Urteil des OLG Hamm vom 30.11.1990
OLG Hamm (kläger, türkei, kaskoversicherung, versicherungsschutz, versicherungsnehmer, teil, karte, anforderung, höhe, fahrzeug)
Oberlandesgericht Hamm, 20 U 179/90
Datum:
30.11.1990
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 179/90
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 15 O 641/89
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im übrigen das am 10. April 1990 verkündete Urteil der 15.
Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.736,36 DM nebst 9 %
Zinsen seit dem 05.10.1989 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 2/3 und der
Beklagte 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
Die Berufung ist zum Teil begründet.
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Der Kläger kann von der Beklagten wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten
(pVV) Schadensersatz in Höhe von 1.736,36 DM verlangen.
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1.
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Ein Anspruch aus der Kaskoversicherung gem. §12 Abs. 1 Nr. II e AKB scheidet aus, da
sich der Verkehrsunfall im asiatischen Teil der Türkei ereignet hatte. Gem. §2 Abs. 1
AKB erstreckt sich der Versicherungsschutz, soweit keine Erweiterung des
Geltungsbereiches vereinbart ist, nur auf Europa. Nach einhelliger Meinung in
Rechtsprechung und Literatur ist der Begriff Europa geographisch aufzufassen (BGH
VersR 63, 768; Stiefel/Hofmann, AKB, 14. Aufl., §2 Rdn. 3 m.w.N.), so daß sich der
Versicherungsschutz nur auf den europäischen Teil der Türkei erstreckt.
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2.
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Es besteht allerdings ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus pVV, da der
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Beklagte den Kläger im Zusammenhang mit seiner Anforderung der Grünen
Versicherungskarte nicht darauf hingewiesen hat, daß sich der Versicherungsschutz in
der Kaskoversicherung nicht auf den asiatischen Teil der Türkei erstreckte.
a)
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Grundsätzlich ist der Versicherer nicht verpflichtet, den Versicherungsnehmer über
Risikobeschränkungen aufzuklären. Es ist in der Regel Sache des
Versicherungsnehmers, sich über den Vertragsinhalt zu informieren. Macht sich
dagegen der Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen über den Umfang der
Versicherung und konnte der Versicherungsvertreter dies erkennen oder mit der
Möglichkeit eines Irrtums beim Versicherungsnehmer rechnen, dann besteht eine Pflicht
zur Aufklärung (vgl. OLG Frankfurt VersR 87, 579; OLG Karlsruhe VersR 88, 486).
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b)
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Der Senat bejaht für diesen konkreten Fall eine Aufklärungspflicht aus folgenden
Gründen:
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Der Kläger, der türkischer Staatsangehöriger ist, hatte für seinen VW-Bus im März 1989
eine Vollkaskoversicherung bei dem Beklagten abgeschlossen. Im Juni 1989 erhielt er
auf Anforderung eine Grüne Versicherungskarte. Auf dieser Karte waren bereits alle
Angaben wie Versicherungsschein-Nummer, Gültigkeitsdauer, polizeiliches
Kennzeichen des Fahrzeuges und Name und Anschrift des Klägers eingetragen. Der
Kläger mußte lediglich an der angekreuzten Stelle unterschreiben. Der Beklagte hätte
daher, wenn nicht schon bei der Anforderung der Karte durch den Kläger, so aber
jedenfalls bei Ausfüllen der Grünen Versicherungskarte erkennen können, daß diese
Karte für einen türkischen Staatsangehörigen bestimmt war, dessen Fahrzeug
kaskoversichert war. Dies ging aus den eingetragenen Daten hervor. Unter diesen
Umständen mußte auch für den Beklagten die Möglichkeit naheliegen, daß der Kläger
in sein Heimatland fahren wollte und glauben könnte, der Kaskoschutz gelte auch für
diese Fahrt in die Türkei. Von der generellen Möglichkeit, daß bei türkischen
Versicherungsnehmern ein solcher Irrtum bestehen könnte, geht der Beklagte im
übrigen selbst aus, denn er verwendet unstreitig Formulare, die vom
Versicherungsnehmer zu unterschreiben sind und in denen sie in deutscher und
türkischer Sprache darauf hinweist, daß die Grüne Versicherungskarte für die
Kaskoversicherung keine Bedeutung hat und daß der Kaskoversicherungsschutz beim
Verlassen des europäischen Teils der Türkei endet. Ein solches Formular hat der
Kläger nicht erhalten. Er ist auch nicht mündlich auf den Geltungsbereich der
Kaskoversicherung hingewiesen worden.
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c)
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Den Kläger trifft allerdings ein erhebliches Mitverschulden.
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Der Kläger hätte bei Durchlesen des auf der Grünen Versicherungskarte geschriebenen
Textes bemerken können und müssen, daß sich diese Karte nur auf die
Haftpflichtversicherung und nicht auf die Kaskoversicherung bezieht. Evtl.
unzureichende Sprachkenntnisse entschuldigen den Kläger nicht, da er sich den Inhalt
von anderen Personen hätte übersetzen lassen können. Auch das vom Kläger
behauptete und mit der Berufungsbegründung erneut unter Beweis gestellte
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Telefongespräch mit dem Zeugen ... mindert sein Verschulden nicht. Der Kläger hätte
erkennen müssen, daß sich die Gründe Versicherungskarte nicht auf die
Kaskoversicherung bezog. Der Senat hält das Verschulden des Klägers für deutlich
größer und bewertet es mit 2/3.
d)
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Die Kausalität der Pflichtverletzung für den entstandenen Schaden ist gegeben. Der
Kläger hat dazu im Termin erklärt, daß er seinem Schwager das Fahrzeug nicht
gegeben hätte, wenn er gewußt hätte, daß kein Kaskoversicherungsschutz für die
gesamte Türkei bestehe. Dem folgt der Senat. Der Wert und das Alter des Fahrzeuges
sowie der Umstand, daß bei den früheren Fahrzeugen des Klägers kein
Vollkaskoschutz bestand, legen es nahe, daß der Kläger gerade für dieses Fahrzeug
umfassenden Versicherungsschutz erlangen wollte.
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3.
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Bei der Höhe des Schadens sind auch die Gutachterkosten in Höhe von 537,- DM zu
berücksichtigen. Zwar werden Gutachterkosten in der Regel gem. §66 Abs. 2 VVG nicht
ersetzt. Der Versicherungsnehmer soll im Regelfall, damit die Kosten niedrig und
überschaubar bleiben auf einen Sachverständigen des Kaskoversicherers warten, der
die Schadenshöhe zu ermitteln hat. Unterläßt der Versicherer aber die
Schadensfeststellung und lehnt dann die Leistung ab, so gerät er in Verzug, so daß die
Kosten für die Hinzuziehung des Sachverständigen erstattungspflichtig sind
(Stiefel/Hofmann, a.a.O., §15 Rdn. 6).
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Ersparte Aufwendungen muß sich der Kläger nicht anrechnen lassen. Entgegen der
Klageerwiderung (Schriftsatz vom 22.01.1990, S. 8) hat der Vertreter des Beklagten im
Termin klargestellt, daß der Beklagte in diesem Fall keinen Versicherungsschutz für den
asiatischen Teil der Türkei angeboten hätte. Damit entfällt eine Anrechnung ersparter
Prämien.
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Der dem Kläger unfallbedingt entstandene Schaden beträgt unter Abzug der
Selbstbeteiligung 5.209,08 DM. Davon hat der Beklagte 1/3, das sind 1.736,36 DM zu
tragen.
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4.
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Der Zinsanspruch beruht auf §§288, 286 BGB. Die Zinshöhe von 9 % ist durch die
überreichte Bescheinigung der ... vom 29.11.1990 belegt.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die
Beschwer des Klägers beträgt 3.472,72 DM, die der Beklagten 1.736,36 DM.
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