Urteil des OLG Hamm vom 05.07.2007
OLG Hamm: reformatio in peius, anfechtung, miteigentümer, rechtskraftwirkung, abrechnung, genehmigung, datum, offenkundig
Oberlandesgericht Hamm, 15 W 447/06
Datum:
05.07.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 447/06
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 11 T 131/04
Tenor:
Unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wird der
angefochtene Beschluss hinsichtlich des Geschäftswertes teilweise
abgeändert.
Die Geschäftswerte für die Anträge hinsichtlich der
Eigentümerbeschlüsse vom 02.03.2004 betreffend die
Jahresabrechnung 2003 und den Wirtschaftsplan 2004 werden wie folgt
festgesetzt:
TOP 3 (Jahresabrechnung) 28.535,20 € und
TOP 4 (Wirtschaftsplan) 14.520,00 €.
Der Geschäftswert des gesamten Verfahrens beträgt damit 48.339,15 €.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde gegen die Festsetzung des Geschäftswertes für das
Erstbeschwerdeverfahren einschließlich der von Amts wegen vorgenommenen
abändernden Festsetzung für das erstinstanzliche Verfahren ist gemäß § 31 Abs.3
KostO als Erstbeschwerde zulässig (vgl. Senat FGPrax 2005, 87).
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In der Sache ist die Beschwerde teilweise begründet. Das Landgericht ist bei der
Wertfestsetzung zutreffend von § 48 Abs.3 S.1 WEG ausgegangen, wonach sich der
Geschäftswert grundsätzlich nach dem Interesse aller Miteigentümer an der
Entscheidung bemisst.
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Auf dieser rechtlichen Grundlage bedürfen alleine die Wertansätze für die
Beschlussanfechtungsanträge zu den TOP 4 und 6 näherer Erörterung. Die
Wertansätze des Landgerichts hinsichtlich der weiteren Anträge beruhen jeweils auf
einer ausgesprochen maßvollen Schätzung, die zu Geschäftswerten geführt hat, die
überwiegend in der untersten Wertstufe liegen. Soweit das Landgericht den Antrag zu
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TOP 16 mit dem Regelwert gewertet hat, ist angesichts des Umstandes, dass es hier
offenkundig um die gerichtliche Klärung eines wiederkehrenden Problems ging, auch
hiergegen nichts zu erinnern.
Teilweise begründet ist die Beschwerde hinsichtlich der Bewertung des Antrages zu
TOP 4 (Anfechtung der Genehmigung der Jahresabrechnung). Diesen hat das
Landgericht mit 25% der gesamten von der Abrechnung erfassten Ausgaben bewertet.
Dabei ist die Kammer im Grundsatz zutreffend von der Rechtsprechung des Senats
ausgegangen, nach der bei einer Anfechtung des gesamten
Genehmigungsbeschlusses mit materiellen Einwendungen im Regelfall ein Wert von
25% des Gesamtabrechnungsvolumens anzunehmen ist. Allerdings sind dann, soweit
der so bestimmte Wert dazu Anlass gibt, in einem zweiten Schritt die Voraussetzungen
des § 48 Abs.3 S.2 WEG zu prüfen. Hier ergab sich ein Einzelwert von 71.185 €, so
dass diese Prüfung nicht unterbleiben kann. Sie führt zu dem Ergebnis, dass alleine die
sich aus dem Wert ergebende Kostenbelastung zu dem individuellen Interesse der
Beteiligten zu 1) (vgl. unten) in keinem angemessenen Verhältnis mehr steht, so dass
nach § 48 Abs.3 S.2 WEG eine Reduzierung des Wertes zu erfolgen hat.
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Maßstab der Reduzierung hat eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu sein.
Dabei hat der Senat dort, wo keine tatsächlichen Umstände des Einzelfalles eine
objektivierbare Reduzierung auf einen bestimmten Wert ermöglichen, eine Reduzierung
auf das Fünffache des Individualinteresses als angemessen erachtet (Senat NZM 2001,
549). Hierin sieht sich der Senat durch die mittlerweile in § 49a GKG zum Ausdruck
kommende gesetzgeberische Wertung bestätigt. Vorliegend vermag der Senat keine
besonderen Umstände zu erkennen, die eine objektivierbare Reduzierung des
Geschäftswertes auf einen bestimmten Wert rechtfertigen könnten. Dabei ist im
Grundsatz davon auszugehen, dass die Bemessung nach dem Interesse aller
Beteiligten angesichts der Rechtskraftwirkung nach § 45 Abs.2 WEG keinen
grundsätzlichen Bedenken begegnet. Denn mit einer solchen Regelung durfte der
Gesetzgeber auch das Ziel verfolgen, die Wohnungseigentümer dazu anzuhalten, die
über ihr subjektives Interesse hinausgehende Wirkung des Verfahrens auf die anderen
Beteiligten zu bedenken und von der leichtfertigen Stellung eines Antrags auf
gerichtliche Entscheidung abzusehen (BVerfG NJW 1992, 1673ff). Es ist daher verfehlt,
wenn die Beteiligten zu 1) eine entsprechende Wertfestsetzung von vorneherein als
"Strafaktion" abqualifizieren. Es bedarf vielmehr, bei entsprechenden absoluten
Belastungen, einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall.
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Im konkreten Fall hält der Senat daher in Ermangelung hinreichend konkreter
Bemessungskriterien einen Geschäftswert in Höhe des Fünffachen des
Individualinteresses für angemessen. Das Individualinteresse bemisst sich mit
Rücksicht auf die Abrechnungswirkung des angefochtenen Beschlusses, der die
einzelnen im Wirtschaftsjahr angefallenen Ausgaben dem einzelnen Miteigentümer
nach Maßgabe des Verteilungsschlüssels verbindlich zuordnet, nach der Summe der
den Beteiligten zu 1) zugeordneten Kostenanteile. Diese beträgt 5.707,04 €. Nicht zu
berücksichtigen ist dabei der Saldovortrag aus dem Vorjahr, da sich die
Beschlussfassung regelmäßig, also soweit kein anderer Regelungswille erklärt ist, nicht
auf Rückstände aus vorangegangenen Zeiten erstreckt (MK/BGB-Engelhardt, 4.Aufl., §
28 WEG Rdn.14). Für die Anfechtung der Jahresabrechnung ergibt sich damit ein
Einzelwert von 28.535,20 €. Dementsprechend war die Wertfestsetzung hinsichtlich des
Antrages zu TOP 4 abzuändern.
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Da dem Senat infolge der umfassenden Beschwerde die gesamte Wertfestsetzung zur
Überprüfung angefallen ist und das Verbot der reformatio in peius im
Beschwerdeverfahren nach § 31 KostO keine Geltung hat (Korintenberg/Lappe/
Bengel/Reimann, KostO, 16.Aufl., § 31 Rdn.69), hat der Senat den Geschäftswert für
den Anfechtungsantrag zu TOP 6 (Wirtschaftsplan) heraufgesetzt. Auch insoweit gilt,
dass zwar gemäß § 48 Abs.3 S.2 WEG eine Reduzierung des nach dem
Gesamtinteresse bemessenen Wertes erforderlich erscheint, es mangels besonderer,
objektivierbarer Kriterien für einen reduzierten Wert jedoch beim Fünffachen des
Individualinteresses zu verbleiben hat. Dieses liegt hier mit dem Fünffachen des
Jahresbetrages der beschlossenen Vorauszahlungen der Beteiligten zu 1) um nahezu
ein Drittel über dem von der Kammer angenommenen Wert, so dass dieser dem Senat
nicht mehr vertretbar erscheint.
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Eine weitergehende Reduzierung des Gesamtverfahrenswertes im Sinne einer
schätzweisen Erhöhung des Regelwertes, wie sie von der Beschwerde angeregt wird,
ist mit § 48 Abs.3 WEG nicht zu vereinbaren. Eine Reduzierung des Gesamtwertes ist
auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht geboten. Der Gesamtwert
resultiert insbesondere daraus, dass die Beteiligten zu 1), teils ohne ein erkennbares
Eigeninteresse, eine Vielzahl von Beschlüssen angefochten haben. Wenn ein
Wohnungseigentümer in dieser Weise quasi gegen das gesamte Verwaltungswesen
angeht, so muss er im Rahmen der durch § 48 Abs.3 S.2 WEG ermöglichten
Reduzierung auch die hieraus folgenden kostenmäßigen Konsequenzen tragen.
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