Urteil des OLG Hamm vom 05.04.2005

OLG Hamm: zusicherung, kriminalpolizei, strafrechtspflege, zusage, haftbefehl, widerruf, erlass, entziehung, informant, raub

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Hamm, 1 VAs 77/04
05.04.2005
Oberlandesgericht Hamm
1. Strafsenat
Beschluss
1 VAs 77/04
Die Anträge des Betroffenen werden als unbegründet verworfen.
Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens nach einem
Gegenstandswert von 2.500,- €.
G r ü n d e :
I.
Seit Frühjahr 2003 ermittelte die Kriminalpolizei Köln (SOKO F) gegen verschiedene
Tätergruppen, die jeweils nach gleichem Muster in Wohnvierteln mit älteren Bewohnern
unter Verwendung eigens dazu angemieteter Fahrzeuge Tatopfer ausspähten und sich
unter dem Vorwand, als Mitarbeiter des Wasserwerks Wasserproben zu nehmen und
Ähnliches, Zutritt zu Wohnungen alter Menschen verschafften, um deren Wertsachen zu
stehlen.
Mit seiner durch entsprechende Vorabmitteilungen glaubhaft gemachten Behauptung, er
könne sachdienliche Angaben zu den "Wasserwerker"-Fällen und zum Absatz der Beute
machen, diente sich der Antragsteller der Sonderkommission als Informant an. Auf
Anregung der Kriminalpolizei in Köln, nach deren Auffassung der Antragsteller mit
Repressalien seitens der Täter, die zu Sinti- und Romafamilien mit strengem Ehrenkodex
gegenüber Verrätern gehörten, zu rechnen hatte, andererseits aber die Aufklärung der
Straftaten sonst nicht möglich sei, und dem Antragsteller wegen der Massierung
gleichartiger Straftaten und dem deshalb für die Allgemeinheit zu erwartenden Schaden am
21. April 2003 Vertraulichkeit zugesichert.
Am 15. April 2004 erklärte der Antragsteller nochmals ausdrücklich seine Bereitschaft,
gegen Zusicherung der Geheimhaltung seiner Identität der Polizei Informationen zur
Verhütung und Verfolgung von Straftaten zu geben. Er wurde darüber belehrt, dass die
Zusicherung nicht mehr bindend sei, wenn sich herausstellt, dass er an der Straftat, bei
deren Aufklärung er mitwirkt, beteiligt sei.
Mitte 2004 war die Auswertung der Spuren abgeschlossen. Die Ermittlungen ergaben, dass
das am 15. Dezember 2003 unweit vom Tatort verschlossen aufgefundene Fluchtfahrzeug
von einem der Beschuldigten an dessen Wohnort angemietet worden war. Darin wurden an
einer Getränkeflasche Fingerspuren und an einem Taschentuch DNA-Spuren des
Antragstellers aufgefunden.
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Am 2. November 2004 regte die Kriminalpolizei unter näherer Darlegung des Tatverdachts
beim zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft an, die Vertraulichkeitszusage
aufzuheben. Der polizeilichen Anregung wurde wegen Tatbeteiligung des Informanten am
4. November 2004 entsprochen und die Anordnung am
22. November 2004 nochmals bestätigt.
Unter dem 18. November 2004 wurde u.a. gegen den Antragsteller Anklage erhoben. Mit
Beschluss vom 1. Februar 2005 hat das Landgericht Köln Haftbefehl gegen den
Antragsteller erlassen.
Mit Schreiben vom 10. November 2004 beantragte der Anwalt des Antragstellers, die
Vertraulichkeitszusage zu erneuern. Zur Begründung teilte er mit, er fürchte "um Leib und
Leben" seines Mandanten, wenn bekannt werde, dass er andere "Sippenangehörige"
belastet habe. Unter dem 22. November 2004 wurde dieser Antrag zurückgewiesen. Zur
Begründung wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, dass trotz einer Gefährdung des
Informanten die Bindung an die Vertraulichkeitszusage entfalle, wenn sich - wie hier - eine
strafbare Beteiligung des Empfängers der Zusicherung an den Taten, zu denen Angaben
gemacht würden, herausstelle.
Hiergegen richtet sich der Antrag vom 6. Dezember 2004, mit dem unter näherer Darlegung
gefordert wird, die Vertraulichkeit wiederherzustellen und die über die
Aufhebung entstandenen Unterlagen aus den Strafakten zu entfernen. Zur Begründung
wird geltend gemacht, für den Widerruf müsse die Tatbeteiligung des Informanten
feststehen. Dies sei hier nicht der Fall. Da nicht festgestellt sei, wann die sichergestellten
Spuren an dem erst mehrere Tage nach der Tat sichergestellten Fahrzeug entstanden
seien, könne daraus nicht auf eine unmittelbare Tatbeteiligung des Antragstellers
geschlossen werden.
Zwischenzeitlich ist auch das gemäß § 24 Abs. 2 EGGVG erforderliche Vorschaltverfahren
durch Bescheid des Generalstaatsanwalts in Köln vom 10. Februar 2005 abgeschlossen.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, insbesondere ist der Rechtsweg
nach §§ 23 ff. EGGVG gegeben.
Anders als für die Überprüfung der Sperrerklärung, für diese Streitigkeiten ist der
Verwaltungsrechtsweg gegeben (BGH NJW 1998, 3577), ist die Entziehung der
Vertraulichkeitszusage im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG zu überprüfen. Der
besonderen Rechtswegregelung des § 23 Abs. 1 EGGVG liegt die Annahme zugrunde,
dass den ordentlichen Gerichten die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von
Verwaltungsmaßnahmen auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts, des Zivilprozesses,
der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafrechtspflege von der Sache her näher stehen
als den Gerichten der Allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die für bestimmte
Sachgebiete geltende Generalklausel des § 23 Abs. 1 EGGVG soll deshalb die gerichtliche
Kontrolle gewisser Maßnahmen aus der Zuständigkeit der Allgemeinen
Verwaltungsgerichte herausnehmen und bewirken, dass über die Rechtmäßigkeit dieser
Maßnahmen die Gerichte der sachnäheren Gerichtsbarkeit entscheiden. Aus diesem
Gesetzeszweck und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift folgt zugleich, dass § 23
EGGVG die Nachprüfung von Verwaltungsakten und sonstigen Maßnahmen den
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ordentlichen Gerichten dann zuweist, wenn die in Rede stehenden Amtshandlungen der
zuständigen Behörde gerade als spezifisch justizmäßige Aufgabe auf einem der in § 23
Abs. 1 EGGVG genannten Rechtsgebiete
anzusehen ist (BGHZ 105, 395; BVerwG NJW 1984, 2233). Dementsprechend ist es
folgerichtig, dass über Streitigkeiten für eine nach Maßgabe des § 96 StPO erlassene
Sperrerklärung die Verwaltungsgerichte zuständig sind, denn der Zweck einer
Sperrerklärung ist funktional primär an der Gefahrenabwehr ausgerichtet und dient nicht der
Verfolgung strafbarer Handlungen als Teil der Strafrechtspflege. Sie bezweckt einen
Zeugenschutz, weitere Verwendung von Vertrauensleuten und verdeckten Ermittlern und
beinhaltet eine allgemeine Strategie der Kriminalitätsbekämpfung (BGH a.a.O.). Zwar dient
auch die Zusicherung der Vertraulichkeit dem Schutz von Rechtsgütern des Zeugen vor
Gefahren, die von der Offenlegung seiner Identität ausgehen, sowie dessen Erhalt als
Aufklärungsmittel für künftige Verfahren (BGH a.a.O.). Von maßgeblicher Bedeutung ist hier
aber, dass mit der Zusage der Vertraulichkeit erreicht werden soll, dass ein Zeuge in einem
Ermittlungsverfahren Angaben macht, die der Überführung von Straftätern dienen. Die
Vertraulichkeitszusage dient somit in erster Linie der Verfolgung strafbarer Handlungen als
Teil der Strafrechtspflege. Darüber hinaus erfolgte die Vertraulichkeitszusage durch die
Kriminalpolizei als Gehilfe der Staatsanwaltschaft in Übereinstimmung mit der
Staatsanwaltschaft. Diese Organe der Rechtspflege sind für Maßnahmen aus
präventivpolizeilichen Gründen nicht zuständig, so dass sich auch daraus ergibt, dass es
sich um eine Regelung auf dem Gebiet des Strafrechts handelt.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist indes unbegründet.
Die Staatsanwaltschaft hat dem Antragsteller zu Recht die Zusage der Vertraulichkeit
entzogen, da er laut Haftbefehl des Landgerichts Köln dringend verdächtig ist, an der Tat,
zu der er Angaben gemacht hat, beteiligt gewesen zu sein.
Die Zusage der Vertraulichkeit richtet sich nach der gemeinsamen Richtlinie der
Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die
Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-
Personen) und verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung. Nach Ziffer 4 c entfällt
die Bindung an die Zusicherung der Vertraulichkeit, wenn sich eine strafbare
Tatbeteiligung des Empfängers der Zusicherung herausstellt. Diese Voraussetzung ist
vorliegend erfüllt. Das Landgericht Köln hält den Antragsteller für
dringend verdächtig, an dem Raub zum Nachteil der Geschädigten H beteiligt gewesen zu
sein. Für den Widerruf der Zusicherung reicht es aber jedenfalls aus, wenn der Informant
der Tatbeteiligung dringend verdächtig ist. Entgegen der Ansicht des
Prozessbevollmächtigten ist nicht erforderlich, dass die Tatbeteiligung feststeht. Das folgt
bereits daraus, dass selbst für den viel einschneidenderen Eingriff in die Freiheit des
Betroffenen durch Erlass eines Haftbefehls der dringende Tatverdacht ausreichend ist. Im
Übrigen könnte eine Verurteilung der Person, der Vertraulichkeit zugesichert worden ist,
gerade daran scheitern, dass vertrauliche Angaben dieser Person nicht in den Strafprozess
eingeführt werden dürften. Dies würde den Zwecken der Strafprozessordnung zuwider
laufen. Demgemäß ist die Entziehung der Vertraulichkeitszusage nicht zu beanstanden.
Da der Antrag auf gerichtliche Entscheidung unbegründet ist, konnte auch der Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung, die im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG
grundsätzlich ohnehin nicht vorgesehen ist, keinen Erfolg haben.
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Aus den gleichen Gründen war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter
Beiordnung eines Verteidigers als unbegründet zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.