Urteil des OLG Hamm vom 01.02.2006
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Oberlandesgericht Hamm, 3 U 182/05
Datum:
01.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 182/05
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 6 O 150/05
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im Übrigen - das am 3. August 2005 verkündete Urteil der
6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum dahingehend abgeändert,
dass die ausgeurteilte Schmerzensgeldsumme auf 20.000,-- Euro nebst
Zinsen reduziert wird.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten erster Instanz tragen die Klägerin 1/3 und die Beklagte
2/3.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte 4/5 und
die Klägerin 1/5; die Klägerin trägt darüber hinaus 1/5 der
außergerichtlichen Kosten der Streithelferin. Im Übrigen trägt die
Streithelferin ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
1
I.
2
Die am 13.02.1931 geborene Klägerin verlangt Schmerzensgeld von dem beklagten
Krankenhaus, in welchem sie vom 02.08.2004 an wegen Komplikationen bei einer
Chemotherapie behandelt wurde, mit der Behauptung, dass sie durch unsachgemäßen
Transport am 20.08.2004 zu einer konsiliarischen urologischen Untersuchung in das N-
Hospital I eine inkomplette Querschnittslähmung erlitten habe.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird zunächst gemäß § 540 ZPO auf die
Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.
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Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Rechtsauffassung des
Landgerichts, wonach sie für ein Verschulden der Mitarbeiter der Streithelferin hafte,
weil diese zu Unrecht als ihre Erfüllungsgehilfen angesehen worden seien. Sie meint,
dass sich die Schutzfunktion des Behandlungsvertrages nicht auf den Transport
erstrecke, zumal insofern ein Personenbeförderungsvertrag zwischen der Klägerin und
der Streithelferin zustande gekommen sei. Ferner rügt sie, dass das Landgericht die von
ihr benannten Zeugen C und C2 nicht zum Beweise ihrer Behauptung gehört habe,
dass den Zeugen keine Pflichtverletzung zur Last falle. Das ausgeurteilte
Schmerzensgeld hält sie für überhöht.
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Die Streithelferin rügt ebenfalls das Übergehen des Beweisantritts der Beklagten und
bestreitet den von der Klägerin behaupteten Unfallablauf. Sie behauptet, dass bei der
Klägerin keine Kopfverletzung während und nach dem Transport vorhanden gewesen
sei. Die Klägerin habe lediglich mit den Haarspitzen leicht das Fahrzeugdach berührt
und über keine Beschwerde geklagt. Ein Fehlverhalten ihrer – der Streithelferin –
Mitarbeiter C und C2 liege nicht vor. Ferner bestreitet sie die von der Klägerin
behaupteten aktuellen Gesundheitsschäden und rügt ebenfalls das ausgeurteilte
Schmerzensgeld als überhöht.
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Die Klägerin und die Streithelferin beantragen,
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das am 3. August 2005 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts
Bochum abzuändern und die Klage abzuweisen,
8
hilfsweise:
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das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht
zurückzuverweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
13
II.
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Die Berufung ist zulässig (dazu 1.), hat in der Sache jedoch nur geringen Erfolg. Mit
Recht hat das Landgericht eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach bejaht (dazu
2). Allerdings konnte der Klägerin nur ein geringeres als das erstinstanzlich zuerkannte
Schmerzensgeld zugesprochen werden (dazu 3.).
15
1.
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Die Berufung ist zulässig. Entgegen der im Termin geäußerten Annahme und erörterten
Daten war die Berufungseinlegung durch die Streithelferin der Klägerin nicht verspätet.
Ihre Berufungsschrift ist zwar auf dem normalen Postweg erst am 23.09.2005, per
Telefax aber bereits am 21.09.2005 beim Oberlandesgericht eingegangen. Im Übrigen
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kommt es aber auf die Fristwahrung durch die Streithelferin der Klägerin ohnehin nicht
an, da Beklagte und Streithelferin eine einheitliche Berufung eingelegt haben, so dass
die Einhaltung der Berufungsfrist durch Hauptpartei oder Streithelfer ausreicht (vgl.
Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 67 Rdn. 5 m. w. N.).
2.
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Die Beklagte ist der Klägerin aufgrund des fehlerhaften Einschiebens in den
Krankentransportwagen am 20.08.2004 zum Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 253
Abs. 2 BGB verpflichtet.
19
a.
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Zwischen den Parteien ist unstreitig ein Krankenhausaufnahmevertrag zustande
gekommen. Aufgrund dieses Vertrages war die Beklagte insbesondere auch verpflichtet,
die Klägerin vor vermeidbarer Schädigung zu bewahren. Diese Pflicht ist dadurch
verletzt worden, dass die auf einer Liege befindliche Klägerin derart unsachgemäß in
den bereitstehenden Transportwagen eingeschoben wurde, dass sie dabei mit dem
Kopf gegen die Oberkante des Fahrzeuges anstieß.
21
b.
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Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Streithelferin der Beklagten einen
relevanten Anstoß der Klägerin an das Fahrzeug bestritten hat. Mit diesem Vortag ist sie
bereits gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen, da sie versäumt hat, bereits in
erster Instanz dem Rechtsstreit beizutreten und entsprechend vorzutragen. Eine
Entschuldigung hierfür ist nicht ersichtlich; insbesondere bestand genügend Zeit zum
Beitritt zwischen der Zustellung der Streitverkündungsschrift am 06.07.2005 und dem
Kammertermin am 03.08.2005. Daher muss die Streithelferin den Rechtsstreit in der
Lage aufnehmen, in welcher er sich während des Beitrittes befunden hat. Da die
Beklagte jedoch in erster Instanz den Kopfanprall der Klägerin beim Einschieben in das
Fahrzeug nicht bestritten hat und ausdrücklich vorgetragen hat, weder das Kopftrauma
noch die hieraus resultierende inkomplette Querschnittssymptomatik bestreiten zu
wollen, konnte ein jetziges Bestreiten dieses Sachverhaltes in zweiter Instanz
zulässigerweise nicht mehr erfolgen.
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Darüber hinaus ist der Vortrag der Streithelferin der Beklagten aber ohnehin nicht
schlüssig und daher unbeachtlich. Bei Richtigkeit der Darstellung der Streithelferin wäre
unerklärlich, wie es zu den bereits während des urologischen Konsils im N-Hospital I
bemerkten neurologischen Beeinträchtigungen bei der bis dahin neurologisch
unauffälligen Klägerin kommen konnte. Darüber hinaus ist ihr weiterer Vortrag nicht
nachvollziehbar, wonach die Mitarbeiter der Beklagten sich nach dem Befinden der
Klägerin erkundigt haben wollen, wenn diese tatsächlich lediglich mit den Haarspitzen
das Dach berührt hätte. Wäre dies so gewesen, wäre vielmehr zu erwarten gewesen,
dass die Mitarbeiter der Streithelferin C und C2 dieser Berührung keinerlei Beachtung
geschenkt und daher auch nicht nachgefragt hätten. Ihre Nachfrage bestätigt im
Gegenteil den erstinstanzlich unstreitigen Sachverhalt, dass der Anstoß der Klägerin mit
einiger Wucht erfolgt sein muss.
24
c.
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Der Anstoß der Klägerin an das Wagendach beruhte auch auf einem schuldhaften
Verhalten der Mitarbeiter der Streithelferin. Zwar hatte die Beklagte schon
erstinstanzlich ein solches Verschulden in Abrede stellen wollen. Für ihr Verschulden
spricht jedoch eine tatsächliche Vermutung, da es sich um ein voll beherrschbares
Risiko handelt, den Anstoß eines Patienten beim Einschiebevorgang in das
Transportfahrzeug zu verhindern. Diese auch nach den Grundsätzen des
Anscheinsbeweises bestehende Vermutung wird nicht, wie der Senat im Senatstermin
am 01.02.2006 mit den Parteien ausgiebig erörtert hat, durch den Vortrag der Beklagten
entkräftet, dass sich die Klägerin in dem Moment, als sie in das Fahrzeug eingeschoben
wurde, aufgerichtet haben soll. Aus diesem Vortrag ergibt sich, selbst wenn er richtig
wäre, nicht die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Verlaufs. Vielmehr war es Sache
der Mitarbeiter der Streithelferin, Bewegungen der Klägerin auf der schräg gestellten
Liege einzukalkulieren und auch bei einem plötzlichen Aufrichten den Anstoß zu
verhindern. Dass insofern irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen wie die mündliche
Warnung oder das Absichern der Klägerin getroffen wurden, ist dem Vortrag der
Beklagten nicht zu entnehmen. Auch dem Vortrag der Streithelferin ist, abgesehen von
der Verspätung gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO, ebenfalls nicht zu entnehmen, warum
ihre Mitarbeiter ausnahmsweise an der Schädigung der Klägerin kein Verschulden
treffen sollte.
26
d.
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Der Senat folgt der Auffassung des Landgerichts, wonach die Beklagte gemäß § 278 S.
1 BGB für das Verschulden der Mitarbeiter der Streithelferin haftet, denn die
Streithelferin und ihre Mitarbeiter sind als Erfüllungsgehilfen der Beklagten anzusehen.
Der ordnungsgemäße Transport der Klägerin zu dem urologischen Konsil in dem
auswärtigen Krankenhaus fiel in den vertraglichen Pflichtenkreis der Beklagten, wie
vom Senat im Senatstermin ausführlich mit den Prozessbeteiligten erörtert wurde.
Aufgrund des Krankenhausvertrages war die Beklagte zu einer umfassenden ärztlichen
Versorgung der Klägerin verpflichtet. Zur Erfüllung dieser Pflicht erfolgte u. a. auch die
Einschaltung eines auswärtigen Konsiliararztes, weil dessen medizinische Leistungen
im Krankenhaus der Beklagten nicht erbracht werden konnten (vgl. OLG Stuttgart, VersR
1992, S. 55). Die hier erfolgte konsiliarische Hinzuziehung eines Urologen erforderte
jedoch auch den Transport der Klägerin zu der auswärtigen Untersuchung. Auch der
Transport kann deshalb nicht aus dem Pflichtenkreis der Beklagten herausfallen.
Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 BPflV zählen zu den allgemeinen Krankenhausleistungen
vielmehr auch die vom Krankenhaus veranlassten Leistungen Dritter. Durch diese Norm
erfolgt zum Schutze des Patienten eine umfassende Einbeziehung aller während der
Behandlung des Patienten anfallenden medizinischen und nichtmedizinischen
Leistungen in die Behandlungsleistung. Lediglich Transporte zum Zwecke einer
endgültigen Verlegung des Patienten in ein anderes Krankenhaus sind daher nicht
mehr dem Pflichtenkreis des zunächst behandelnden Krankenhauses zuzuordnen (vgl.
Laufs/Uhlenbruck - Genzel, Handbuch des Arztrechtes, 3. Aufl. 2002, § 86 Rdn.
116/120). An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts dadurch, falls zwischen der
Beklagten und der Streithelferin – wie zugunsten der Beklagten unterstellt werden kann
– keine vertraglichen Beziehungen bestehen, nachdem sie die Streithelferin zur
Durchführung des Transportes auf Verlangen der Krankenkasse der Klägerin aus einer
von den Krankenkassen herausgegebenen Liste ausgewählt hat. Denn das Fehlen
eines Vertragsverhältnisses wie auch der Weisungsgebundenheit des Gehilfen steht der
Annahme der Zuordnung als Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 278 Satz 1 BGB nicht
grundsätzlich entgegen. Die Art der zwischen Vertragsschuldner und ihrer Hilfsperson
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bestehenden Rechtsbeziehung ist vielmehr gleichgültig und kann sich in einer bloßen
tatsächlichen Zusammenarbeit erschöpfen (vgl. Palandt – Heinrichs, BGB, 65. Aufl.,
§ 278 Rdn. 7).
e.
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Aufgrund des schuldhaft verursachten Anstoßens an dem Fahrzeugdach ist der Klägerin
ein Schaden entstanden, weil es dadurch bei ihr zu neurologischen Ausfällen mit der
Folge einer inkompletten Querschnittslähmung gekommen ist. Auch diese
erstinstanzlich nicht bestrittene Kausalität ist von der Beklagten zweitinstanzlich nicht
ernsthaft in Frage gestellt worden. Soweit ihre Streithelferin ausgeführt hat, dass bei der
Klägerin keine Zeichen eines Anstoßes wie etwa ein Hämatom oder eine blutende
Wunde vorhanden seien, kann sie mit diesem Vortrag schon nicht, wie bereits
ausgeführt wurde, gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO gehört werden. Der Vortrag ist jedoch
auch insofern nicht schlüssig, weil nicht nachvollzogen werden kann, woraus sich die
während des urologischen Konsils bereits erkennbare neurologische Symptomatik
sonst hätte ergeben sollen. Andere Erklärungsmöglichkeiten als der Anstoß am
Wagendach sind nicht ersichtlich. Das Auftreten äußerlich erkennbarer
Verletzungsmerkmale bei einer neurologischen Schädigung ist nicht zwingend.
30
f.
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Ein Mitverschulden im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB fällt der Klägerin nicht zur Last. Wie
bereits ausgeführt wurde, kann allein das – unterstellte - Aufrichten des Kopfes oder des
Oberkörpers während des Einschiebevorganges ein solches Verschulden nicht
begründen, da die Klägerin davon ausgehen durfte, dass angesichts ihres
Krankheitszustandes mit Bewegungen gerechnet werden musste und durch die
Mitarbeiter der Streithelferin Vorsichtsmaßnahmen gegen eine derartige Gefahr
getroffen werden würden.
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3.
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Als der Klägerin zuzubilligende Schmerzensgeld erscheint der Betrag von 20.000,--
Euro angemessen, aber auch ausreichend. Bei der Bemessung war zu berücksichtigen,
dass sich die ohnehin durch ihre Vorerkrankungen stark eingeschränkte Lebensqualität
der Klägerin aufgrund der hinzu kommenden Paresen in Armen und Beinen weiter
erheblich verschlechterte. Ebenso ist nachvollziehbar, dass sich die entstandene
Behinderung nachteilig auf ihre Psyche auswirkt. Schmerzengeld mindernd wirkt sich
jedoch aus, dass ausweislich des von der Klägerin nunmehr vorgelegten Attestes des
Internisten Heussen vom 31.10.2005 ihre Pflegebedürftigkeit nicht initial auf die infolge
des Anstoßes erlittene inkomplette Paraplegie, sondern auf die schwere
Grunderkrankung des Magenkarzinoms und der daraus resultierenden Folgen
zurückzuführen ist.
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4.
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Der Zinsanspruch der Klägerin beruht auf §§ 280, 286 BGB.
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5.
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Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §§ 92, 101 ZPO, die Entscheidung über die
38
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO war nicht geboten. Die Entscheidung
des Senats betrifft einen Einzelfall, der keine grundsätzliche Bedeutung betrifft. Von
Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofs ist der Senat
nicht abgewichen.
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