Urteil des OLG Hamm vom 03.11.1999

OLG Hamm: injektion, medikament, stute, behandlung, tierarzt, aufklärungspflicht, wahrscheinlichkeit, tod, sicherheitsleistung, komplikationen

Oberlandesgericht Hamm, 3 U 65/99
Datum:
03.11.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 65/99
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 15 O 25/98
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 11. Januar 1999 verkündete
Urteil der Einzelrichterin der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 10.000,00 DM abwenden, falls nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in
derselben Höhe leistet, die er auch durch die unbedingte und
unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank erbringen kann.
Tatbestand:
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Die Klägerin züchtet Friesenpferde und ließ am 21.10.1996 die fünf Jahre alte
Friesenstute mit dem Namen "W" mit dem Influenza-Impfstoff Cavallon IR durch den
Beklagten, einem Tierarzt, impfen. Die Impfung sollte intramuskulär verabreicht werden.
Zwei bis drei Minuten nach der Injektion brach die Stute zusammen. Der Beklagte
injizierte sodann das Cortisonpräparat Prednisolon intramuskulär und das
adrenalinartige Präparat Effortil intravenös. Das Pferd verendete. Die Klägerin hat den
Beklagten auf Zahlung von 70.000,00 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Sie hat
behauptet, der Beklagte habe nach dem Einstich der Nadel keinen sogenannten
Aspirationsversuch unternommen und deshalb nicht festgestellt, ob er ein Blutgefäß
getroffen habe. Tatsächlich habe er jedoch eine Blutbahn getroffen. Der Beklagte hätte
das Pferd dann retten können, wenn er unmittelbar nach dem Vorfall das
Cortisonpräparat intravenös gespritzt hätte. Der Wert der Stute habe 70.000,00 DM
betragen. Der Beklagte hat behauptet, daß er den sogenannten Ansaugversuch
regelrecht vorgenommen habe. Eine intravenöse Verabreichung eines
Cortisonpräparats hätte den Tod der Stute nicht verhindern können. Wegen der
Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten
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Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die
Klägerin habe nicht bewiesen, daß der Beklagte bei der Verabreichung der
Schutzimpfung nicht regelrecht vorgegangen sei. Auf ein Todesrisiko habe der Beklagte
nicht hinweisen müssen, weil dieses bei sachgerechter Impftechnik nicht bekannt
gewesen sei.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung und beantragt,
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das am 11.01.1999 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 15. Zivilkammer des
Landgerichts Münster (15 O 15/98) abzuändern und den Beklagten zu verurteilen,
an sie 70.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 28.01.1998 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen;
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ihm notfalls nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung
abzuwenden und diese auch durch Bankbürgschaft erbringen zu können.
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Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser
Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.
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Der Senat hat die Klägerin und den Beklagten angehört sowie den Sachverständigen
Prof. Dr. Dr. E sein schriftlichen Gutachten erläutern lassen. Insoweit wird auf den
Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 03. November 1999 verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
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Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB
oder aus einer schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten des tierärztlichen
Behandlungsvertrages. Fehler bei der Behandlung des Pferdes am 21.10.1996 lassen
sich nicht feststellen. Der Beklagte haftet der Klägerin auch nicht unter dem
Gesichtspunkt eines Beratungsverschuldens.
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffenden Gründe der
angefochtenen Entscheidung gemäß § 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen. In der
Beurteilung des Behandlungsgeschehens macht sich der Senat die Feststellungen des
Sachverständigen Prof. Dr. Dr. E, der sein Gutachten überzeugend erläutert hat, zu
eigen. Danach ist die von dem Beklagten beschriebene Vorgehensweise bei einer
Injektin dieser Art regelrecht. Daß der Beklagte insbesondere den sogenannten
Aspirationsversuch nicht durchgeführt hat, hat die Klägerin nicht bewiesen. Mit der
Parteivernehmung des Beklagten hat die Klägerin diesen Beweis nicht erbracht. Die
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Voraussetzungen für eine Parteivernehmung der Klägerin gemäß § 448 ZPO lagen
nicht vor. Gemäß § 448 ZPO wird vorausgesetzt, daß das Ergebnis der Verhandlung
und einer etwaigen Beweisaufnahme für die Überzeugung von der Wahrheit oder
Unwahrheit einer zu erweisenden Tatsache nicht ausreicht, wobei eine gewisse
Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptung bestehen muß (vgl.
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 57. Aufl., § 448 Rdn. 3). Dies ist indes
hier schon deshalb nicht der Fall, weil das eigene Vorbringen der Klägerin die insoweit
erforderliche Kontinuität nicht aufweist. Während die Klägerin noch auf Seite 3 der
Klageschrift (Bl. 3 d.A.) behauptet, der Beklagte habe ihr gegenüber eingeräumt, daß er
keinen Aspirationsversuch vorgenommen habe, wird diese wesentliche Tatsache später
gerade nicht von der Klägerin bestätigt. So hat die Klägerin bei ihrer persönlichen
Anhörung vor der Kammer (Bl. 63 d.A.) nur erklärt: "Von Aspirationsversuchen oder
Ansaugen war nie die Rede. Kein Tierarzt sagt einem das, wenn man nicht danach
fragt."
Auch der Umstand, daß das Pferd an den Folgen der Injektion verendet ist, spricht nicht
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Beklagte fehlerhaft
vorgegangen sein muß. Wenn auch die Todesfolge bei Injektionen dieser Art nahezu
nicht bekannt und äußerst selten ist, so kann sie dennoch auch bei regelrechtem
Vorgehen vorkommen. Auch bei Durchführung eines regelrechten Aspirationsversuchs
könne, so der Sachverständige, das Medikament unbemerkt in ein Gefäß gelangen, weil
entweder die Injektionskanüle durch Gewebspartikel verstopft worden oder es zu einer
Verlagerung der Kanülenspitze gekommen sein kann.
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Der Tod der Stute wäre auch nicht durch eine intravenöse Cortisongabe zu verhindern
gewesen. Zum einen habe es das Medikament Prednisolon, so der Sachverständige,
nur zur intramuskulären Verabreichung gegeben. Zum anderen hätte auch eine
intravenöse Gabe den tödlich endenden Schock nicht beeinflussen können, weil das
Cortisonpräparat erst nach 15 bis 20 Minuten seine Wirkung entfalte. Mit dem Mittel
Effortil sei dagegen das erforderliche adrenalinartige Präparat gegeben worden.
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Der Beklagte hat auch keine Beratungspflicht gegenüber der Klägerin verletzt. Der
Tierarzt schuldet neben der Behandlung auch die Beratung und Aufklärung über deren
Vor- und Nachteile, über etwaige Risiken und hat dabei die erkennbaren Interessen des
Auftraggebers und die rechtlichen und sittlichen Gebote des Tierschutzes zu
berücksichtigen (BGH NJW 1980, 1904, 1905; 1982, 1327). Unter Beachtung dieser
Grundsätze hat der Senat eine Verletzung der Beratungs- und Aufklärungspflicht
verneint. Der Eingriff der Injektion und die Art ihrer Ausführung waren der Klägerin
bekannt, da sie die Injektion zuvor mit dem Medikament Prävakun hat vornehmen
lassen. Die Klägerin wußte auch aufgrund ihrer eigenen Anwesenheit, daß der Beklagte
das Mittel in die Halsmuskulatur geben würde und war mit dieser Vorgehensweise
einverstanden. Über ein besonderes Todesrisiko brauchte der Beklagte die Klägerin
nicht zu belehren. Die Beratungs- und Aufklärungspflicht erstreckt sich nicht auf
Komplikationen, mit denen normalerweise nicht gerechnet zu werden braucht (BGH
NJW 1980, 1904, 1905). Das Todesrisiko war zu dem Zeitpunkt der Behandlung nahezu
nicht bekannt. Auch dem international renommierten Sachverständigen ist diese
Todesfolge bei einer intramuskulären Injektion erst aufgrund dieses Falles bekannt
geworden. Weder in der allgemeinen noch in der speziellen Fachliteratur sei dieses
Risiko beschrieben gewesen.
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Selbst wenn man aber annehmen würde, daß die Klägerin auf das Todesrisiko hätte
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hingewiesen werden müssen, würde ihr dies nicht zum Erfolg verhelfen, weil der Senat
davon überzeugt ist, daß die Klägerin ihr Pferd bei dem nahezu nicht zu erkennenden
Risiko auch bei einem entsprechenden Hinweis durch den Beklagten hätte impfen
lassen. Dafür spricht auch der Umstand, daß die Klägerin ihre Pferde auch heute noch,
wenn auch mit einem anderen Medikament, aber bei gleichem Risiko, impfen läßt.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 108, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Das Urteil beschwert die Klägerin mit mehr als 60.000,00 DM.
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