Urteil des OLG Hamm vom 24.01.2006
OLG Hamm: eintritt des versicherungsfalls, eintritt des versicherungsfalles, bezugsrecht, aussonderungsrecht, versicherungsvertrag, geschäftsführer, direktversicherung, insolvenz, valutaverhältnis
Oberlandesgericht Hamm, 27 U 159/05
Datum:
24.01.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 U 159/05
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 10 0 218/05
Schlagworte:
Direktversicherung, Bezugsrecht, Absonderung, Insolvenz,
Geschäftsführer
Normen:
§ 47 InsO, § 166 Abs. 2 VVG
Leitsätze:
Hat die Gesellschaft in der zu Gunsten ihres Geschäftsführers
abgeschlossenen Direktversicherung für ihn nur ein widerrufliches
Bezugsrecht begründet, steht diesem vor Eintritt des Versicherungsfalls
in der Insolvenz der Gesellschaft kein Aussonderungsrecht an den
Rechten aus dem Versicherungsvertrag zu (im Anschluss an BAGE 92,
1 und BGH, NJW 2002, 3253; entgegen BGH, ZIP 2005, 1373 sowie
BGH, ZIP 2005, 1836)
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 15. September 2005
verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe (§ 540 ZPO):
1
A.
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Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der E GmbH. Diese schloss für
den am 2. November 1965 geborenen Kläger, ihren vormaligen Geschäftsführer, der
zunächst 50% der Gesellschaftsanteile hielt und im Laufe des Jahres 2002
Alleingesellschafter wurde, im Dezember 1994 bei der M AG eine Direktversicherung
entsprechend den Regelungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen
Altersversorgung (BetrAVG) ab.
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Zur Bezugsberechtigung heißt es im Versicherungsvertrag:
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"Der Versicherte ist sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall unwiderruflich
bezugsberechtigt. ... Dem Arbeitgeber bleibt das Recht vorbehalten, alle
Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn
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das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles endet, es sei denn, der
Versicherte hat das 35. Lebensjahr vollendet und entweder die Versicherung hat
10 Jahre oder das Arbeitsverhältnis 12 Jahre und die Versicherung 3 Jahre
bestanden,
der Versicherte Handlungen begeht, die den Arbeitgeber berechtigen, den
Versicherungsanspruch zu mindern oder zu entziehen."
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Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2. Dezember 2004 über das Vermögen der
Versicherungsnehmerin widerrief der Beklagte am 22. Dezember 2004 das Bezugsrecht
des Klägers und zog den Rückkaufwert von 11.484,87 EUR abzüglich 127,82 EUR
ausstehender Versicherungsbeitrag, 664,60 EUR Kapitalertragssteuern und 36,55 EUR
Solidaritätszuschlag, d.h. 10.655,90 EUR zur Masse ein. Zu diesem Zeitpunkt waren die
im Versicherungsvertrag bestimmten Unverfallbarkeitsvoraussetzungen noch nicht
eingetreten.
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Der Kläger meint, ihm stehe an den Rechten aus der Versicherung ein
Aussonderungsrecht zu, und verlangt die Zahlung eines Betrages von 11.484,87 EUR
nebst gesetzlicher Zinsen seit dem 1. November 2004.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der dazu getroffenen tatsächlichen
Feststellungen und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug
genommen.
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Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, während der Beklagte das
landgerichtliche Urteil verteidigt. Wegen des Berufungsvorbringens der Parteien im
Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen verwiesen.
11
B.
12
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
13
I.
14
Hinsichtlich des Teilbetrages von 10.655,90 EUR, der dem dem Beklagten
ausgezahlten Rückkaufwert der Lebensversicherung entspricht, ist die Klage
unbegründet, weil ein Aussonderungsrecht des Klägers an den Leistungen aus der
Lebensversicherung nicht besteht. Ein solches Aussonderungsrecht ist weder durch die
Rechte des Klägers aus dem Deckungsverhältnis (= Versicherungsvertrag der
Schuldnerin mit dem Versicherer) noch durch seine Rechte aus dem Valutaverhältnis (=
Versorgungszusage zwischen der Schuldnerin und dem Kläger) begründet.
15
1.
16
Auf der Ebene des Deckungsverhältnisses ist anerkannt, dass ein insolvenzrechtliches
Aussonderungsrecht des Bezugsberechtigten hinsichtlich der Ansprüche aus dem
Versicherungsvertrag (nur) dann besteht, wenn die Bezugsberechtigung aus dem
Versicherungsvertrag unwiderruflich ist. Dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor, da sich
der Versicherungsnehmer – die Schuldnerin – den Widerruf des Bezugsrechtes bis zum
Eintritt der Unverfallbarkeitsvoraussetzungen vorbehalten hatte und die
versicherungsvertraglich vereinbarten Unverfallbarkeitsvoraussetzungen unstreitig noch
nicht eingetreten waren.
17
2.
18
Im Valutaverhältnis besteht eine schuldrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers /
Dienstberechtigten aus der Versorgungszusage, das Bezugsrecht des
Dienstverpflichteten nach dem Eintritt der im Anstellungsverhältnis vereinbarten
Unverfallbarkeitsvoraussetzungen, die im Zweifel denen des Versicherungsvertrages
entsprechen, nicht mehr zu widerrufen. Vor dem Eintritt der Unverfallbarkeit besteht die
Verpflichtung des Dienstberechtigten, das Bezugsrecht nur nach Maßgabe der
vereinbarten Vorbehalte zu widerrufen.
19
a)
20
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt der Insolvenzverwalter in die
Rechtsstellung des Arbeitgebers/Dienstberechtigten ein (§ 80 Abs. 1 InsO). Jedoch ist
der Insolvenzverwalter an die Verpflichtung aus der Versorgungszusage nicht
gebunden. Das folgt aus der (nur) schuldrechtlichen Rechtsnatur der Verpflichtung. Der
Insolvenzverwalter kann das Dienstverhältnis beenden und das Bezugsrecht des
Dienstverpflichteten frei zugunsten der Insolvenzmasse widerrufen. Dieses entsprach
bisher einhelliger Rechtsprechung sowohl des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 92,1)
als auch des Bundesgerichtshofs, insbesondere des IX. Zivilsenats (NJW 2002, 3253
m.w.N.).
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Auch der erkennende Senat schließt sich dem an. Denn die stärkste Rechtsstellung, die
der Dienstverpflichtete im Valutaverhältnis erlangen kann, ist die Unverfallbarkeit nach
den Vorschriften des BetrAVG. Diese Unverfallbarkeit würde jedoch allenfalls ein
gesetzliches Verfügungsverbot bedeuten, das den Schutz einer bestimmten Person
bezweckt (§ 135 BGB). Ein solches gesetzliches Verfügungsverbot hat im
Insolvenzverfahren keine Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 InsO). Noch weniger ist derjenige
Bezugsberechtigte geschützt, bei dem die arbeitsrechtlichen
Unverfallbarkeitsvoraussetzungen nicht einmal eingetreten sind.
22
b)
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Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung hat jedoch der IV. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 8. Juni 2005 (ZIP 2005, 1373) die Widerruflichkeit
des Bezugsrechtes in der Insolvenz verneint und ein Absonderungsrecht des
Dienstverpflichteten (dort eines Arbeitnehmers) angenommen. Er hat das damit
begründet, dass das Widerrufsrecht des Arbeitgebers nur unter den vereinbarten
Vorbehalten ausgeübt werden könne. Die Vorbehalte dienten dem alleinigen Zweck,
den Arbeitnehmer zur Betriebstreue anzuhalten. Dieser Zweck entfalle mit der
Insolvenz, weshalb der Vorbehalt gar nicht mehr ausgeübt werden könne. Selbst das
noch nicht unverfallbar gewordene Bezugsrecht dürfe daher nicht zur Masse gezogen
werden. Der Arbeitnehmer habe insoweit ein Aussonderungsrecht. Die
Insolvenzfestigkeit des eingeschränkt widerruflichen Bezugsrechtes entspreche der
Interessenlage der Parteien, die auch das BetrAVG anerkannt habe, indem es bei
derartigen Direktversicherungen die Pflicht zur Entrichtung eines
Insolvenzsicherungsbeitrages auf den Fall der Abtretung oder Beleihung begrenze.
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Dieses Erkenntnis hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit einem
Hinweisbeschluss vom 22. September 2005 (ZIP 2005, 1836) gebilligt, ohne jedoch
seine abweichende frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufzugeben. Eine inhaltliche
Auseinandersetzung mit der entgegenstehenden früheren Rechtsprechung enthalten
beide Entscheidungen nicht.
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c)
26
Die mit den vorgenannten Entscheidungen vollzogene Wendung in der Rechsprechung
des Bundesgerichtshofs stößt bei dem erkennenden Senat auf erhebliche Bedenken.
Sie widerspricht sowohl arbeits- als auch insolvenzrechtlichen Grundsätzen.
27
aa)
28
Arbeitsrechtlich werten die Entscheidungen die Interessenlagen der Parteien nicht
erschöpfend, weil diese vor dem Eintritt der Unverfallbarkeit nicht nur durch Aspekte des
Arbeitnehmerschutzes geprägt sind, sondern auch und in erster Linie dadurch, dass der
Arbeitgeber bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses frei über das
Bezugsrecht verfügen kann. Das gilt nicht nur bei Kündigungen des Arbeitnehmers, die
der IV. Zivilsenat des BGH in den Vordergrund stellt, sondern insbesondere auch bei
Kündigungen des Arbeitgebers. Bis zum Eintritt der Unverfallbarkeit kann sich der
Arbeitnehmer niemals auf seine Versorgungs-"anwartschaft" verlassen, weil er immer
damit rechnen muss, betriebsbedingt – bei Kleinbetrieben unterhalb der
Kündigungsschutzgrenze sogar ohne jeden Kündigungsgrund – gekündigt zu werden.
Auch bei solchen betrieblichen Kündigungen fällt das Bezugsrecht jeweils zurück in die
volle Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers. Unter Umständen kann es in der Krise
eines Unternehmens sogar in dessen notwendigem Erhaltungsinteresse liegen,
Arbeitsverhältnisse mit dem alleinigen Ziel zu kündigen, zusätzliche Liquidität aus dem
Rückkaufwert der Direktversicherungen zu erlangen, ohne dass sich der Arbeitnehmer
dagegen wehren kann. Warum diese fehlende Versorgungsssicherheit des
Arbeitnehmers nach dem eingetretenen Insolvenzfall nicht fortwirken soll, ist für den
erkennenden Senat nicht ersichtlich.
29
bb)
30
Insolvenzrechtlich stellen sich die jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in
einen zusätzlichen Wertungswiderspruch zu der anderweitigen Rechtsprechung des IX.
Zivilsenats, wonach ein vorläufiger Insolvenzverwalter berechtigt ist, vertragsgemäß
ausgeführte Lastschriften zurückzuholen (BGHZ 161, 49). Der Rückruf von berechtigt
eingezogenen Lastschriften ist schuldrechtlich ebenso vertragswidrig wie ggf. der
Widerruf des Bezugsrechtes einer Direktversicherung. Beides liegt in der
Verfügungsgewalt des Insolvenzverwalters, ist ihm aber schuldrechtlich verboten.
Auch hier ist dem erkennenden Senat nicht ersichtlich, weshalb beide Fälle
unterschiedlich behandelt werden sollten.
31
d)
32
Aufgrund der aufgezeigten Widersprüche vermag der Senat derzeit keine in sich
geschlossene Rechtsprechung der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs und des
Bundesarbeitsgerichts zu erkennen. Der Senat hält an der vom Bundesarbeitsgericht
begründeten und bislang vom IX. Zivilsenat mitgetragenen Rechtsprechung fest.
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Vorsorglich stützt der Senat seine Entscheidung allerdings auch darauf, dass die durch
den IV. Zivilsenat des BGH neu aufgestellten Grundsätze schon deshalb nicht auf den
Kläger anzuwenden sind, weil dieser nicht Arbeitnehmer, sondern Gesellschafter-
Geschäftsführer war und somit die von dem IV. Zivilsenat in den Mittelpunkt gerückten
Belange des Arbeitnehmerschutzes, namentlich die Vorschriften des BetrAVG, auf ihn
nicht anzuwenden sind.
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Zwar gelten die §§ 1 bis 16 BetrAVG gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG entsprechend
für Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, wenn ihnen Leistungen der Alters-,
Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein
Unternehmen zugesagt worden sind. Darunter fallen grundsätzlich auch GmbH-
Geschäftsführer (BAG, NJW 1978, 828). Das gilt aber nicht für Gesellschafter-
Geschäftsführer mit Mehrheitsbeteiligung an der Gesellschaft, die wie ein Unternehmer
anzusehen sind und als solche nicht unter den Anwendungsbereich des BetrAVG fallen
(BGHZ 77, 94). Da der Kläger im Jahre 2002 Alleingesellschafter der Schuldnerin
wurde, gelten für ihn die Vorschriften des BetrAVG ab diesem Zeitpunkt nicht mehr.
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II.
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Soweit der eingeklagte Betrag von 11.484,87 EUR den vom Beklagten erlösten
Rückkaufwert von 10.655,90 EUR noch übersteigt, hat der Kläger darüber hinaus nicht
dargelegt, warum die von der M vorgenommenen Abzüge unberechtigt sind bzw. der
Beklagte insoweit einen zur Aussonderung geeigneten Gegenstand erhalten hat.
37
III.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO.
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Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Frage, unter welchen Voraussetzungen
das Bezugsrecht bei einer Direktversicherung durch den Insolvenzverwalter widerruflich
ist, nach den jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs wieder als ungeklärt zu
gelten hat und ihr daher erneut grundsätzliche Bedeutung zukommt.
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