Urteil des OLG Hamm vom 16.02.2006
OLG Hamm: beweis des gegenteils, wirkungen der ehe, einkünfte aus arbeit, internationale zuständigkeit, auskunft, stufenklage, eigengut, güterstand, staatsangehörigkeit, beendigung
Oberlandesgericht Hamm, 4 UF 224/05
Datum:
16.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 UF 224/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 171 a F 475/05
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 2. 8. 2005 verkündete Urteil
des Amtsgerichts - Familiengericht - Dortmund abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über sein Endvermögen zum
29. 2. 2004 durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses und durch
Vorlage der zur Wertermittlung notwendigen Unterlagen Auskunft zu
erteilen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Wegen der Stufen 2 und 3 der Stufenklage wird der Rechtsstreit zur
weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht -
Familiengericht - Dortmund zurückverwiesen, das auch über die Kosten
des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens zu
entscheiden hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
I.
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Die Parteien schlossen am 30. 5. 1984 die Ehe miteinander; damals besaßen beide die
türkische Staatsbürgerschaft. 1996 erlangten die Ehegatten die deutsche
Staatsbürgerschaft. Die Ehe der Parteien wurde aufgrund eines am 29. 2. 2004
zugestellten Scheidungsantrages durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 21. 9.
2004 rechtskräftig geschieden.
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Die Parteien sind jeweils zur Hälfte Miteigentümer eines Einfamilienhauses; außerdem
hatten sie zum Stichtag weitere Vermögenswerte. Vorprozessual gab der Beklagte sein
Endvermögen (ohne die Immobilie) mit 46.512 € an.
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Die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit im Wege der Stufenklage einen
Zugewinnausgleichsanspruch geltend gemacht mit der Behauptung, der Beklagte habe
seine in der Türkei angelegten Vermögenswerte nicht angegeben; in einem zuvor
durchgeführten Kindesunterhaltsverfahren seien diese Werte jedoch berücksichtigt
worden, ohne dass dagegen vom Beklagten Einwendungen erhoben worden seien.
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Widerklagend hat der Beklagte zunächst ebenfalls einen Auskunftsanspruch geltend
gemacht; die Widerklage ist im Termin vor dem Amtsgericht zurückgenommen worden.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, auf das Güterrecht der
Ehe der Parteien sei das türkische Recht in der Fassung bis zum 1. 1. 2002
anzuwenden, das einen Zugewinnausgleich nicht vorgesehen habe.
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Mit ihrer hiergegen eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches
Klageziel weiter. Sie verweist darauf, dass in der Türkei seit dem 1. 1. 2002 der
Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft gelte, und zwar – sofern nichts anderes
vereinbart sei – gem. Art. 10 des Einführungsgesetzes auch für Eheleute, die zum
Jahreswechsel 2001/2002 bereits miteinander verheiratet gewesen seien. Zwar kenne
das türkische Eherecht keinen Auskunftsanspruch, doch beruhe dies auf den
Besonderheiten des türkischen Prozessrechts. Hilfsweise verweise sie auf ihren
Anspruch zur Inventarerrichtung gem. Art. 216 Abs. 1 tZGB.
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Die Klägerin beantragt,
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I.
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den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu verurteilen,
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1. der Klägerin Auskunft zu erteilen über sein Endvermögen zum 29. 2.
2004 durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses und durch Vorlage der
zur Wertermittlung notwendigen Unterlagen;
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2. ggfls.: an Eides statt zu versichern, dass er nach bestem Wissen und
Gewissen sein Endvermögen so vollständig wie möglich angegeben hat,
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3. an die Klägerin Zugewinnausgleich nach Erfüllung des Klageantrages zu
1) in noch zu beziffernder Höhe zu zahlen,
14
II.
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den Rechtsstreit wegen der Stufen 2 und 3 der Stufenklage, falls dieser im
Auskunftsanspruch stattgegeben werde, an das Amtsgericht – Familiengericht –
Dortmund zurückzuverweisen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
19
II.
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.
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1.
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Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist nach allgemeinen Grund-
sätzen zu bejahen (§ 621 Abs. 2 S. 2 ZPO); beide Ehegatten leben in Deutschland und
besitzen (zumindest auch) die deutsche Staatsbürgerschaft.
23
2.
24
Der geltend gemachte Zugewinnausgleichsanspruch ist gem. Art. 14, 15 EGBGB nach
dem türkischen Recht zu beurteilen, denn bei der Eheschließung besaßen beide
Ehegatten (nur) die türkische Staatsangehörigkeit, so dass die güterrechtlichen
Wirkungen der Ehe ungeachtet des zwischenzeitlichen Erwerbs der deutschen
Staatsangehörigkeit dem türkischen Recht unterliegen; von der Möglichkeit einer
besonderen güterrechtlichen Rechtswahl haben die Ehegatten hier keinen Gebrauch
gemacht (vgl. Palandt-Heldrich, Kommentar zum BGB, 64. Auflage, Art. 15 EGBGB Rn.
3 m. w. N.).
25
3.
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Der mit der ersten Stufe der Klage geltend gemachte Auskunftsanspruch ist zu bejahen.
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a)
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Insbesondere scheitert dieser Anspruch nicht schon daran, dass im türkischen
Scheidungsfolgenrecht – wie das Amtsgericht meint – kein
Zugewinnausgleichsanspruch vorgesehen ist. Denn mit der zum 1. 1. 2002 in Kraft
getretenen Neufassung des türkischen Zivilgesetzbuches (im Folgenden: tZGB) ist als
gesetzlicher Güterstand die so genannte Errungenschaftsbeteiligung (Art. 202 ff tZGB)
eingeführt worden, die deutliche Parallelen zur Zugewinngemeinschaft hat und
ebenfalls nach Beendigung der Ehe einen Wertausgleich vorsieht (vgl. im Einzelnen
etwa Odenthal, Das neue türkische Familiengüterrecht, FamRZ 2003, 648 ff).
Errungenschaft sind die Vermögenswerte, die ein Ehegatte während der Dauer des
Güterstandes entgeltlich erwirbt; erfasst werden insbesondere die Einkünfte aus Arbeit
und die Erträge des Eigengutes (Art. 219 tZGB. Zum Eigengut gehören neben
Gegenständen des persönlichen Gebrauchs eines Ehegatten vor allem die
Vermögenswerte, die einem Ehegatten schon zu Beginn des Güterstandes gehören
oder ihm durch Erbgang oder sonstwie unentgeltlich zufallen. Bis zum Beweis des
Gegenteils gilt alles Vermögen eines Ehegatten als Errungenschaft (Art. 222 Abs. 3
tZGB). Bei Beendigung des Güterstandes wird (ggf. unter Berücksichtigung eines
Ausgleichs zwischen Eigengut und Errungenschaft, Art. 230 tZGB) der jeweilige
Wertzuwachs ermittelt (Art. 231) und ausgeglichen (Art. 236).
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Die Neufassung des tZGB findet gem. Art. 10 Abs. I und Abs. II des
Einführungsgesetzes auch auf die bereits 1984 geschlossene Ehe der Parteien
Anwendung, wobei allerdings zu beachten ist, dass das am 1. 1. 2002 bereits
vorhandene Vermögen der Ehegatten nicht als Errungenschaft, sondern als Eigengut
anzusehen ist (Art. 220 Nr. 2 tZGB); Eheleute, die am 1. 1. 2002 verheiratet waren, sind
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zu diesem Zeitpunkt mit ihrem jeweiligen persönlichen Vermögen so in den neuen
gesetzlichen Güterstand
übergegangen, als hätten sie am 1. 1. 2002 geheiratet (Odenthal a. a. O.). Von der
Möglichkeit, eine hiervon abweichende güterrechtliche Vereinbarung zu treffen, haben
die Ehegatten hier keinen Gebrauch gemacht.
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Dass die Klägerin den ihr (ggf.) zustehenden Ausgleichsanspruch rechtlich ungenau als
Zugewinnausgleichsanspruch bezeichnet hat, ist unschädlich.
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b)
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Der Umstand, dass das türkische Familienrecht keinen allgemeinen Auskunftsanspruch
vorsieht, steht dem geltend gemachten Auskunftsanspruch gleichfalls nicht entgegen.
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Der Senat neigt zu der Auffassung, dass sich ein Auskunftsanspruch der Klägerin
bereits aus dem in Art. 216 tZGB normierten Anspruch der Ehegatten auf
Inventarerrichtung ergibt, der in seiner Ausgestaltung über einen gewöhnlichen
Auskunftsanspruch noch hinausgeht. Dies kann letztlich aber offen bleiben, das Fehlen
eines (allgemeinen) Auskunftsanspruchs ist mit den Besonderheiten des türkischen
Prozessrechts zu erklären, das weitgehende Ermittlungsmöglichkeiten der Gerichte
vorsieht. Diese stehen den deutschen Gerichten nicht in vergleichbarem Umfang zur
Verfügung, weshalb es geboten ist, im Wege der Anpassung den deutschen
Auskunftsanspruch zu übernehmen (vgl. Odenthal a. a. O.).
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c)
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Die zu erteilende Auskunft hat sich nach Auffassung des Senates auf das
Gesamtvermögen des in Anspruch genommenen Ehegatten im Zeitpunkt der Zustellung
des Scheidungsantrages zu erstrecken. Als Errungenschaft kann nach zwar nach der
oben dargestellten Übergangsregelung letztlich nur der seit dem 1. 1. 2002 eingetretene
Vermögenszuwachs der Ehegatten angesehen werden, doch bis zum Beweis des
Gegenteils gehört gem. Art. 222 Abs. 3 tZGB alles Vermögen eines Ehegatten zur
Errungenschaft, so dass es Sache des uneingeschränkt auskunftspflichtigen Beklagten
ist, darzulegen und zu beweisen, welche Bestandteile seines Vermögens bereits am 1.
1. 2002 vorhanden waren.
37
d)
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Der Auskunftsanspruch ist nicht durch Erfüllung erloschen; abgesehen davon, dass eine
geordnete, vollständige und nachvollziehbare Aufstellung über das Vermögen des
Beklagten nicht vorgelegt worden ist, ist die Auskunft auch persönlich zu erteilen; der
schriftsätzliche Vortrag durch einen Rechtsanwalt genügt nicht.
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4.
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Der Senat hat auf Antrag der Klägerin in entsprechender Anwendung von § 538 Abs. 2
Nr. 4 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache zur Entscheidung über die
weiteren Stufen und über die Verfahrenskosten an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
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