronau mit Schreiben vom 09.12.1982:
8
... darf ich Ihnen mitteilen, daß meine Frau und ich ein Testament ausgefertigt
haben, in dem jeder den anderen Partner zum Vollerben ernennt. Daraus geht
meines Erachtens hervor, daß den Kindern im Augenblick nur ihr bisher
persönliches Eigentum zusteht und es mir in meinem später zu erstellenden
Testament obliegt, meine drei Kinder gleichmäßig zu bedenken.
9
Am 19.01.1991 heiratete Herr X die Klägerin. Sie begannen mit der Planung eines
neuen gemeinsamen Hauses an der H-Straße 31 in H.
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Weil das Widerstände bei seinen leiblichen Kindern hervorrief, sah sich Herr X zehn
Jahre nach dem Tode seiner ersten Ehefrau veranlasst, das gemeinschaftliche
Testament vom 10.10.1982 am 22.09.1992 bei dem Amtsgericht Gronau eröffnen zu
lassen und gleichzeitig für sich einen Erbschein zu beantragen. Die leiblichen Kinder
von Herrn X erhoben in dem beim Amtsgericht Gronau anhängig gewordenen Verfahren
5 VI 121/92 Einwände gegen die Erbscheinserteilung, weil es sich in Wahrheit nicht um
ein gemeinschaftliches Testament gehandelt habe und ihre Mutter aufgrund einer hohen
Schmerzmitteldosierung nicht mehr testierfähig gewesen sei. Diese Einwände wurden
später zurückgestellt und der Erbschein antragsgemäß für Herrn X erteilt.
11
Im Jahre 1993 bat Herr X den Beklagten um Einsichtnahme in die beim Amtsgericht
Gronau unter 5 VI 121/92 anhängige Nachlassangelegenheit. Nachdem eine
Notariatsangestellte des Beklagten die Verfahrensakte eingesehen hatte, teilte der
Beklagte Herrn X mit, dass die Angelegenheit sich einvernehmlich erledigt habe.
12
Am 17.03.1997 suchte Herr X den Beklagten auf, um ein notarielles Testament zu
errichten. Der Beklagte beurkundete daraufhin zu seiner UR-Nr. ##/97 Folgendes:
13
Der Erschienene erklärte vorab:
14
Aus meiner ersten Ehe mit meiner verstorbenen Ehefrau sind als Kinder
hervorgegangen:
15
a) S C, geb. X
16
b) N3 X
17
c) Q A, geb. X
18
Ich bin in zweiter Ehe verheiratet mit Frau I X ..., wir leben im gesetzlichen
Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Aus dieser Ehe sind keine Kinder
hervorgegangen. Aus der ersten Ehe meiner Ehefrau stammen jedoch die Kinder:
19
a) L, geb. Q2
20
b) I2, geb. Q2
21
Dieses vorausgeschickt, bat der Erschienene um die Beurkundung eines
Testaments. An der unbeschränkten Geschäfts- und Testierfähigkeit des
Erschienenen bestanden keine Zweifel, auf die Hinzuziehung von Zeugen wurde
verzichtet. Der Erschienene erklärte sodann seinen letzten Willen wie folgt:
22
§ 1
23
Zu meinen Erben bestimme ich meinen Sohn N3 X und meine Tochter Q A zu je 1/2
Anteil, ersatzweise jeweils deren Kinder...
24
§ 2
25
Meine Ehefrau I X erhält als Vermächtnis das Nießbrauchsrecht mit gesetzlichem
Inhalt an meinem im Grundbuch des Amtsgerichts Gronau von F Blatt ####
verzeichneten 2-Familien-Haus ... H-Straße ..., das unverzüglich nach meinem Tode
im Grundbuch einzutragen ist und zu dessen Löschung die Vorlage der
Sterbeurkunde genügen soll.
26
Ich bevollmächtige hiermit meine Ehefrau unwiderruflich mit Wirkung für meine
Erben und befreit von den Beschränkungen des § 181 BGB, nach meinem Tode alle
Erklärungen gegenüber dem Grundbuchamt und jedermann abzugeben und
entgegenzunehmen, die zur Eintragung des vorstehend vermachten
Nießbrauchsrechts im Grundbuch erforderlich sind.
27
§ 3
28
Meine Tochter Frau S X erhält von meinen Erben ihren gesetzlichen Pflichtteil.
29
§ 4
30
Sollte sich in meinem Nachlaß Schmuck meiner Ehefrau befinden, so erhalten
diesen Schmuck deren Töchter Frau L geb. Q2 und I2 geb. Q2 als Vermächtnis zu
gleichen Teilen.
31
§ 5
32
Etwaige frühere Verfügungen von Todes wegen hebe ich hiermit auf.
33
Herr X verstarb am 21.12.2002. Das mit der Erteilung des Erbscheins befasste
Amtsgericht Gronau ging davon aus, dass die letztwilligen Verfügungen in dem
notariellen Testament vom 17.03.1997 wegen Verstoßes gegen das gemeinschaftliche
Testament vom 10.10.1982 insgesamt unwirksam seien und stellte am 24.04.2003
entsprechend der im gemeinschaftlichen Testament vom 10.10.1982 vorgesehenen
Erbfolge einen gemeinschaftlichen Erbschein für die drei leiblichen Kinder des Herrn X
aus.
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Die Klägerin nahm die Erben ihres verstorbenen Ehemannes in dem vor dem
Landgericht Münster - 4 O 417/03 - geführten Rechtsstreit auf Zustimmung zur
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grundbuchlichen Eintragung des ihr vermachten Nießbrauchs in Anspruch.
Der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin führte zur Klagebegründung aus,
dass das am 17.03.1997 verfügte Nießbrauchsvermächtnis zwar wegen der
Verbindlichkeit des gemeinschaftlichen Testaments vom 10.10.1982 unwirksam sei (§
2271 Abs. 2 S. 1 BGB). Es müsse aber eine geltungserhaltende Umdeutung in eine
lebzeitige Zuwendung des Vermächtnisses vorgenommen werden, die aufschiebend
befristet im Todeszeitpunkt von Herrn X wirksam geworden sei.
36
Die damaligen Beklagten hielten dem entgegen, dass eine lebzeitige Zuwendung von
Herrn X nicht gewünscht gewesen sei und außerdem einen Bereicherungs-anspruch
aus § 2287 Abs. 1 BGB ausgelöst hätte. Sie verlangten widerklagend stufenweise
Auskunft über den Nachlass und sodann dessen Herausgabe. Die Klägerin hielt dem
Pflichtteils- und Zugewinnausgleichsansprüche entgegen.
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In dem vorangegangenen Rechtsstreit wurde am 11.03.2004 ein Teilvergleich
abgeschlossen, wonach die Klägerin den Erben 30.000,-- EUR auszahlen sollte, dafür
aber zwei PKW behalten durfte. Durch verfahrensbeendigenden Vergleich vom
02.12.2004 einigten die damaligen Prozessparteien sich zusammengefasst darauf, dass
die Klägerin gegen Zahlung von 150.000,00 EUR das Eigentum an dem Grundstück H-
Straße 31 in H übertragen bekam. Die Klägerin verpflichtete sich ferner, die Kosten des
Rechtsstreits zu tragen. Zur Finanzierung des vereinbarten Kaufpreises nahm die
Klägerin ein Bankdarlehen auf, für dessen Absicherung eine Grundschuld bestellt
wurde.
38
Die Klägerin verfolgt im hiesigen Rechtsstreit den bereits im Vorprozess angekündigten
Regressanspruch gegen den Beklagten. Dazu hat die Klägerin erstinstanzlich folgende
Schadenspositionen geltend gemacht:
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• Kosten des vor dem Landgericht geführten Rechtsstreits 4 O 417/03 16.322,06 EUR
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• Kosten der Grundstücksübertragung und der Grundschuldbestellung 2.166,69 EUR
41
• Kosten der Finanzierung des Kaufpreises 8.429,94 EUR
42
26.918,69 EUR
43
Die Klägerin hat dem Beklagten einen fahrlässigen Verstoß gegen seine Amtspflichten
in dem Sinne vorgeworfen, dass ihm bei Beurkundung der letztwilligen Verfügung am
17.03.1997 das vorangegangene Testament vom 10.10.1982 wegen seiner
Vorbefassung im Jahre 1993 hätte bekannt sein müssen. Zumindest hätte der Beklagte
ihren verstorbenen Ehemann nach dem Inhalt vorangegangener Testamente fragen
müssen, denn nur so gebe die Regelung in § 5 des Testaments über die Aufhebung
früherer Verfügungen einen Sinn. Wenn der Beklagte ihren Ehemann auf die
Bindungswirkung des vorangegangenen gemeinschaftlichen Testaments hingewiesen
hätte, dann wäre ihr - der Klägerin - der Nießbrauch schenkungshalber zugewandt
worden. Eine solche Schenkung wäre auch keinem Bereicherungsanspruch aus § 2287
Abs. 1 BGB ausgesetzt gewesen, denn ihr Ehemann habe ein eigenes Interesse an der
Zuwendung gehabt, weil diese einen Ausgleich darstellen sollte für im Alter eventuell
nötige Pflege und Fürsorge.
44
Die Klägerin hat beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 26.918,69 EUR zu zahlen nebst 5% Zinsen über
dem Basiszinssatz seit dem 22.06.2006 und
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2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche Schäden zu ersetzen,
die ihr zukünftig aufgrund der Amtspflichtverletzung des Beklagten vom 17.03.1997
entstehen, soweit nicht diese Ansprüche auf Dritte übergehen.
47
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
49
Er hat die Ansicht vertreten, dass ihm keine Amtspflichtverletzung anzulasten sei.
Soweit Herr X ihn einige Jahre vor der Testamentsbeurkundung um die Einsichtnahme
in die Nachlassangelegenheit gebeten habe, sei ihm daraus im Beurkundungszeitpunkt
das Ehegattentestament nicht mehr bekannt gewesen. Die fehlende Erinnerung sei aber
wegen des langen Zeitablaufs nicht pflichtwidrig. Ob er Herrn X bei der Beurkundung
konkret nach einem früheren Testament gefragt habe, sei ihm ebenfalls nicht mehr
erinnerlich. Er frage bei Testamentsbeurkundungen jedoch grundsätzlich nach etwaigen
Bindungen durch vorangegangene Verfügungen von Todes wegen.
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Des weiteren fehle es an der Ursächlichkeit einer etwaigen Amtspflichtverletzung für
den behaupteten Schaden. Die Bestellung eines Nießbrauchs unter Lebenden
aufschiebend bedingt auf den Tod des Erblassers sei nicht möglich gewesen, weil ein
solches Schenkungsversprechen nach §§ 2301 Abs. 1, 2271 Abs. 2 S. 1 BGB
unwirksam gewesen wäre. Soweit die Klägerin die Möglichkeit einer unbedingten
Zuwendung des Nießbrauchs zu Lebzeiten des Herrn X anführe, hätte dafür dessen
gem. § 2287 BGB erforderliches lebzeitiges Eigeninteresse gefehlt. Herr X habe sich
hinsichtlich des Nießbrauchs auch keineswegs lebzeitig binden wollen, sondern statt
dessen ein widerrufliches Testament gewünscht, das er zudem gegenüber seinen
Angehörigen geheim gehalten habe.
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Im Übrigen stünden die geltend gemachten Schadenspositionen auch in keinem
adäquaten Zusammenhang zu einer etwaigen Pflichtverletzung, zumal der Gegenstand
des Vorprozesses sich durch die Widerklage ohnehin nicht nur auf den Nießbrauch
bezogen habe. Außerdem hat der Beklagte die Verjährungseinrede erhoben.
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Nach persönlicher Anhörung des Beklagten in der Kammersitzung vom 10.11.2008
wurde die Klage durch Urteil vom gleichen Tage mit folgender Begründung
abgewiesen: Dem Beklagten sei kein Verstoß gegen § 14 BNotO in dem Sinne
anzulasten, dass er die Beurkundung eines unwirksamen Rechtsgeschäftes
vorgenommen habe. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beklagte anlässlich
der Beurkundung im Jahre 1997 noch Kenntnis gehabt habe von dem früheren
Testament. Auch ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung (§ 17
BeurkG) könne nicht angenommen werden. Der Beklagte habe glaubhaft dargestellt,
dass er bei Testamentsbeurkundungen sich gewöhnlich danach erkundigt habe, in
welchem Umfeld das Testament errichtet werden solle. Dass er von einer solchen
Vorgehensweise im konkreten Fall abgewichen sei, lasse sich nicht feststellen, zumal
die Klägerin weder konkrete Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung vortrage noch
einen entsprechenden Beweis antrete.
53
Dagegen richtet sich die form- und fristgerechte Berufung der Klägerin mit folgender
Begründung: Das Landgericht habe zu Unrecht keine Amtspflichtverletzung des
Beklagten angenommen. Unabhängig von etwaigen Vorkenntnissen des Beklagten
über das gemeinschaftliche Testament vom 10.10.1982 aufgrund seiner Befassung im
Jahre 1993 hätte der Beklagte die allgemeine Frage an Herrn X richten müssen, ob
bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein Testament aufgesetzt worden sei. Eine solche
Frage habe der Beklagte aber nicht gestellt. Auch wenn grundsätzlich der
Anspruchsteller die Pflichtverletzung zu beweisen habe, trage umgekehrt der beklagte
Notar die Darlegungslast für den Inhalt einer vermeintlich vorgenommenen Belehrung.
Dazu müsse er den Gang der Besprechung im Einzelnen schildern und darlegen,
welche Belehrungen und Ratschläge er erteilt habe. Soweit der Beklagte - nach seinen
eigenen Angaben im Kammertermin - lediglich abstrakt die Frage in den Raum gestellt
habe, ob entgegen stehende testamentarische Bindungen bestünden, sei das nicht
ausreichend gewesen, um ein mögliches Missverständnis des Beklagten über den
Inhalt seiner letztwilligen Verfügung vom 10.10.1982 auszuschließen.
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Hätte Herr X nach entsprechender Erkundigung des Beklagten diesem das frühere
gemeinschaftliche Testament vorgelegt, dann wäre wegen der daraus ersichtlichen
Bindungswirkung von dem Nießbrauchsvermächtnis abgesehen worden.
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Das hätte zur Folge gehabt, dass auch der Rechtsstreit vor dem Landgericht Münster
4 O 417/03 - nicht geführt worden und der Klägerin die Belastung mit folgenden Kosten
erspart geblieben wäre:
56
• mit Beschluss des Landgerichts Münster vom 04.02.2005
57
zu Lasten der Klägerin festgesetzte Kosten 6.675,38 EUR
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• nebst Zinsen für die Zeit vom 06.01.-10.06.2005 176,70 EUR
59
• mit Rechnung des damaligen Prozessbevollmächtigten
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vom 22.04.2005 geltend gemachte Gebühren 7.740,68 EUR
61
• Gerichtskosten laut Rechnung der Oberjustizkasse Hamm
62
vom 13.01.2005 1.906,00 EUR
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16.498,66 EUR
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Auf diesen Betrag lässt die Klägerin sich einen Mitverschuldensanteil anrechnen und
geht von einem durch den Beklagten zu ersetzenden Schadensbetrag von 12.686,76
EUR aus, wobei sie im Übrigen die Klageabweisung durch das Landgericht hinnimmt.
65
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Landgerichts Münster vom 10.11.2008 teilweise abzuändern und den
Beklagten zu verurteilen, an sie 12.686,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
69
Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Eine Pflichtverletzung sei
ihm nicht anzulasten. Die nur noch verfolgten Prozesskosten würden auch nicht auf
einer etwaigen Pflichtverletzung beruhen. Denn mit dem Vorprozess sei keine
anderweitige Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 19 Abs. 1 S. 2 BNotO verfolgt worden
und außerdem sei das Anspruchsbegehren von vornherein aussichtslos gewesen, da
sämtliche Ansprüche der Klägerin an § 2271 BGB scheitern mussten.
70
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die
tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in seinem angefochtenen Urteil Bezug
genommen.
71
II.
72
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
73
Die Klägerin kann von dem Beklagten nicht gem. § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO - der einzig in
Betracht kommenden Anspruchsgrundlage - den Ersatz der Kosten verlangen, die ihr
durch den vor dem Landgericht Münster geführten Rechtsstreit 4 O 317/03 entstanden
sind.
74
1. Die Klägerin geht allerdings im Ansatz zu Recht davon aus, dass dem Beklagten eine
Verletzung seiner aus § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG folgenden Pflicht anzulasten ist, zur
Vermeidung einer wirkungslosen Beurkundung zuvor den zugrunde zu legenden
Sachverhalt zu klären.
75
Sofern ein Notar - wie hier der Beklagte von Herrn X - aufgesucht wird zur Beurkundung
eines Testaments, gehört es zu den grundlegenden Pflichten des Notars, eine etwaige
Einschränkung der Testierfreiheit durch vorangegangene letztwillige Verfügungen zu
überprüfen (Ganter/Hertel/Wöstmann, Handbuch der Notarhaftung, 2. Aufl. 2009, Rnrn.
848 u. 884; Armbrüster/Preuß/Renner, Kommentar zum BeurkG, 5. Aufl. 2009, § 17 Rnr.
128 und § 28 Rnr. 7; Knippenkötter/Schlüter, Die Haftung des Notars, 2004, Rnr. 268).
76
Dass hier tatsächlich eine solche Beschränkung der Testierfähigkeit wegen der
Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 10.10.1982 anzunehmen
war (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB), brauchte dem Beklagten anlässlich der Beurkundung
vom 17.03.1997 nicht aus eigener Erinnerung bewusst zu sein. Auch wenn der Beklagte
sich im Jahre 1993 durch seine Notariatsangestellte informiert hatte über das seinerzeit
vor dem Amtsgericht Gronau geführte Erbscheinserteilungsverfahren, lag diese ohnehin
nur beiläufige Vorbefassung im Beurkundungszeitraum zu lange zurück, um dem
Beklagten die das Ehegattentestament betreffende Erinnerungslücke vorwerfen zu
können. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes braucht sich ein
Notar selbst an eigene - jedenfalls routinemäßige - Beurkundungen nicht zu erinnern,
die lediglich sechs Monate zurückliegen (BGH NJW 1989, S. 586 unter II. 1.).
77
Mangels eigener positiver Kenntnis von einem früheren Testament musste der Beklagte
sich zur Wahrnehmung seiner Pflicht zur Sachverhaltsklärung danach bei Herrn X
78
erkundigen.
In diesem Zusammenhang war es nicht ausreichend, sich allgemein nach dem "Umfeld"
zu erkundigen, in dem das Testament errichtet werden sollte. Auch die bloß abstrakte
(Rechts-) Frage, ob entgegenstehende "Bindungen" bestünden, waren nicht geeignet,
etwaige Missverständnisse bei juristischen Laien wie Herrn X auszuschließen.
79
Gerade weil bei Herrn X offenbar der Irrtum vorherrschte, er sei durch das
gemeinschaftliche Testament vom 10.10.1982 nicht gebunden, sondern im Gegenteil
verpflichtet, es durch eine nachträgliche Verfügung von Todes wegen zu Ende zu führen
- dieses Verständnis legt jedenfalls sein an das Vormundschaftsgericht gerichtetes
Schreiben vom 09.12.1982 nahe -, hätte der Beklagte zur ordnungsgemäßen
Sachverhaltsaufklärung die auch für einen Laien verständliche pauschal gehaltene
Frage stellen müssen, ob Herr X schon einmal irgendein Testament errichtet habe.
80
Die Beweislast dafür, dass der Beklagte diese gebotene Aufklärung bzw. die daran
anschließende Belehrung über die Rechtsfolgen des Ehegattentestaments nicht
vorgenommen hat, liegt grundsätzlich bei der Klägerin als Anspruchstellerin. Sie kann
den entsprechenden (Negativ-) Beweis aber nicht führen, weil die entsprechende
Beurkundung nur im Beisein ihres verstorbenen Ehemannes und des Beklagten
stattfand. In einer solchen typischwerweise mit Beweisschwierigkeiten verbundenen
Situation hält die Rechtsprechung dem Anspruchsteller die Erleichterung zugute, dass
der Notar die behauptete Pflichtverletzung substanziiert bestreiten muss (BGH NJW
2006, S. 3065 (3067)). Das läuft darauf hinaus, dass der Notar im Einzelnen darlegen
muss, welchen Verlauf die Verhandlung genommen und welche Hinweise und
Belehrungen er erteilt hat (Ganter/Hertel/Wöstmann a.a.O. Rnr. 342).
81
Ob der Beklagte bei der Beurkundung am 17.03.1997 die auch nach seinem
Verständnis erforderliche Frage nach einem früheren Testament gestellt hat, wusste er
verständlicher-weise nicht mehr. Der Senat geht aber aus mehreren Gründen davon
aus, dass eine solche Frage vom Beklagten nicht gestellt worden sein kann:
82
Der Beklagte räumte selbst ein, dass bei einer Information über ein früheres Testament
bei ihm sofort "ein rotes Licht" angegangen wäre. Angesichts der auch von ihm
erkannten Bedeutung eines solchen Testaments wäre zu erwarten gewesen, dass der
Beklagte sich darüber in seinen Notizen einen Vermerk gemacht hätte. Ein solcher
Vermerk fehlt jedoch, während der Beklagte sich andererseits durchaus Notizen
gemacht hat über die familiären Hintergründe und die zweite Eheschließung, die
wiederum ein früheres Ehegatten-testament nicht als fernliegend erscheinen ließ. Auch
die vom Beklagten selbst gewählte Formulierung in § 5 des Testaments, wonach
"etwaige" frühere Verfügungen von Todes wegen aufgehoben würden, ergibt nur dann
einen sprachlichen Sinn, wenn nach solchen Verfügungen gerade nicht konkret gefragt
wurde. Im Übrigen ist es auch schwer vorstellbar, dass Herr X bei einer Frage nach
einem früheren Testament die am Sterbebett seiner ersten Ehefrau aufgesetzte
gemeinschaftliche Verfügung vergessen hätte, zumal sie im Jahre 1993 Anlass für die
mit seinen Kindern geführte Nachlass-streitigkeit vor dem Amtsgericht Gronau gegeben
hatte.
83
2. Auch wenn die Klägerin an der Beurkundung vom 17.03.1997 nicht formell beteiligt
war und sie davon noch nicht einmal Kenntnis hatte, ist sie gleichwohl als
außenstehende Dritte in den Schutzbereich der verletzten Aufklärungspflicht
84
einbezogen, denn der Zweck der Beurkundungstätigkeit bezog sich hier neben einer
Regelung der Erbfolge auch darauf, zu Gunsten der Klägerin eine wirksame
Vermächtnisanordnung vorzunehmen. Wenn gerade diese vom Testierenden gewollte
Vermächtnisanordnung wegen Fehlern bei der Beurkundung nicht wirksam wird, zählte
der dadurch benachteiligte potentielle Vermächtnisnehmer zu dem geschützten
Personenkreis des § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO (Arndt/Lerch/Sandkühler, Kommentar zur
BNotO, 6. Aufl. 2008, § 19 Rnr. 95 bei Fn. 208).
3. Die objektiv pflichtwidrig unterlassene Aufklärung der etwaigen Beschränkung der
Testierfreiheit ist dem Beklagten subjektiv als fahrlässiges Fehlverhalten vorzuwerfen,
zumal er keine Umstände entsprechend § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vorgetragen hat, die
einem Vertretenmüssen entgegenstehen.
85
4. Die Amtspflichtverletzung des Beklagten war dem Grunde nach auch ursächlich für
die im vorausgegangenen Rechtsstreit vor dem Landgericht Münster - 4 O 417/03 - zu
Lasten der Klägerin festgesetzten Kosten und für die Gebührenforderung ihres
damaligen Prozessbevollmächtigten.
86
Der auf der Amtspflichtverletzung beruhende natürliche Kausalverlauf ist danach zu
bestimmen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten
und wie die Vermögenslage des Betroffenen sich darstellen würde, wenn der Notar die
Pflichtverletzung nicht begangen hätte (BGH NJW-RR 2009, S. 199 (200); BGH NJW-
RR 2003, S. 1498 (1499)). Sofern einem Notar - wie hier - die pflichtwidrige
Unterlassung der Sachverhaltsaufklärung vorzuwerfen ist, muss untersucht werden, wie
die Dinge beim Hinzudenken gerader dieser unterlassenen Handlungen verlaufen
wären (BGH NJW-RR 1988, S. 1367 (1368)).
87
Wenn der Beklagte sich nach einem früheren Testament erkundigt hätte, ist mit der
wegen des herabgesetzten Beweismaßes des § 287 ZPO nur erforderlichen
überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGH NJW-RR 1996, S. 781) davon auszugehen,
dass Herr X dem Beklagten das Ehegattentestament vom 10.10.1982 vorgelegt und der
Beklagte sodann auf dessen Bindungswirkung im Sinne des § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB
hingewiesen hätte. Bei einer zu unterstellenden beratungskonformen Reaktion Herrn X
hätte dieser von der Anordnung eines Vermächtnisses abgesehen. Es mag
dahinstehen, ob Herr X statt dessen nach Alternativen gesucht und sein Grundstück
bereits zu Lebzeiten mit einem Nießbrauch belastet hätte. Denn jedenfalls wäre es
mangels Vermächtnisanordnung nicht zu der Konstellation gekommen, dass die
Klägerin einen - vermeintlichen - Vermächtnisanspruch gem. § 2174 BGB gegenüber
den Erben ihres verstorbenen Ehemannes hätte einklagen müssen.
88
5. Trotz des an sich zu bejahenden natürlichen Ursachenzusammenhangs sind die in
dem vorangegangenen Rechtsstreit vor dem Landgericht Münster - 4 O 417/03 -
angefallenen Kosten und Gebühren nicht vom Beklagten zu ersetzen, weil diese
Schadenspositionen nicht vom Schutzzweck der verletzten Amtspflicht umfasst sind.
89
Die Haftung nach § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO erstreckt sich nur auf solche Folgen, die bei
wertender Betrachtung in einem adäquaten Zusammenhang zum Schutzzweck der
verletzten Amtspflicht stehen. Ein solcher Zurechnungszusammenhang besteht nur,
soweit die im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz
unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu
lassenden Umstände zur Herbeiführung eines Erfolges geeignet sind. An dieser
90
Voraussetzung fehlt es, wenn der Geschädigte seinerseits eine Handlung vornimmt, die
nicht durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert, sondern eine
ungewöhnliche Reaktion darauf darstellt (BGH NJW 1990, S. 2882 (2883); BGH NJW-
RR 2003, S. 563 (565)). Gerade im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit von in einem
Vorprozess aufgewendeter Verfahrenskosten ist im Einzelnen zu prüfen, ob die
Durchführung dieses Rechtsstreits durch die notarieller Amtspflichtverletzung
"herausgefordert" wurde oder eine ungewöhnliche Reaktion auf sie darstellt (BGH NJW
2004, S. 69 (70)).
Ein solcher Zurechnungszusammenhang zwischen der wirkungslosen Beurkundung
des Nießbrauchsvermächtnisses fehlt ohnehin, soweit in dem vor dem Landgericht
Münster geführten Rechtsstreit - 4 O 417/03 - widerklagend Auskunft über den Bestand
des Nachlasses und die Herausgabe von Nachlassgegenständen geltend gemacht
wurde.
91
Aber nicht nur die damit zusammenhängenden Kosten und Gebühren stehen in keinem
adäquaten Zusammenhang zu der auf den Nießbrauch bezogenen Amtspflicht des
Beklagten. Vielmehr war die gesamte auf die grundbuchliche Eintragung des
Nießbrauchs gerichtete Prozessführung als von vornherein aussichtslos und damit als
nicht durch den Beklagten "herausgefordert" anzusehen, wobei sich in diesem
Zusammenhang derjenige, der vermeintlich gegen die Folgen der Amtspflichtverletzung
des Notars ankämpft, die - vorauszusetzenden - Kenntnisse des
Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss (BGH NJW 2004, S. 69 (70)).
92
Der vorangegangene Rechtsstreit wurde auf der Grundlage geführt, dass das zugunsten
der Klägerin angeordnete Nießbrauchsvermächtnis an dem nach der zweiten
Eheschließung im Jahre 1991 erworbenen und sodann gemeinsam bewohnten
Grundstück H-Straße 32 von der aus § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB folgenden
Bindungswirkung der wechselbezüglichen Verfügung in dem mit der ersten Ehefrau
errichteten Testament vom 10.10.1982 erfasst sei. Nach den zur Klagebegründung
angeführten Erwägungen in dem Vorprozess sollte diese Rechtsfolge umgangen
werden durch eine auf § 140 BGB beruhende Umdeutung der unwirksamen
Vermächtnisanordnung in eine lebzeitige Schenkung.
93
Diese Vorgehensweise versprach von vornherein keine Aussicht auf Erfolg: Ungeachtet
der Frage, wie die Klägerin angesichts der von Herrn X praktizierten Verheimlichung
seines Testaments einen Schenkungswillen beweisen wollte, wäre jedenfalls ein
einseitiges auf den Todesfall von Herrn X bezogenes notarielles
Schenkungsversprechen (§ 518 Abs. 1 BGB) wegen § 2301 Abs. 1 BGB wie eine
Verfügung von Todes wegen zu behandeln gewesen, d.h. hier wiederum als -
unwirksame - Vermächtnisanordnung (Palandt/Edenhofer, BGB, 69. Aufl. 2010, § 2301
Rnr. 7).
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Offenbar deshalb wurde im Vorprozess unter Berufung auf BGH NJW 1978, S. 424ff
allein darauf abgestellt, dass eine bereits lebzeitig vollzogene Schenkung im Sinne des
§ 2301 Abs. 2 BGB vorgelegen habe, die wegen § 2286 BGB nicht von der
Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments erfasst gewesen wäre. Zu einem
solchen Ergebnis konnte der Bundesgerichtshof in der im Vorprozess angeführten
Entscheidung aber nur deshalb kommen, weil dort die potentiell beeinträchtigende
Verfügung von Todes wegen im Rahmen eines Erbvertrages getroffen worden war, der
aufgrund seiner Gegenseitigkeit in einen Schenkungsvertrag umgedeutet werden
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konnte. Eine solche Umdeutungs-möglichkeit kam hier aber von vornherein nicht in
Betracht, weil die von Herrn X einseitig abgegebene Erklärung vom 17.03.1997
mangels Beteiligung und Kenntnis der Beklagten nicht den Erfordernissen eines
Vertrages entsprach.
Bei dieser Sachlage lässt sich die Führung des Vorprozesses auch weder mit der
Schwierigkeit von erbrechtlichen Fragen im allgemeinen noch mit der von der Berufung
angeführten Problematik der Wechselbezüglichkeit von Verfügungen in
Ehegattentestamenten im besonderen rechtfertigen.
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III.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10
ZPO.
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