Urteil des OLG Hamm vom 26.01.1994

OLG Hamm (kläger, fahrzeug, höhe, kaufpreis, abzug, wert, zahlung, wiederbeschaffungswert, schätzung, parkplatz)

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 227/93
Datum:
26.01.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 227/93
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 2 O 255/92
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im übrigen das am 06. Mai 1993 verkündete Urteil der 2.
Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 32.200,00 DM nebst 4 %
Zinsen seit dem 16. Dezember 1991 zu zahlen.
Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 53 % und die
Beklagte zu 47 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Kaskoversicherung auf Zahlung einer
Diebstahlsentschädigung für sein versichertes Fahrzeug Daimler-Benz 280 SE-
Cabriolet (Baujahr 1970) in Anspruch.
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Er behauptet, er habe das Fahrzeug am 31.05.1991 zwischen 18.00 Uhr und 19.00 Uhr
auf dem hoteleigenen Parkplatz des ...-Hotels in ... abgestellt. Am nächsten Tag
zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr habe er es auf dem Abstellplatz nicht mehr
vorgefunden.
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Unter Bezugnahme auf eine Schätzurkunde des Sachverständigen ... beziffert er den
Wiederbeschaffungswert des versicherten Fahrzeugs zum Schadenstag auf 69.000,00
DM. Nach Abzug einer in Höhe von 300,00 DM vereinbarten Selbstbeteiligung verlangt
er klageweise die Zahlung von 68.700,00 DM.
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Die Beklagte verweigert Versicherungsschutz. Sie bestreitet den Diebstahl mit näherer
Begründung und beruft sich überdies auf Leistungsfreiheit wegen verspäteter Zahlung
der Erstprämie und Aufklärungsobliegenheitsverletzungen; insbesondere behauptet sie,
der Kläger habe einen falschen Kaufpreis angegeben. Schließlich bestreitet sie unter
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Bezugnahme auf ein Schätzgutachten des TÜV vom 20.02.1992 den vom Kläger
behaupteten Wiederbeschaffungswert.
Das Landgericht hat nach Durchführung einer ausführlichen Beweisaufnahme die Klage
mit der Begründung abgewiesen, der behauptete Diebstahl sei nicht ausreichend
nachgewiesen. Die hiergegen gerichtete zulässige Berufung des Klägers hat in dem
aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Beklagte ist ihm zur Entschädigung des
Entwendungsschadens in Höhe von 32.200,00 DM verpflichtet (§§1, 49 VVG; 12 Nr. 1 I
b, 13 Nr. 1 AKB).
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1.
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Der Kläger hat den erforderlichen Mindestbeweis des äußeren Bildes einer versicherten
Fahrzeugentwendung erbracht. Die Zeugin ... hat bei ihrer Vernehmung vor dem
Landgericht glaubhaft bestätigt, sie habe die Nacht vom 31.05. bis zum 01.06.1991
gemeinsam mit dem Kläger im ...-Hotel in ... verbracht. Gemeinsam sei man mit dem
versicherten Fahrzeug am 31.05.1991 etwa um 19.00 Uhr zum Hotel gefahren und habe
es dort auf dem Parkplatz abgestellt. Am nächsten Morgen habe man das Fahrzeug am
Abstellort nicht mehr vorgefunden.
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Die von der Beklagten gegen die Zeugin vorgebrachten Glaubwürdigkeitsbedenken
schlagen nicht durch. Ein Zeuge ist nicht bereits deshalb unglaubwürdig, weil er - wie
die Zeugin ... - in einem beruflichen Abhängigkeitsverhältnis zum Kläger steht.
Abgesehen davon steht aufgrund der schriftlichen Auskunft des ...-Hotels ... vom
04.11.1992 (Bl. 140 d.A.) i.V.m. anderen Unterlagen (Bl. 106 ff. d.A.) fest, daß der Kläger
sich in der fraglichen Nacht gemeinsam mit einer zweiten Person in einem
Doppelzimmer des Hotels aufgehalten hat. Daß der Kläger die Zeugin ... nicht von
vornherein namentlich benannt hat, sondern noch in der Klageschrift vortragen ließ,
Beweis bleibe vorbehalten, ist nach Lage der Dinge nicht unverständlich. Als die
Beklagte den Klagevortrag zum Abstellen und Nichtwiederauffinden des versicherten
Fahrzeugs in ihrer Klageerwiderung bestritt, ist die Zeugin ... vom Kläger mit Schriftsatz
vom 11.08.1992 sofort namhaft gemacht worden. Unerheblich ist schließlich auch, daß
die Zeugin den genauen Abstellplatz des Fahrzeugs auf dem Parkplatz nicht mehr zu
beschreiben vermochte. Zum Zeitpunkt der Zeugenaussage lag der Vorfall immerhin
eineinhalb Jahre zurück. Überdies ist es auch keineswegs unwahrscheinlich, daß ein
Zeuge als Beifahrer keine Erinnerung mehr daran hat, auf welchem Stellplatz einer
Parkplatzanlage der Fahrer sein Fahrzeug abgestellt hat.
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2.
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Die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Vortäuschung des Versicherungsfalles ist nicht
gegeben.
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Was die Beklagte insoweit vorträgt, ist die Behauptung, der Kläger habe falsche
Angaben hinsichtlich des angeblich in Höhe von 60.000,00 DM an seine Schwester, die
Zeugin ..., gezahlten Kaufpreises gemacht und darüber hinaus dem Schadensermittler ...
der Beklagten das Verwandtschaftsverhältnis zur Zeugin ... verschwiegen. Da unstreitig
ist, daß der Kläger - zu welchem Kaufpreis auch immer - das Fahrzeug von der Zeugin
... erworben hat, kommt es, was den Diebstahl anbelangt, auf die streitige Höhe des
gezahlten Kaufpreises aber nicht entscheidend an. Dies könnte allenfalls dann anders
zu sehen sein, wenn der Kläger das versicherte Fahrzeug in dem von der Zeugin ...
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übernommenen und vom Sachverständigen ... in seinem Beweissicherungsgutachten
vom 07.08.1987 als schlecht beurteilten Zustand belassen hätte. Tatsächlich steht aber
fest, daß der Kläger nach dem Erwerb des Fahrzeuges Kosten in Höhe von 16.278,27
DM aufgewendet hat, um das Fahrzeug nach seinen Wünschen instandzusetzen und
durch den TÜV zu bringen (vgl. Rechnung ... vom 30.04.1991 - Bl. 75 ff. d.A. - und
landgerichtliche Zeugenaussagen ... und ... - Bl. 121 ff., 116 ff. und 152 ff. d.A.).
Im übrigen hat sich auch nicht feststellen lassen, daß die vom Kläger der Beklagten
gegenüber gemachte Kaufpreisangabe unrichtig war (vgl. dazu unten zu 4 d).
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3.
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Eine Leistungsfreiheit der Beklagten wegen verspäteter Zahlung der Erstprämie ist nicht
eingetreten. Dies hat das Landgericht zutreffend erkannt. Auf die diesbezüglichen
Ausführungen der Urteilsgründe wird verwiesen. Die Beklagte hat sich in ihrer
Berufungserwiderung dagegen nicht gewandt.
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4.
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Die Beklagte ist auch nicht wegen Aufklärungsobliegenheitsverletzungen des Klägers
nach §§7 V Nr. 4 i.V.m. I 2 S. 3 AKB, 6 Abs. 3 VVG leistungsfrei geworden.
17
a)
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Einer Klärung der streitigen Frage, ob der Kläger der Beklagten offenbart hat, daß die
Zeugin ... als Verkäuferin des Fahrzeugs seine Schwester ist, bedurfte es nicht, da er
nach dem Verwandtschaftsverhältnis zum Verkäufer des versicherten Fahrzeugs nicht
gefragt worden ist. Ungefragt brauchte der Kläger der Beklagten diesbezüglich keine
Mitteilung zu machen.
19
b)
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Der Kläger war auch nicht verpflichtet, gemeinsam mit dem von der Beklagten mit der
Sachaufklärung beauftragten Schadensermittler ... sog. "Informationsprotokolle" zu
erstellen. Das Schadenanzeigeformular der Beklagten vom 26.06.1991 hat der Kläger
ausgefüllt. Das Schreiben der Beklagten vom 23.12.1991 mit konkreten Fragen hat er
mit Anwaltsschriftsatz vom 17.01.1992 beantwortet. Dies reichte zur Erfüllung seiner
bedingungsgemäßen Aufklärungsobliegenheit aus.
21
c)
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Auch die im klägerischen Schreiben vom 07.08.1991 enthaltene Behauptung, zum
Zeitpunkt des Diebstahls seien sowohl im Innenraum als auch an der Karosserie des
versicherten Fahrzeuges weder reparierte noch unreparierte Beschädigungen
vorhanden gewesen, stellt keine zur Leistungsfreiheit der Beklagten führende
Aufklärungsobliegenheitsverletzung des Klägers dar. Daß das Fahrzeug zum Zeitpunkt
des Diebstahls nicht reparaturbedürftig war, steht aufgrund der Aussagen der vom
Landgericht gehörten Zeugen ... und ... fest. Zumindest kann die Beklagte das Gegenteil
nicht beweisen.
23
Aufgrund der ihr überlassenen Reparaturrechnung ... (Bl. 75 ff. d.A.) wußte die Beklagte,
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welche Reparaturleistungen an dem versicherten Fahrzeug erbracht worden waren.
Hinsichtlich der dadurch beseitigten Beschädigungen war sie deshalb nicht
aufklärungsbedürftig.
b)
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Schließlich hat der Senat auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit (vgl. dazu BGH
VersR 1989, 758, 759) die Überzeugung gewinnen können, daß die im vorprozessualen
Anwaltsschriftsatz vom 17.01.1992 enthaltene Kaufpreisangabe von 60.000,00 DM
unrichtig war.
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Über diesen Kaufpreis verhält sich ein schriftlicher Kaufvertrag vom 06.03.1991 (Bl. 12
d.A.). Die Zeugin ... hat bei ihrer Vernehmung in beiden Rechtszügen die
Sachdarstellung des Klägers bestätigt. Nach Lage der Dinge spricht zwar viel dafür, daß
ein Kaufpreis von 60.000,00 DM erheblich überteuert war (vgl. insbesondere das
Beweissicherungsgutachten ... vom 07.08.1987) und der Kläger dies auch wußte.
Bewiesen ist dies aber nicht. Die Unwahrscheinlichkeit der behaupteten Kaufpreishöhe
allein beweist noch nicht ihre Unrichtigkeit, für die die Beklagte beweispflichtig ist.
Abgesehen davon ist auch nicht auszuschließen, daß der Kläger beim Ankauf des
versicherten Fahrzeugs dessen Zustand entscheidende Bedeutung nicht beigemessen
hat. Möglicherweise hat er auch aus den in der Berufungsbegründung aufgezeigten
familiären Gründen der Zeugin ... in einer wirtschaftlichen Notlage finanziell unter die
Arme greifen wollen und ihr deshalb das Fahrzeug zu einem nicht marktgerechten Preis
abgekauft, vielleicht auch in der Erwartung einer deutlichen Wertsteigerung nach
geplanter Instandsetzung.
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Den Wiederbeschaffungswert des versicherten Fahrzeugs zum 31.05./01.06.1991
schätzt der Senat auf 32.500,00 DM (§287 ZPO).
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Der Sachverständige ... hat im Senatstermin unter Zugrundelegung einer Kaufleistung
von 205.000 km hinsichtlich dieses Wertes eine Bandbreite von 30.000,00 bis 35.000,00
DM genannt und dies überzeugend damit begründet, der Wert des von einem Coupé
zum Cabriolet umgebauten Fahrzeugs sei näher an der vom Markt geringer bewerteten
Coupé-Ausführung anzusiedeln.
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Demgegenüber ist der vom Privatgutachter ... des Klägers mit Gutachten vom
30.04.1991 ermittelte Schätzwert per 30.04.1991 auf 69.000,00 DM übersetzt. Bei seiner
landgerichtlichen Anhörung hat der Privatgutachter seine Schätzung dahingehend
erläutert, er sei von einem Erhaltungszustand des Fahrzeugs von "2 bis 3"
ausgegangen, der Umbau des Fahrzeuges vom Coupé zum Cabriolet sei mit einem 50
%igen Abzug berücksichtigt worden. Letzteres überzeugt nicht, wenn man sich die
Ausführungen Wageners zu den Erhaltungswerten ansieht: Nach den von ihm
angegebenen Zahlen beträgt der Wert bei einem Erhaltungszustand von 2,5 69.500,00
DM. Da er einen Wert von 69.000,00 DM geschätzt hat, ist ein Abzug für den Umbau
nicht, schon gar nicht in einer Größenordnung von 50 %, erkennbar.
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Erkennbar ist ein derartiger Abzug hingegen im Gutachten des TÜV vom 20.02.1992
(Schätzung des Wiederbeschaffungswertes zum Schadenstag: 33.500,00 DM), das die
Beklagte eingeholt hat und das vom Zeugen ... vor dem Landgericht erläutert worden ist.
Diese Schätzung befindet sich in Übereinstimmung mit der vom gerichtlichen
Sachverständigen ... ermittelten Wert-Bandbreite.
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Es ist gerichtsbekannt, daß die Investitionen, die ein Eigentümer bezüglich seines
Fahrzeugs macht, nicht in voller Höhe auf den Fahrzeugwert durchschlagen. Dies gilt
um so mehr bei alten Fahrzeugen, deren Liebhaberwert dann am höchsten ist, wenn sie
sich weitmöglichst im gepflegten und einwandfreien Originalzustand befinden. Diese
Voraussetzungen für einen möglichst hohen Liebhaberwert sind beim versicherten
Fahrzeug nur in geringem Maße anzunehmen.
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Zugunsten der Beklagten war die mit 300,00 DM vereinbarte Selbstbeteiligung zu
berücksichtigen.
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Eine Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers ist nicht erkennbar. Es spricht nichts
dafür, daß das Fahrzeug steuerlich als Geschäftswagen behandelt worden ist.
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Der in Höhe von 14 % geltend gemachte und von der Beklagten bestrittene
Zinsanspruch ist nicht belegt. Gerechtfertigt ist deshalb aufgrund des Mahnschreibens
des Klägers vom 04.12.1991 lediglich ein Zinsanspruch von 4 % seit dem 16.12.1991.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Die Beschwer des Klägers beträgt 36.500,00 DM, die der Beklagten 32.200,00 DM.
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