Urteil des OLG Hamm vom 12.03.2004
OLG Hamm: versorgung, treu und glauben, abnahme, vergütung, europäisches recht, entstehungsgeschichte, bräutigam, freiheit, betreiber, eugh
Oberlandesgericht Hamm, 29 U 12/03
Datum:
12.03.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
29. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
29 U 12/03
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 6 O 493/01
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des
Landgerichts
Dortmund vom 29. November 2002 wird zurückgewiesen mit der
Maßgabe, daß
Zinsen auf 645.650,85 EUR (statt auf 645.50,85 EUR) zu zahlen sind.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten trägt die
Streithelferin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der
Klägerin durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages
abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
1
A.
2
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Belastungsausgleich in Höhe von
2.286.583,36 EUR nebst Zinsen nach dem Gesetz zum Schutz der Stromerzeugung aus
Kraft-Wärme-Kopplung (KWKG) in Anspruch, und zwar für die Zeit vom 18.5.2000 bis
zum 31.3.2002.
3
Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, durch das das
Landgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben hat, wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1
Zi. 1 ZPO Bezug genommen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht
Berufung eingelegt und diese ordnungsgemäß begründet. Die Streithelferin der
Beklagten hat gegen dieses Urteil ebenfalls Berufung eingelegt.
4
Mit der Berufung verfolgen die Beklagte und die Streithelferin ihre
Klageabweisungsanträge weiter. Sie sind der Ansicht, die Klägerin könne für den von
der B mbH (B) bezogenen Strom keinen Belastungsausgleich beanspruchen, da sie
nicht verpflichtet sei, diesen Strom gemäß § 3 KWKG zu vergüten. Ansprüche nach
dieser Vorschrift stünden ausschließlich Energieversorgungsunternehmen der
allgemeinen Versorgung zu, nicht aber industriellen Stromerzeugern wie der B. Zudem
erfüllten weder die Klägerin noch die B die Voraussetzungen des hier analog
anzuwendenden § 2 Abs. 2 KWKG. Der Klageforderung stehe auch entgegen, daß der
Strombezugspreis, den die Klägerin mit der B vereinbart habe, die in § 4 Abs. 1 KWKG
vorgesehene Mindestvergütung unterschreite. Für den von der B bezogenen Strom
stehe der Klägerin auch deshalb kein Belastungsausgleich zu, weil der
Strombezugspreis am 2. 2. 2001, d. h. nach dem gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG
maßgeblichen Stichtag, geändert worden sei.
5
Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,
6
das am 29. November 2002 verkündete Urteil des Landgerichts Dortmund
7
abzuändern und die Klage abzuweisen.
8
Die Klägerin beantragt,
9
die Berufung zurückzuweisen.
10
Sie ist der Ansicht, weder dem Wortlaut der §§ 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, 3 KWKG noch der
Gesetzesbegründung sei zu entnehmen, daß diese Vorschriften ausschließlich
Ansprüche von Energieversorgungsunternehmen der allgemeinen Versorgung
begründeten. Den Strombezugsvertrag mit der B habe sie bereits am 29.12.1981
geschlossen. Die Änderung dieses Vertrages nach dem Stichtag stehe der Geltung des
§ 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG nicht entgegen, denn diese Vorschrift setze nicht voraus,
daß der Stromliefervertrag über diesen Stichtag hinaus
unverändert
11
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug
genommen.
12
B.
13
I.
14
Die Berufung ist zulässig.
15
Bei der Berufung, die die Beklagte und die Streithelferin eingelegt haben, handelt es
sich um ein einheitliches Rechtsmittel, über das der Senat einheitlich zu entscheiden
hat. Die Streithelferin war lediglich befugt, Berufung namens der Beklagten, nicht aber
im eigenen Namen einzulegen. Sie ist einfache, nicht aber streitgenössische
Nebenintervenientin i. S. des § 69 ZPO, denn die Rechtskraft des Urteils erfaßt das
Rechtsverhältnis zwischen ihr und der Klägerin nicht. Als einfache Nebenintervenientin
konnte die Streithelferin Berufung lediglich namens der Beklagten einlegen (vgl. Zöller-
Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 67 Rz. 5). Legen - wie hier - Hauptpartei und Streithelferin
Berufung ein, handelt es sich um ein einheitliches Rechtsmittel, über das das
Berufungsgericht einheitlich zu entscheiden hat (Zöller-Gummer-Heßler, a. a. O., Vor §
511 Rz. 24).
16
II.
17
Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf
Belastungsausgleich in Höhe von 2.286.583,36 EUR gemäß § 5 Abs. 1 KWKG nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 645.650,85 EUR seit
dem 20.12.2001 und aus weiteren 1.640.932,51 EUR seit dem 25.10.2002 nach den §§
91, 288 Abs. 1 S. 1 BGB.
18
Die Rechtsbeziehungen der Parteien sind nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz
vom 12.5.2000 zu beurteilen. Auf die zutreffenden Ausführungen im landgerichtlichen
Urteil wird verwiesen. Ergänzend ist unter Berücksichtigung des ergänzenden
Vorbringens der Parteien und der Streithelferin in der Berufungsinstanz folgendes
auszuführen:
19
1. Die Klägerin ist Netzbetreiberin i. S. des § 5 Abs. 1 S. 1 KWKG. Sie betreibt im Gebiet
der Stadt I ein Stromnetz, über das sie private Haushalte und gewerbliche Unternehmen
mit Strom versorgt. Sie ist deshalb grundsätzlich Inhaberin des sich aus § 5 Abs. 1
KWKG ergebenden Belastungsausgleichsanspruchs.
20
2. Die Klägerin war im hier maßgeblichen Zeitraum vom 18.5.2000 bis zum 31.3.2002
verpflichtet, Zahlungen gemäß § 3 Abs. 1 KWKG an die B zu leisten. Nach dieser
Vorschrift sind Netzbetreiber verpflichtet, KWK-Anlagen nach § 2 Abs. 1 KWKG an ihr
Netz anzuschließen, den Strom aus Anlagen nach § 2 KWKG abzunehmen und den
eingespeisten Strom nach § 4 KWKG zu vergüten. Diese Voraussetzungen sind in
bezug auf den Strom, den die Klägerin in diesem Zeitraum von der B bezogen hat,
erfüllt.
21
a) Der Strom, den die Klägerin im genannten Zeitraum von der B bezogen hat, unterfällt
§ 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG ("dritter Förderweg"). Bei dem Kraftwerk der B handelt es
sich unstreitig um eine KWK-Anlage, die mittels Abfalls betrieben wird. Die Klägerin
bezieht den Strom von der B aufgrund eines Liefervertrages, den beide am 29.12.1981
und damit vor dem nach § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG maßgeblichen Stichtag, dem 1. 1.
2000, geschlossen haben.
22
b) Die Klägerin ist verpflichtet, den Strom, den sie von der B bezogen hat, nach den §§
3, 4 KWKG zu vergüten, obwohl es sich bei diesem Stromerzeuger nicht um ein
Energieversorgungsunternehmen der allgemeinen Versorgung gemäß § 9
23
Energiewirtschaftsgesetz i. d. F. v. 24.4.1998 (EnWG) handelt. Der Geltungsbereich des
§ Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG ist nicht auf Energieversorgungsunternehmen der
allgemeinen Versorgung beschränkt, sondern erfaßt auch andere Betreiber von KWK-
Anlagen, sofern der von ihnen erzeugte Strom für die allgemeine Versorgung bestimmt
ist. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG, dem Zweck und
der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift (vgl. BGH, Urteile v. 10.3.2004, Az. VIII ZR
213/02, u. v. 11. 2. 2004, Az. VIII ZR 236/02; Bräutigam/Reichert-Clauß RdE 2003, 210;
Salje, KWKG, 2. Aufl. 2003, Einführung Rz. 40 ff.; Herrmann RdE 2000, 184, 187).
Nach § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG ist Strom aus KWK-Anlagen, der auf der Grundlage
von Lieferverträgen, die vor dem 1. 1. 2000 geschlossen wurden,
von einem
Energieversorgungsunternehmen
erfaßten Strom gleichgestellt. Nach seinem Wortlaut erfaßt § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG
alle Energieversorgungsunternehmen i. S. des § 2 Abs. 3 EnWG i. d. F. v. 24.4.1998 und
nicht nur solche der allgemeinen Versorgung.
24
Die Einbeziehung aller Energieversorgungsunternehmen, die KWK-Strom erzeugen,
der für die allgemeine Versorgung bestimmt ist, in den Anwendungsbereich des § 2 Abs.
1 S. 3 Nr. 2 KWKG entspricht dem Zweck des KWKG. Dieser besteht nach § 1 KWKG im
befristeten Schutz der Kraft-Wärme-Kopplung in der allgemeinen Versorgung im
Interesse von Energieeinsparung und Klimaschutz. Dem entspricht, die Stromerzeugung
in KWK-Anlagen stets dann in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einzubeziehen,
wenn der erzeugte Strom für die allgemeine Versorgung bestimmt ist, und nicht nur
dann, wenn es sich bei dem jeweiligen Anlagenbetreiber um ein
Energieversorgungsunternehmen der allgemeinen Versorgung handelt.
25
Diese Auslegung des § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG entspricht dem Willen des
Gesetzgebers. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift. Nach
dem ursprünglichen Entwurf dieser Bestimmung war "Strom aus KWK-Anlagen, der auf
der Grundlage von Lieferverträgen, die vor dem 1. 1. 2000 abgeschlossen wurden,
von
dem Energieversorgungsunternehmen
erfaßten Strom gleichgestellt (BT-Drucksache 14/2765 S. 2). Mit der Formulierung
"von
dem Energieversorgungsunternehmen"
unmißverständlich auf das in § 2 Abs. 1 S. 1 KWKG genannte
Energieversorgungsunternehmen der allgemeinen Versorgung Bezug genommen. Im
Lauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde diese Formulierung aufgrund einer
Beschlußempfehlung des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Technologie in
"von einem Energieversorgungsunternehmen"
S. 2). Ausweislich der Stellungnahme des Ausschuß-Berichterstatters hat der Ausschuß
vorgesehen, Strom aus industriellen KWK-Anlagen einzubeziehen, die für die
allgemeine Versorgung der Letztverbraucher Strom lieferten (BT-Drucksache 14/3007 S.
4).
26
c) Inhaber des Vergütungsanspruches gemäß den §§ 3 Abs. 1 S. 1, 4 KWKG gegen die
Klägerin als Netzbetreiber ist hier die B als Betreiberin der KWK-Anlage. Allerdings
enthält das KWKG in bezug auf die Anspruchsberechtigung nach den §§ 3,4 WKG keine
ausdrückliche Regelung. Aus dem Zweck und der Entstehungsgeschichte des KWKG
ergibt sich jedoch, daß insoweit die Anlagenbetreiber anspruchsberechtigt sind. Der
Zweck dieses Gesetzes besteht ausweislich seines § 1 im befristeten Schutz der Kraft-
Wärme-Kopplung in der allgemeinen Versorgung im Interesse von Energieeinsparung
27
und Klimaschutz. In der Begründung des ersten Entwurfs des KWKG ist ausgeführt,
dieses Gesetz habe das Ziel, die bestehenden KWK-Anlagen der öffentlichen
Versorgung zu sichern, "stranded investments" im Bereich bestehender KWK-Anlagen
der allgemeinen Versorgung zu vermeiden, Produktionsstandorte zu erhalten und
Beschäftigung zu sichern (BT-Drucks. 14/2765 S. 4). Zur Realisierung dieser Ziele hat
das KWKG eine Abnahme- und Vergütungspflicht für KWK-Strom begründet und einen
Mindestpreis angeordnet. Die in § 1 KWKG genannten Ziele können nur dann erreicht
werden, wenn die Betreiber der KWK-Anlagen Inhaber der Abnahme- und
Vergütungsansprüche sind. Stünden diese Ansprüche nicht ihnen, sondern den den
KWK-Strom beziehenden Energieversorgungsunternehmen zu, wäre nicht
gewährleistet, daß die Anlagenbetreiber für den von ihnen produzierten Strom
auskömmliche Preise erhielten und "stranded investments" im Bereich bestehender
KWK-Anlagen vermieden würden. Der Fortbestand dieser Anlagen wäre nicht gesichert,
sondern gefährdet (BGH, Urteil v. 11.2.2004, VIII ZR 236/02; Bräutigam/Reichert-Clauß
RdE 2003, 212) .
Bei der vergleichbaren Abnahme- und Vergütungspflicht für Strom aus erneuerbaren
Energien gilt gemäß den §§ 2 Stromeinspeisegesetz, 3 Abs. 1 EEG ebenfalls, daß die
jeweiligen Anlagenbetreiber Inhaber des Abnahme- und des Vergütungsanspruchs
sind. Dies ergibt sich aus dem Zweck und den Regelungsinstrumenten dieser Gesetze,
die Erzeugung von Strom aus regenerativen Energien mittels eines privatrechtlichen
Kontrahierungszwangs zu fördern (BGH ZNER 2003, 234). Zwischen dem Zweck des
KWKG und seinen Regelungsinstrumentarien besteht ein vergleichbarer
Zusammenhang. Mit diesem Gesetz will der Gesetzgeber die Erzeugung von KWK-
Strom ebenfalls mittels eines privatrechtlichen Kontrahierungszwanges sichern.
Konsequenterweise müssen auch die Abnahme- und Vergütungsansprüche nach dem
KWKG dem jeweiligen Stromerzeuger, d. h. dem Betreiber der KWK-Anlage, zustehen.
28
Für die Anspruchsberechtigung der Anlagenbetreiber sprechen auch die §§ 3 Abs. 1 S.
1 2. Halbs. und 4 Abs. 2 KWKG. Diese Vorschriften regeln das Konkurrenzverhältnis
zwischen der gesetzlichen Abnahme- und Vergütungspflicht nach den §§ 3 Abs. 1 S. 1
1. Halbs., 4 Abs. 1 KWKG und entsprechenden vertraglich begründeten Pflichten.
Wären die Betreiber von KWK-Anlagen nicht Inhaber der Abnahme- und
Vergütungsansprüche nach den §§ 3 Abs. 1 S. 1 1. Halbs., 4 Abs. 1 KWKG, stünden
diese vielmehr dem den Strom beziehenden Energieversorgungsunternehmen zu,
bestünde zwischen den ver-traglichen Abnahme- und Vergütungsansprüchen des
Anlagenbetreibers und den gesetzlichen Ansprüchen nach den §§ 3 Abs. 1 S. 1 1.
Halbs., 4 Abs. 1 KWKG kein Konkurrenzverhältnis, da letztgenannte Ansprüche nicht
den Anlagenbetreibern zustünden. Die §§ 3 Abs. 1 S. 1 2. Halbs., 4 Abs. 2 KWKG wären
bei dieser Auslegung gegenstandslos (BGH, Urteil v. 11.2.2004, Az. VIII ZR 236/02).
29
d) Der Vergütungsanspruch der B richtet sich gegen die Klägerin als Netzbetreiberin.
Diese ist nach den §§ 3 Abs. 1 S. 1, 4 Abs. 2 KWKG i. V. mit dem mit der B
geschlossenen Liefervertrag verpflichtet, den bezogenen Strom zu vergüten.
30
e) Daß die Klägerin und die B den vereinbarten Strombezugspreis aufgrund des
Inkrafttretens des KWKG erhöht haben, steht der Geltung des § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2
KWKG nicht entgegen und stellt sich auch nicht als Rechtsmißbrauch zu Lasten der
Beklagten dar. § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG setzt nicht voraus, daß der Stromliefervertrag
über den 1.1.2000 hinaus
unverändert
Strombezugspreis nach diesem Stichtag nicht erhöht wird. Vielmehr begründet § 4 Abs.
31
2 KWKG für die von § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG erfaßten Lieferverträge einen Anspruch
des KWK-Stromerzeugers auf Anpassung des vertraglich vereinbarten Strompreises auf
die in § 4 Abs. 1 KWKG vorgesehene Mindestvergütung von 9 Pf/kWh, sofern nicht Treu
und Glauben ausnahmsweise eine Anpassung auf eine niedrigere Vergütung gebieten.
Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Zweck des KWKG (vgl.
BGH, Urteil vom 11.2.2004, Az. VIII ZR 236/02).
§ 4 Abs. 1 KWKG erfaßt ohne jede Einschränkung auch die in § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2
KWKG geregelten Stromlieferungen, denn nach § 4 Abs. 1 KWKG beträgt die Vergütung
für Strom "nach § 2", d. h. auch für Strom nach § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG, mindestens
9 Pf/kWh. Würde die Vergütung für Strom gemäß § 4 Abs. 2 KWKG ausschließlich auf
der Grundlage von Lieferverträgen geregelt, liefe § 4 Abs. 1 KWKG insoweit leer. Daß
der Gesetzgeber dies beabsichtigt hat, hält der Senat für ausgeschlossen. Hätte der
Gesetzgeber die Verpflichtung zur Zahlung der Mindestvergütung auf den ersten
Förderweg beschränken wollen, hätte er dies entsprechend formuliert, etwa dadurch,
daß er in § 4 Abs. 1 KWKG lediglich auf Strom gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 KWKG Bezug
genommen hätte, oder dadurch, daß er in § 3 Abs. 1 S. 1 2. Halbs. KWKG formuliert
hätte, daß vertragliche Abnahme-
und Vergütungspflichten
32
Dafür, daß § 4 Abs. 1 KWKG die Parteien eines Stromliefervertrages regelmäßig
verpflichtet, den Strombezugspreis auf die in § 4 Abs. 1 KWKG vorgesehene Vergütung
anzuheben, spricht auch die Formulierung in § 4 Abs. 2 KWKG, wonach die Vergütung
für Strom gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 KWKG aufgrund von Lieferverträgen "geregelt wird",
nicht aber, daß sie bereits "geregelt ist" (BGH, Urteil v. 11.2.2004, Az. VIII ZR 236/02;
Bräutigam/Reichert-Clauß RdE 2003, 213).
33
Zudem würde § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG insgesamt leerlaufen, wenn die gesetzliche
Mindestvergütung gemäß § 4 Abs. 1 KWKG insoweit durch § 4 Abs. 2 KWKG
ausgeschlossen wäre. Die Einbeziehung des Stroms gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2
KWKG in den Geltungsbereich des KWKG wäre sinnlos, da es für die Abnahme und
Vergütung dieses Stroms uneingeschränkt bei den liefervertraglichen Vereinbarungen
bliebe (BGH, Urteil v. 11.2.2004, Az. VIII ZR 236/02; Bräutigam/Reichert-Clauß RdE
2003, 213).
34
3. Schuldnerin des Anspruchs der Klägerin auf Belastungsausgleich ist die Beklagte.
Nach § 5 Abs. 1 S. 1 KWKG richtet sich der Anspruch auf Belastungsausgleich gegen
den vorgelagerten Netzbetreiber. Betreiberin des Netzes, das dem der Klägerin
vorgelagert ist, ist unstreitig die Beklagte.
35
4. Der Anspruch der Klägerin auf Belastungsausgleich beläuft sich auf 2.286.583,36
EUR.
36
a) Nach § 5 Abs. 1 S. 2 und 3 KWKG beträgt der Ausgleich im Zeitraum vom 18. 5. bis
zum 31.12.2000 3 Pf., im Zeitraum vom 1.1. bis zum 31.12.2001 2,5 Pf. und ab dem
1.1.2002 2 Pf. je kWh der zu vergütenden Strommenge.
37
b) Der Klägerin steht Belastungsausgleich in der in § 5 Abs. 1 S. 2 und 3 KWKG
vorgesehenen Höhe zu, obwohl der von ihr und der B vereinbarte Strombezugspreis im
hier maßgeblichen Zeitraum die in § 4 Abs. 1 KWKG vorgesehene Mindestvergütung je
kWh von 9 Pf. im Jahr 2000, 8,5 Pf. im Jahr 2001 und 8 Pf. im Jahr 2002 unterschritt. Der
Anspruch auf Belastungsausgleich in der in § 5 Abs. 1 KWKG vorgesehenen Höhe setzt
38
nicht voraus, daß das anspruchsberechtigte Energieversorgungsunternehmen mit dem
Stromerzeuger einen Strombezugspreis in der in § 4 Abs. 1 KWKG vorgesehenen Höhe
vereinbart hat. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 KWKG.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1 S. 2, S. 3 KWKG beträgt der
Ausgleichsbetrag generell 3 Pf./kWh und wird er jeweils zum 1.1. eines neuen Jahres
um 0,5 Pf. gesenkt. Anhaltspunkte dafür, der Ausgleichsbetrag sei mit niedrigeren als
den in § 5 Abs. 1 S. 2, S. 3 KWKG genannten Beträgen zu bemessen oder entfalle,
wenn der anspruchsberechtigte Netzbetreiber mit dem Anlagenbetreiber einen
Strombezugspreis vereinbart hat, der die in § 4 Abs. 1 KWKG vorgesehene Vergütung
unterschreitet, sind dem KWKG und insbesondere § 5 KWKG nicht ansatzweise zu
entnehmen. Ebensowenig enthält die Gesetzesbegründung Anhaltspunkte, das
anspruchsberechtigte Energieversorgungsunternehmen könne Belastungsausgleich in
der in § 5 Abs. 1 KWKG vorgesehenen Höhe nur dann beanspruchen, wenn es mit dem
Anlagenbetreiber eine Vergütung in der in § 4 Abs. 1 KWKG vorgesehenen Höhe
vereinbart habe.
39
Der Zweck des KWKG spricht ebenfalls für die Auslegung, derzufolge der
Belastungsausgleich unabhängig von der Höhe der Vergütung zu zahlen ist, die der
anspruchsberechtigte Netzbetreiber mit dem Anlagenbetreiber vereinbart hat. Der
Gesetzgeber wollte mit dem KWKG den Erzeugern von KWK-Strom, die nach seiner
Einschätzung "angesichts weitgehend fixer Stromgestehungskosten bei gegenwärtig
stark sinkenden Preisen in akute wirtschaftliche Not geraten waren" (BT-Drucks.
14/3007 S. 7) und "umgehende Hilfe" benötigten (BT-Drucks. 14/2765 S. 4), eine
"rasche Übergangshilfe" bzw. eine "befristete Überbrückungshilfe" verschaffen (BT-
Drucks. 14/3007 S. 1, 7). Diesen Zwecken dient auch der Belastungsausgleich gemäß §
5 KWKG (BT-Drucks. 14/2765 S. 5). Die Erreichung dieser Ziele wäre gefährdet, wenn
in jedem Verfahren auf Zahlung von Belastungsausgleich zu prüfen wäre, welche
Vergütung im Verhältnis zwischen dem anspruchsberechtigten Netzbetreiber und dem
Anlagenbetreiber gerechtfertigt ist. In diesem Fall würden Unsicherheiten aus dem
Rechtsverhältnis zwischen Anlagen- und Netzbetreiber in das Verfahren über den
Belastungsausgleich verlagert.
40
c) Die Klägerin hat von der B vom 18.5. bis zum 31.12.2000 56.717.439,5 kWh, vom 1.1.
bis zum 31.12.2001 104.209.279 kWh und vom 1.1. bis zum 31.3.2002 28.402.163 kWh
Strom bezogen. Ihr Anspruch auf Belastungsausgleich errechnet sich insoweit wie folgt:
41
56.717.439,5 kWh x 3 Pf. = 1.701.523,19 DM
42
104.209.279 kWh x 2,5 Pf. = 2.605.231,98 DM
43
28.402.163 kWh x 2 Pf. = 568.043,26 DM
44
4.874.798,43 DM
45
abzügl. bereits gezahlter 402.630,10 DM
46
4.472.168,33 DM/2.286.583,36 EUR.
47
5. § 2 Abs. 2 KWKG steht dem Anspruch der Klägerin auf Belastungsausgleich nicht
entgegen.
48
a) § 2 Abs. 2 KWKG erfaßt Strom gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG, um den es hier
geht, nicht. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte dieser
Vorschrift.
49
Nach seinem ausdrücklichen Wortlaut gilt § 2 Abs. 2 KWKG nur für Strom von
Energieversorgungsunternehmen gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 KWKG
Strom von Gemeinschaftsunternehmen nach § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 KWKG und nicht für
Strom, den ein Energieversorgungsunternehmen aufgrund eines Liefervertrages gemäß
§ 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG bezieht. Hätte der Gesetzgeber die Fälle des zweiten und
dritten Förderweges in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 KWKG einbeziehen
wollen, hätte eine allgemeine Bezugnahme in § 2 Abs. 2 KWKG auf Abs. 1 dieser
Vorschrift ausgereicht.
50
Aus der Entstehungsgeschichte des § 2 Abs. 2 KWKG ergibt sich zweifelsfrei, daß der
Gesetzgeber Strom gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 KWKG nicht in den Geltungsbereich des § 2
Abs. 2 KWKG einbeziehen wollte. Der ursprüngliche Entwurf dieser Vorschrift enthielt
die Einschränkung "gemäß Absatz 1 Satz 1" nicht (BT-Drucks. 14/2765 S. 2). Diese
wurde erst im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens mit der Begründung "Klarstellung des
Gewollten" in § 2 Abs. 2 KWKG aufgenommen (BT-Drucks. 14/3007 S. 2, 6). Deshalb
besteht kein Zweifel, daß der Gesetzgeber mit der Formulierung
"Energieversorgungsunternehmen gemäß Absatz 1 Satz 1" in § 2 Abs. 2 KWKG
ausschließlich auf die in § 2 Abs. 1 S. 1 KWKG genannten
Energieversorgungsunternehmen der allgemeinen Versorgung Bezug nehmen wollte.
51
Aufgrund des eindeutigen Willens des Gesetzgebers, die Gemeinschaftsunternehmen
nach § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 KWKG und die Parteien eines Stromliefervertrages gemäß § 2
Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWKG nicht der "25/10-Klausel" des § 2 Abs. 2 KWKG zu unterwerfen,
ist für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift in den Fällen des § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 1
und Nr. 2 KWKG kein Raum (Herrmann RdE 2000 184, 188).
52
b) Zudem sind in bezug auf die Klägerin die Voraussetzungen der Ausschlußgründe
gemäß § 2 Abs. 2 KWKG nicht erfüllt. Sie hat mit Schriftsatz vom 14.10.2003 im
einzelnen dargelegt, daß ihre installierte elektrische Kraftwerksleistung in Kraft-Wärme-
Kopplung, bezogen auf ihre installierte Kraftwerksleistung, erheblich über 25 % liegt und
die von ihr in Kraft-Wärme-Kopplung erzeugte Strommenge, bezogen auf ihre gesamte
Stromerzeugung, nahezu 100 % beträgt. Dem sind die Beklagte und die Streithelferin
nicht entgegengetreten.
53
6. Das KWKG verstößt nicht gegen europäisches Recht.
54
a) Verpflichtungen zur Zahlung unzulässiger Beihilfen (Art. 87 und 88 EG-Vertrag)
begründet das KWKG nicht. Der Begriff der Beihilfe i. S. dieser Bestimmungen erfaßt
ausschließlich Zahlungen des Staates oder aus staatlichen Mitteln. Derartige
Zahlungen sieht das KWKG nicht vor. Sämtliche Zahlungen, die nach diesem Gesetz zu
leisten sind, sind von Privatunternehmen aufzubringen.
55
b) Das KWKG verstößt auch nicht gegen die in Art. 28 EG-Vertrag geschützte Freiheit
des Warenverkehrs. Diese Vorschrift verbietet alle staatlichen Maßnahmen, die
mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen mit gleicher Wirkung
vorsehen. Eine derartige Wirkung kommt dem KWKG nicht zu.
56
Selbst wenn das KWKG die Freiheit des Warenverkehrs beschränken sollte, wäre diese
Beeinträchtigung aus Gründen des Umweltschutzes gerechtfertigt. Auch beim
Umweltschutz handelt es sich, wie sich beispielsweise aus Art. 6 EG-Vertrag ergibt, um
ein Ziel der Europäischen Union. Deshalb kann der Umweltschutz nach ständiger
Rechtsprechung des EuGH Beschränkungen der Freiheit des Warenverkehrs
rechtfertigen (EuGH Rs 379/98; EuGH Rs 389/96; EuGH Rs 302/86). So liegt es auch
hier. Das KWKG bezweckt, wie sich aus seinem § 1 ergibt, den Schutz der Umwelt und
des Klimas. Gegen die Verhältnismäßigkeit der darin vorgesehenen Maßnahmen
bestehen keine Bedenken. Selbst wenn sie zu Einschränkungen der Freiheit des
Warenverkehrs i. S. des Art. 28 EG-Vertrag führen sollten, sind diese deshalb aus
Gründen des Umweltschutzes gerechtfertigt.
57
7. Das KWKG verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz.
58
a) Das Grundrecht auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG wird durch das
KWKG nicht verletzt. Die Berufsausübung kann nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG durch
Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Die Belastungen, die das
KWKG den Betreibern von Energieversorgungsunternehmen und Stromnetzen
auferlegt, erfolgen aus Gründen des Umweltschutzes, der gemäß Art. 20 a GG ebenfalls
verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot verstößt
das KWKG nicht. Deshalb handelt es sich bei ihm um eine gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2
GG zulässige Inhaltsbestimmung der Berufsausübung.
59
b) Das KWKG verstößt auch nicht gegen Grundsätze der grundgesetzlichen
Finanzverfassung (Art. 105 ff. GG). Die Zahlungen, zu denen es
Energieversorgungsunternehmen und Netzbetreiber verpflichtet, werden
ausschließlich
in staatliche Verfügungsbefugnis. Staatliche Einnahmen, die der parlamentarischen
Kontrolle entzogen wären, kann es unter keinen Umständen begründen.
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Demgemäß haben sowohl das BVerfG in seinem Beschluß vom 27. 4. 2000, Az. 2 BvR
801/99, als auch der BGH in seinen Urteilen vom 10. 3. 2004, Az. VIII ZR 213/02, und
vom 11.2.2004, Az. VIII ZR 236/02, inzidenter die Vereinbarkeit des KWKG sowohl mit
dem Grundgesetz als auch mit europäischem Recht bejaht.
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8. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz aus 645.650,85 EUR seit dem 20. 12. 2001 und aus weiteren
1.640.932,51 EUR seit dem 25.10.2002 ergibt sich aus den §§ 284 Abs. 1 S. 2, 288 Abs.
1 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung.
62
III.
63
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf die §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
64
IV.
65
Die Revision war zuzulassen.
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Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die mit
67
dem Belastungsausgleich gemäß § 5 Abs. 1 KWKG zusammenhängenden
Rechtsfragen können für eine unbestimmte Zahl von weiteren Verfahren
entscheidungserhebliche Bedeutung haben.
Zudem erfordern sowohl die Fortbildung des Rechts als auch die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2
Nr. 2 ZPO). Die Frage, ob der Anspruch auf Belastungsausgleich von der Höhe des
Strompreises abhängt, den der anspruchsberechtigte Netzbetreiber dem KWK-
Anlagenbetreiber schuldet, ist in der Rechtsprechung unterschiedlich entschieden
worden. Eine Entscheidung des BGH zu dieser Frage ist bislang, soweit ersichtlich,
noch nicht ergangen.
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