Urteil des OLG Hamm vom 29.09.2000
OLG Hamm: rückenbeschwerden, behandlung, anfechtung, bedingter vorsatz, täuschung, versicherer, versicherungsvertrag, lebensversicherung, heilpraktiker, berufsunfähigkeit
Oberlandesgericht Hamm, 20 U 189/99
Datum:
29.09.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 189/99
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 15 O 188/99
Tenor:
Das Versäumnisurteil des Senats vom 28. April 2000 bleibt
aufrechterhalten.
Der Kläger trägt auch die weiteren Kosten des Rechts-streits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 22.000,00 DM abzu-wenden, sofern
nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Beide Parteien können die Sicherheitsleistung durch Bank-bürgschaft
erbringen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Den
Abschluss dieser Versicherung beantragte der Kläger mit Antrag vom 07.02.1994. In
dem Antrag gab der Kläger auf die entsprechende Frage an, dass er ärztliche
Leistungen zuletzt durch Dr. K in H wegen Rückenverspannungen ("Lumbago") in
Anspruch genommen habe. Die Beklagte war deshalb nur bereit, den Antrag mit einem
Risikoauschluss anzunehmen, und teilte diese dem Kläger mit. Dieser unterzeichnete
am 13.04.1994 eine Erklärung, dass er sich mit der Einschränkung für die
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung einverstanden erkläre, dass Erkrankungen und
Funktionsstörungen der Wirbelsäule und deren Folgen ausgeschlossen seien. Wegen
des vollständigen Wortlauts dieser Erklärung wird auf die Ablichtung Bl. 14 d. A.
verwiesen. Die Beklagte stelle daraufhin am 21.04.1994 den Versicherungsschein aus.
Wegen der Einzelheiten und der dem Vertrag zugrunde liegenden
Versicherungsbedingungen wird auf die Ablichtungen Bl. 13 und Bl. 41 - 43 d. A.
verwiesen.
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Als der Kläger den Versicherungsschein von der Beklagten zugesandt bekam, befand er
sich wegen Rückenbeschwerden in Behandlung, und zwar seit dem 13.04. bei dem
Urologen Dr. S in H und seit dem 06.04. bei dem Heilpraktiker M. Mit dem
entsprechenden Risikoausschluß im Versicherungsschein mochte sich der Kläger aber
nicht abfinden. Nachdem er deswegen telefonisch Kontakt mit der Beklagten
aufgenommen hatte, übersandte er ihr per Telefax am 09.05.1994 ein Attest seines
Urologen Dr. S, in dem es heißt:
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"Herr v. d. M war vom 13.04. bis 29.04. in meiner Behandlung. Es kam zu einem
Spontanabgang eines kleinen Harnleistersteines links. Herr v. d. M ist jetzt steinfrei
und beschwerdefrei.
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Die vorhergehende Behandlung wegen Lumbagobeschwerden war sicherlich
bereits durch den Harnleiterstein bedingt, dessen Erstsymtome ja häufig Flanken-
und Rückenbeschwerden mit starker Verspannung der Rückenmuskultur sind."
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Wegen des vollständigen Wortlauts dieses Attest wird auf die Ablichtung Bl. 133 d. A.
verwiesen. Die Behandlung bei dem Heilpraktiker M, die in insgesamt 44 Sitzungen
noch bis zum 29.07.1994 fortdauerte, erwähnte der Kläger nicht.
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Den Antrag auf Herausnahme des Risikoausschlusses Rückenbeschwerden nahm die
Beklagte schließlich an und erteilte am 05.08.1994 den "Nachtrag Nr. 1 zu
Versicherungs-Nr.:". Gleichzeitig wurde der Versicherungsschutz erhöht (Einzelheiten:
Bl. 32 d. A.).
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Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages war der Kläger
Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Firma P GmbH. Es handelte sich dabei um
ein Dienstleistungsunternehmen im Pharmabereich, welches den Außendienst für
verschiedene Unternehmen der Pharmaindustrie durchführte/durchführt, die
erforderlichen Außendienstmitarbeiter selbst beschäftigt und diese auch ausbildet.
Dabei oblagen dem Kläger neben den eigentlichen Geschäftsführungstätigkeiten die
Akquisition und Organisation des Innendienstes und die Ausbildung der
Außendienstmitarbeiter. Zum Zwecke dieser Schulungen reiste der Kläger selbst zu den
einzelnen Schulungsorten und unterwies seine Mitarbeiter in Gruppen von zehn bis
vierzehn Personen. Wegen zunehmender Rückenbeschwerden bei Vorliegen einer
leichten Spondylarthrose L5/S1, einer mäßiggradigen Discusprotrusion L5/S1, einer
Osteochondralen Reaktionszone an der Deckplatte des 5. Ledenwirbelkörpers und
einer leichten Beinverkrümmung rechts mit funktioneller Skoliose war der Kläger ab
August 1997 arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger beantragte daraufhin bei der Beklagten
Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Spätestens ab Februar 1998
lag dieser Antrag der Beklagten vor. Im Rahmen der Leistungsprüfung erfuhr die
Beklagte, dass der Kläger bei dem Heilpraktiker M in der Zeit vom 06.04. bis zum
29.07.1994 insgesamt 44 mal vorstellig wurde und von ihm wegen eines
"schwergradigen HWS, BWS, LWS Sydroms in Begleitung einer längsseitigen
"Ischialgie" behandelt worden war. Die Beklagte rügte gegenüber dem Kläger, dass er
diese Behandlung vollständig verschwiegen habe, und führte aus, dass sie bei Kenntnis
dieser Behandlung nicht bereit gewesen wäre, den Risikoausschluss aus dem Vertrag
herauszunehmen. Sie erklärte deshalb mit Einschreibebrief vom 26.11.1998 gegenüber
dem Kläger die Anfechtung der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wegen arglistiger
Täuschung und ergänzte, dass dadurch die Zusatzversicherung erlösche. Der Kläger
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habe künftig nur noch Beträge zur Lebensversicherung und zur
Unfallzusatzversicherung zu zahlen. Wegen der Einzelheiten dieses
Anfechtungsschreibens und der Rechnung des Heilpraktikers M vom 30.07.1994 wird
auf die Ablichtungen Bl. 20/21 und 35 d. A. verwiesen.
Die daraufhin erhobene Klage auf Erbringung bedingungsgemäßer Leistungen ab dem
01.08.1997 hat das Landgericht mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe die
Beklagte im Mai 1997 bei Vorlage der Bescheinigung des Urologen Dr. S arglistig
getäuscht. Der Kläger habe hierdurch zum Ausdruck gebracht, er sei beschwerdefrei,
was den Tatsachen nicht entsprochen habe. Die Anfechtungserklärung der Beklagten
sei so auszulegen, dass lediglich der Nachtrag zum Versicherungsvertrag angefochten
sei. Der Vertrag gelte deshalb in der ursprünglich vereinbarten Form fort. Auf die
vorgetragenen Rückenbeschwerden könne der Kläger deshalb Ansprüche aus der
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung nicht stützen.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit welcher er sein
ursprüngliches Begehren für den Zeitraum ab September 1997 weiterverfolgt. Die
Berufung des Klägers hat der Senat mit Versäumnisurteil vom 28.04.2000
zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.
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Der Kläger erachtet die Anfechtung der Beklagten für unwirksam. Ein Anfechtungsgrund
liege nicht vor und es mangele an einer wirksamen Anfechtungserklärung. Bei alledem
sei er spätestens seit September 1997 zu mindestens 50 % infolge seiner
Rückenbeschwerden berufsunfähig.
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Der Kläger beantragt,
12
dass Versäumnisurteil aufzuheben und abändernd
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1.
14
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab September 1997 Leistungen aus der
Berufsunfähigkeits- Zusatzversicherung zu Lebensversicherung-Nr. in Höhe von
monatlich 1.586,67 DM, fertig zum jeweils Monatsersten, zuzüglich 4 % Zinsen seit
der jeweiligen Fälligkeit für bereits fällige Leistungen zu zahlen;
15
2.
16
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die seit einschließlich September 1997
gezahlten Versicherungsprämien in Höhe von monatlich 973,00 DM für die Monate
September 1997 bis November 1998 und in Höhe von monatlich 836,10 DM ab
Dezember 1998, zuzüglich 4 % Zinsen seit dem jeweiligen Monatsersten,
zurückzuzahlen;
17
3.
18
festzustellen, dass der Kläger aufgrund eingetretener Berufsunfähigkeit von der
Beitragszahlungspflicht für die Lebensversicherung mit der Versicherungs-Nr.: und
die Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung zu dieser Lebensversicherung befreit ist.
19
Die Beklagte beantragt,
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Das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
21
Sie ist der Ansicht, mit Erteilung des Nachtrags vom 05.08.1994 sei der darin
dokumentierte Vertrag anstelle des vorherigen getreten. Von der Anfechtung sei die
gesamte Berufsunfähigkeitszusatzversicherung erfasst. Hilfsweise macht sie sich
insoweit die Ausführungen des Landgerichts zu eigen. Seine Berufsunfähigkeit habe
der Kläger im übrigen bereits nicht schlüssig dargelegt. Als Geschäftsführer und
Alleingesellschafter sei ihm jedenfalls eine Umorganisation möglich.
22
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die in der Akte befindlichen
Schriftsätze Bezug genommen.
23
Entscheidungsgründe:
24
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet.
25
Der Kläger hat - jedenfalls derzeit - keine Ansprüche auf bedingungsgemäße
Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Ob es wegen der
behaupteten Beschwerden, die unstreitig ihre Ursache in Erkrankungen und
Funktionsstörungen der Wirbelsäule haben, berufsunfähig ist, kann offen bleiben.
Wegen des Ausschlusses in dem ursprünglichen Vertrag kann sich der Kläger darauf
nicht berufen.
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Dieser Ausschluss ist nicht nachträglich aufgehoben worden. Die Beklagte hat nämlich
den Nachtrag vom 05.08.1994 form- und fristgerecht angefochten mit der Folge, das der
Nachtrag nichtig ist und der ursprünglich vereinbarte Versicherungsvertrag mit dem
Risikoausschluss fortbestand.
27
1.
28
Die Beklagten ist anfechtungsberechtigt.
29
Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß §§ 22 VVG, 123 BGB setzt voraus,
daß der Versicherungsnehmer dem Versicherer wissentlich falsche Angaben macht, um
auf die Entschließung des Versicherers Einfluss zu nehmen, und sich dabei bewusst ist,
dass der Versicherer möglicherweise einen Antrag nicht oder nur unter erschwerten
Bedingungen annehmen werde, wenn er die Wahrheit sagt (Prölss-Martin Rn. 4 zu § 22
VVG m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
30
a)
31
Der Kläger hat die Beklagte bewusst über das Vorliegen von Tatsachen getäuscht, als
er im Mai und im Juli 1994 bei der Beklagten die Herausnahme des Risikoauschlusses
aus dem Versicherungsvertag beantragte. Insoweit ist spätestens seit der Erklärung des
Klägers im Senatstermin am 22.09.2000 unstreitig, dass ein Begleitschreiben, dessen
Existenz der Kläger zwischenzeitlich schriftsätzlich behauptet hatte, nicht existiert. Es
steht somit nur fest, dass der Kläger telefonisch beantragte, den Risikoausschluss
betreffend das Risiko "Wirbelsäule" aus dem Versicherungsvertrag herauszunehmen
und daß er der Beklagten am 09.05.1994 dazu das Attest seines Urologen Dr. S
übersandte, welches sich auf die Behandlung vom 13. bis zum 29.04.1994 bezog. Diese
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unstreitigen Umstände begründen zur Überzeugung des Senats die Annahme einer
Täuschungshandlung durch den Kläger, ohne dass es einer weiteren Klärung darüber
bedarf, ob der Kläger sich in den Telefonaten gegenüber der Beklagten auch
ausdrücklich als beschwerdefrei bezeichnete. Das ist konkludent in der kommentarlosen
Übersendung des Attests des Arztes Dr. S zu sehen. In diesem Attest wird davon
berichtet, dass es beim Kläger zu einem spontanen Abgang eines Nierensteins
gekommen sei, dass Nierensteine häufig Ursache von Rückenbeschwerden sein, wie
der Kläger sie beklagte habe, und das der Kläger "jetzt" beschwerdefrei sei. Unter "jetzt"
kann - weil das Attest selbst kein Datum trägt - nur der Zeitraum nach dem darin
angegebenen Behandlungsende 30.04.1994 angesehen werden. Dass der Kläger noch
weiter behandlungsbedürftig sei, dass noch weiterhin Beschwerden vorliegen oder daß
er etwa anderweitig behandelt werde, ergibt sich aus diesem Attest auch nicht
andeutungsweise. Das Attest läßt keinen Zweifel daran, dass der Kläger beschwerdefrei
ist. Der Hinweis darauf, dass ein Nierenstein abgegangen sei, der höchstwahrscheinlich
die Ursache der Rückenschmerzen gewesen sei, spricht zudem die begründete
Erwartung aus, dass der Kläger auch künftig beschwerdefrei sein werde. Die Ansicht
des Klägers, durch die Übersendung dieses Attest gebe er lediglich die Meinung des
ärztlichen Sachverständigen weiter, ohne sich die darin aufgestellten Behauptungen
selbst zu eigen zu machen, geht fehl. Denn dies kann allenfalls für die in dem Attest
enthaltenen Sachverständigenäußerungen gelten, etwa für den darin dargelegten
häufigen Zusammenhang zwischen Nierensteinen und Rückenbeschwerden. Daß, wie
in dem Attest auch dargelegt, der Kläger beschwerdefrei sei, ist eine Tatsache, die das
Empfinden den Klägers selbst betrifft. Ob der Kläger tatsächlich beschwerdefrei war,
konnte der Arzt Dr. S aus eigener Kenntnis überhaupt nicht beurteilen. Aus
sachverständiger Sicht hätte er allenfalls beurteilen können, ob ein Zustand vorliegt, der
erfahrungsgemäß Beschwerden verursacht. Über eine derartige Äußerung geht die
Feststellung in dem Attest, der Kläger sei beschwerdefrei, aber hinaus. Ob der Kläger
beschwerdefrei war, konnte der Sachverständige nur vom Kläger selbst erfahren haben,
so dass sich nach alledem die Feststellung, der Kläger sei beschwerdefrei, eine
Erklärung des Klägers selbst ist. Das war auch dem Kläger bewusst und das war auch
von ihm beabsichtigt.
Tatsächlich war der Kläger nicht beschwerdefrei. Er hatte erst zwei bis drei Wochen
zuvor eine Behandlung beim Heilpraktiker M angetreten, die dieser in insgesamt 44
Sitzungen noch bis zum 29.07.1994 fortsetzen sollte. Zwar hat der Kläger hierzu
angegeben, diese Behandlungen auf "naturheilkundlicher Basis" hätten lediglich der
Behandlung der noch vorhandenen "Restbeschwerden" gegolten. Das bedeutet
umgekehrt auch, dass er eben auch nach seiner eigenen Darstellung zumindest bis
Ende Juli 1994 gerade nicht beschwerdefrei war. Darauf hatte auch die Diagnose in der
"Spezifikation" des Heilpraktikers M vom 30.07.1994 hingedeutet, welche auf
"schwergradiges HWS, BWS, LWS-Sydrom in Begleitung einer linksseitigen "Ischialgie"
lautete. Auch aus dem von der Beklagten überreichten Urteil des Oberlandesgerichts
Köln vom 19.04.2000 betreffend einen Rechtsstreit, den der Kläger gegen einen
anderen Versicherer mit dem Begehren auf Leistungen aus einer
Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen führt, ergeben sich weitere Hinweise darauf,
dass auch im Juli 1994 die Rückenbeschwerden des Klägers nicht beendet waren.
Neben den auch hier aktenkundigen Behandlungen durch Dr. K und den Heilpraktiker M
bis zum 29.07.1994 werden in jenem Urteil nämlich Behandlungen im Krankenhaus der
Stadt H durch Prof. S bzw. Dr. H vom 20.09. und vom 06.10.1994 wegen "lumbaler
Schmerzensymptomatik unklarer Äthiologie, am ehesten Myalgieform" bzw. wegen
"akuter Lumbalgie und Dorsalgie" erwähnt. Diese Tatsachen hat der Kläger, dem -
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schon als Partei - dass erwähnte Urteil des Oberlandesgerichts Köln bekannt ist,
unwidersprochen gelassen. Einer näheren Aufklärung des tatsächlichen Umfangs der
fortdauernden Beschwerden bedurfte es hier schon deshalb nicht, weil der Kläger selbst
unstreitig gestellt hat, dass er, jedenfalls als er sich mit dem Antrag auf
Vertragsabänderung unter Übersendung des Attests Dr. S an die Beklagte wandte,
(noch) nicht beschwerdefrei war.
Hat der Kläger nach alledem die Beklagte durch Übersendung dieses Attests über
Tatsachen getäuscht, geschah dies auch vorsätzlich. Daß er tatsächlich nicht
beschwerdefrei war, war ihm selbstverständlich bekannt.
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b)
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Diese Täuschungshandlung war arglistig. Dazu ist es nicht erforderlich, dass der Kläger
Vermögensvorteile erstrebte; erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass der Kläger
durch die Täuschung auf die Entschließung des Versicherers Einfluss nehmen wollte
und sich bewusst war, dass der Versicherer möglicherweise ohne diese Täuschung
seinem Antrag nicht oder jedenfalls nicht so entsprechen würde. Insoweit reicht
bedingter Vorsatz aus.
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Im konkreten Fall hat der Senat daran keine Zweifel. Dass er die Beklagte dazu
veranlassen wollte, seinen Antrag auf Vertragsabänderung anzunehmen, ergibt sich
bereits aus der Antragstellung selbst. Außerdem hat der Kläger im Senatstermin selbst
eingeräumt, dass ihn der vertraglich vereinbarte Risikoausschluss stört und er diesen
"weg haben" wollte. Dabei war ihm klar, dass der Versicherer sich dazu nicht ohne
weiteres bereits finden würde, nachdem der Vertrag erst wenige Wochen bestand und
der Versicherer die Erklärung des Klägers, er habe zuletzt an Rückenschmerzen
gelitten, gerade zum Anlass genommen hatte, den Risikoausschluss zu vereinbaren.
Aus diesem Grunde ist auch die Kausalität zwischen der Täuschungshandlung und der
Reaktion der Beklagten, die sich daraufhin zu Vertragsabänderung bereit fand, nicht
zweifelhaft. Hätte nämlich in dem ärztlichen Attest gestanden, die Beschwerden sein -
wenn auch in reduzierter Form - noch vorhanden, hätte sich aus Sicht der Beklagten
gegenüber dem tatsächlichen Zustand bei Vertragsabschluss keine Änderung ergeben,
abgesehen davon, dass mit dem zwischenzeitlich abgegangenen Nierenstein eine
mögliche Ursache der Rückenschmerzen weggefallen wäre. Eine derartige Möglichkeit
gibt aber erfahrungsgemäß einem Versicherer noch keine Veranlassung zu einer
abschließenden Entscheidung, sondern führt zur Rückstellung eines entsprechenden
Antrags mit der Folge, dass die Beklagte bei Kenntnis der wahren Sachlage jedenfalls
nicht so oder nicht zu diesem Zeitpunkt abschließend den Antrag auf
Vertragsabänderung angenommen hätte. Wegen seiner entsprechenden, erst wenige
Wochen zurückliegende Erfahrungen im Zusammenhang mit der Beantragung der
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, hat der Senat keinen Zweifel daran, daß dieses
Annahmeverhalten der Beklagten dem Kläger bekannt war und er auch insoweit
vorsätzlich handelte.
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All dies begründet ein Anfechtungsrecht der Beklagten wegen arglistiger Täuschung.
38
2.
39
Die Beklagte hat fristgerecht angefochten. Allerdings hat sie - insoweit ist ihr
Anfechtungsschreiben unmißverständlich - die Anfechtungserklärung auf den gesamten
40
Vertrag über die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung erstreckt. Das ergibt sich bereits
aus dem Wortlaut dieses Schreibens und wird bestätigt durch den Hinweis, dass sie
künftig nur noch die Prämien für die Grundversicherung, nämlich die
Lebensversicherung und die Unfallzusatzversicherung, einziehen werde. Dabei hat die
Beklagte übersehen, dass nicht der Abschluss der
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, sondern lediglich die Aufhebung des
Risikoausschlusses "Wirbelsäule" durch die Täuschung des Klägers herbeigeführt und
deshalb anfechtbar war. Ihre umfassende Anfechtungserklärung ist deshalb ins Leere
gegangen und nichtig. Eine derart präzise und unzweifelhafte Willenerklärungen ist
auch einer Auslegung nicht mehr zugänglich.
Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beklagten, durch die Erteilung des "Nachtrags
Nr. 1" sei ein völlig neuer Versicherugsvertrag geschlossen worden und der alte
Versicherungsvertrag erloschen. Dagegen spricht zum einen bereits die Bezeichnung
als "Nachtrag" unter Bezeichnung der konkreten alten Versicherungsnummer.
Demgemäß wird auf die bereits vereinbarten Versicherungsbedingungen Bezug
genommen. Ferner sieht der Versicherungsvertrag eine Überschussbeteiligung vor, zu
deren Höhe die gesamte Vertragslaufzeit von Bedeutung ist. Es bleibt lediglich die
Tatsache, dass die Beklagte bei Erteilung des Nachtrags Nr. 1 auf die Höhe der
monatlichen Rente erhöht hat. Dazu bedürfte es nicht des Abschlusses eines völlig
neuen Vertrages, sondern dies konnte ohne weiteres im Rahmen des Nachtrags
geschehen.
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3.
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Wenn die umfassende, nicht auslegungsfähige Anfechtungserklärung der Beklagten
auch ins Leere gegangen und deshalb zunächst nichtig ist, bleibt sie doch nicht völlig
wirkungslos. Auch einseitige, empfangsbedürftige, rechtsgestaltende
Willenserklärungen sind der Umdeutung zugänglich (Palandt-Heinrichs, Rn. 2 und 6 zu
§ 140 BGB). Voraussetzung ist gemäß § 140 BGB, dass das nichtige Rechtsgeschäft
den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht und daß anzunehmen ist,
dass der Erklärende bei Kenntnis der Nichtigkeit das Ersatzgeschäft gewollt hätte.
Außerdem darf (Palandt-Heinrichs, a.a.O.) das Ersatzgeschäft in seinen Wirkungen
nicht weiter gehen als das ursprünglich erklärte. All diese Voraussetzungen sind hier
gegeben. Zur Anfechtung lediglich des Nachtrags war die Beklagte nach den
vorstehenden Ausführungen berechtigt. Durch dessen Anfechtung würde sie im
konkreten Fall wirtschaftlich auch denselben Erfolg erzielen, nämlich sie braucht für die
Folgen der arglistigen Täuschung des Klägers nicht einzustehen. Es ist deshalb auch
anzunehmen, dass die Beklagte, hätte sie dies bedacht, die Anfechtung auf den
Nachtrag als solchen beschränkt hätte.
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Der Versicherungsvertrag besteht nach alledem nach der Anfechtung durch die
Beklagte in seiner ursprünglichen Fassung - mit dem vereinbarten Risikoausschluss
"Wirbelsäulenrisiko" - fort. Eine darauf gestützte Berufsunfähigkeit begründet deshalb
keinen Leistungsanspruch des Klägers. Seiner Berufung musste daher der Erfolg
versagt bleiben, unabhängig davon, ob er - was zweifelhaft ist - seine
bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit für den Fall eines wirksamen
Wiedereinschlusses des Wirbelsäulenrisikos überhaupt schlüssig dargelegt hätte.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 91, 97 ZPO.
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Die Beschwer des Klägers übersteigt 60.000,00 DM
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