Urteil des OLG Hamm vom 11.01.2011

OLG Hamm (zpo, anschlussberufung, berufungskläger, kostenverteilung, anlass, annahme, prozesshandlung, finanzen, rechtsmittel, folge)

Oberlandesgericht Hamm, I-7 U 40/10
Datum:
11.01.2011
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-7 U 40/10
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 016 O 425/08
Schlagworte:
Zurückweisung; Berufung; Anschlussberufung; Kosten
Normen:
§§ 522 Abs 2, 524 Abs. 4, 97 ZPO
Leitsätze:
Wird die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, so sind dem
Berufungskläger auch die Kosten der zulässig erhobenen, aber gem. §
524 Abs. 4 ZPO wirkungslos gewordenen Anschlussberufung
aufzuerlegen.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 16.04.2010 verkündete Urteil
des Landgerichts Münster (016 O 425/08) wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung und der Anschlussberufung werden der
Klägerin auferlegt.
Der Wert des Streitgegenstandes für die Berufungsinstanz wird auf bis
zu 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Berufung der Klägerin unterliegt gemäß § 522 Abs. 2 ZPO mangels Erfolgsaussicht
und wegen Fehlens der Voraussetzungen der Nrn. 2 und 3 des § 522 Abs. 2 ZPO nach
einstimmigem Votum des Senats der Verwerfung im Beschlusswege.
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Hinsichtlich der fehlenden Erfolgsaussicht wird auf die in dem Senatsbeschluss vom
04.10.2010 enthaltenen Rechtsausführungen Bezug genommen. Die Ausführungen der
Klägerin im Schriftsatz vom 17.12.2010 geben keinen Anlass, hiervon Abstand zu
nehmen.
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Insbesondere sind die darin enthaltenen Ausführungen nicht geeignet, die
erstinstanzliche Beweiswürdigung zu erschüttern; denn es reicht nicht aus, eigene
Erwägungen anstelle der des erkennenden Gerichts zu setzen.
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Soweit die Klägerin aus den im Nachhinein als unberechtigt qualifizierten
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Kontobelastungen und der vom Beklagten übernommenen Bezahlung der Bestellung
bei "P" auf seine generelle Unredlichkeit in Bezug auf die Verwaltung ihrer Finanzen
schließen will, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Hinsichtlich der Bestellungen bei
"R" hat bereits das Landgericht zutreffend im angegriffenen Urteil ausgeführt, dass die
Bestellungen zeitlich vor Einräumung der Kontovollmacht zu Gunsten des Beklagten
erfolgt sind und der Beklagte somit die daraus resultierenden klägerischen
Verpflichtungen lediglich vom Konto der Klägerin bedient hat. Hinsichtlich der
Bestellung bei "C" fehlt auch im nachgelassenen klägerischen Schriftsatz jeglicher
substantiierter Vortrag, wie der Beklagte anderweitig Kenntnis von den Kundendaten
der Klägerin erlangt haben könnte. Zu Recht greift die Klägerin im nachgelassenen
Schriftsatz nicht mehr die Berechtigung der Kontobelastungen an, denen Einkäufe für
sie zugrundeliegen. Unstreitig hat nämlich der Beklagte sämtliche Einkäufe für sie
erledigt. Soweit die Klägerin stattdessen zur Stützung ihrer Erwägungen zur
Unredlichkeit des Beklagten nunmehr ins Felde führt, der Beklagte habe
bezeichnenderweise nie mit ihr abgerechnet, muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen,
zu keinem Zeitpunkt Auskunft durch Vorlage von Belegen oder eine Abrechnung
verlangt zu haben. Wird einvernehmlich so verfahren, so begrenzt dies die Auskunfts-
und Rechenschaftsverpflichtung des Beauftragten (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 69. Aufl., §
666 RN 1). Ein solches Verhalten der Klägerin legt zudem die Annahme nahe, dass sie
sich offenbar seit Jahren nicht um ihre Finanzen gekümmert hat und so zwangsläufig
ihre finanzielle Situation aus den Augen verloren haben muss. Letzteres wiederum mag
erklären, dass die Klägerin auch mit Versandhausbestellungen über ihren finanziellen
Rahmen hinaus einverstanden war bzw. keinen Anlass zu der Annahme hatte, sich
dadurch finanziell zu übernehmen.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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Die Klägerin hat auch die Kosten der Anschlussberufung des Beklagten, die nach § 524
Abs. 4 ZPO durch die Berufungszurückweisung wirkungslos geworden ist, zu tragen.
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Die Rechtsfrage, wer die durch eine zulässige, aber infolge Berufungszurückweisung
nach § 522 Abs. 2 ZPO gemäß § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos gewordene
Anschlussberufung entstandenen Kosten zu tragen hat, ist in der ZPO nicht
ausdrücklich geregelt, in höchstrichterlicher Rechtsprechung wegen der nach geltender
Rechtslage (derzeit noch) bestehenden Unanfechtbarkeit des
Zurückweisungsbeschlusses ungeklärt und in der obergerichtlichen Rechtsprechung
umstritten.
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Während nach Ansicht der wohl überwiegenden Mehrheit der Oberlandesgerichte der
Anschlussberufungsführer die Kosten des Berufungsverfahrens anteilig im Verhältnis
der Werte von Berufung und Anschlussberufung zu tragen hat, scheidet nach Ansicht
anderer Oberlandesgerichte eine quotale Kostenverteilung mit der Folge aus, dass den
Berufungsführer die volle Kostenlast trifft (vgl. zu Streitstand OLG Stuttgart, NJW-RR
2009, 863 mwN). Letzterer Auffassung schließt sich der erkennende 7. Senat in
Übereinstimmung mit dem 28. Zivilsenat des OLG Hamm (Beschluss vom 27.03.2008 -
28 U 116/07) aus folgenden Erwägungen an:
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Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (so BGH, NJW-RR 2007, 786.; 2006, 1147)
sind einem Berufungskläger die Kosten einer zulässig erhobenen Anschlussberufung
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aufzuerlegen, wenn diese nach § 524 Abs. 4 ZPO durch eine Rücknahme der Berufung
wirkungslos geworden ist. Diese Kostenregelung gilt auch dann, wenn die Berufung
nach einem Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgenommen wird (so ausdrücklich
BGH, NJW-RR 2006, 1147). Der BGH begründet dies damit, dass auch in diesem Fall
das Rechtsmittel durch eine im Belieben des Berufungsklägers stehende
Prozesshandlung ohne gerichtliche Sachentscheidung hinfällig wird. Insoweit könne für
die Berufungsrücknahme nach einem Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nicht anderes
gelten als in Fällen der Berufungsrücknahme nach einem nicht unter den
Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Hinweis auf die mangelnde
Erfolgsaussicht oder nach Versagung der für die Berufung beantragten
Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht. Auch in diesen Fällen treffe
den Berufungskläger gemäß § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO die volle Kostenlast.
Für den Fall, dass der Berufungsführer die Berufung nach einem gerichtlichen Hinweis
auf die fehlende Erfolgsaussicht seines Rechtsmittels nicht zurücknimmt, sondern sich
schlicht dafür entscheidet, stattdessen einen Zurückweisungsbeschluss nach § 522
Abs. 2 ZPO ergehen zu lassen, kann nach Auffassung des Senates kostenmäßig nichts
anderes gelten.
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Auch in diesem Fall verliert die Anschlussberufung ebenso wie bei der
Berufungsrücknahme nach § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung.
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Allein der Umstand, dass der Berufungskläger es trotz Hinweises auf die
Aussichtslosigkeit seiner Berufung auf eine gerichtliche Entscheidung gemäß § 522
Abs. 2 ZPO hat ankommen lassen, ist aus Sicht des Senates kein sachlicher Grund, ihn
durch eine Kostenquotelung zu Lasten des Anschlussberufungsklägers im Beschluss
nach § 522 Abs. 2 ZPO kostenrechtlich besser als im Fall der Berufungsrücknahme zu
stellen (so schon OLG Hamm – 28. ZS, Beschluss vom 27.03.2008 - 28 U 116/07 mwN).
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Der daraus folgenden Entscheidung des Senats, die Fälle der Berufungsrücknahme und
des Zurückweisungsbeschlusses im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO hinsichtlich der
Verteilung der Kosten der Anschlussberufung gleich zu behandeln, steht die
Entscheidung des Großen Senates des BGH (NJW 1981, 1790) zur Kostenverteilung im
Falle der Nichtannahme der Hauptrevision nach § 554b ZPO a.F. nicht entgegen.
Danach rechtfertigt sich die kostenmäßige Ungleichbehandlung in den Fällen der
Revisionsrücknahme und der Ablehnung der Revisionsannahme dadurch, dass im
letzteren Fall die (damals noch geltende) unselbständige Anschlussrevision durch eine
gerichtliche Sachentscheidung, nicht aber durch eine im Belieben des Revisionsklägers
stehende und vom Gegner nicht beeinflussbare Prozesshandlung wirkungslos wurde.
Komme es aufgrund einer Entscheidung des Revisionsgerichtes über die
Nichtannahme der Revision nicht zu einer sachlichen Prüfung des
Rechtsschutzbegehrens des Anschlussrevisionsklägers, bestehe kein Anlass, dem
Anschlussrevisionskläger sein bei Einlegung seines Rechtsmittels eingegangenes
Risiko, mit seinem Rechtsschutzbegehren nur dann zum Zuge zu kommen, wenn die
Annahme der Revision nicht abgelehnt werde, kostenmäßig abzunehmen.
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Diese Argumentation des BGH lässt sich nicht auf das Verfahren nach § 522 Abs. 2
ZPO übertragen. Anders als beim früheren Revisionsannahmeverfahren ist gemäß §
522 Abs. 2 ZPO auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe
hierfür, verbunden mit einer Frist zur Stellungnahme, hinzuweisen. Gerade dieser
Hinweis eröffnet es dem Berufungskläger darüber zu entscheiden, wie das aus Sicht
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des Gerichts aussichtslose Berufungsverfahren seinen Abschluss finden soll – entweder
durch Rücknahme der Berufung oder durch den bereits angekündigten
Zurückweisungsbeschluss. Folglich steht es also auch allein im Belieben des
Berufungsklägers, auf welche Art und Weise die Anschlussberufung letztlich
wirkungslos werden soll. In einer solchen Situation kann nicht davon ausgegangen
werden, dass sich durch die gerichtliche Entscheidung ein eingegangenes
Prozessrisiko des Anschlussberufungsklägers realisiere. Vielmehr entscheidet allein
der Berufungskläger darüber, ob er Einwendungen gegen den Hinweisbeschluss
geltend machen will, ob er untätig bleibt oder ob er die Berufung zurücknimmt. Gleich
wie er sich entscheidet, realisiert sich jedenfalls sein Prozessrisiko, das er durch die
Einlegung der aussichtslosen Berufung eingegangen ist.
Nimmt der Berufungskläger seine Berufung nicht zurück, obwohl er entweder gar keine
oder zumindest nach einstimmiger Auffassung des Senates keine entscheidenden
Argumente gegen die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung vorzubringen vermag,
kann dies auch deshalb nicht zu seiner kostenmäßigen Privilegierung in Form der nur
quotalen Kostenhaftung führen, weil er durch seine Entscheidung, einen Beschluss
nach § 522 Abs. 2 ZPO ergehen zu lassen, die Kosten des Berufungsverfahrens erhöht.
Nimmt der Berufungsführer nach einem Hinweis auf die mangelnde Erfolgsaussicht
seiner Berufung sein Rechtsmittel zurück, so reduziert er hierdurch nämlich den Anfall
von Gerichtsgebühren im Vergleich zur Zurückweisung durch Beschluss um die Hälfte
(nämlich von der 4fachen auf die 2fache Gebühr; vgl. KV 1220 und 1222 der Anlage 1
zum GKG). Eine quotale Kostenverteilung wäre – je nach Sichtweise - insoweit
gleichbedeutend mit einer Belohnung oder dem Preis für die Steigerung der
Verfahrenskosten.
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Eine solche Kostenquotelung hätte nicht zuletzt auch zur Folge, dass der
Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers stets im Rahmen der von ihm
geschuldeten Rechtsberatung zu prüfen hätte, welche der beiden Alternativen – also
Berufungsrücknahme (= Ermäßigung der Gerichtsgebühren von 4 auf 2, aber Belastung
mit den vollen außergerichtlichen Kosten) oder Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO (zwar
Anfall von 4 Gerichtsgebühren, aber nur quotale Kostenbelastung nach dem Verhältnis
der Werte von Berufung und Anschlussberufung) – im konkreten Einzelfall die
kostengünstigere für seinen Mandanten wäre. Können oder sollen gegen den für den
Berufungsführer negativ ausgefallenen gerichtlichen Hinweis zur Rechtslage keine
stichhaltigen Einwendungen erhoben werden, so wird der Rechtsanwalt seinem
Mandanten die kostengünstigere der beiden Möglichkeiten zur Beendigung des
Berufungsverfahrens empfehlen müssen, um sich nicht selbst in Regressgefahr zu
bringen (vgl. hierzu Fahrendorf, in: Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Haftung des RA, RN
1486).
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