Urteil des OLG Hamm vom 28.10.2010

OLG Hamm (verbotene eigenmacht, einstweilige verfügung, verfügung, unmittelbarer besitz, zpo, herausgabe, besitz, sache, erlass, antragsteller)

Oberlandesgericht Hamm, I-5 W 77/10
Datum:
28.10.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-5 W 77/10
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 5 O 110/10
Schlagworte:
Verfügungsgrund
Normen:
§§ 935, 940 ZPO
Leitsätze:
Die Besorgnis der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung des
Herausgabeanspruches läßt sich nicht (allein) aus dem mit der
Weiterbenutzung verbundenen Wertverlust herleiten. Nur dann, wenn
durch den Gebrauch die Sachsubstanz so nachhaltig beeinträchtigt wird,
dass der Herausgabeanspruch wirtschaftlich ausgehöhlt wird, kann eine
einstweilige Verfügung auf Herausgabe an den Sequester gerechtfertigt
sein.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 23.09.2010 gegen
den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom
07.09.2010 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Beschwerdewert wird auf bis 3.100,00 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Antragstellerin hat mit einem am 19.08.2010 beim Landgericht Essen
eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom Antragsgegner die
Herausgabe eines Pkw Audi Q 7 (amtl. Kennzeichen ####) nebst Fahrzeugschlüssel
und Fahrzeugschein an sich verlangt.
3
In der Nacht zum 20.08.2010 ist das Fahrzeug unter Verwendung eines Zweitschlüssels
vom Grundstück des Antragsgegners in den Besitz der Antragstellerin verbracht worden.
Die Einzelheiten sind streitig.
4
Nachdem auch der Fahrzeugschlüssel und der Fahrzeugschein an die Antragstellerin
herausgegeben worden sind, haben die Parteien Anfang September 2010 den
Rechtsstreit in der Hauptsache für insgesamt erledigt erklärt.
5
Das Landgericht hat durch Beschluss vom 07.09.2010 der Antragstellerin gemäß 91 a
ZPO die Kosten des Verfahrens auferlegt. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Verfügung sei mangels Verfügungsgrundes unbegründet gewesen.
6
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen
Beschwerde. Wenn sie ein langwieriges Hauptsacheverfahren hätte durchführen
müssen, wäre bei fortdauernder unberechtigter Nutzung des Fahrzeuges durch den
Antragsgegner eine erhebliche Wertminderung desselben eingetreten. Zudem ergebe
sich der Verfügungsgrund unter dem Gesichtspunkt der verbotenen Eigenmacht gemäß
§ 858 BGB.
7
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 05.10.2010 der Beschwerde nicht abgeholfen.
8
II.
9
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
10
Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt
erklärt haben, ist gemäß § 91 a ZPO über die Kosten unter Berücksichtigung des
bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden gewesen.
Das Landgericht hat dabei zu Recht der Antragstellerin die Kosten des Rechtsstreits
auferlegt, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unter
Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes unbegründet gewesen ist.
11
1.
12
Die Antragstellerin hat bereits einen Verfügungsanspruch nicht schlüssig dargelegt.
Eine Anspruchsgrundlage ist nach Aktenlage nicht ersichtlich:
13
§ 985 BGB scheidet als Anspruchsgrundlage aus, da die Antragstellerin nach eigenem
Vortrag (vgl. Bl. 42) den Audi lediglich geleast hat.
14
Ein Vertragsverhältnis hat zwischen der Fa. H und dem Antragsgegner und der
Antragstellerin und der Fa. H, nicht aber zwischen der Antragstellerin und dem
Antragsgegner bestanden. Daher kommen vertragliche Ansprüche zwischen den
Parteien ebenfalls nicht in Betracht.
15
Die Antragstellerin hat auch nicht vorgetragen, dass die Fa. H ihre etwaigen
vertraglichen Ansprüche gegen den Antragsgegner an sie abgetreten habe.
16
Auch ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB (Eingriffskondiktion) dürfte im Ergebnis
nicht gegeben sein. In dem vorliegenden Mehrpersonenverhältnis hat der
Antragsgegner den Besitz an dem Pkw durch eine Leistung der Fa. H erlangt. Im
Bereicherungsrecht gilt der Grundsatz des Vorranges der Leistungsbeziehung.
17
Letztlich steht der Antragstellerin gegen den Antragsgegner auch kein Anspruch aus §
18
861 i.V.m. § 858 Abs. 1 BGB (verbotene Eigenmacht) zu. Durch § 858 BGB wird nur
bestehender unmittelbarer Besitz geschützt. Verbotene Eigenmacht kann daher
gegenüber dem mittelbaren Besitzer nicht ausgeübt werden (vgl. BGH NJW 1977, 1818
und Palandt-Bassenge, 69. Aufl. 2010, § 858 BGB, Rdn. 2). Sowohl die Antragstellerin
als auch die Fa. H hattten keinen unmittelbaren Besitz an dem Pkw Audi. Unmittelbarer
Besitzer des Fahrzeuges war allein der Antragsgegner. Die Fa. H hatte ihm den
unmittelbaren Besitz im Rahmen des am 29.04.2010 geschlossenen
Partnerschaftsvertrages übertragen. Der Antragsgegner war insoweit kein Besitzdiener
der Fa. H im Sinne von § 855 BGB, da er die Sachherrschaft über dem Pkw nicht
weisungsabhängig ausübte. Ein Anspruch der Antragstellerin aus §§ 869, 861 Abs. 1
BGB wegen verbotener Eigenmacht des Antragsgegners scheidet daher aus.
2.
19
Zudem fehlt es - was das Landgericht zutreffend erkannt hat - an einem
Verfügungsgrund. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft macht, dass ein
Verfügungsgrund im Sinne der §§ 935, 940 ZPO bestanden hat.
20
a)
21
Zunächst ist hier zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin die Herausgabe des Pkw’s
an sich selbst verlangt hat und damit ihr vermeintlicher Herausgabeanspruch gegen den
Antragsgegner nicht nur gesichert, sondern direkt erfüllt werden sollte. Die
Voraussetzungen für den Erlass einer derartigen Verfügung sind eng begrenzt. Der
Antragsteller muss auf die sofortige Erfüllung seines Anspruches zwingend angewiesen
sein. Die Herausgabe einer Sache durch einstweilige Verfügung an den Antragsteller
wird also nur dann angeordnet, wenn der Antragsteller die jeweiligen Sache - z.B. für
seinen Lebensunterhalt (Arbeitsgerät) - dringend benötigt. Grundsätzlich reicht zur
Sicherung des geltend gemachten Herausgabeanspruches die im Wege der
einstweiligen Verfügung angeordnete Herausgabe an einen Sequester. Nach Aktenlage
sind keine Umstände gegeben, von diesem Grundsatz eine Ausnahme zu machen.
22
b)
23
Im vorliegendem Fall ist aber auch eine Herausgabeverfügung an einen Sequester (als
Minus) mangels Darlegung eines Verfügungsgrundes durch die Antragstellerin nicht in
Betracht gekommen.
24
Soweit die Antragstellerin mit einer erheblichen Wertminderung des Kraftfahrzeuges bei
Durchführung des Hauptsacheverfahrens argumentiert, überzeugt dies nicht.
25
Zwar ist streitig, ob die Weiterbenutzung einer Sache mit der Folge eines drohenden
Verschleißes einen wesentlichen Nachteil im Sinne des § 940 ZPO darstellt. Das
Oberlandesgericht Karlsruhe hat dies bejaht (vgl. WM 1994, 1983 ff.).
26
Demgegenüber vertritt die wohl herrschende Auffassung die Ansicht, dass der
Eigentümer, der eine Sache einem anderen zum Gebrauch überlassen hat, in Bezug auf
die Sicherung seiner Rechte nicht schutzwürdiger erscheine als jeder andere Gläubiger,
der seine Ansprüche gerichtlich durchsetzen muss. Setze ein Besitzer den Gebrauch
unberechtigt fort, kämen regelmäßig Ansprüche aus der zugrunde liegenden
Vertragsbeziehung oder aus §§ 987 ff. BGB in Betracht, die einen gewissen Ausgleich
27
bewirkten. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung sei daher nur dann denkbar, wenn
die Grenzen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs deutlich überschritten werden und
damit Verschlechterungen drohen, die von der ursprünglichen
Überlassungsentscheidung nicht mehr gedeckt sind (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1995,
635 und Urteil vom 11.02.2008 mit dem Az. 1 U 115/07; OLG Brandenburg NJW-RR
2002, 879; OLG Köln, NJW-RR 1998, 1588; Zöller-Vollkommer, 28. Aufl., § 940 ZPO,
Rdn. 8 Stichwort Herausgabe; Musielak-Huber, 6. Aufl., § 935 ZPO, Rdn. 14).
Der erkennende Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Das Verfahren
der einstweiligen Verfügung ist ein Eilverfahren, das den Antragsteller vor besonderen
Nachteilen einer Herausgabe- oder Erfüllungsverweigerung des Schuldners schützen
will. Allgemeine Nachteile, die durch rechtsuntreues Verhalten verursacht werden,
rechtfertigen ein derartiges Eilverfahren nicht. Die Wertverschlechterung bei
Weitergebrauch einer herauszugebenden Sache ist ein solcher allgemeiner Nachteil. In
einem derartigen Fall ist der Gläubiger auf die Durchführung des Hauptsacheverfahrens
zu verweisen. Nur dann, wenn durch den Gebrauch die Sachsubstanz so nachhaltig
beeinträchtigt wird, dass der Herausgabeanspruch wirtschaftlich ausgehöhlt wird, kann
eine einstweilige Verfügung auf Herausgabe an einen Sequester gerechtfertigt sein.
Eine solche Beeinträchtigung des Herausgabeanspruches tritt durch die bis zu einer
Entscheidung in der Hauptsache befristete weitere bestimmungsgemäße Nutzung im
Regelfall nicht ein (vgl. OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 879).
28
Die Antragstellerin hat nicht vorgetragen und auch nicht glaubhaft gemacht, dass ein
derartiger Ausnahmefall vorliegt.
29
Schließlich liegt auch keine verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 BGB vor (s.o.),
was als Verfügungsgrund genügen würde.
30
III.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
32
IV.
33
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus der dem Ausgangsverfahren
entstandenen Summe der Gerichts- und Anwaltskosten.
34